HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2007
8. Jahrgang
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Aufsätze und Entscheidungsanmerkungen

Verwendung fremdsprachiger Urkunden in öffentlichen Klagen

Von RiOLG Dr. Ralf Eschelbach, Koblenz

Deutsch ist Amtssprache (§ 23 Abs. 1 VwVfG) und als Ausdruck der Gerichtshoheit [1] auch Gerichtssprache (§ 184 Satz 1 GVG). Der zunehmende internationale Geschäftsverkehr und die Migration führen aber dazu, dass immer öfter fremdsprachige Urkunden zum Gegenstand des Aktenmaterials in behördlichen und gerichtlichen Verfahren werden; dies gilt auch für Strafverfahren. Auch dort sind fremdsprachige Urkundentexte bei behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen zu berücksichtigen. Es kann sich nämlich etwa im Fall von beleidigenden, erpresserischen, betrügerischen oder gefälschten schriftlichen Äußerungen bei der Urkunde um ein Tatmittel, insbesondere im Fall von Willenserklärungen um ein Tatobjekt oder aber im Fall von verbrieften Indiztatsachen um eine Beweisurkunde handeln. Ist der Text in einer Sprache gefasst, die zum Schulwissen des zuständigen Sachbearbeiters der Anklagebehörde zählt, dann besteht die Neigung, den Text selbst zu übersetzen und dadurch vermeintlich Zeit und Kosten einzusparen. Übernimmt die öffentliche Klage ganz oder teilweise fremdsprachige Textstücke oder zumindest bestimmte Begriffe oder wird die Originalurkunde ohne Übersetzung durch einen Sachverständigen der Anklage zu Grunde gelegt und darin in Bezug genommen, dann stellt sich die Frage der Vereinbarkeit dieses Vorgehens mit § 184 Satz 1 GVG. Ferner stellt sich die Frage der Rechtsfolgen eines eventuellen Verfahrensfehlers. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht geklärt, während in anderen Verfahrensordnungen oder in anderen strafprozessualen Rechtsbereichen das rechtliche Schicksal von Klagen, Anträgen oder Rechtsmitteln mit fremdsprachigen Textbestandteilen oder fremdsprachigen Anlagen durchaus behandelt wird.

I. Generelle Handhabung von § 184 Satz 1 GVG

In den anderen Bereichen wird darauf verwiesen, dass nach der verfassungskonformen [2] Regelung des § 184 Satz 1 GVG, soweit nicht spezielleres Recht mit gleichem Gesetzesrang gilt, [3] die Gerichtssprache uneingeschränkt deutsch ist. Das geschieht im Interesse der Richter, der Verfahrensbeteiligten und der Öffentlichkeit. Die Norm ist zwingend, in allen Prozessordnungen von Amts wegen zu beachten [4] und dem Verfügungsrecht der Verfahrensbeteiligten entzogen; [5] denn es geht nicht nur um das disponible Recht auf Gehör vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG), [6] sondern auch um die Effektivität des gerichtlichen Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), [7] den Anspruch auf prozessuale Gleichbehandlung aller (Art. 3 Abs. 1 GG) und das objektive Interesse der Allgemeinheit an sachlich richtigen Gerichtsentscheidungen. Die Regel des § 184 GVG gilt nicht nur für die Verhandlungen, Entscheidungen und Verfügungen des Gerichts, und zwar in allen ihren Teilen, [8] sondern auch für den gesamten Schriftverkehr des Gerichts und mit dem Gericht. [9] Fremdsprachige Klagen, Rechtsmittel- oder Antragsschriften sind ohne Übersetzung unbeachtlich. [10] Sie erlangen erst mit Vorla-

