HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2006
7. Jahrgang
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Schrifttum

Thorsten Becker : Die Haftung für den deutschen Corporate Governance Kodex, Nomos-Verlag Baden-Baden, 2005, ISBN 3-8329-1490-0, 210 Seiten, 46,00 €.

In der Reihe Studien zum Handels-, Arbeits- und Wirtschaftsrecht, die im Nomos-Verlag erscheint, ist mit dem Band 106 ein insbesondere auch für Wirtschaftsstrafrechtler lesenswertes und wissensreiches Buch erschienen. Unter dem Titel "Die Haftung für den deutschen Corporate Governance Kodex" problematisiert Thorsten Becker in seiner Dissertation ein in der wirtschaftsstrafrechtlichen Diskussion immer wieder aufflammendes Thema.

Der Autor beschreibt einführend die Entstehungsgeschichte der Corporate Governance sowie deren Eingang in das deutsche Rechtssystem. Anfangs im angloamerikanischen Sektor entwickelt, stehe das Schlagwort der Corporate Governance heute für verantwortungsvolle, transparente und auf Wertsteigerung ausgerichtete Unternehmensführung. Mithilfe der in den Kodizes zusammengefassten Unternehmensleitlinien sollte ursprünglich die Allmächtigkeit der Vorstände von amerikanischen Aktiengesellschaften eingeschränkt und Kontrollmechanismen etabliert werden. Seit Kreditinstitute die Kodizes zunehmend als Indikator für Kreditsicherheit und Risikopotenzial einer Investition entdecken, haben die Corporate Governance Kodizes (CGK) als internationaler ´Mindeststandard´ Eingang in die nationalen Diskussionen um CGKs gefunden und sich in vielen einzelstaatlichen Rechtssystemen niedergeschlagen.

In Anbetracht des im Vergleich zu den rasanten Entwicklungen auf den Aktienmärkten schwerfälligen deutschen Gesetzgebungssystems entschied sich der Bundestag zur Einführung einer Erklärungspflicht bzgl. des CGK in § 161 AktG. Vor dem Hintergrund des sog. "Comply oder Explain-Prinzips" obliegt es demnach Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen der "Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex" entsprochen wurde (und wird), resp. welche Empfehlungen nicht angewendet werden (oder wurden). Die genaue Ausgestaltung und zeitlich bedingte Anpassung des Deutschen Corporate Governance Kodexes (DCGK) gebührt dabei einem Expertengremium: Die sog. "Cromme-Kommission" (Mitglieder der Kommission sind Dr. Gerhard Cromme (Vorsitzender), Dr. Paul Achleitner, Dr. Rolf-E. Breuer, Dr. Hans-Friedrich Gelhausen, Ulrich Hocker, Max Dietrich Kley, Prof. em. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutter, Volker Potthoff, Heinz Putzhammer, Christian Strenger, Peer M. Schatz, Dr. Wendelin Wiedeking, Prof. Dr. Axel v. Werder) ist dazu berufen, den Kodex entsprechend aktueller Bedürfnisse anzupassen

und weiterzuentwickeln. Da der Kodex im elektronischen Bundesanzeiger bereitgehalten wird (vgl. www.corporate-governance-code.de), ist er Veränderungen schneller zugänglich, als es eine Gesetzesnorm wäre.

Becker verfolgt mit seiner Dissertation im Wesentlichen die Frage, "wo der DCGK mit seinem Flankenvorschriften im Normgefüge der deutschen Rechtsordnung steht<..>". Dabei kapriziert er sich bevorzugt auf die zivilrechtlichen Haftungsregeln.

Gerade wegen dieser Zielrichtung untersucht er mögliche Ansprüche aus dem Umgang mit dem Kodex: Sowohl das Innenverhältnis zwischen Organen und Gesellschaft, als auch das Außenverhältnis zwischen Gesellschaft und Anlegern werden vorgestellt. Allein diese Ausführungen sind aus wirtschaftsrechtlicher Sicht mehr als gelungen. Die Darstellung ist flüssig zu lesen und verständlich geschrieben: Der Aufbau in gutachterlicher Darstellung hilft, die maßgeblichen Schnittstellen zwischen konkret zu beurteilendem Praxis-Fall und wissenschaftlicher Diskussionsdarstellung zügig aufzunehmen.

Für die Arbeit des Wirtschaftsstrafrechtlers interessiert unterdes, ob und inwieweit sich Beckers Dissertation auch für die strafrechtliche Praxis eignet. Sie tut es!

Er arbeitet heraus: Der Kodex stelle nur eine Präzisierung der in § 161 AktG normierten Erklärungspflichten dar. Becker manifestiert, es handele sich nicht um eine staatliche Norm, sondern um eine private Standardsetzung. Wenn sich das Unternehmen zuvor selbst auf die Einhaltung des Kodex verpflichtet habe, stelle die Verletzung der Erklärungspflichten eine sanktionierbare Verletzungshandlung dar. Weil die Abgabe der Entsprechungsklausel zudem eine Tatsache sei, die eigne, den Börsenkurs der erklärenden Gesellschaft erheblich zu beeinflussen, ordnet Becker den Verstoß gegen den Kodex in den Zusammenhang der Verpflichtungsvoraussetzungen für die Abgabe einer Ad-hoc-Meldung ein. Das führt im Ergebnis zu einer Verpflichtung aus § 15 WpHG; ggf. mit der Folge eines Sanktionsvorwurfs aus §§ 14, 38 bzw. 20a, 39 WpHG.

