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HRRS
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
Dezember 2005
6. Jahrgang
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1. Erklärt ein Angeklagter bei seiner polizeilichen Vernehmung auf die Frage, ob er einen Rechtsanwalt nehmen wolle, lediglich, er könne sich keinen Rechtsanwalt leisten ohne die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zu verneinen, und wird damit klar, dass der Angeklagte eigentlich einen Rechtsanwalt konsultieren wollte, sich dazu aber allein durch seine Mittellosigkeit gehindert sah, ist es angezeigt, den so inzident geäußerten Wunsch des Angeklagten nach einem Verteidiger nicht zu übergehen.
2. Der Angeklagte ist in diesem Fall zunächst darüber zu belehren, dass fehlende Mittel einen ersten Kontakt zu einem Rechtsanwalt nicht ausschließen, da dieser in Fällen der vorliegenden Art - hinsichtlich des dringenden Tatverdachts abgeklärter Tatvorwurf eines Verbrechens -
in der Regel trotzdem im Hinblick auf die später zu erwartende Pflichtverteidigerbestellung sofort tätig wird, und dass dem Beschuldigten deshalb die Möglichkeit gegeben werden kann, einen Rechtsanwalt seines Vertrauens zu kontaktieren oder - gegebenenfalls - den anwaltlichen Notdienst anzurufen.
3. Wird dieser Pflicht nicht genügt, folgt daraus aber kein Verwertungsverbot. Nur gravierende Verfahrensverstöße können ein Verwertungsverbot auslösen.
4. Es kann dahinstehen bleiben, ob mit der Vernehmung des nach Belehrung gemäß § 136 StPO aussagebereiten Angeklagten nicht überhaupt bis zu einer Pflichtverteidigerbestellung zugewartet werden musste (vgl. hierzu BGHSt 47, 172 einerseits, BGHSt 47, 233 andererseits), da dies bei der dann gebotenen Abwägung (vgl. BGHSt 47, 172 [179 f.]) im vorliegenden Fall jedenfalls nicht zu einem Verwertungsverbot führen könnte.
1. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig erhobene Verfahrensrügen wegen widersprüchlichen Vortrags (Gebot der "Einheit des Revisionsvortrages").
2. Hilfsweise erhobene Verfahrensrügen sind nicht zulässig. Dies gilt auch dann, wenn sie für den Fall erhoben sind, dass der Beleg von Verfahrenstatsachen misslingt, die für die in erster Linie erhobene Verfahrensrüge konstitutiv sind.
3. Muss bei der ersten Vernehmung der dringende Tatverdacht eines Kapitalverbrechens erst noch abgeklärt werden, besteht - auch wenn ein Staatsanwalt anwesend ist - keine Veranlassung, mit der Vernehmung des nach Belehrung aussagebereiten Angeklagten bis zur Bestellung eines Pflichtverteidigers zuzuwarten (vgl. BGHSt 47, 172, 176; Senatsbeschluss vom 18. Oktober 2005 - 1 StR 114/05 m. N.).
4. Irrt der Angeklagte ersichtlich über die Unverfügbarkeit des von ihm erwünschten aber infolge Mittellosigkeit nicht wahrgenommenen anwaltlichen Beistandes ist es angezeigt, den Angeklagten (Beschuldigten) darauf hinzuweisen, dass ihm trotz seiner fehlenden Mittel Gelegenheit gegeben werden könne, bei einem Rechtsanwalt seines Vertrauens bzw. dem anwaltlichen Notdienst anzurufen. Gleichwohl handelt es sich bei der kommentarlosen Hinnahme des aufgezeigten Irrtums des nach Maßgabe von § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrten Beschuldigten nicht um eine Täuschung i. S. d. § 136a StPO.
5. Es gibt keinen Rechtssatz, wonach ein Verzicht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht - auch in der Form des Einverständnisses mit der Beweiserhebung über den Inhalt einer polizeilichen Vernehmung - nicht auch außerhalb einer Hauptverhandlung erklärt werden könnte.
6. Das wirksame Einverständnis eines aussageverweigerungsberechtigten Zeugen mit der Verwertung einer früheren nichtrichterlichen Vernehmung führt dazu, dass die frühere Aussage durch die Vernehmung der Verhörsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden darf.
Eine Gesamtfreiheitsstrafe kann zumindest in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1, 1a, 1b StPO bestehen bleiben, auch wenn der Rechtsfehler nicht "nur" die Gesamtstrafenbildung betrifft, sondern auch den Schuldspruch erfasst, der sich (möglicherweise) auf die Gesamtstrafenbildung auswirkt, soweit die Rechtsfolge angemessen ist und neue, für den Angeklagten günstige Erkenntnisse in der tatrichterlichen Hauptverhandlung nicht ersichtlich sind.
Eine etwaige Verletzung ausländischer Formvorschriften kann kein Verwertungsverbot nach der deutschen Strafprozessordnung begründen.
1. Der Tatrichter darf einen Angeklagten nicht darüber im Unklaren lassen, dass er die Verurteilung auf tatsächliche Umstände stützen will, die so in der Anklage nicht enthalten sind. Hat ein Angeklagter für die in der Anklage bezeichnete Tatzeit ein Alibi, so darf das Gericht keine andere Tatzeit feststellen, ohne den Angeklagten vorher auf diese Möglichkeit hinzuweisen. Dass sich eine andere Tatzeit aus den Bekundungen von Beweispersonen ergibt, ist für sich allein nicht ausreichend. Es muss vielmehr deutlich geworden sein, dass das Gericht selbst diesen Gesichtspunkt aufgenommen und in die Erwägungen einbezogen hat, die für die Entscheidung bedeutsam sind.
2. Weist der Tatrichter einen Beweisantrag im Wege der Wahrunterstellung zurück, so schafft er dadurch einen Vertrauenstatbestand, der jedenfalls in den Fällen eines als wahr unterstellten Alibis die Nicht-Verurteilung wegen der betreffenden Tat insgesamt umfasst. Daher muss das Gericht aus Gründen der Fairness des Verfahrens einen Hinweis gemäß § 265 Abs. 1 StPO auch dann erteilen, wenn es Feststellungen zu Lasten des Angeklagten treffen will, die zwar der als wahr unterstellten Tatsache nicht unmittelbar widersprechen, auf deren Nichtannahme der Angeklagte jedoch aufgrund der Wahrunterstellung seines Alibis erkennbar vertraut hat.
Die tatsächliche Beurteilung der Verfolgungsgefahr bindet das Revisionsgericht, das sie nur rechtlich daraufhin nachzuprüfen hat, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind (BGHSt 10, 104, 105; 43, 321, 326).
1. Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes im Sinne von § 24 Abs. 2 StPO ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten zu beurteilen. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.
2. Die Relevanz des unbedachten Verhaltens eines Richters kann dieser unter Umständen durch Klarstellung und Entschuldigung beseitigen, spätestens im Rahmen der dienstlichen Erklärung nach § 26 Abs. 3 StPO (vgl. dazu BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 1). Zu einem Einzelfall, in dem dies nach den Fallumständen ausgeschlossen ist.