ge einer Übersetzung rechtliche Wirksamkeit, die gegebenenfalls auch erforderlich ist, um Fristen zu wahren. Dasselbe gilt schließlich kraft Gesetzes ebenso im verwaltungsbehördlichen und spezialgerichtlichen Verfahren (§ 23 Abs. 3 VwVfG, § 87 AO, § 19 SGB X, § 126 PatG). Eine Verpflichtung des Gerichts, selbst eine Übersetzung zu veranlassen, besteht im Parteiprozess oder in anderen gerichtlichen Verfahren mit Beibringungsmaxime grundsätzlich nicht. [11] Auch Anlagen zu einer Klage oder Antragsschrift, insbesondere im Original fremdsprachig abgefasste Urkunden, müssen dort vom Kläger oder Antragsteller in deutscher Sprache beigefügt werden. [12] Klagen und Anträge, die diesem Erfordernis unmittelbar selbst oder in ihren Anlagen nicht genügen, sind unbeachtlich. Fristgebundene Eingaben, insbesondere Rechtsmittelerklärungen, werden nur wirksam, wenn von vornherein ein ausreichender deutscher Text oder jedenfalls eine Übersetzung vorliegt. [13] Andernfalls bilden fremdsprachige Rechtsmittelerklärungen keine tragfähige Grundlage für eine Entscheidung des Rechtsmittelgerichts. [14] Allein Erklärungen über die Einlegung von Rechtsmitteln, bei denen es nur auf die Klarstellung der Rechtsmittelerklärung ohne weitere Begründungserfordernisse ankommt, gelten bisweilen als wirksam, wenn zwar ein Begleittext in fremder Sprache verfasst und nicht übersetzt ist, aber die eigentliche Rechtsmittelerklärung mit hinreichender Deutlichkeit in deutscher Sprache aus dem Schriftsatz hervorgeht. [15] Daraus wird deutlich, dass der für die Prozesshandlung bedeutsame Text in Deutsch gehalten sein muss, während unerhebliche Begleittexte in fremder Sprache unschädlich sind, wenn und soweit sie auch sonst entbehrlich erscheinen. Umgekehrt muss jeder relevante Text in der eigentlichen Prozesserklärung oder auch in einer zugehörigen Anlage in deutscher Sprache gefasst sein, damit die Prozesshandlung nicht als solche unwirksam ist. Auch wenn etwa ein Antragsteller oder Rechtsmittelführer die deutsche Sprache nicht beherrscht und die Richter des Adressatgerichts den fremdsprachigen Antrags- oder Rechtsmitteltext in seiner Landessprache aufgrund ihrer Schulkenntnisse durchaus verstehen, ändert sich dann nichts an der Unwirksamkeit der nicht in deutscher Sprache abgefassten Rechtsmittelerklärung; denn von dem Zufall, dass alle Richter den Text verstehen, soll die Wirksamkeit der Prozesserklärung, die gegen § 184 Satz 1 GVG verstößt, nicht abhängen. [16]

Freilich wird im Parteiprozess die Beibringung von Übersetzungen fremdsprachiger Urkunden, die als Beweismittel dienen sollen, nicht den Parteien, sondern dem Gericht abverlangt, das nach seinem Ermessen von einer Prozesspartei, aber nicht von einem Dritten, die Vorlage einer Übersetzung verlangen kann (§ 142 Abs. 3 ZPO). [17] Dies beruht darauf, dass im Zivilprozess nur über streitige entscheidungserhebliche Tatsachen Beweis zu erheben ist, die Beibringungslast grundsätzlich bei den Parteien liegt und die Beweiserhebung im Strengbeweisverfahren mit der Urkundenvorlage bei Gericht bewirkt ist. Auf den Strafprozess übertragbar ist eine solche Regelung nicht, weil hier für die Strafverfolgungsbehörden und das Gericht die Instruktionsmaxime gilt. Die Strafprozessordnung enthält folglich auch keine der Regelung des § 142 Abs. 3 ZPO vergleichbare Vorschrift. Nur eine von § 184 Satz 1 GVG abweichende Sonderregelung könnte es nach dem Prinzip vom Vorrang und vom Vorbehalt des Gesetzes [18] gestatten, fremdsprachige Urkunden, soweit sie durch Wiedergabe oder Bezugnahme Bestandteil einer Prozesshandlung des Gerichts oder eines Verfahrensbeteiligten werden, im Strafprozess auch ohne Übersetzung zu verwenden. [19] Eine solche Sonderregelung fehlt aber hier. Die nur auf den mündlichen oder schriftlichen Prozessverkehr ausgerichteten gerichtsverfassungsrechtlichen Vorschriften der §§ 184 ff. GVG enthalten keine Bestimmung über die Art und Weise der Beweisverwertung fremdsprachiger Urkunden, die außerhalb des Prozesses angefertigt wurden. [20] Im Strafverfahren mit seiner Instruktionsmaxime und seinem weiter gehend auf Mündlichkeit ausgerichteten Strengbeweisverfahren in der Hauptverhandlung steht zudem die Anklagebehörde als ein Teil der Exekutive [21] dem Gericht gleichrangig gegenüber; sie ist keine Prozesspartei, sondern ein Hoheitsträger, der auch bei der Prozessvorbereitung neutral zu handeln hat. Die Trennung von Offizialkläger und Strafrichter soll als Ausdruck des Gewaltenteilungsprinzips [22] eine gegenseitige Kontrolle der staatlichen Strafverfolgungsorgane bewirken. Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn für die Frage der Urkundenvorlage eine Rollenverteilung, wie sie im Parteiprozess zwischen den Verfahrensbeteiligten und dem Gericht besteht, auf das Verhältnis der Anklagebehörde gegenüber dem Gericht übertragen würde. Das geschieht auch im Verhältnis einer Privatperson zum Strafgericht nicht, wenn etwa im Klageerzwingungsverfahren, bei dem eine gewisse Beibringungspflicht besteht, die Vorlage fremdsprachiger Urkunden, die im Antrag auf gerichtliche Entscheidung als Beweismittel in Bezug genommen werden, ohne Übersetzung nicht akzeptiert wird. Die ungenügende Vorlage nur der nicht übersetzten fremdsprachigen Urkun-