Das zentrale Argument Beckers im Zusammenhang mit Straftatbeständen ist die wirtschaftliche Wirkung der Entsprechungserklärung auf den Aktienkurs. Maßgeblich für die Erfüllung des § 331 HGB sei allein die formell falsche Erklärung im Anhang des Konzernabschlusses. Nicht die (materielle) Unrichtigkeit der Erklärung sei Ansatzpunkt des Strafvorwurfs, sondern der rein formelle Umstand, "ob" eine Erklärung abgegeben wurde.

Um so zu einer Strafbarkeit aus § 331 No.1 HGB zu gelangen, interpretiert der Autor das grundgesetzliche Bestimmtheitsgebot als Auslegungshürde: Nur eine restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale könne die oberstgerichtlichen Anforderungen an diese (Straf-)Norm erfüllen. Unter dem Tatbestandsmerkmal der "Verhältnisse der Gesellschaft" in § 331 No.1 HGB sind nach vorherrschender Ansicht alle Verhältnisse zu verstehen, in denen sich die Gesellschaft befindet. Mit Rücksicht auf das Bestimmtheitsgebot wird hier jedoch nur auf die "wirtschaftlich relevanten" Verhältnisse abgestellt.

Becker möchte die Entsprechungserklärung in den Bereich dieser, für die Gesellschaft relevanten, wirtschaftlichen Verhältnisse positionieren. Weil er damit aber in Widerspruch zu einigen der genannten Literaturansichten gerät, weist er sie in diesem Punkt pauschal zurück. Das gegen seine Ansicht stehende Argument, der Entsprechungsklausel fehle der erforderliche wirtschaftliche Bezug, versucht er durch Hinweise auf Studien zu entkräften: Da zumindest eine wirtschaftliche Relevanz der Entsprechungsklausel und der Kodexbefolgung nicht ausschließbar sei, müssten sie in den Kreis der "wirtschaftlich relevanten Verhältnisse der Gesellschaft" aufgenommen werden.

Die gleiche Argumentationslinie versucht er gangbar zu machen für die Feststellung, der Vorstand könne den Tatbestand des Betruges verwirklichen. Hier ist Becker jedenfalls insoweit zuzustimmen, als einzig die Tatvariante einer konkreten Vermögensgefährdung in Betracht kommt. Anders als andere bejaht der Autor eine Konkretheit der Vermögensgefährdung. Das Argument, wegen Unwägbarkeit des Kapitalmarktes sei nicht gesichert, ob der Aktienkurs einbreche oder die Nachricht von der Fehlerhaftigkeit der Entsprechungserklärung überhaupt in die Öffentlichkeit dringen könne (Fußnote 492), weist Becker zurück. Auch hier könnten seines Erachtens zahlreiche Studien die Wechselwirkung von Corporate Governance Erklärungen und dem Aktienkursverlauf belegen, weshalb denn auch eine Vermögensgefährdung "relativ sicher prognostizierbar" sei.

Darüber hinaus problematisiert Becker den Kapitalanlagebetrug: Der Tatbestand greife jedoch nur bei einer Erst- oder Neuemission, wenn dort vorsätzlich in publizierungspflichtigen oder freiwilligen Transparenz- und Werbemitteln eine sachlich unrichtige Entsprechungserklärung eingestellt werde.

Um den Kanon der Strafvorschriften zu vervollständigen, geht der Autor darüber hinaus auch auf § 400 I No.1 AktG ein und weist richtigerweise auf den eingeschränkten Anwendungsbereich der zu § 399 AktG subsidiären Norm hin: Sie entfaltet nur in Konstellationen Strafcharakter, in denen eine Falscherklärung von Vorstandsmitgliedern während der Hauptversammlung abgegeben wurde.

Die Auseinandersetzung mit den Strafnormen fällt in der vorliegenden Dissertation passagenweise schlüssig - an verschiedenen Stellen aber leider auch etwas kurzatmig aus. So fehlen beispielsweise Gedanken oder ein Hinweis zur Frage, ob auch ein Kreditbetrug bejaht werden könnte. Das ist denkbar, wenn das Fehlverhalten des Organmitglieds in Bezug auf die Entsprechungsklausel eine unrichtige, für die Gesellschaft vorteilhafte Angabe gegenüber Kreditgebern wäre (hierzu beispielsweise Semler/Schaal in MüKo-AktG, § 161 AktG, Rn. 216: ebenfalls etwas oberflächlich). Auch ein Hinweis in der Dissertation auf den Untreuetatbestand nach § 266 StGB

wäre angebracht gewesen, denn auch er kann Schutzgutcharakter im Sinne von § 823 II BGB entfalten - freilich nur im Verhältnis Vorstand - Gesellschaft.

Zu kurz gerät m.E. auch die Auseinandersetzung mit dem Bestimmtheitsgebot. Becker kommt eingangs zum Ergebnis, der CGK sei kein formelles Gesetz. Gerade unter dieser Prämisse hätte es der Arbeit gut gestanden, die Verfassungskonformität der Strafnormen vertieft anzusprechen.

