HRRS

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

August 2004
5. Jahrgang
PDF-Download

Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

662. BGH 4 StR 54/04 - Urteil vom 17. Juni 2004 (LG Neubrandenburg)

Begrenzung der Milderungsmöglichkeit (Strafrahmenverschiebung) nach §§ 21, 49 StGB bei erheblicher Schuldminderung durch verschuldete Trunkenheit (Alkoholkonsum; Divergenz der Strafsenate und vertretene Maßstäbe bei der Vorhersehbarkeit; einheitliche Auffassung hinsichtlich der Alkoholkrankheit bzw. der weitgehenden Beherrschung durch den Alkohol).

§ 21 StGB; § 49 StGB

1. Zur Divergenz der BGH-Strafsenate hinsichtlich der Anwendung der §§ 21, 49 StGB bei erheblicher Schuldminderung infolge selbst verschuldeter Trunkenheit.

2. Die aufgetretene Divergenz zwischen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Auffassung des 3. Strafsenats betrifft die Frage der Vorhersehbarkeit einer möglichen Straffälligkeit unter Alkoholeinfluss durch den Täter. Übereinstimmung zwischen beiden Auffassungen besteht darüber, dass die Versagung der

Strafrahmenmilderung nur möglich ist, wenn der Alkoholkonsum dem Täter (uneingeschränkt) zum Vorwurf gemacht werden kann. Hieran fehlt es regelmäßig, wenn der Täter alkoholkrank ist oder wenn der Alkohol ihn zumindest weitgehend beherrscht (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 12; BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 19, 26).

3. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann von der Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgesehen werden, wenn der Angeklagte seinen Trunkenheitszustand und die Gefahr der Begehung von Straftaten als dessen Folge vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können (vgl. nur BGHSt 34, 29, 33; 43, 66, 78). Hierbei wird maßgeblich darauf abgestellt, ob der Angeklagte schon früher unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist. In einigen Entscheidungen wird darüber hinaus zusätzlich verlangt, dass die strafbaren Handlungen, mit deren Begehung im Rauschzustand der Angeklagte rechnen musste, in Ausmaß und Intensität mit der ihm jetzt vorgeworfenen vergleichbar sein müssen (vgl. z.B. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 6, 14,16).

4. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs vertritt obiter die Auffassung, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel schon allein dann nicht in Betracht kommt, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Dabei sei es ohne Belang, ob der Täter schon früher unter Alkohol - vergleichbare - Taten begangen habe.


Entscheidung

659. BGH 1 StR 525/03 - Beschluss vom 30. Juni 2004 (LG Karlsruhe)

Strafverfolgungsverjährung (Alternativität der Unterbrechungsmöglichkeiten: Unterbrechung nur durch die erste der vorgenommenen Handlungen); Hinweispflicht und faires Verfahren, rechtliches Gehör (Divergenz beim Verständnis eines Zeugen zwischen Gericht und Verteidigung).

§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB; Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK; Art. 103 Abs. 1 GG; § 265 StPO

1. Die in § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB vorgesehenen Unterbrechungsmöglichkeiten der Anordnung der Vernehmung und der Vernehmung selbst bilden eine Einheit, so dass sie nur alternativ durchgreifen. Die Verjährung wird nicht durch die Anordnung der Vernehmung und dann noch einmal durch die darauf beruhende Vernehmung selbst unterbrochen. Es unterbricht nur die erste der vorgenommenen Maßnahmen.

2. Unmittelbar aus § 265 StPO folgt keine Pflicht zur Unterrichtung der Verteidigung, wenn das Gericht die Aussage eines Zeugen etwa anders als die Verteidigung verstanden hat. Das Gericht muss sich zu Inhalt und Ergebnis einzelner Beweiserhebungen auch nicht unter dem Gesichtspunkt fairer Verfahrensgestaltung erklären. Eine derartige Bescheidungspflicht besteht nicht (BGHSt 43, 212, 215 f.).

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

624. BGH 2 StR 505/03 - Urteil vom 26. Mai 2004 (LG Kassel)

BGHSt; Sittenwidrigkeit der Körperverletzung trotz Einwilligung (Reduktion auf den Kern; Beurteilungsgrundlage: Schwere des Rechtsgutsangriffs, Zweck der Tat, Umstände der Tat, positivkompensierender Zweck; sadomasochistische Praktiken); Tatherrschaft bei Fremdgefährdung (Abgrenzung von eigenverantwortlicher Selbstverletzung bzw. Selbsttötung); Fahrlässigkeit; allgemeine Handlungsfreiheit; allgemeines Persönlichkeitsrecht (Selbstbestimmung).