de als Anlage führt dort zur Unzulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung. [23]

Das zwingende Postulat, dass Klagen und andere Prozesserklärungen nebst ihren Anlagen in deutscher Sprache einzureichen sind, dient dem Interesse an Vereinfachung und Beschleunigung des gerichtlichen Verfahrens, ferner dem Interesse an Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. [24] Aus denselben Gründen kann auch die Anklagebehörde im Strafverfahren nicht mit Recht auf die Beschleunigung ihres Ermittlungsverfahrens bis zur Anklagereife durch den Verzicht auf eine Übersetzung solcher fremdsprachiger Urkunden durch Sachverständige verweisen, die als Tatmittel, Tatobjekt oder Beweismittel von Bedeutung sind. Dem scheinbaren Zeitgewinn der Behörde durch Nichteinholung von Übersetzungen steht der Zeitverlust des Gerichts gegenüber, der entsteht, wenn erst das Gericht - insoweit zumindest seiner Aufklärungspflicht entsprechend [25] - eine Übersetzung anfertigen lässt. Zudem ist die Anklageerhebung schon von eventuellen Übertragungsfehlern oder Missverständnissen beeinflusst, die fast zwangsläufig entstehen, wenn es an einer Übersetzung durch einen Sachverständigen mangelt. Auch bei einer Anklageerhebung ohne Übersetzung fremdsprachiger Urkunden, die in der Anklageschrift in Bezug genommen werden, liegt ein Aufklärungsmangel im Sinne von § 160 Abs. 1 und Abs. 2 StPO vor. Hinzu kommt der Verstoß gegen § 184 Satz 1 GVG.

