HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2004
5. Jahrgang
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IV. Wirtschaftsstrafrecht und Nebengebiete


Entscheidung

960. BGH 3 StR 301/03 - Urteil vom 28. Oktober 2004 (LG Wuppertal)

Vorteilsannahme (Parteispenden; Wahlkampfspenden); Vorteilsgewährung; Betrug (Gehilfenvorsatz; staatliche Parteienfinanzierung; falsche Angabe des Parteispenders: natürliche Person, juristische Person; Schutzzweck der Norm; zweifelndes Opfer); passive Chancengleichheit der Wahl; Drittmittelwerbung durch Hochschullehrer (BGHSt 47, 295); Bestimmtheitsgebot; Unrechtsvereinbarung; Amtsträger; Bürgermeister; Fall Kremendahl; Partei (Einflussspende; Rechenschaftsbericht).

§ 331 StGB; § 333 StGB; § 263 StGB; § 65 Abs. 1 Satz 1 GO-NW; Art. 3 Abs. 1 GG; § 25 PartG; Art. 103 Abs. 2 GG

1. Zur einschränkenden Auslegung der §§ 331, 333 StGB bei Einwerbung von Wahlkampfspenden durch einen Amtsträger, der sich um seine Wiederwahl bewirbt. (BGHSt)

2. Zum Betrug durch unrichtige Rechenschaftsberichte einer Partei im Zusammenhang mit der staatlichen Teilfinanzierung der Parteien. (BGHSt)

3. Für das nach § 331 Abs. 1 StGB in der Tatvariante des Sichversprechenlassens von Vorteilen erforderliche Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen Vorteil und Dienstausübung (sog. Unrechtsvereinbarung) genügt das Bewusstsein, dass der Vorteil gerade aufgrund der dienstlichen Stellung des Versprechensempfängers und der Art der bisherigen Dienstausübung gewährt werden soll. (Bearbeiter)

4. Das Spannungsverhältnis zwischen der von Verfassungs wegen erwünschten Werbung von Parteispenden und den §§ 331, 333 StGB kann nicht dadurch aufgelöst werden, dass der Amtsträger, der für seine Dienstausübung eine nach dem Parteiengesetz zulässige Parteispende als Drittvorteil fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, von der Strafbestimmung des § 331 Abs. 1 StGB generell freigestellt wird. Denn zum einen ergibt sich aus dem PartG gerade kein kollidierender Normbefehl zur Einwerbung von Spenden. Zum anderen würden dadurch Amtsträger in einer den allgemeinen Gleichheitssatz und die Gleichheit der Wahl verletzenden Weise benachteiligt, die keiner Partei angehören (Abgrenzung zur hochschulrechtlichen Begrenzung der Strafbarkeit der Werbung von Drittmitteln, vgl. BGH 1 StR 372/01, Urteil vom 23. Mai 2002 = BGHSt 47, 295). (Bearbeiter)

5. Das Gebot der Gleichheit der Wahlchancen eines Amtsinhabers mit einem Gegenkandidaten führt dazu, dass der Amtsträger sich mangels Unrechtsvereinbarung nicht wegen Vorteilsannahme strafbar macht, wenn er sich erneut um das von ihm derzeit ausgeübte, aufgrund einer Direktwahl zu erlangende Wahlamt bewirbt und einen Vorteil in im übrigen tatbestandsmäßiger Weise sich versprechen lässt oder annimmt, sofern diese Förderung allein den Zweck verfolgt, dass er das wiedererlangte Wahlamt in einer Weise ausübt, die den allgemeinen wirtschaftlichen oder politischen Vorstellungen des Vorteilsgebers entspricht. Zeigt sich der Amtsträger dagegen bereit, als Gegenleistung im Falle seiner Wahl eine konkrete Entscheidung zu Gunsten allein des Zuwendenden oder bestimmter Individualinteressen zu beeinflussen, macht er sich der Vorteilsannahme schuldig. (Bearbeiter)

6. Ein Irrtum im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB liegt auch dann vor, wenn der Getäuschte die täuschende Erklärung nur allgemein auf Plausibilität geprüft hat und seinen Irrtum durch sorgfältigere Prüfung hätte vermeiden können (dies gilt sogar für ein zweifelndes, aber letztlich doch verfügendes Opfer, vgl. zuletzt BGH 3 StR 161/02, Urteil vom 5. Dezember 2002 = NStZ 2003, 313, 314). (Bearbeiter)


