HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2005
6. Jahrgang
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Schrifttum

Hendrik Schneider, Kann die Einübung in Normanerkennung die Strafrechtsdogmatik leiten? Eine Kritik des strafrechtlichen Funktionalismus, Verlag Duncker & Humblot (Schriften zum Strafrecht Heft 162), Berlin 2004, 380 S., br., 89,90 EUR.

Keine andere strafrechtstheoretische Frage ist in den letzten drei Jahrzehnten so ausgiebig diskutiert worden wie jene nach dem Nutzen und Nachteil des Funktionalismus für das Strafrecht. Über weite Strecken hat allerdings die Qualität der Auseinandersetzung mit ihrem Umfang nicht Schritt gehalten. Mißverständnisse, Unterstellungen und pauschale Verdammungsurteile finden sich buchstäblich auf Schritt und Tritt. Dieses unübersichtliche Terrain zu bereinigen ist deshalb die erste Aufgabe im Rahmen einer „Kritik des strafrechtlichen Funktionalismus“, wie Hendrik Schneider sie im Untertitel seiner Mainzer Habilitationsschrift ankündigt. Der Kritiker muß mit anderen Worten zunächst klarstellen, was er unter „Funktionalismus“ versteht, und er muß sodann nachweisen, daß dieses Verständnis demjenigen der von ihm zu „Funktionalisten“ erklärten Autoren entspricht.

Der ersten dieser beiden Aufgaben widmet Schneider sich bereits auf den einleitenden Seiten seines Werkes. Er konstatiert, daß es den Funktionalismus als einheitliches Konzept in der Strafrechtswissenschaft nicht gibt und unterscheidet daraufhin in Anlehnung an den Soziologen Helmut Schelsky zwischen einer systemfunktionalen und einer personfunktionalen Handhabung des Strafrechts. Systemfunktional sei eine solche Auslegung der strafrechtlichen Begriffe, die sich vorrangig an dem Ziel der Erhaltung des Systems Gesellschaft orientiere. Eine personfunktionale Begriffsbildung sei hingegen dadurch gekennzeichnet, daß sie an der Person des Straftäters und dem Ausmaß seiner Verantwortlichkeit für die begangene Tat ausgerichtet sei. Schneider selbst bekennt sich zu einer personfunktionalen Auslegung des Strafrechts. Den systemfunktionalen Ansatz, den er insbesondere in der Lehre von Jakobs durchgeführt sieht, macht er zum Gegenstand massiver Kritik. Der systemfunktionale Ansatz

führe erstens zu einer weitgehenden Schutzlosigkeit der Individuen vor dem staatlichen Zugriff und sei deshalb verfassungsrechtlich bedenklich. Zweitens – und darauf legt Schneider das Schwergewicht seiner Ausführungen – sei dieser Ansatz auch unter dem Gesichtspunkt der Systemstabilisierung dysfunktional. Er laufe darauf hinaus, eine latente Funktion der Strafrechtsdogmatik zu einer manifesten Funktion umzuwandeln. Eine solche Strategie aber sei zum Scheitern verurteilt, weil die latente Funktion der Einübung in Normanerkennung nur dann wirksam sei, wenn der Bevölkerung die zugrunde liegenden Mechanismen verborgen blieben. „Ist erst einmal bekannt, daß das Gerichtsverfahren und das Urteil nur zu dem Zweck dienen, an dem Täter ein Exempel zu statuieren und nicht ihm persönlich einen Schuldvorwurf zu machen, so führt dies demnach möglicherweise zu einer vollständigen Erosion der Strafrechtspflege und diese würde auch als Mechanismus der Einübung in Normanerkennung ihre gesellschaftliche Bedeutung verlieren.“

Sonderlich neu sind diese Kritikpunkte nicht. Die Erhebung verfassungsrechtlicher Bedenken gehört seit eh und je zum harten Kern der Einwände gegen den strafrechtlichen Funktionalismus; und den Vorwurf eines durch die Umwandlung latenter in manifeste Funktionen bewirkten unzulässigen „Blicks hinter die Kulissen“ hat Schneiders Lehrer Michael Bock bereits vor fast fünfzehn Jahren erhoben (ZStW 103[1991], 636 ff.). Nun diskreditiert die Wiederholung bekannter Vorwürfe als solche eine Arbeit nicht, wenngleich man sich von einer Habilitationsschrift etwas mehr Originalität erhoffen würde. Aber trifft die erhobene Kritik überhaupt die Position, gegen die sie sich richtet, oder „widerlegt“ sie lediglich einen von dem betreffenden Kritiker zuvor selbst zusammengezimmerten Strohmann? Für Schneiders Darlegungen, insbesondere für seine Auseinandersetzung mit Jakobs, gilt leider weitgehend das letztere.