II. Bedeutung des § 184 GVG für die öffentliche Klage

Die Staatsanwaltschaft unterfällt dem sachlichen Anwendungsbereich des § 184 GVG. [26] Die Anklageschrift enthält die Prozesserklärung der Anklageerhebung. [27] Diese erfolgt gemäß §§ 170 Abs. 1, 199 Abs. 2 Satz 1 StPO durch Einreichung einer Anklageschrift bei Gericht mit dem Antrag, das Hauptverfahren zu eröffnen. Die Anklageschrift ist ein den Prozess vorbereitender Schriftsatz, der eine bestimmte Tat im prozessualen Sinn als Verfahrensgegenstand abgrenzbar kennzeichnen muss, damit das Gericht tätig werden darf (§ 151 StPO). [28] Ist grundsätzlich für alle Klagen, Rechtsmittel und Anträge zwingend die deutsche Gerichtssprache zu beachten mit der Folge, dass diese Prozesshandlungen bei einer Verletzung von § 184 Satz 1 GVG unwirksam sind, dann kann für die öffentliche Klage nichts anderes gelten. Sie hat wegen der Eingriffsintensität des Vorwurfes der Begehung einer Straftat schließlich schwerere Folgen und muss deshalb zur besonderen "Legitimation durch Verfahren" noch strenger gehandhabt werden, als eine Klage im Zivilprozess oder Verwaltungsrechtsstreit. Das Gebot der strikten Beachtung der schützenden Formen im Strafprozess gilt auch deshalb, weil sich die chronisch überlasteten Strafverfolgungsorgane zunehmend durch informelle Verfahrensweisen und extensive Anwendung des Opportunitätsprinzips an anderer Stelle Freiräume verschaffen, so dass zumindest in den verbleibenden Verfahren, die "streng nach der Strafprozessordnung" durchgeführt werden, weder Raum noch Bedarf für eine weitere Abweichung vom geschriebenen Strafprozess- und Gerichtsverfassungsrecht vorhanden ist, soweit es sich um zwingendes Recht handelt. § 184 GVG aber ist zwingend. Die Anklageschrift, die ganz oder teilweise fremdsprachigen Text ohne Übersetzung durch einen Sachverständigen enthält oder die sich ausdrücklich auf nicht übersetzte fremdsprachige Urkunden stützt, so dass diese zwar keine Anlage zum Schriftsatz, aber doch durch die gleichzeitige Aktenvorlage nach § 199 Abs. 2 StPO und die Bezugnahme hierauf ein integraler Bestandteil der öffentlichen Klage ist, muss deshalb bei Anlegung desselben prozessualen Maßstabs, wie er in anderen Prozessordnungen und Verfahrensbereichen gilt, ebenso wie alle anderen Klagen, Antrags- oder Rechtsmittelschriften behandelt und als unwirksam angesehen werden. Das ist ein Gebot der prozessualen Gleichbehandlung aller Rechtsunterworfenen, für die § 184 Satz 1 GVG als verfahrensübergreifende Regelung gleichermaßen gilt (Art. 3 Abs. 1 GG). Auch eine mit § 184 Satz 1 GVG nicht zu vereinbarende Anklageschrift, die gemäß § 151 StPO eine Prozessvoraussetzung für die gerichtliche Untersuchung darstellen soll, leidet unbeschadet der inhaltlichen Wahrung der Umgrenzungsfunktion [29] an einem funktionellen Mangel. [30] § 184 Satz 1 GVG hat insoweit dasselbe Normgewicht wie § 151 StPO. Bisher wird demgemäß auch die Unbeachtlichkeit einer Anklageschrift, die gegen § 184 Satz 1 GVG verstößt, meist nicht entgegen der sonstigen Handhabung von Klagen, Anträgen oder Rechtsmitteln in Frage gestellt. [31] Zu prüfen ist demnach nur, wann ein Verstoß gegen § 184 GVG vorliegt, und ob gegebenenfalls der Fehler noch im gerichtlichen Verfahren geheilt werden kann.

III. Verletzung von § 184 Satz 1 GVG bei der Anklageerhebung

§ 184 Satz 1 GVG wäre theoretisch dann verletzt, wenn die öffentliche Klage insgesamt in einer fremden Sprache verfasst würde; das kommt in der Praxis so freilich nicht vor. [32] Aber auch die Wiedergabe von Textpassagen einer fremdsprachigen Urkunde ohne Übersetzung ist mit § 184 Satz 1 GVG unvereinbar und zwar unabhängig davon, ob die Textpassage im Anklagesatz oder im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen wiedergegeben wird. Sogar die Verwendung einzelner zentraler Begriffe aus der fremdsprachigen Urkunde ohne Übersetzung steht nicht mit dem zwingenden Gebot der Verwendung