Entscheidung

970. BGH 3 StR 460/03 - Urteil vom 28. Oktober 2004 (LG Düsseldorf)

Bestechung (Konkretisierung der pflichtwidrigen Diensthandlung); Vorteilsnahme; Unrechtsvereinbarung; Bereitschaft zur beeinflussten Ermessenausübung; Strafzumessung (eigene Sachentscheidung); Schuldumfang (Tateinheit, Tatmehrheit).

§ 332 StGB; § 334 StGB; § 354 Abs. 1a StPO; § 52 StGB; § 53 StGB; § 46 StGB

1. Im Rahmen des § 332 Abs. 1 Satz 1 StGB muss die pflichtwidrige - insbesondere zukünftige - Diensthandlung noch nicht in allen Einzelheiten wie Zeitpunkt, Anlass und Ausführungsweise feststehen. Es reicht vielmehr aus, wenn sich das Einverständnis darauf bezieht, dass der Amtsträger innerhalb eines bestimmten Aufgabenbereiches oder Kreises von Lebensbeziehungen nach einer gewissen Richtung hin tätig geworden ist oder werden soll und die einvernehmlich ins Auge gefasste Diensthandlung nach ihrem sachlichen Gehalt zumindest in groben Umrissen erkennbar und festgelegt ist (Unrechtsvereinbarung).

2. Die pflichtwidrige Diensthandlung gehört nicht zum Tatbestand der Bestechlichkeit (BGHSt 47, 22, 25). Daher kann die Bestechlichkeit abgeurteilt werden, ohne dass es der gleichzeitigen strafrechtlichen Ahndung der pflichtwidrigen dienstlichen Maßnahme bedarf.

3. Das konkurrenzrechtliche Verhältnis mehrerer in einem sachlichen Beziehungsverhältnis zueinander stehen-

der Straftaten berührt regelmäßig deren Schuldgehalt nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17. 6. 2004 - 3 StR 344/03 = NJW 2004, 2840, 2841 f). Der Frage von Tateinheit oder Tatmehrheit kommt daher für die Strafzumessung im Endergebnis (§ 52 Abs. 1 oder § 53 Abs. 1 StGB) im Allgemeinen keine maßgebliche Bedeutung zu.


Entscheidung

957. BGH 3 StR 94/04 - Urteil vom 21. Oktober 2004 (OLG Celle)

Kriminelle Vereinigung (Ziel der Begehung von Straftaten; Finalität; Zweck oder Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung); Vorverlagerung der Strafbarkeit (Rechtsgutsverletzung; Rechtsgutsgefährdung); PKK; KADEK; Gewaltverzicht (Zweifelssatz; Endgültigkeit); Heimatbüro; Strafsystem; demonstrative Gewaltstraftaten; Aufhebung der Feststellungen (doppelrelevante Tatsachen).

§ 129 StGB; Art. 20 Abs. 3 GG; § 353 Abs. 2 StPO; § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG

1. Die Zwecke einer Vereinigung sind dann auf die Begehung von Straftaten gerichtet, wenn dies ihr verbindlich festgelegtes Ziel ist (Abgrenzung zu BGHSt 27, 325 ff.). Es reicht nicht aus, dass sich eine Vereinigung, die ihre Ziele mit friedlich-politischen Mitteln verfolgt, die Begehung von Straftaten unter bestimmten Bedingungen vorbehält, von denen nicht absehbar ist, ob und wann sie eintreten. (BGHSt)

2. Die Strafbarkeit wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB setzt nicht voraus, dass es aus dieser heraus bereits zu konkreten Tatplanungen oder zu vorbereitenden Aktivitäten für Straftaten gekommen ist. (BGHSt)

3. Ob die Zwecke oder die Tätigkeit einer kriminellen Vereinigung untergeordnet im Sinne des § 129 Abs. 2 Nr. 2 StGB sind, ist bei einer nur aus einem Teil der Mitglieder einer Gesamtorganisation (etwa nur aus den Mitgliedern ihrer Führungsebene) gebildeten Vereinigung im Hinblick auf die Zwecke und Tätigkeit der Teilorganisation und nicht auf die der Gesamtorganisation zu beurteilen. (BGHR)

