HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

September 2005
6. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

673. BGH 1 StR 503/04 - Urteil vom 14. Juni 2005 (LG Regensburg)

BGHSt; Rücktritt des Anstifters bei objektiv fehlgeschlagenem aber vermeintlich gelungenem Bestimmungsversuch (ernsthaftes Bemühen: Gefahrbeseitigung aus subjektiver Sicht; Freiwilligkeit); versuchte Anstiftung zum Verbrechen.

§ 31 Abs. 2 Alt. 1 StGB; § 24 StGB

1. Glaubt der Anstifter, sein objektiv fehlgeschlagener Bestimmungsversuch sei gelungen, so richtet sich sein Rücktritt vom Versuch der Beteiligung nach § 31 Abs. 2 Alt. 1 StGB. Ein ernsthaftes Bemühen, den Erfolg zu verhindern, liegt nur vor, wenn der Anstifter alle Kräfte anspannt, um den vermeintlichen Tatentschluss des präsumtiven Täters rückgängig zu machen, und er dadurch die aus seiner Sicht bestehende Gefahr beseitigt, daß der Angestiftete die Tat begeht. (BGHSt)

2. Wird ein nicht offen ermittelnder Polizeibeamten als präsumtiver Täter bestimmt, ist der Bestimmungsversuch objektiv fehlgeschlagen. (Bearbeiter)

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

689. BGH 4 StR 559/04 - Beschluss vom 29. Juni 2005 (LG Frankenthal)

BGHSt; Betrug (tatbestandliche Vermögensverfügung bei einem durch Täuschung erreichten Abschluss eines "0190er-Nummernvertrages"; Dreiecksbetrug; Rechtsverhältnisse bei Mehrwertdiensten); mittelbare Falschbeurkundung; Computerbetrug (Erschleichen von EC-Karten).

§ 263 Abs. 1 StGB; § 271 StGB; § 263a StGB

1. Zur tatbestandlichen Vermögensverfügung bei einem durch Täuschung erreichten Abschluss eines "0190er-Nummernvertrages". (BGHSt)

2. Eine tatbestandsmäßige Vermögensverfügung setzt voraus, dass sie unmittelbar in das Vermögen des Geschädigten mindernd eingreift (h.A.; BGHSt 14, 170). Wenn der Getäuschte nicht selbst der Geschädigte ist, so kann der für den Betrug erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der Verfügung des Getäuschten und der Vermögensbeeinträchtigung des Geschädigten nur dann vorliegen, wenn schon im Augenblick der Verfügung des Getäuschten durch sie unmittelbar das Vermögen des Geschädigten eine Einbuße erleidet. An dem Unmittelbarkeitserfordernis der Vermögensverfügung fehlt es, wenn der Getäuschte dem Täter lediglich die tatsächliche Möglichkeit gibt, den Vermögensschaden durch weitere selbständige deliktische Schritte herbeizuführen. (Bearbeiter)

3. Der Tatbestand des § 263 a StGB in der hier allein in Betracht zu ziehenden Tatvariante der unbefugten Verwendung von Daten erfaßt die Verwendung gefälschter, manipulierter oder mittels verbotener Eigenmacht erlangter Karten aber nur durch einen Nichtberechtigten (BGHSt 47, 160, 162 m.w.N.). "Berechtigter" Inhaber von EC-Karten ist auch derjenige, der die Überlassung der Karte unter Täuschung über seine Identität vom Kartenaussteller erlangt hat (BGHSt 47 aaO). Danach scheidet eine Strafbarkeit nach § 263 a StGB auch dann aus, wenn der solchermaßen "berechtigte" Karteninhaber die Karte einem anderen überlässt und dieser die Karte abredewidrig nutzt (so für Mobiltelefonkarten BGH StV 2004, 488 = wistra 2004, 299). (Bearbeiter)


Entscheidung

688. BGH 4 StR 549/04 - Urteil vom 7. Juli 2005 (LG Halle)

BGHR; Vorteil im Sinne der Bestechungstatbestände (Vorteilsannahme; Vereinbarung der Begehung einer Ordnungswidrigkeit und einvernehmliche Verhängung

eines Bußgeldes); Tat im prozessualen Sinne (getrennt mögliche Würdigung von Unrechts- und Schuldgehalt zweier Tathandlungen).