der Gerichtssprache im Einklang. Der Gebrauch von Fremdwörtern und Fachausdrücken, die durch ständigen Gerichtsgebrauch gleichsam der deutschen Sprache einverleibt sind, schadet hingegen nicht. [33] Das gilt aber generell nicht für den Gebrauch von Begriffen aus einer fremden Rechts- oder Wirtschaftssprache, die in einem fachbezogenen Text verwendet wurden; denn die Bedeutung dieser Begriffe in jenem Kontext muss formal und inhaltlich durch Sachverständigenbeweis eruiert werden. Die Übersetzung von fremdsprachigen Urkunden in die deutsche Sprache erfolgt nach deutschem Prozessrecht allgemein nicht durch einen Dolmetscher als solchen. Aufgabe des Dolmetschers ist es gemäß § 185 GVG nur, die Verständigung der Verfahrensbeteiligten zu ermöglichen. Es ist nicht seine Aufgabe, den Sinn einer nicht im Verfahren, sondern außerhalb des Prozesses abgegebenen fremdsprachigen Äußerung zu ermitteln. Dies ist vielmehr die Aufgabe eines Sachverständigen, [34] der freilich mit einem Dolmetscher personenidentisch sein kann. Die §§ 184 ff. GVG enthalten dagegen keine Regelung darüber, ob und wie fremdsprachige Urkunden im Verfahren als Beweismittel zu verwerten sind. § 184 GVG gilt nur für Prozesshandlungen des Gerichts oder der Verfahrensbeteiligten gegenüber dem Gericht. Für den Strafprozess gibt es auch darüber hinaus keine Spezialregelung zur Beweisverwertung fremdsprachiger Urkunden, so dass jedenfalls für die Verfahrensabschnitte, in denen Strengbeweis gilt, nur der Sachverständigenbeweis über den fremdsprachigen Urkundeninhalt als Mittel der inhaltlichen Einführung des fremdsprachigen Textes in das Verfahren in Betracht kommt; die fremdsprachige Urkunde liefert dann die Befundgrundlage für das Sachverständigengutachten. Eine Urkundenverlesung in fremder Sprache wäre mit § 184 Satz 1 GVG nicht vereinbar, so dass der Urkundenbeweis nicht zulässig ist. Eine Übersetzung der Urkunde durch den Richter, den Staatsanwalt oder einen Verteidiger wäre auch nicht mit der Prozessrolle jener Person, die kein personales Beweismittel ist, in Einklang zu bringen. Das gilt im Grunde für das Strengbeweisverfahren und den Freibeweis gleichermaßen. Wird deshalb für Zwecke der Vorbereitung und Erhebung der öffentlichen Klage kein externer Sachverständiger eingeschaltet, so ist dies auch dann ein Verfahrensfehler, [35] wenn insoweit Freibeweis gilt. Auch hierbei ist die Prozessrolle des Anklageverfassers als Vertreter der Anklagebehörde mit der Rolle eines Sachverständigen unvereinbar. Auf den Grad der eigenen Sachkunde des Beamten kommt es also gar nicht an. Weil § 184 GVG nur die Prozesshandlung und nicht die Beweisurkunde für sich genommen betrifft, ist er nur verletzt, wenn eine von der Anklageschrift ganz oder teilweise übernommene oder in Bezug genommene fremdsprachige Urkunde nicht durch einen Sachverständigen in die Gerichtssprache übertragen und die Anklageschrift die Übertragung verwertet hat.