Auch der geäußerten Ansicht, eine konkrete Vermögensgefährdung sei anzunehmen, kann m. E. nicht gefolgt werden. Denn obgleich sich hier eine breite Meinungsfront sowie eine z.T. wenig nachvollziehbare Judikatur ausgebildet haben, spricht einiges gegen die Annahme einer konkreten Gefährdung. Die konkrete Gefährdung von Vermögenswerten ist ein Vermögensschaden im Sinne der Norm, wenn sie nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise bereits eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage bedeutet (so Schönke/Schröder-Cramer, StGB, 26. Auflage, § 263 Rdnr. 143). Erforderlich ist die nahe liegende Gefahr des Vermögensverlustes (BGHSt 34, 394[395]). Eine solche Lage könnte hier zwar bestehen, denn mit dem Ordern der Papiere erlangt das Opfer einen Vermögensgegenstand, dessen Wert maßgeblich von der Entsprechungsklausel mitbestimmt ist. Möglicherweise steht der Annahme einer Gefahrenlage aber entgegen, dass der Getäuschte in eine Situation geraten ist, in der der endgültige Verlust nicht mehr von seinem Zutun abhängt - die Festsetzung des Aktienwertes erfolgt zeitversetzt durch - nicht vorhersehbare und berechenbare - Marktmechanismen. Nach einer alten Literaturansicht (Schönke/Schröder-Schröder, StGB, 17. Auflage, § 263 Rdnr. 100.) hätte man daher eine Vermögensgefährdung durchaus bejahen können, denn der endgültige Vermögensverlust hängt nicht mehr vom Handeln des Opfers ab.

Demgegenüber gehen die aktuelle Literatur und die Rechtsprechung bzgl. der Bewertung des Täterverhaltens jedoch auseinander: Zum einen wird anerkannt, dass eine Handlung durch den Täter die Annahme einer Gefahr nicht hindere (BGHSt 6, 115[117]), zum anderen soll das bloße Schaffen einer Möglichkeit, einen Vermögensverlust beim Opfer zu erzeugen, einer Gefahrenannahme entgegenstehen (Nachweise bei Schönke/Schröder-Cramer, StGB, 26. Auflage ´01, § 263 Rdnr. 145.).

M.E. liegt es nahe, sich gegen eine Vermögensgefährdung auszusprechen: Denn der Täter suggeriert einen Zustand, der zwar die Aktienanlage im Zeitpunkt des Kaufs attraktiver macht. In diesem maßgeblichen Zeitfenster ist jedoch nur die bloße Möglichkeit des Wertverlustes gegeben. Das Wesen des Aktienhandels ist charakteristisch geprägt von Unvorhersehbarkeiten - auch Insidern gelingt es nicht mit strafrechtlich erforderlicher Sicherheit vorherzusagen, wie sich ein gewisser Faktor auf den Kursverlauf auswirken wird. Daher kann denn auch nicht prognostiziert werden, ob sich die Entsprechungsklausel überhaupt auf Kursveränderungen auswirkt, geschweige denn für einen Kurssturz maßgeblich wird. Es ist demgegenüber noch nicht einmal ausschließbar, dass es - trotz der Entsprechungserklärung - zu einem Wertanstieg kommt.

In Zusammenhang mit § 331 HGB kann daher auch Beckers Argument der "zumindest nicht ausschließbaren wirtschaftlichen Relevanz der Entsprechungserklärung" in der Sache kaum überzeugen.

Gleichwohl liefert Thorsten Becker - neben der eigentlich beabsichtigten Darstellung von zivilrechtlichen Haftungsrisiken - zahlreiche Ansatzpunkte für eine strafrechtliche Auseinandersetzung mit der bewussten Abgabe, resp. dem bewussten Unterlassen der Richtigstellung von Entsprechenserklärungen im Sinne von § 161 AktG. Nicht nur aus diesem Grunde sollte die Dissertation zum Grundbestand desjenigen Anwalts werden, der Vorstände und Aufsichtsräte zu seiner Mandantschaft zählt.

Roman G. Weber, LL.M. Wirtschaftsstrafrecht, Rechtsanwalt, Detmold, www.RomAnwalt.de

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Jens-Peter Schulz : Das deutsche Markenstrafrecht. Eine Untersuchung des § 143 MarkenG unter Berücksichtigung europarechtlicher Einflüsse (Schriften zum Strafrecht, Bd. 161), Duncker & Humblot, Berlin, 2004, 200 Seiten, kart., ISBN 3-428-11425-6, EUR 60,00

I. Denkt man an den (strafrechtlichen) Schutz des geistigen Eigentums, so assoziiert man damit wohl vorrangig das - wissenschaftlich bereits verschiedentlich durchdrungene - Urheberstrafrecht. Der Schutz des geistigen Eigentums umfasst aber nicht nur "Werke" im urheberrechtlichen Sinn, sondern noch eine ganze Reihe weiterer Schutzgegenstände. Einer davon ist die "Marke", d.h. nach § 3 I MarkenG "alle Zeichen, insbesondere Wörter einschließlich Personennamen, Abbildungen, Buchstaben, Zahlen, Hörzeichen, dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung sowie sonstige Aufmachungen einschließlich Farben und Farbzusammenstellungen", die "geeignet sind, Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden". Dem strafrechtlichen Schutz solcher Marken (unter ausdrücklicher Ausklammerung der ebenfalls im Markengesetz geregelten geschäftlichen Bezeichnungen und geographischen Herkunftsangaben, vgl. § 1 Nrn 2, 3 MarkenG) widmet sich die von Rengier betreute Konstanzer Dissertation von Jens-Peter Schulz.