Bereits die Ausgangsbehauptung Schneiders geht fehl. Er moniert, die von ihm untersuchten Autoren (neben Jakobs sind dies noch Frisch und Roxin nebst ihren Schülern) hätten die Begriffe „Funktionalismus“ und „funktionale Methode“ nicht definiert. Zumindest für Jakobs trifft das nicht zu. Was dieser unter strafrechtlichem Funktionalismus versteht, hat er vielmehr an prominenter Stelle, nämlich im Einleitungssatz seines Vortrags auf der Rostocker Strafrechtslehrertagung, klargestellt: „Strafrechtlicher Funktionalismus wird hier als die Lehre begriffen, das Strafrecht sei auf die Garantie der normativen Identität, auf die Garantie der Verfassung, der Gesellschaft ausgerichtet“ (ZStW 107[1995], 843). Auf den ersten Blick scheint diese Begriffsbestimmung der von Schneider zugrunde gelegten Definition weitgehend zu entsprechen. Tatsächlich besteht zwischen beiden indessen ein entscheidender Unterschied. Nach der Lesart Schneiders suchen die Funktionalisten mittels des Strafrechts eine sozialpsychologische Wirkung bei der rechtstreuen Bevölkerung zu erzielen – nämlich jene „Einübung in Normanerkennung“, auf die sich der Haupttitel von Schneiders Arbeit bezieht. Jakobs stellt hingegen ausdrücklich klar, daß seinem Verständnis zufolge die Strafe „nicht nur ein Mittel der Erhaltung gesellschaftlicher Identität, sondern … bereits diese Erhaltung selbst“ ist (aaO S. 844).

Jakobs zufolge stellt das Strafrecht die gestörte Normgeltung bereits dadurch wieder her, daß es dem vom Täter geäußerten Widerspruch gegen identitätsbestimmende Normen der Gesellschaft seinerseits widerspricht. Vor dem Hintergrund dieser Straftheorie müssen, wie Jakobs erläuternd hinzufügt, empirische Untersuchungen zur positiven Generalprävention „stets ein wenig deplaciert wirken; sie betreffen das Umfeld, scil. die individual- oder sozialpsychologischen Folgen, nicht aber den Kern der Theorie“ (aaO). Die Strafe und das Strafrecht in Jakobs’ Weise zu verstehen bedeutet, den Bestraften als verantwortlichen Urheber seiner Tat anzuerkennen – ihn zu „ehren“, wie Hegel in rhetorischer Überspitzung formuliert. Nur weil man ihm die Befähigung zu einem beachtlichen Normwiderspruch zutraut, ergibt sich das Bedürfnis, seinem Tun die Strafe als normbestätigende Antwort entgegenzusetzen. Dabei kann weder von einer Instrumentalisierung des Täters noch von einer Umwandlung latenter in manifeste Funktionen die Rede sein. Anders gewendet: Die von Jakobs seit mehr als zehn Jahren in zahlreichen Veröffentlichungen vertretene Konzeption ist nicht weniger personfunktional als der von Schneider selbst befürwortete Ansatz.

Offen ist lediglich noch, was in diesem Zusammenhang genau unter „Person“ zu verstehen ist. Dies ist der – von Schneider indessen nicht als solcher erkannte – eigentliche Streitpunkt zwischen ihm und Jakobs. Eine ausdrückliche Persondefinition sucht der Leser bei Schneider vergebens. Dem Kontext seiner Äußerungen ist indessen zu entnehmen, daß er „Person“, „Individuum“ und „Mensch“ unreflektiert gleichsetzt. Demgegenüber begreift Jakobs im Anschluß an eine lange begriffsgeschichtliche Tradition die Person als Subjekt von Rechten und Pflichten und damit als eine genuin normative Größe. Diese Person ist stets situiert in einer konkreten Rechtsgemeinschaft, und deshalb läßt sich die normative Bedeutung ihres Verhaltens nicht unabhängig von den Wertvorstellungen ihrer jeweiligen Gesellschaft beurteilen. Nichts anderes meint Jakobs, wenn er (bezogen auf die Straftheorie Hegels) davon spricht, daß die Strafe zwar „ihrem Begriff nach absolut, aber in ihrer konkreten Ausgestaltung relativ zum jeweiligen Stand der Gesellschaft“ sei (AT 1/21). Diese Stelle, die Schneider als Indiz für die ungebrochene systemtheoretische Orientierung Jakobs’ anführt, ist in Wahrheit lediglich der Ausdruck eines gesellschaftstheoretisch reflektierten Personalismus.