IV. Folgen des Verfahrensfehlers

Die Anklageschrift, die auf einen fremdsprachigen Urkundentext gestützt ist, für den keine Übersetzung durch einen Sachverständigen herangezogen wurde, ist mit einem Verfahrensfehler behaftet. Erforderlich ist aber eine Unterscheidung von Aufklärungsmängeln im Sinne des § 160 Abs. 1 und 2 StPO, die im gerichtlichen Verfahren nach §§ 155 Abs. 2, 202, 244 Abs. 2 StPO geheilt werden können, von funktionalen Anklagemängeln, die der staatsanwaltschaftlichen Prozesshandlung ihre rechtliche Wirksamkeit nehmen, ohne dass das Gericht wegen des Anklageprinzips mit seiner Ausformung der Gewaltenteilung diesen Fehler nachträglich durch eigene Prozesshandlungen heilen könnte. [36] Nach dem ‑ im Divergenzfall letztlich nur durch den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes abänderbaren (§ 2 Abs. 1 RsprEinhG) ‑ Ansatz aus den anderen Rechtsbereichen, dass eine Klage oder Antragsschrift schon dann unwirksam ist, wenn ihre Anlage aus einer nicht übersetzten fremdsprachigen Urkunde besteht, muss auch die öffentliche Klage als mangelhaft angesehen werden, wenn in ihr inhaltlich auf eine fremdsprachige Urkunde ohne Übersetzung mit Hilfe eines Sachverständigen Bezug genommen ist. Denn in beiden Fällen wird die Urkunde als Anlage zur Klage oder als in Bezug genommener Aktenteil gleichermaßen der Sache nach zum integralen Bestandteil der (An-) Klageschrift. Die bloße Aufnahme einer fremdsprachigen Urkunde in das Verzeichnis der Beweismittel [37] reicht dagegen im Einzelfall für sich genommen noch nicht zur Annahme eines funktionellen Fehlers der Anklageschrift aus. Sie liefert aber immerhin ein Indiz dafür, dass auch der sonstige Text der Anklageschrift (auch) in irgendeiner Weise auf die Urkunde zurückgeht; denn nur wesentliche Beweismittel sollen in der Anklageschrift aufgelistet werden. Substanziell zum Bestandteil der Anklageschrift wird die fremdsprachige Urkunde aber jedenfalls dann, wenn der Anklagetext sich mit deren Inhalt auseinandersetzt, ohne zugleich besonders zu erkennen zu geben, dass der Urkundeninhalt vorn vornherein derart ohne Belang sei, dass nicht einmal die Aufklärungspflicht dem Gericht die Beweiserhebung in der Hauptverhandlung gebiete. Die Auseinandersetzung der Anklageschrift mit dem Urkundentext verdeutlicht vielmehr schon im Allgemeinen die Beweisrelevanz der fremdsprachige Urkunde, wobei es nicht darauf ankommt, welchen genauen Stellenwert der Urkundentext bei der Beweisführung für und gegen den Angeschuldigten einnimmt; das unterliegt schließlich im weiteren Gang des Verfahrens der autonomen Beweiswürdigung des Gerichts.

Die Folge eines funktionellen Anklagemangels ist wegen der grundlegenden Bedeutung des § 184 Satz 1 GVG die Unwirksamkeit der Anklageschrift als Prozessvoraussetzung. Diese Rechtsfolge ist auch keineswegs überzogen, weil die Anklageschrift erhebliche Prozessbedeutung hat. Sie drückt dem weiteren Verfahren ihren Stempel auf. Der gerichtliche Eröffnungsbeschluss, der die Anklageschrift unverändert zur Hauptverhandlung zulässt, erhöht deren Suggestivwirkung und dehnt den bekannten Perseveranzeffekt, [38] der einen wesentlichen Einwand der Strafprozesslehre gegen das Eröffnungsverfahrensmodell des deutschen Strafprozessrechts liefert, [39] vom Vertreter der Anklagebehörde auf den Strafrichter aus. [40] Ist die Anklageschrift von einem möglichen Übertragungsfehler oder einem Fehlverständnis bezüglich der Äußerungen in einem fremdsprachigen Urkundentext beeinflusst, dann wirkt der Fehler sich dadurch ebenso massiv wie subtil auf den Gang der Hauptverhandlung aus. Die vorherige Fehlerkorrektur ist deshalb auch sachlich durchaus geboten, zumal schon das normalen Eröffnungsverfahren wegen der Suggestivwirkung des Eröffnungsbeschlusses als "Vorurteil" Bedenken unterliegt und ein hinzutretender Verfahrensfehler zur Grenzüberschreitung führt.

Der richtige Weg ist die Rückgabe [41] der Anklageschrift mit den Akten durch das Gericht an die Staatsanwaltschaft zur dortigen Nachholung der Übersetzung des Urkundentextes durch einen Sachverständigen und zur Neufassung der Anklageschrift. Gibt das Gericht die Anklageschrift mit den Akten zur Nachbesserung zurück und führt die Staatsanwaltschaft die Nachbesserung nicht durch, dann ist die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen (§ 204 StPO); denn es ist dem Gericht nicht zuzumuten, die Hauptverhandlung unter Verlesung eines Anklagesatzes aus einer verfahrensfehlerhaften Anklageschrift durchzuführen. Wird die Anklagerückgabe zur Nachbesserung an die Staatsanwaltschaft vom Gericht unterlassen, so setzt sich der funktionale Fehler der Anklageschrift gegebenenfalls im Eröffnungsbeschluss fort. Dann liegt ein Prozesshindernis vor, das nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO zur Einstellung des Verfahrens führen muss.


