HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2005
6. Jahrgang
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IV. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

937. BGH 5 ARs (Vollz) 54/05 - Beschluss vom 11. Oktober 2005 (OLG Naumburg)

BGHSt; BGHR; Anspruch auf Einzelunterbringung während der Ruhezeit (nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebautes Einzelbauwerk in einer aus mehreren Bauwerken bestehenden vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes erbauten Justizvollzugsanstalt; Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt; Überbelegung in deutschen Haftanstalten); Bedingungen, unter denen die Doppelbelegung keinen Verstoß gegen die Menschenwürde bedeutet; Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nach § 116 Abs. 1 StVollzG; Zeitgesetze ohne Befristung (kein Wandel der Normsituation; keine Verwirkung; Reform).

Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 3 EMRK; § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG; § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG; § 116 Abs. 1 StVollzG

1. Bei der Entscheidung über einen Anspruch auf Einzelunterbringung während der Ruhezeit (§ 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG) in einem nach Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes umgebauten Einzelbauwerk einer aus mehreren Bauwerken bestehenden - vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes erbauten - Justizvollzugsanstalt ist auf den Gesamtzustand der Justizvollzugsanstalt abzustellen mit der Folge, dass § 201 Nr. 3 Satz 1 StVollzG auf die gesamte Justizvollzugsanstalt weiter anzuwenden ist. (BGHSt)

2. Eine bloße gemeinsame Unterbringung entgegen § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG verstößt ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände nicht gegen das Gebot der Menschenwürde. Ein Verstoß ist erst bei nicht abgetrennter Toilette oder deren fehlender gesonderten Entlüftung und bei einem Unter-

schreiten von 16 m³ Luftraum oder 12 m² Bodenfläche anzunehmen (OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, 2845 mit umfangreichen Nachweisen der Rspr. und Literatur; OLG Naumburg NJW 2005, 514, 515). (Bearbeiter)

3. Indes erschöpft sich die Wirkkraft des Gebots der menschenwürdigen Behandlung der Strafgefangenen nicht in dem Anspruch auf eine (hier gemeinsame) Unterbringung in angemessenen Hafträumen. Eine länger dauernde Mehrfachunterbringung gegen den Willen des Strafgefangenen kann sich - trotz der gebotenen Zurückhaltung gegenüber unmittelbaren Folgerungen aus Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, 2845 m.w.N.) - als ein die Menschenwürde des Gefangenen tangierender Verlust der Intim- und Privatsphäre darstellen. Auch dem Gefangenen muss ein Innenraum verbleiben, in dem er in Ruhe gelassen wird und in welchem er ein Recht auf Einsamkeit genießen kann (vgl. BVerfGE 27, 1, 6; BVerfG - Kammer NJW 1996, 2643; BGHSt 37, 380, 382). Der starke Eingriff in die Privatsphäre des Gefangenen infolge der Doppelbelegung muss auf Wunsch des Gefangenen durch die Gestaltung des Vollzugs teilweise ausgeglichen werden. Dafür bietet sich an - und solches ist auch geboten, - dass jeweils jedem der in dem doppelt belegten Haftraum untergebrachten Gefangenen außerhalb der Schlafenszeit angemessene Ruhezeiten gewährt werden, während derer der jeweils andere Gefangene arbeitet, sich in Gemeinschaftsräumen oder im Freien aufhält (§ 64 StVollzG). (Bearbeiter)

4. Die Frage, ob die räumlichen Anstaltsverhältnisse tatsächlich eine gemeinsame Unterbringung erfordern, unterliegt eingehender gerichtlicher Nachprüfung (vgl. OLG Celle NJW 2004, 2766, 2767), in deren Rahmen einem etwaigen rechtsmissbräuchlichen Verhalten entgegenzutreten wäre. (Bearbeiter)


Entscheidung

892. BGH 3 StR 385/04 - Urteil vom 13. Oktober 2005 (LG Wuppertal)

Dienstleistungsfreiheit; Bundesärzteordnung (europarechtskonforme Auslegung); Zahnheilkundegesetz (europarechtskonforme Auslegung); bloß vorübergehende Tätigkeit; Ruhen der Approbation; Angemessenheit von Einzelstrafen.

Art. 49 EGV; Art. 50 EGV; § 10b Abs. 1 BÄO; § 2 Abs. 3 BÄO; § 13 BÄO; § 1 ZahnheilkundeG; § 13a ZahnheilkundeG; § 18 Nr. 2 ZahnheilkundeG; § 354 Abs. 1a StPO

1. Die Befugnis eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union zur vorübergehenden Ausübung des ärztlichen (oder zahnärztlichen) Berufs in Deutschland (§ 2 Abs. 3 BÄO, § 1 Abs. 2 ZHG) wird durch das Ruhen einer ihm etwa erteilten deutschen Approbation nicht berührt. (BGHSt)

2. Gegenstand des durch § 13 BÄO strafbewehrten Verbots, den ärztlichen Beruf auszuüben, wenn die Approbation ruht (§ 6 Abs. 3 BÄO), ist nur die ärztliche Tätigkeit, die auf Grund einer erteilten Approbation erbracht wird und dem Erbringer nicht aufgrund eines anderen Legitimationstatbestands erlaubt ist. (Bearbeiter)


Entscheidung

936. BGH AnwSt (R) 9/04 - Urteil vom 26. September 2005 (Hessischer Anwaltsgerichtshof)

BGHSt; BGHR; keine sanktionsbewehrte Berufspflichtverletzung bei unbeantwortetem Auskunftsverlangen ohne Belehrung über das Auskunftsverweigerungsrecht (Unabhängigkeit von der Kenntnis dieses Rechts).

§ 56 Abs. 1 BRAO; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 Abs. 1 GG

Kommt ein Rechtsanwalt einem Auskunftsverlangen des Vorstands oder eines beauftragten Vorstandsmitglieds nicht nach, liegt eine sanktionsbewehrte Berufspflichtverletzung nicht vor, wenn ihm ein Hinweis über sein Recht, die Auskunft nach § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO zu verweigern und seine Pflicht, sich ggfs. darauf zu berufen, nicht vom Vorstand oder von einem beauftragten Mitglied erteilt worden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt sein Auskunftsverweigerungsrecht kannte. (BGHSt)


Entscheidung

875. BGH 2 StR 298/05 - Urteil vom 12. Oktober 2005 (Landgericht Frankfurt/Main)

BGHR; Schreckschusspistole als Schusswaffe im Sinne des BtMG.

§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG

Die geladene Schreckschusswaffe, bei der der Explosionsdruck nach vorne austritt, ist eine Schusswaffe im Sinne des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG. (BGH)