Die praktische und wirtschaftliche Bedeutung von "Marken" kann kaum überschätzt werden; zum Schutz dieser Marken freilich spielt das Strafrecht - wie auch in anderen Bereich des Schutzes des geistigen Eigentums - eine deutlich untergeordnete Rolle, was die ausgesprochen geringe Zahl von (insb. obergerichtlichen) Entscheidungen zum sowie das doch sehr zurückhaltende Interesse in der strafrechtswissenschaftlichen Literatur am Marken-

strafrecht belegt. Insofern schließt das Buch von Schulz eine Lücke und bringt damit nicht nur einen wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt, sondern kann (nicht zuletzt aufgrund seiner bis zu einem gewissen Grad kommentar- bzw. handbuchartigen Konzeption) auch dem Praktiker eine wertvolle Hilfe sein, sollte er unerwarteterweise einmal mit dem Markenstrafrecht in Berührung kommen. Die gilt umso mehr, als die einschlägigen Gesamtdarstellungen des Markenrechts sonst üblicherweise nicht von Strafrechtlern verfasst sind und daher die Behandlung der strafrechtlichen Teile (wie nicht selten im akzessorischen Nebenstrafrecht) in den Bezügen zur allgemeinen Strafrechtsdogmatik nicht immer auf dem "Stand der Kunst" sind.

II. Wie einleitend bereits angedeutet, wählt der Verfasser zwar einen engen Untersuchungsgegenstand (allein § 143 MarkenG), behandelt diesen jedoch in handbuchartiger Breite, in dem nicht nur die Tatbestandsvoraussetzungen erörtert werden, sondern auch Ausführungen zum subjektiven Tatbestand, zu Rechtswidrigkeit und Schuld, zu Täterschaft und Teilnahme sowie zur Versuchsstrafbarkeit und darüber hinaus auch noch zur Anwendbarkeit des Kernstrafrechts bei Verstößen gegen markenrechtliche Vorschriften erfolgen.

1. In einer knappen Einleitung ordnet Schulz die Markenrechtsverletzungen in das Gesamtproblem der Produktpiraterie ein und nennt als Ziel seiner Untersuchung, das Markenstrafrecht theoretisch bzw. rechtsdogmatisch zu durchdringen, nicht zuletzt auch mit Blick auf die Garantien des Art. 103 II GG, welche angesichts der zahlreichen im Markenstrafrecht verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe zweifelhaft sein könnte.

2. In einem ersten Kapitel (S. 23 ff.) wird die Marke als Gegenstand des Markenstrafrechts aus verschiedenen Richtungen näher beleuchtet: Die Beschränkung auf § 143 MarkenG (und damit auf den strafrechtlichen Schutz der Marke selbst unter Ausklammerung von geschäftlichen Bezeichnungen, geographischen Herkunftsangaben und Gemeinschaftsmarken) begründet er damit, dass allein der Markenschutz i.e.S. auf die Markenrechtsrichtlinie der Europäischen Union zurückzuführen sei, so dass die vom Verfasser häufig in den Vordergrund gestellte richtlinienkonforme Auslegung letztlich nur hier wirklich fruchtbar sei. Sodann werden die wirtschaftliche Bedeutung von Marken im Geschäftsverkehr anhand einiger Beispiele sowie die zivilrechtlichen Folgen von Markenrechtsverletzungen knapp skizziert (vgl. S. 24 ff.), bevor Schulz - gewissermaßen in einem "AT" seiner Überlegungen - die von ihm für wichtig gehaltenen "Leitlinien für die Auslegung des Markenstrafrechts" (vgl. S. 29 ff.) kurz erläutert: Er betont dabei zum einen die weitgehende Parallelität des Schutzes geistigen Eigentums aufgrund gemeinsamer Wurzeln im Produktpirateriegesetz, was - soweit keine Argumente dagegen bestehen - zu einer gewissen Engführung zu dem bereits näher wissenschaftlich untersuchten Urheberstrafrecht begründen könne; des weiteren plädiert er (freilich stets unter Beachtung von Art. 103 II GG) für eine an der Markenrechtsrichtlinie der Europäischen Gemeinschaft orientierte richtlinienkonforme Auslegung.

3. Im nächsten Kapitel (S. 36 ff.) wird untersucht, inwiefern das Markenstrafrecht als (typischer) Teil des Wirtschaftsstrafrechts betrachtet werden kann. Diese Überlegungen sind nicht nur für die wissenschaftliche Systematisierung interessant, sondern können im Einzelfall auch bei der Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale herangezogen werden. Nach einer eher kriminologischen Betrachtung über typische Täter, Opfer, Schäden, Bedeutung des Dunkelfeldes und Internationalisierung der Begehungsweise wird das Markenstrafrecht auch anhand typischer rechtsdogmatischer Besonderheiten des Wirtschaftsstrafrechts (überindividuelles Rechtsgut; Sonderdeliktseigenschaft sowie Blanketttatbestände) untersucht. Dabei kommt Schulz zu dem überzeugenden Ergebnis, dass die meisten typischen Eigenschaften wirtschaftsstrafrechtlicher Vorschriften auch für das Markenstrafrecht gelten; freilich tritt der - indes auch bei anderen wirtschaftsstrafrechtlichen Vorschriften im Detail umstrittene - überindividuelle Rechtsgüterschutz in den Hintergrund; auch handelt es sich um kein Sonderdelikt und - anders als sonst vielfach im Nebenstrafrecht - fehlt es an einer Pönalisierung fahrlässigen Verhaltens.