[1] Wolf, in: MünchKomm, ZPO, 2. Aufl. 2001, § 184 GVG Rn. 1.

[2] BVerfG NVwZ 1987, 785.

[3] Nach Art. 32 des deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommens konnten sich die Versicherten in der jeweiligen Amtsprache ihres Heimatlandes an die Behörden und Gerichte des anderen Landes wegen; daher waren fremdsprachige Klagen oder Rechtsmittelerklärungen in diesem Rahmen wirksam; BayLSG Beschl. vom 23.10.1990 - L 6 Ar 836/89; LSG Rheinland-Pfalz Urt. vom 12.2.1992 - L 3 U 89/91.

[4] RGSt 67, 221, 223; BGHSt 30, 182; KK/Diemer, StPO, 5. Aufl. 2003, § 184 GVG Rn. 1; Kissel/Mayer, GVG, 4. Aufl., § 184 Rn. 1; für den Zivilprozess Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl., § 184 GVG Rn. 1; Wolf, in: MünchKomm, ZPO, § 184 GVG Rn. 1.

[5] BGHSt 30, 182; LR/Wickern, StPO, 25. Aufl. 2002, GVG § 184 Rn. 21.

[6] Vgl. dazu allgemein Eschelbach GA 2004, 228 ff.

[7] Weith, Gerichtssprachenproblematik im Straf- und Bußgeldverfahren, 1991, S. 34.

[8] Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, § 184 GVG Rn. 3.

[9] RGSt 67, 221, 223; BGHSt 30, 182, 183; für das FGG-Verfahren OLG Brandenburg FamRZ 2001, 290; für den Zivilprozess Wolf, in: MünchKomm, ZPO, § 184 GVG Rn. 6; Zöller/Gummer, ZPO § 184 GVG Rn. 2; für den Strafprozess KK/Diemer, StPO § 184 GVG Rn. 2.

[10] Kühne, Strafprozessrecht, 7. Aufl. 2007, Rn. 730.1; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 184 GVG Rn. 2; für die finanzgerichtliche Klage FG München ZfZ 2001, 246 f .; für den Antrag nach § 109 StVollzG OLG Nürnberg Beschl. vom 23.9.1988 - Ws 1115-1117/88; für die Rechtsmitteleinlegung BayObLGZ 1986, 537, 538 f .; OLG Düsseldorf JMBlNRW 1982, 186 f .; KG OLGZ 1986, 125, 126 f .; für die Rechtsmittelrücknahme BGH NStZ 2000, 553; HansOLG Hamburg NStE Nr. 15 zu § 302 StPO; a.M. LR/Wickern, StPO, GVG § 184 Rn. 17.

[11] VG Dresden Urt. vom 7.7.1997 - A 1 K 30700/97.

[12] So für die Anlagen zu einem Prozesskostenhilfeantrag OLG Hamm JurBüro 2000, 259.

[13] LSG Bremen Beschl. vom 8.12.1999 - L 3 V 68/97; LSG München Urt. vom 25.4.1989 - L 11 Ar 596/87; Kissel/Mayer, GVG § 184 Rn. 5.

[14] BayObLG Beschl. vom 29.7.1996 - 3Z BR 191/96 - und vom 9.9.1998 - 3Z BR 233/98.

[15] So für die Berufung im Strafverfahren OLG Düsseldorf NStZ-RR 2000, 215 f .

[16] BGHSt 30, 182, 183; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1999, 364 = VRS 97 (1999), 419, 420 f .

[17] RGZ 162, 282, 287 f .; BVerwG NJW 1996, 1553; PfzOLG Zweibrücken FamRZ 1998, 1445 f .; s.a. HessVGH Beschl. vom 14.12.1987 - 12 TP 3020/87 zur Verwertung fremdsprachiger Unterlagen im Prozesskostenhilfeverfahren; Kissel/Mayer, GVG § 184 Rn. 8..