Auf den prononcierten Individualismus Schneiders läßt sich hingegen eine Strafrechtstheorie nicht gründen. Bei Lichte besehen kommt auch Schneider nicht ohne Einbeziehung der gesellschaftlichen Beurteilungsperspektive aus. Verräterisch sind seine Ausführungen über die „ontologische Grundsubstanz“, welche „strafrechtlichen Begriffe(n) wie Handlung, Vorsatz oder Schuld“ zugrunde liege. „Die begriffliche Umschreibung dieser ontologischen Grundsubstanz baut in einem personfunktionalen Strafrecht auf den Vorstellungen auf, die den Menschen

aus dem Leben im Alltag geläufig sind und die von ihnen selbst nachvollzogen werden können.“ Entscheidend sind demnach die Vorstellungen, die sich die Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder von gewissen ontischen Sachverhalten macht. Ob diese Deutung ontologisch haltbar ist oder nicht – so laufen einige namhafte Hirnforscher Sturm gegen das common sense-Verständnis von „Schuld“, in dem sie eine den Bestraften in wissenschaftlich unhaltbarer Weise stigmatisierende Überhöhung gesellschaftlicher Sicherheitsinteressen erblicken – spielt nach der Logik von Schneiders Argumentation keine entscheidende Rolle. Ist Schneider also am Ende gar ein – Systemfunktionalist?

Das Fazit ist rasch gezogen: Schneider hat sein Begründungsziel nicht erreicht, weil er die von ihm bekämpfte Konzeption nicht wirklich ernstgenommen hat. Er fechtet gleichsam gegen Windmühlenflügel, in concreto: gegen eine Position, die in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zwar vereinzelt vertreten worden sein mag, von der sich die heutigen Protagonisten einer normativierenden Strafrechtsdogmatik aber längst verabschiedet haben. Als Beitrag zu den aktuellen Kontroversen über strafrechtstheoretische Grundfragen ist Schneiders Buch deshalb nur von geringem Interesse.

Prof. Dr. Michael Pawlik, Univ. Regensburg, LLM (Cantab.).

[Anmerkung der Redaktion: Der Rezensent Pawlik hat bei dem von Schneider – unter anderem – behandelten und kritisierten Prof. Jakobs promoviert und habilitiert.]

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Herbert Tröndle; Thomas Fischer: Strafgesetzbuch, Beck’sche Kurz-Kommentare, Band 10, 52. Aufl., 2004, 2433 S., 66,00 €, ISBN 3-406-51731-5.

Anzuzeigen ist eine Neuauflage des Tröndle/Fischer. Eine solche Besprechung kann im Grunde nur langweilen. Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein Rezensent dieses strafrechtlichen Standardwerks schlechthin anhand der nunmehr 52. Auflage aufdeckt, dass dem heute von Prof. Dr. Thomas Fischer (Richter am BGH, 2. Strafsenat) fortgeführten Kommentar sein Ruf zu Unrecht vorauseilt. Wenn so auch dieser Rezensent das positive Urteil über den Tröndle/Fischer nicht künstlich bis zum Ende der Rezension zurückhalten muss, lassen sich doch auf besondere Leistungen des Kommentars gerade auch in dieser Auflage Schlaglichter werfen, die zeigen, dass der Kommentar seinem Ruf mindestens gerecht wird:

Zunächst einmal bringt auch diese Auflage den Kommentar wie gewohnt souverän auf den aktuellen Stand (hier 1. April 2004). Dies bedingt in der 52. Auflage insbesondere die Einarbeitung des Sexualdelikte-Änderungsgesetzes sowie des 35. StÄG, welches insbesondere die §§ 152b, a StGB eingefügt bzw. neu gefasst hat. Hinsichtlich der Rechtsprechung ist etwa die Entscheidung des BVerfG vom 16. März 2004 berücksichtigt, welche dem erst kürzlich eingeführten § 143 StGB die Verfassungsmäßigkeit absprach. Auch die Entscheidung, mit der das BVerfG den Fachgerichten die verfassungskonforme Auslegung der Geldwäsche bezüglich der Annahme von Strafverteidigerhonararen vorgab, ist bereits eingearbeitet. Das BVerfG widersprach hier einer verfassungs- und konventionsrechtlich nicht überzeugend begründeten Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH in eben dieser Begründung. Fischer nimmt sie zum Anlass für einen scharfen Kommentar jener Entscheidung (§ 261 Rn. 36), der jedenfalls den Rezensenten nicht umstimmt, weil die von Fischer aufgezeigten Ungereimtheiten der Vorsatzlösung allenfalls belegen, dass eine objektive Tatbestandslösung erforderlich ist und weniger Art. 12 GG, sondern Art. 6 I 1, III lit. c EMRK und Art. 2 I, 20 III GG die letztlich ausschlaggebenden Gesichtspunkte dafür darstellen, weshalb eine nicht verfahrensmäßig erwiesene Bemakelung von Finanzmitteln nicht ohne weiteres zur Einschränkung von Verteidigungsrechten führen kann (vgl. m.w.N. bereits Mühlbauer HRRS 2004, 132 ff. und Wohlers JZ 2004, 678 ff.).

Nicht nur bei geänderten Normen sind - neben der selbstverständlichen Einarbeitung der praktisch maßgeblichen Rechtsprechung - Überarbeitungen erfolgt. Die Neuauflage enthält Neubearbeitungen des § 63 StGB, des in jüngster Zeit in seiner Auslegung streitigen § 69 StGB und etwa der §§ 113 und 316 StGB. Auch der gesamte 8. Abschnitt des BT (Geldfälschungsdelikte), der 9. Abschnitt des BT (Aussagedelikte) sowie der 13. Abschnitt des BT (Sexualdelikte) wurden überarbeitet. Wesentliche Änderungen betreffen die Ausführungen zur Kausalität, die §§ 54, 64, 123, 249, 315b, 316a und § 356 StGB. Arbeitet man mit diesen und den anderen, bereits in Vorauflagen oftmals überarbeiteten Kommentierungen, wird dem Nutzer bewusst, wie systematisch und umfassend die Abhandlungen im Tröndle/Fischer mittlerweile geraten sind (vgl. auch das programmatische Vorwort zur 50. Aufl.). Sie weisen trotz des Kleindrucks und der fehlenden textentlastenden Fußnoten etwa durch vereinzelten Fettdruck und die systematische Aufteilung nach Randnummern eine hinreichende Übersichtlichkeit auf (vgl. abermals auch das Vorwort zur 50. Aufl.) und bestechen dabei durch ihre Differenziertheit. Wenn der Rezensent auch nicht jede Seite des Kommentars und nicht jede erdenkliche Frage nachprüfen konnte, wurde er doch in keinem Fall bei der Arbeit mit dem Kommentar enttäuscht, sondern beim Nachschlagen einzelner Fragen jeweils schnell fündig. Im Gegenteil fällt mehr und mehr auf, dass die Erläuterungen des Praktikerkommentars zu wichtigeren Fragen gerade in den Händen Fischers oftmals die Qualität von prägnanten Lehrbuchdarstellungen annehmen, was etwa die Darstellungen zum Raub und zur Strafzumessung zu belegen vermögen. Die Stellungnahmen Fischers zu streitigen Rechtsfragen, die nicht all zu selten früheren Auffassungen Tröndles widerstreiten (vgl. statt vieler Vor § 218 Rn. 10a), zeichnen sich dabei durch Bestimmtheit, oftmals durch eine gewisse Schärfe und durch die im Kurzkommentar gebotene und wohltuende Prägnanz aus (vgl. etwa beispielhaft zur Toeben-Entscheidung des BGH § 9 Rn. 8 ff.). Sie erweisen sich in ihren Begründungen als nicht allein von Pragmatik