4. Im nächsten Kapitel werden die durch § 143 I MarkenG in Bezug genommenen Fälle der Markenkollision i.S.v. § 14 II MarkenG erläutert. Dabei beginnt Schulz mit einer Darstellung der grundsätzlichen Konzeption (vgl. S. 52 ff.), welche Identitätsschutz, Verwechslungsschutz und Bekanntheitsschutz gewährt. Es folgt eine Darstellung der Tatbestandsmerkmale, die für alle Nummern des § 14 II MarkenG gelten (vgl. S. 53 ff.), nämlich die fehlende Zustimmung des Inhabers der Marke (welche Schulz nach eingehender Diskussion nicht als Rechtsfertigungs-, sondern bereits als Tatbestandsausschließungsgrund einordnet), das Handeln im geschäftlichen Verkehr (vgl. S. 57 f.)" sowie das Erfordernis der Begehung durch "Dritte" (vgl. S. 58 f.), welches dazu führt, dass der Markeninhaber auch nach Einräumung einer ausschließlichen Lizenz (abweichend von der Regelung im Urheberstrafrecht, aber nach Ansicht von Schulz aufgrund des Wortlautes zwingend) nicht als Täter in Betracht kommt.

Es folgt eine vertiefende Darstellung der drei Schutzbereiche des § 14 II MarkenG: Zum Identitätsschutz (§ 14 II Nr. 1 MarkenG, vgl. S. 59 ff.) werden etwa die Fragen erörtert, ob der Täter mit entsprechender Täuschungsabsicht handeln muss (was Schulz verneint) oder ob eine teleologische Reduktion des Straftatbestandes bei bloßen Lizenzverletzungen (etwa zeitliche Überschreitung der Lizenz) geboten ist, um nicht klassische zivilrechtliche Vertragsverletzungen unmittelbar strafrechtlich zu pönalisieren; auch diese Frage verneint Schulz auf der Grundlage einer europarechtskonformen Auslegung und kommt damit zu einem relativ weiten Anwendungsbereich des § 143 I Nr. 1 i.V.m. § 14 II Nr. 1 MarkenG.

Zum Verwechslungsschutz (§ 14 II Nr. 2 MarkenG, vgl.

S. 63 ff.) wirft Schulz insbesondere die Frage der Vereinbarkeit mit Art. 103 II GG, § 1 StGB auf, bejaht diese jedoch im Ergebnis nicht zuletzt unter Rückgriff auf die Konturierung des Begriffs der Verwechslungsgefahr durch die europäische Rechtssprechung. Im Rahmen der Darstellung des Bekanntheitsschutzes (§ 14 II Nr. 3 MarkenG, vgl. S. 70 ff.) wird neben der (von Schulz ebenfalls bejahten) hinreichenden Tatbestandsbestimmtheit insbesondere der Schutz auch innerhalb des "Produktähnlichkeitsbereichs" untersucht, welcher fraglich ist, weil § 14 II Nr. 3 MarkenG von "Waren oder Dienstleistungen" spricht, "die nicht denen ähnlich sind, für die die Marke Schutz genießt". Im Ergebnis lehnt Schulz - abweichend von einer verbreiteten Ansicht im Markenzivilrecht - sowohl eine analoge Anwendung des § 14 II Nr. 3 MarkenG als auch die Bagatellisierung der "Unähnlichkeitsklausel" als für das Verständnis der Vorschrift bedeutungslos ab; jedenfalls im Anwendungsbereich der Strafbewährung erschiene eine Analogie ebenso wie eine solche Auslegung problematisch, so dass hier ein möglicher Anwendungsbereich für das grundlegend von Tiedemann grundlegend für das Wirtschaftsstrafrecht herausgearbeitete Phänomen der "Normspaltung" auftreten könnte.

5. Im nächsten Kapitel werden einzelne verbotene Benutzungshandlungen dargestellt. Schulz beschränkt sich hierbei aus dem umfangreichen Katalog des § 14 III MarkenG auf die aus seiner Sicht relevantesten Tathandlungen der Einfuhr und Durchfuhr (vgl. S. 81 ff.), wobei er zu Einzelfragen teilweise bereits auf veröffentlichte Entscheidungen zurückgreifen kann.

6. Es folgt ein kurzes Kapitel über die in § 143 I MarkenG geforderte Widerrechtlichkeit der Benutzungshandlungen, welche Schulz mit Blick auf die Schutzschranken der §§ 20 ff. MarkenG untersucht. Dabei behandelt er die Benutzung von Namen und beschreibenden Angaben nach § 23 MarkenG (in dem er insb. die Vereinbarkeit der "Guten-Sitten-Klausel" mit Art. 103 II GG prüft[vgl. S. 94 ff.], ohne freilich hinreichend zu berücksichtigen, dass sich diese Klausel auch bereits im Kernstrafrecht findet) sowie den sonst aus dem Materialgüterrecht bekannten Erschöpfungsgrundsatz nach § 24 MarkenG (vgl. S. 97 ff.)

7. Ein ausführlicheres Kapitel ist dem subjektiven Tatbestand und dabei der Abgrenzung zwischen Tatbestandsirrtum und Verbotsirrtum gewidmet (vgl. S. 103 ff.). Schulz spielt hier eine Reihe von möglichen Irrtumsfällen durch (vgl. S. 106 ff.), wobei er auch bei Irrtümern über die markenrechtliche Bewertung in relativ großem Umfang (teilweise durchaus untypisch für die verbreitete Dogmatik bei Blanketttatbestände, m.E. im Ergebnis jedoch diskutabel) zur Annahme von vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtümern gelangt.