[18] Zu dessen Bedeutung für das Strafverfahren informativ Dallmeyer, Beweisführung im Strengbeweisverfahren, 2002, S. 44 ff.

[19] Vgl. für den Zivilprozess RGZ 162, 282, 287; OLG Köln Urt. vom 29.1.2003 - 13 U 11/02; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO § 184 GVG Rn. 6; für den Verwaltungsprozess, in dem § 142 Abs. 3 ZPO entsprechend gilt, BVerwG NJW 1996, 1553.

[20] BGHSt 1, 4, 6; LR/Wickern, StPO, GVG § 184 Rn. 6.

[21] Statt aller Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. 1, 2006, Rn. 144.

[22] Vgl. Eschelbach, in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, 3. Aufl. 2006, Teil H Kap. 4 Rn. 2.

[23] OLG Stuttgart Die Justiz 2007, 260.

[24] FG Köln EFG 1997, 818 f .

[25] Zur Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO bei der Übersetzung fremdsprachiger Texte BGH StV 1985, 488.

[26] Weith, Gerichtssprachenproblematik im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 22.

[27] Vgl. Eschelbach, in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, Teil H Kap. 4 Rn. 1.

[28] BGHSt 32, 146, 150; 44, 153, 154; 46, 130, 137.

[29] Vgl. dazu BGHSt 40, 44, 45 f .; 44, 153, 154.

[30] Zu dieser Kategorie von Anklagemängeln BGHSt 46, 130, 133.

[31] Gegen die herrschende Meinung argumentierend nur Weith, Gerichtssprachenproblematik im Straf- und Bußgeldverfahren, 1992, S. 96 ff., der aber einen entscheidenden Unterschied zwischen Klagen im Parteienprozess und der von ihm nicht besonders untersuchten öffentlichen Klage im Strafverfahren nicht herausarbeitet.

[32] Meyer-Goßner, StPO § 184 GVG Rn. 3.

[33] SK/Frister, StPO, Stand 2006, § 184 GVG Rn. 5; Weith, Gerichtssprachenproblematik im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 29 f.

[34] BGHSt 1, 4, 6; BGH NJW 1965, 643; NStZ 1998, 158, 159; zur Unterscheidung von Sachverständigen und Dolmetschern Lankisch, Der Dolmetscher in der Hauptverhandlung, 2004, S. 70.

[35] Vgl. Weith, Gerichtssprachenproblematik im Straf- und Bußgeldverfahren, S. 89 ff.

[36] Auch andere Mängel als Defizite in der so genannten Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift können zu deren Unwirksamkeit führen, so für irreparable Mängel in der Informationsfunktion Danko, Rechtsfehler bei der Anklageerhebung oder in der Anklageschrift unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung, 1998, S. 187 ff. Die gegenteilige Behauptung ist eine petitio principii.

[37] Zur arbeitstechnischen Funktion der Beweismittelliste Eschelbach, in. Vordermayer/von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Handbuch für den Staatsanwalt, 3. Aufl. 2007, 4. Teil 1. Kap. Rn. 113.

[38] Schünemann StV 2000, 159 ff.

[39] Vgl. Eschelbach, in: Bockemühl (Hrsg.), Handbuch des Fachanwalts Strafrecht, Teil H Kap. 4 Rn. 37; Roxin, in: Die Reform der Hauptverhandlung im deutschen Strafprozess, in Lüttger (Hrsg), Probleme der Strafprozessreform, 1975, S. 52, 54.

[40] Zur Reduzierung der Legitimationsbasis der richterlichen Entscheidungsfindung durch das Vorurteil im Eröffnungsbeschluss Eschelbach, in: Verstehen und Widerstehen, FS für Christian Richter II, 2006, S. 113 ff.

[41] Vgl. allgemein zu dieser Möglichkeit BGHSt 46, 130, 134 f ; Eschelbach, in. Vordermayer/von Heintschel-Heinegg (Hrsg.), Handbuch für den Staatsanwalt, 4. Teil 1. Kap. Rn. 166; Pfeiffer, in: FS für Bemmann, 1997, S. 582, 594.