§ 331 StGB; § 332 StGB; § 264 StPO

1. Die Vereinbarung der Begehung einer Ordnungswidrigkeit, die "einvernehmlich" zur Verhängung eines Bußgeldes führt, ist grundsätzlich kein Vorteil im Sinne der Bestechungstatbestände. (BGHR)

2. Zur Begehung des § 331 StGB und auch des § 332 StGB ist erforderlich, dass der Vorteil dem Empfänger mit Blick auf seine dienstliche Tätigkeit zugute kommen soll, dass er nach dem ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis der Beteiligten seinen Grund gerade in der Dienstausübung hat (st. Rspr., vgl. nur BGHSt 15, 239 ff.; 39, 45, 46). (Bearbeiter)


Entscheidung

637. BGH 2 StR 131/05 - Urteil vom 15. Juli 2005 (LG Darmstadt)

Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (Ausschluss des Angeklagten wegen Gefahr für Leib und Leben eines Zeugen); Anordnung der Telefonüberwachung (Verdacht); auslandsspezifische Hilflosigkeit (Darlegung; Beweiswürdigung); milderes Recht; Tatzeitrecht; Tateinheit (Klammerwirkung der Zuhälterei; Zusammentreffen in einem Handlungsteil).

§ 338 Nr. 6 StPO; § 172 Nr. 1 a GVG; § 100a StPO; § 180 b Abs. 2 Nr. 1 StGB aF; § 2 Abs. 3 StGB; § 181a Abs. 1 Nr. 1 StGB; 52 StGB

1. Auslandsspezifische Hilflosigkeit gem. § 180 b Abs. 2 Nr. 1 StGB aF setzt voraus, dass die betroffene Person aufgrund der spezifischen Schwierigkeiten des Auslandsaufenthalts nach ihren persönlichen Fähigkeiten nicht oder nur wesentlich eingeschränkt in der Lage ist, sich dem Verlangen nach sexueller Betätigung zu widersetzen. Maßgebliche Entscheidungskriterien sind u.a. die Deutschkenntnisse, die Verfügungsmöglichkeit über Barmittel, das Maß der Überwachung durch den und das Ausmaß der persönlichen Abhängigkeit von dem Täter sowie die Möglichkeit, die Bundesrepublik wieder zu verlassen.

2. Ausbeutung gem. § 181 a Abs. 1 Nr. 1 StGB liegt vor, wenn dem Opfer ein erheblicher Teil der Einnahmen entzogen wird und dies zu einer gravierenden Beschränkung der persönlichen und wirtschaftlichen Bewegungs- und Entscheidungsfreiheit führt, die geeignet ist, dem Opfer die Lösung aus der Prostitution zu erschweren.

3. Das Dauerdelikt der Zuhälterei kann mehrere Handlungen zum Nachteil verschiedener Frauen zur Tateinheit verklammern, wenn von demselben Täter zeitgleich auf mehrere Geschädigte in demselben Bordell eingewirkt wird oder wenn mehrere Frauen sukzessiv betroffen sind (BGHSt 48, 314, 322).

4. Eine tateinheitliche Bewertung mehrerer zum Nachteil verschiedener Frauen begangener Straftaten des Menschenhandels kommt auch in Betracht, wenn die Ausführungshandlungen des § 180 b StGB aF gegenüber mehreren Geschädigten teilidentisch sind (BGH 3 StR 290/99 - Beschluss vom 25. August 1999; BGH 2 StR 473/03 - Urteil vom 17. März 2004). Denn bei § 180 b Abs. 2 Nr. 1 und 2, 1. Alt. StGB - Einwirken mit dem Ziel der Prostitutionsausübung - handelt es sich um ein Unternehmensdelikt, das mit dem Beginn des Einwirkens bereits vollendet und spätestens mit dem Beginn der Prostitutionsausübung beendet ist. Daher müssen sich die der Prostitutionsausübung vorgeschalteten Einwirkungshandlungen zeitlich überschneiden.