8. Nach einem kurzen Kapitel über Rechtswidrigkeit, Schuld und Konkurrenzen (vgl. S. 119 ff.), für die außer der Einwilligungs- und Irrtumsproblematik keinen nennenswerten Probleme bestehen, skizziert Schulz knapp die möglichen Formen von Täterschaft und Teilnahme bei Markenrechtsverletzungen, denen aufgrund der "vielschichtigen Arbeitsteilung" im geschäftlichen Verkehr bis hin zur Mitwirkung des Verbrauchers seines Erachtens große Bedeutung zukommt (vgl. S. 126 ff.). Auf Seiten des Verbrauchers nimmt Schulz letztlich nach den Grundsätzen der notwendigen Beteiligung regelmäßig keine strafbare Beihilfe an. Wenn es schon einen eigenen Teil über Täterschaft und Teilnahme in diesem Bereich gibt, hätte man vielleicht auch kurze Ausführungen zum - im Wirtschaftsstrafrecht in den letzten Jahren ohnehin im besonderen Maße diskutierten - Problem der "neutralen Beihilfe" erwartet, zumal im mit dem Markenstrafrecht bis zu einem gewissen Grad ja "seelenverwandten" Patentstrafrecht mit den Sondervorschriften über die "mittelbare Patentverletzung" durchaus eine immaterialgüterrechtliche Paralleldiskussion besteht.

9. In dem Abschnitt über die Versuchsstrafbarkeit nach § 143 III MarkenG (vgl. S. 137 ff.) steht insbesondere die Abgrenzung zwischen untauglichem Versuch und Wahndelikt (vgl. S. 140 ff.) im Mittelpunkt. Die Problematik stellt sich hier - wenig verwunderlich - ähnlich dar, wie bei der Abgrenzung zwischen Tatbestands- und Verbotsirrtum. Schulz entgeht hier der "Versuchung", der weit verzweigten Diskussion eine eigene Konzeption hinzuzufügen, sondern beschränkt sich (freilich etwas knapp in der Begründung) damit, die Problemfälle anhand der - als solches ja keineswegs völlig eindeutigen und einheitlichen! - "Ansicht des BGH" (vgl. S. 142) zu lösen. Damit kommt er konsequenterweise mit Hilfe der "Umkehrprobe" ebenso häufig zur Annahme eines untauglichen Versuchs, wie weiter oben vorrangig Tatbestandsirrtümer angenommen worden sind.

10. Ein relativ ausführliches Kapitel ist der Anwendbarkeit des Kernstrafrechts bei Verstößen gegen markenrechtliche Vorschriften gewidmet (vgl. S. 146 ff.). Schulz untersucht hier den Anwendungsbereich der §§ 253, 257-259, 261, 263 und 267 StGB in Fällen mit "Markenbezug". Auf der Grundlage der von ihm untersuchten Fälle kommt Schulz dabei zu dem Ergebnis (vgl. S. 169 f.), dass dem Markenstrafrecht sowohl gegenüber dem Kernstrafrecht (und zwar dort ohne Zweifel) als auch gegenüber zivilrechtlichen Markenrechtsansprüchen eine sinnvolle und eigenständige Bedeutung zukommt.

11. Den Abschluss der Arbeit (vor einer Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse) bildet ein strafprozessuales Kapitel (vgl. S. 172 ff.), in der neben Fragen der Zuständigkeit, besonderer Verfahrensarten (Adhäsion und Privatklage) sowie der Strafantragsberechtigung nach § 143 IV MarkenG insbesondere auch das Beweisverwertungsverbot nach § 19 IV MarkenG behandelt wird, das unter Berücksichtigung des nemo tenetur-Grundsatzes gewissermaßen die Kehrseite des Auskunftsanspruchs nach § 19 I MarkenG darstellt (und insoweit mit der verfassungsgerichtlich entwickelten Dogmatik in der Gemeinschuldnerentscheidung übereinstimmt).

III. Wie eingangs bereits angemerkt, schließt das Buch eine Lücke (über deren Bedeutung man zwar streiten

kann, deren Existenz jedoch offensichtlich ist). Auf der Grundlage einer soliden Argumentation gelangt Schulz dabei praktisch durchgehend zu überzeugenden, jedenfalls jedoch vertretbaren Ergebnissen. Durch die Einbeziehung von Fragen wie der Versuchsstrafbarkeit, der Täterschaft und Teilnahme oder prozessualer Aspekte findet der am Markenstrafrecht interessierte Leser zu den meisten Punkten, die für ihn wichtig sein könnten, einen raschen Zugang. Der etwa im Vergleich zur ähnlich angelegten Monographie von Hildebrandt über das Urheberstrafrecht (SR 125) wesentlich geringere Umfang ist nicht nur durch die selbst auferlegten thematischen Beschränkungen erklärbar, sondern mit Blick auf die unterschiedliche Bedeutung beider Rechtsgebiete in der bisherigen strafrechtswissenschaftlichen Diskussion ohne weiteres gerechtfertigt.