4. Der gemeinsame Wille zur Begehung von Straftaten muss bereits definitiv gefasst und nicht nur vage sein; er darf insbesondere nicht von dem Ergebnis weiterer Willensbildungsprozesse abhängen. Dazu genügt es nicht, dass sich die Mitglieder einer Vereinigung lediglich bewusst sind, dass es bei der Verfolgung ihrer Pläne zur Begehung von Straftaten kommen kann (Abgrenzung zu BGHSt 27, 325, 328). Nur dann ist die besondere Gefährlichkeit der Vereinigung gegeben, die den Gesetzgeber veranlasst hat, den Strafrechtsschutz so weit in das Vorfeld einer Rechtsgutsverletzung oder konkreten Rechtsgutsgefährdung vorzuverlagern, wie dies durch § 129 StGB geschieht (Bearbeiter)


Entscheidung

989. BGH 4 StR 62/04 - Beschluss vom 14. September 2004 (OLG Naumburg)

Vorlegungssache (Entfallen der Vorlegungsvoraussetzungen); Besetzung des Bußgeldsenats eines Oberlandesgerichts bei der Entscheidung über eine Rechtsbeschwerde, wenn diese wegen Versagung des rechtlichen Gehörs gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zugelassen worden ist (Besetzung nach dem Justizmodernisierungsgesetz).

Art. 103 Abs. 1 GG; § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG; § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG; § 121 Abs. 2 GVG; § 80a OWiG n.F.

1. Der Wortlaut des § 80a Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 OWiG in der Fassung des 1. Justizmodernisierungsgesetzes ist dahin auszulegen, dass auch bei zugelassenen Rechtsbeschwerden der Senat über deren Begründetheit nur dann in der Besetzung mit drei Richtern entscheidet, wenn der Einzelrichter die Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG, also deshalb zugelassen hat, weil es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen. Nur in diesen Fällen hat der Einzelrichter nach Entscheidung über die Zulassung der Rechtsbeschwerde die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.

2. Nach der neuen Rechtslage hat der Einzelrichter auch in der Sache zu entscheiden, wenn die Zulassung der Rechtsbeschwerde (nur) deshalb erfolgt ist, weil die Versagung des rechtlichen Gehörs die Urteilsaufhebung geboten erscheinen lässt (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).


Entscheidung

987. BGH III ZR 361/03 - Urteil vom 4. November 2004 (OLG Celle, LG Hannover)

BGHZ; Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruches eines Strafgefangenen wegen menschenunwürdiger Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt (Amtshaftung; Bindungswirkung hinsichtlich der Feststellung der Rechtswidrigkeit; staatliches Organisationsverschulden); Freiheit der Person; unwürdige Bestrafung und Behandlung; Strafvollzug; Menschenwürde als Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte.

Art. 3 EMRK; Art. 5 EMRK; Art. 41 EMRK; Art. 1 GG; Art. 2 GG; Art. 34 GG; § 839 BGB; § 109 StVollzG

1. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen einem Strafgefangenen ein Anspruch auf Entschädigung in Geld wegen menschenunwürdiger Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt zustehen kann. (BGHZ)

2. Ein erheblicher Mangel an Einzelhaftplätzen stellt keinen hinreichenden Grund dafür dar, geltendes Recht zu unterlaufen. Insoweit ist zumindest der Vorwurf eines Organisationsverschuldens begründet, das dem beklagten Land in einem Amtshaftungsprozess auch dann zuzurechnen ist, wenn die tätig gewordenen Beamten selbst subjektiv nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. (Bearbeiter)

3. Zwischen der Feststellung einer Verletzung des Art. 1 Abs. 1 GG und der Zuerkennung einer Geldentschädigung besteht kein zwingendes Junktim. Eine festgestellte Menschenrechtsverletzung fordert nicht in jedem Fall eine zusätzliche Wiedergutmachung durch Geldentschädigung. (Bearbeiter)