Entscheidung

665. BGH 1 StR 65/05 - Urteil vom 12. Juli 2005 (LG Ellwangen)

Wissentliche schwere Körperverletzung (Anforderungen an den subjektiven Tatbestand: Irrelevanz einer reinen Hoffnung auf das Ausbleiben schwerwiegender Folgen; Unterernährung von Kindern; Garantenstellung der Eltern: rechtzeitige Einschaltung von Ärzten; Abgrenzung von Tun und Unterlassen; Beweiswürdigung hinsichtlich des Vorsatzes bzw. der Wissentlichkeit insbesondere bei Wahrnehmung des Schweigerechts: Einbeziehung der belegten Interessenlage, keine Unterstellung gegenteiliger Hoffnungen).

§ 226 Abs. 2 StGB; § 225 Abs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 StGB; § 13 StGB; Art. 2 Abs. 1 i.V.m Art. 1 Abs. 1 GG; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK

1. Zur Erfüllung des Tatbestandes der schweren Körperverletzung reicht es aus, dass der Täter die schwere Körperverletzung als sichere Folge seines Handelns voraussieht. Haben die Angeklagten schwerwiegende Folgen als sicher vorausgesehen, ist es ohne Bedeutung, dass sie auf deren Ausbleiben und darauf hofften, dass sich der Gesundheitszustand des Opfers wieder von selbst bessere. Derjenige, der die Handlung bzw. das Unterlassen will, will auch das, was er als sichere Folge ansieht.

2. Macht ein Angeklagten von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht haben, ist die Feststellung sogenannter innerer Tatsachen - auch hinsichtlich der Motive für sein Handeln - nur durch Rückschlüsse möglich (BGH NJW 1991, 2094 m.w.Nachw.). Neben objektiven Umständen können auch Erkenntnisse zur Interessenlage von Angeklagten ein wichtiger Anhaltspunkt für innere Tatsachen sein (BGH NStZ 2004, 35).

3. Es ist - auch bei schweigenden Angeklagten - aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt geboten, zugunsten der Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (BGH NJW 2002, 2188, 2189 m.w.Nachw.).

4. Die Rechtsprechung stellt bei der Abgrenzung von aktivem Tun oder Unterlassen auf den Schwerpunkt des Vorwurfs ab (BGHSt 6, 46, 59; 40, 257).


Entscheidung

693. BGH 5 StR 156/05 - Beschluss vom 30. Juni 2005 (LG Zwickau)

(Vorbereiten der) Verbreitung pornographischer Schriften; Überzeugungsbildung (tatrichterliche Vermutung; Feststellungen).

§ 184 Abs. 1 Nrn. 6 und 8 StGB; § 261 StPO

Nach § 184 Abs. 1 Nr. 8 StGB macht sich strafbar, wer pornographische Schriften unter anderem herstellt, um sie im Sinne der Nr. 6 zu verwenden. Objektive Voraussetzung der Strafbarkeit ist demnach, dass der Täter bei der Herstellung pornographischer Schriften in der Absicht handelt, die Schriften an einen anderen gelangen zu lassen, ohne von diesem hierzu aufgefordert worden zu sein. Das Merkmal des Gelangenlassens bedeutet, dass die Schrift derart in den Verfügungsbereich eines anderen gelangt, dass dieser Kenntnis von dem Inhalt der Schrift nehmen kann. Danach ist der Tatbestand regelmäßig erst erfüllt, wenn jemand an dem Material Gewahrsam erlangt hat.