Möchte man kleinere Monita ausmachen, so ist hier an zwei Punkte zu denken: Zum einen ist die eine oder andere thematische Beschränkung bis zu einem gewissen Grad willkürlich, und angesichts eines Gesamtumfangs von nur 200 Seiten wäre der Umfang der Arbeit auch nicht gesprengt worden, wenn etwa die übrigen durch das Markenstrafrecht geschützten Bezeichnungen bzw. Angaben zumindest knapp mitbearbeitet worden wären. Angesichts des hohen Abstraktionsgrades eines Rechtsgutes "Marke" hätte zum anderen die Darstellung noch stärker durch erläuternde Beispiele bereichert werden können bzw. hätten die verwendeten Beispiele mitunter noch etwas "anschaulicher" ausgeschmückt werden können, wenn auch der bisher mit dem Markenrecht wenig vertraute Leser ein plastisches Bild vor Augen haben soll.

Prof. Dr. Hans Kudlich, Universität Erlangen-Nürnberg

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Rouven Seeberg , Aufgedrängte Nothilfe, Notwehr und Notwehrexzess, Peter Lang, Frankfurt a.M., Berlin, Bern, Brüssel, New York, Oxford, Wien, 2005, ISBN 3-631-53824-3, 245 S., 45,50 Euro.

In seinem bekannten Werk "Topik und Jurisprudenz" zeigt Theodor Viehweg, dass der Rückgriff auf Topoi zwar die Argumentation erleichtert, ihr Einsatz außerhalb einer systematischen Einkleidung indes nur "fragmentarische Einsichten" vermittelt (Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Auflage, 1974, S. 31 ff.). Diese rechtstheoretische Erkenntnis lässt sich bestens anhand der gängigen Dogmatik der Notwehr demonstrieren: Namentlich die Anhänger einer "dualistischen Notwehrlehre" neigen dazu, bald auf das Prinzip des Individualschutzes, bald auf das der Rechtsbewährung zu rekurrieren, um ein Ergebnis argumentativ abzustützen. In der von Loos betreuten Göttinger Dissertation verzichtet Seeberg im 1. Kapitel auf die "Argumentationserleichterung", die ein ergebnisorientierter Rückgriff auf den Topos der Rechtsbewährung bieten kann: Notwehr und Nothilfe seien "rein individualistisch" zu deuten (S. 66 ff.). Das Recht zur Notwehr stelle einen "Grenzfall" zulässiger privater Gewalt dar. Eine Rechtsordnung, die dem Einzelnen Rechtsgüter einräume, müsse ihm auch die Befugnis zur Verteidigung derselben gewähren, wenn staatliche Gewalt den Bürger nicht schützen könne (S. 67). Dieser am Rechtsgut orientierten Begründungslinie stellt der Verfasser noch eine zweite an die Seite: Das Notwehrrecht gewähre dem Angegriffenen ein Recht zur aktiven Verteidigung, da eine Ausweichpflicht zur Folge hätte, dass die "subjektiven Rechte" des Angegriffenen zurückstehen müssten (S. 70). In etwas anderer Einkleidung ausgeführt: Bürdete man dem Angegriffenen eine Ausweichpflicht auf, hieße dies nichts anderes, als ihm die Hinnahme eines nötigenden Zwanges abzuverlangen. Der Angreifer hätte dann zwar kein "materialisiertes" Rechtsgut verletzt. Sein Angriff, der den Angegriffenen zum Ausweichen zwänge, verletzte freilich den rechtlich garantierten Anerkennungsanspruch des Angegriffenen. Da ihm dies im Regelfall nicht zugemutet wird, wird deutlich, dass das Notwehrrecht einen rechtlich garantierten Anerkennungsanspruch des Opfers schützt.

In seinen Ausführungen über die Nothilfe fällt Seeberg zunächst wieder hinter diese Einsicht zurück: Die Nothilfe sei eine "sinnvolle Verstärkung des Güterschutzes". Dem attackierten Bürger werde ein Nothelfer zur Seite gestellt, wenn der Staat Schutz nicht selbst gewährleisten könnte (S. 74). Der Nothelfer soll mithin ersatzweise für den abwesenden Staat Individualrechtsgüter schützen. Indessen ließen sich dann Einschränkungen der Nothilfe, die aus einem entgegen stehenden Willen des Angegriffenen abgeleitet werden, nicht konsistent erklären. Der Staat kann seinen Sekundanten nämlich Verteidigungsmaximen an die Hand geben, die völlig unabhängig vom Willen des Angegriffenen sind. Dieses Ergebnis will der Verfasser offenkundig vermeiden. Zu diesem Zweck bemüht er das "Autonomieprinzip des Grundgesetzes", welches dem Rechtsgutsinhaber die freie Disposition über seine Gütersphäre einräume (S. 78). Dieses Ergebnis hätte Seeberg freilich stringent aus seiner zweiten von ihm im Rahmen der Notwehr angedeuteten Begründungslinie ableiten können: Notwehr und Nothilfe schützen einen Anerkennungsanspruch, über dessen Bestand und Reichweite grundsätzlich der Rechtsinhaber bestimmen kann. Auf diese Weise kann die Relevanz seines Willens systematisch im Notwehrrecht verankert werden, ohne diesem von außen durch verfassungsrechtliche Erwägungen aufgepfropft werden zu müssen.