4. Der Senat sieht keine durchgreifenden Bedenken dagegen, einen Anspruch auf Geldentschädigung von dem weiteren Erfordernis abhängig zu machen, dass die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann. Dies hängt - insoweit nicht anders als beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht, auch wenn die Erheblichkeitsschwelle bei Verletzungen der Menschenwürde generell niedriger anzusetzen ist - insbesondere von der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens ab (BGHZ 128, 1, 12). (Bearbeiter)


Entscheidung

977. BGH 1 StR 76/04 - Urteil vom 6. Oktober 2004 (LG München)

Illegaler Aufenthalt ohne Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung (Duldungsanspruch und verschwiegene Einreise sowie Untertauchen; hypothetischer Duldungsanspruch im Sinne des BVerfG; Zuwanderungskontrolle); Unzumutbarkeit und Tatmacht bei Unterlassungsdelikten; Abgrenzung von Tun und Unterlassen (Schwerpunkt).

§ 55 AuslG; § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG; § 13 StGB

1. Ist der Aufenthalt des Ausländers unbekannt, weil er von vornherein nicht offenbart hat, dass er in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist oder weil er später untergetaucht ist, kommt eine Duldung im Sinne der §§ 55, 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG nicht in Betracht.

2. Die Strafbarkeit wegen illegalen Aufenthalts tritt nur ein, wenn der Ausländer pflichtwidrig den rechtswidrigen Zustand seines illegalen Aufenthalts nicht beseitigt, obwohl ihm dies möglich und zumutbar ist. Der Gesichtspunkt der Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens vermag jedoch nicht die Straflosigkeit in denjenigen Fällen zu begründen, in denen wegen unbekannten Aufenthaltsorts ein Duldungsanspruch des untergetauchten Ausländers nicht besteht. Einem untergetauchten Ausländer, dessen Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, ist es in der Regel ohne weiteres zuzumuten, seinen Aufenthaltsort zu offenbaren, damit die Behörde die Duldung erteilen kann.

3. Bei dem Vergehen nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt.


Entscheidung

996. BGH 4 StR 358/04 - Beschluss vom 12. Oktober 2004 (LG Dortmund)

Tateinheit bei gleichzeitigem Besitz unerlaubter Betäubungsmittel an verschiedenen Orten.

§ 29 BtMG; § 52 StGB

1. Nach ständiger Rechtsprechung verletzt der gleichzeitige Besitz verschiedenartiger Betäubungsmittel das Gesetz nur einmal (vgl. BGH StV 1982, 525; BGH NStZ-RR 1997, 227). Dieser Zusammenhang entfällt auch dann nicht, wenn die nur zum Eigenverbrauch bestimmten verschiedenen Betäubungsmittelmengen an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden. Der Begriff des Besitzes im Betäubungsmittelgesetz setzt nicht voraus, dass sich der Täter am Verwahrort des Rauschgiftes aufhält.

2. Für die Verwirklichung des Tatbestandes reicht die Innehabung eines tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses und der sicheren Verfügungsmacht über die Betäubungsmittel aus, die es dem Täter ermöglicht, sich jederzeit Zugang zu dem an irgendeiner Stelle verwahrten Rauschgift zu verschaffen (vgl. BGHSt 27, 380 ff.).


Entscheidung

952. BGH 3 StR 136/04 - Beschluss vom 7. Oktober 2004 (LG Hildesheim)

Jugendstrafe (schädliche Neigungen; Schwere der Schuld: Tatunrecht, charakterliche Haltung und Persönlichkeit des Täters).

§ 17 Abs. 2 JGG

Die Schwere der Schuld gem. § 17 Abs. 2 JGG bemisst sich nach dem Gewicht der Tat und der in der Persönlichkeit des Jugendlichen begründeten Beziehung zu seiner Tat. Dabei kommt dem äußeren Unrechtsgehalt der Tat gegenüber der charakterlichen Haltung und dem Persönlichkeitsbild zwar keine selbständige Bedeutung zu. Die Schwere der Schuld ist aber nicht abstrakt messbar, sondern nur in Beziehung zu einer bestimmten Tat zu erfassen, so dass der äußere Unrechtsgehalt der Tat, insbesondere die Bewertung des Tatunrechts, die in den gesetzlichen Strafdrohungen ihren Ausdruck findet, nicht unberücksichtigt bleiben darf.