getragen, sondern sie demonstrieren eine dogmatische Argumentation auf der Höhe der wissenschaftlichen Diskussion. Als intimer Kenner der Rechtsprechung versäumt es Fischer dabei nicht selten, insbesondere auch dem Praktiker aufzuzeigen, wo die heutige höchstrichterliche Rechtsprechung uneinig und/oder auch aus praktischer Sicht bedenklich ist, so dass sie nicht unkritisch "befolgt" werden sollte (vgl. etwa § 249 Rn. 13 ff.: als Gewalt fortwirkende Drohung; § 177 Rn. 70: besonderer Vergewaltigungsbegriff bei Prostituierten). Freilich folgt Fischer ganz regelmäßig der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Er setzt sich auch nicht stets näher mit der Schrifttumskritik an dieser auseinander (vgl. etwa § 244 Rn. 18 zur Bandenmitgliedschaft des Gehilfen gemäß BGHSt 47, 214 ff.; dazu z.B. abl. Rath GA 2003, 823 ff. und Gaede StV 2003, 78 ff.). Dass Fischer oftmals sehr pointiert und überzeugt argumentiert, steigert dabei nach dem Geschmack des Rezensenten den Gebrauchswert des Buches abermals: Die Einbeziehung des Kommentars ist so mehr als eine Pflichtübung; man ist gespannt, was Fischer wie zu streitigen Fragen äußert und vor allem darauf, wie er es begründet.

Hinsichtlich des wissenschaftlichen Schrifttums vermerkt Fischer im Vorwort etwas erstaunlich resignativ, dass er die strafrechtliche Literatur nicht mehr nur für "kaum noch", sondern für, wie er mit kursivem Druck betont, "nicht mehr überschaubar" erachtet. So schließt er auch nicht mehr aus, dass bisweilen auch Wichtiges übersehen worden sein kann (vgl. VI). Erstaunlich ist dies deshalb, weil Fischer tatsächlich nach wie vor eine beeindruckende Breite und Differenziertheit auch bei der Literaturauswahl erreicht. Die Literaturübersichten, die zum Teil auch Rezensionen zu grundlegenden Abhandlungen in Klammern vermerken (!), belegen dies unschwer. Keineswegs verschließt sich Fischer dabei auch jüngeren Quellen wie der HRRS, die er erfreulicherweise bereits in das Abkürzungsregister aufgenommen hat. Des exkulpierenden Hinweises im Vorwort hätte es wohl gar nicht bedurft, denn Fischer leistet nach wie vor eine erhebliche und bewundernswerte Durchdringung des Schrifttums, die zudem regelmäßig aktueller ist, als es in den Konkurrenzkommentaren der Fall ist. Er darf insoweit bereits auf das Verständnis derjenigen hoffen, deren Arbeiten hier und da einmal übersehen worden sind.

Mit diesen Leistungen ist der Kommentar ein Glücksfall. Wer mit ihm und seinen Möglichkeiten umzugehen weiß, hält als Praktiker ein äußerst nutzenbringendes und überzeugendes Werk in den Händen, das ihm oft schon mit dem Blick in den Kommentar allein einen tiefen Einstieg in strafrechtliche Fragestellungen eröffnet. Der Referendar erhält ein umfassendes Werk an die Hand, das ihm - soweit es die Zeit in den strafrechtlichen Rennfahrerklausuren erlaubt - wohl mehr Sachargumente mit an die Hand liefert, als es bei jedem anderen zugelassenen Prüfungskommentar in irgendeinem Fach der Fall ist und das sich als hervorragendes und insbesondere prägnantes Lehrmittel gebrauchen lässt. Schon der fortgeschrittene Student mit einem gewissen Überblick kann mit dem Kommentar bestens Wissen erwerben und festigen, das zudem bereits mit Blick auf die Praxis gewichtet wurde. Bedenkt man, dass in größeren Kommentaren mit zahlreichen Bearbeitern durchaus auch disparate Darstellungen aufzufinden sind, muss man bei der mittlerweile erreichten Differenziertheit und wissenschaftlichen Durchdringung des gleichsam über die Jahre hochgerüsteten Kommentars schon davon sprechen, dass die Bezeichnung "Kurzkommentar" dem Tröndle/Fischer kaum mehr gerecht wird. Obschon er noch immer in die Hand zu nehmen ist, handelt es sich um einen großen Kommentar. Die Arbeit mit ihm und auch der Erwerb des im Preisleistungsverhältnis überzeugenden Kommentars sind schon dem Studenten zu empfehlen, zumal dieser so bereits für das Referendariat den Umgang mit dem Prüfungs- und Praxiskommentar erlernt. Dem Referendar und dem Praktiker braucht man all dies nicht mehr anzuempfehlen, ohne dass diese Entbehrlichkeit auf einer nicht mehr hinterfragten Tradition beruhen würde: Die Qualität des Werks spricht für sich.

Karsten Gaede , Hamburg/Zürich

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