Der Wille des Angegriffenen, sich nicht von fremder Hand verteidigen zu lassen, kann auf ganz unterschiedlichen Gründen beruhen: Manch Angegriffener möchte sich selbst vor übermotivierter Hilfe schützen, andere den Angreifer vor der Nothilfehandlung bewahren, wieder andere wollen den Nothelfer schonen. Seeberg systematisiert und bewertet diese Fälle. Dabei weist er nicht nur die Relevanz "überindividueller" Aspekte zurück (S. 90 ff.). Er verwirft auch die von Spendel ins Spiel gebrachte Erwägung, die "Hilfsbereitschaft und Ritterlichkeit" des Verteidigers dürfe nicht auch noch bestraft werden (S. 107 ff.). Ebenso wenig könne, so der Verfasser, die Frage entscheidend sein, ob die Verteidigungshandlung wegen

der positiven Folgen im Nachhinein gutgeheißen werde. Vielmehr müsse der Wille des Angegriffenen darauf untersucht werden, ob er dem Dritten die Vornahme der Verteidigungshandlung verbieten wolle (S. 125 ff.). Dem kann beigepflichtet werden. Um indessen zu verhindern, dass dem Angegriffenen Aspekte unterlegt werden, die er sich nicht zu eigen gemacht hat, sind die für die Auslegung herangezogenen Umstände offen zu legen. So ist zwar das Ergebnis Seebergs plausibel, eine zur Schonung des Nothelfers untersagte Hilfeleistung stelle nur einen "Nothilfeverzicht" dar, der wegen des begünstigenden Inhalts nicht strafbarkeitsbegründend wirken dürfe (S. 124 f.). Die dahinter stehende Erwägung wäre aber der Ausformulierung wert gewesen: Maßgeblich für die Auslegung des Willens ist, dass der Angegriffene weder seinen Rechtskreis für den Angreifer öffnet, noch den Nothelfer daraus ausschließen will, wenn er zum Ausdruck bringt, er sei zwar nicht grundsätzlich gegen eine Fremdverteidigung, wolle aber den Nothelfer nicht gefährdet sehen. Hilft der Dritte dennoch, setzt er sich nicht über einen entgegen stehenden Willen hinweg, seine Nothilfe verletzt ihrerseits keinen Anerkennungsanspruch des Angegriffenen. Anders ist dies indessen, wenn der Angegriffene zum Ausdruck bringt, er verbiete sich das Eingreifen, etwa weil er den Angreifer oder sich selbst geschützt sehen will (S. 131 f., 135 ff.): Hier muss grundsätzlich, also bei einem der Einwilligung zugänglichen Angriff, der Wille des Angegriffenen bestimmen, ob und wie er sich verteidigen will.

Dogmatischer Ort zur Berücksichtigung eines entgegen stehenden Willens innerhalb der Notwehrdogmatik soll nach Auffassung des Verfassers nicht die Erforderlichkeit, sondern die Gebotenheit sein (S. 165 ff.). Dieses Ergebnis ist gewiss vertretbar. Kaum tragfähig ist aber das Argument, der Wille des Angegriffenen dürfe deshalb bei der Beurteilung der Erforderlichkeit keine Rolle spielen, weil diese Prüfung "objektiv" zu geschehen habe (S. 166). Die Erforderlichkeit "objektiv" zu beurteilen, bedeutet indes nicht, sämtliche in der Person des Angegriffenen begründeten und insoweit "subjektiven" Gegebenheiten außer Betracht lassen zu müssen! Da der Nothelfer als Vertreter des Angegriffenen und nicht als Funktionär der Rechtsordnung tätig wird, muss der Wille des Angegriffenen bei der (objektiv und ex ante) vorzunehmenden Einschätzung Berücksichtigung finden, was der Nothelfer als notwendig ansehen durfte.

Im letzten Kapitel wendet sich die Arbeit der kaum diskutierten Frage zu, ob ein Nothelfer nach § 33 entschuldigt werden kann, wenn er sich über den Willen des Angegriffenen hinwegsetzt. Im Anschluss an eine sorgfältige Auseinandersetzung mit der Diskussion um die § 33 zugrunde liegenden Prinzipien schließt sich Seeberg der Auffassung an, die maßgeblich auf die Verantwortlichkeit des Angreifers für die exzessive Notwehrhandlung abhebt, ergänzt um den Gedanken, dass der Strafzweck der Generalprävention die Bestrafung solchermaßen provozierter Affekttaten nicht erfordere (S. 213). Dennoch gleicht er den Fall, in welchem sich ein Nothelfer in einem asthenischen Affekt über den Willen des Angegriffenen hinwegsetzt, noch einmal mit sämtlichen Erklärungsansätzen zu § 33 ab. Dies führt ihn zu dem Ergebnis, dass bei einer (zumindest analogen) Anwendung des § 33 ein Nothelfer straflos handele, wenn er sich aus Furcht, Verwirrung oder Schrecken über den beachtlichen Willen des Angegriffenen hinwegsetzt und eine unerwünschte Hilfe leistet (S. 223). Diesem Ergebnis wird man beipflichten können, auch wenn man eine nähere Auseinandersetzung mit der Auffassung vermisst, zuständig für den Konflikt könne nur ein solcher Angreifer sein, der selbst nicht nur rechtswidrig, sondern auch schuldhaft handele.

Der Verfasser hat sich in verdienstvoller Weise weitgehend der Versuchung verschlossen, auf außerhalb seines systematischen Ansatzes liegende Topoi zurückzugreifen. Dass er dabei gelegentlich hinter den Ansprüchen seiner systematischen Prämissen zurückgeblieben ist, schmälert nicht die Bereicherung, welche die Diskussion um die aufgedrängte Nothilfe mit diesem Buch erfahren hat.

Wiss. Ass. Dr. Michael Kubiciel, Regensburg

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