Art. 2 Abs. 1 GG; Art. 1 GG; Art. 8 EMRK; § 227 StGB; § 228 StGB; § 15 StGB; § 25 StGB

1. Einverständlich vorgenommene sadomasochistische Praktiken, die zu Körperverletzungen führen, verstoßen nicht als solche gegen die "guten Sitten" im Sinne von § 228 StGB. Sittenwidrig ist die Tat jedoch, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird. (BGHSt)

2. Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit der Tat nach § 228 StGB ist vorrangig das Gewicht des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs und damit ein objektives Kriterium ausschlaggebend. Hierbei sind in erster Linie der Umfang der vom Opfer hingenommenen körperlichen Misshandlung oder Gesundheitsschädigung und der Grad der damit verbundenen Leibes- oder Lebensgefahr maßgeblich (Bestätigung von BGH 3 StR 120/03 - Urteil vom 11. Dezember 2003 = NJW 2004, 1054, für BGHSt vorgesehen). Die Grenze zur Sittenwidrigkeit ist jedenfalls dann überschritten, wenn bei vorausschauender objektiver Betrachtung aller maßgeblichen Umstände der Tat der Einwilligende durch die Körperverletzungshandlung in konkrete Todesgefahr gebracht wird. (Bearbeiter)

3. Der Begriff der "guten Sitten" betrifft weniger außerrechtliche, ethisch-moralische Kategorien. Um dem Gebot der Vorhersehbarkeit staatlichen Strafens zu genügen, muss der Begriff der guten Sitten auf seinen rechtlichen Kern beschränkt werden. Ein Verstoß gegen die

Wertvorstellungen einzelner gesellschaftlicher Gruppen oder des mit der Tat befassten Strafgerichts genügt nicht. Lässt sich nach rechtlichen Maßstäben die Sittenwidrigkeit nicht sicher feststellen, scheidet eine Verurteilung wegen eines Körperverletzungsdelikts aus. (Bearbeiter)

4. Der mit der Tat verfolgte Zweck ist für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 228 StGB nur ausnahmsweise von Bedeutung, nämlich dann, wenn die betreffende Körperverletzung für sich allein betrachtet als sittenwidrig anzusehen wäre, eine solche negative Bewertung aber durch einen positiven oder jedenfalls einsehbaren Zweck kompensiert wird. Selbst bei schwerwiegenden Rechtsgutsangriffen ist danach der Bereich der freien Disposition des Rechtsgutsinhabers nicht überschritten, wenn ein positivkompensierender Zweck hinzukommt. (Bearbeiter)

5. Es sprechen beachtliche Argumente in der Wissenschaft für die Auffassung, eine rechtfertigende Einwilligung in eine fahrlässige Tötung sei grundsätzlich möglich. Sie scheidet aber entsprechend der Beurteilung bei § 228 StGB jedenfalls dann aus, wenn das Opfer in eine konkrete Todesgefahr gebracht wird. (Bearbeiter)


Entscheidung

647. BGH 3 StR 344/03 - Urteil vom 17. Juni 2004 (LG Hildesheim)

BGHSt; Mittäterschaft (Tatbeiträge jedes Mittäters: Tateinheit, Tatmehrheit); Betrug; gewerbsmäßiges Handeln (Tateinheit); Bande.

§ 52 StGB; § 53 StGB; § 263 Abs. 5 StGB

1. Der Verurteilung eines Bandenmitglieds wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs steht nicht entgegen, dass die Einzeldelikte der Betrugsserie der Tätergruppierung in seiner Person aus Rechtsgründen in gleichartiger Tateinheit zusammentreffen und daher gemäß § 52 Abs. 1 StGB gegen ihn nur auf eine Strafe zu erkennen ist. (BGHSt)

2. Gewerbsmäßiges Handeln gem. § 263 Abs. 5 StGB setzt nicht notwendig mehrere Taten voraus, die zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 Abs. 1 StGB) stehen, solange der Täter bereits bei der tateinheitlich (§ 52 Abs. 1 StGB) begangenen Tat die Absicht wiederholter Tatbegehung hat. Denn gewerbsmäßig handelt, wer sich durch wiederholte Tatbegehung eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer verschaffen will. Liegt diese Absicht vor, so ist bereits die erste Tat als gewerbsmäßig begangen einzustufen, auch wenn es entgegen den ursprünglichen Intentionen des Täters zu weiteren Taten nicht kommt (BGH NJW 1998, 2913, 2914; BGH NStZ 1995, 85; 2004, 265, 266). (Bearbeiter)

3. Für den Bandenbetrug gelten diese Maßstäbe entsprechend. Maßgebend dafür, ob fortgesetzt eine Mehrzahl im einzelnen noch ungewisser Straftaten der in § 263 Abs. 5 StGB benannten Art begangen werden sollten oder begangen wurden, sind die - geplanten - tatsächlichen Abläufe sowie deren Umsetzung. Auch hier ist nicht notwendig, dass die Bandenmitglieder tatsächlich mehrere Betrugstaten bzw. andere der in § 263 Abs. 5 StGB genannten Delikte begangen haben. Vielmehr ist es ausreichend, wenn es im Zeitpunkt ihres Zusammenschlusses ihre gemeinsame Absicht war, mehrere noch nicht im einzelnen konkretisierte derartige Taten zu verwirklichen. (Bearbeiter)

4. Bei der Beteiligung mehrerer Mittäter an einer Deliktsserie ist für jeden von ihnen gesondert zu prüfen, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des Tatbeitrages bzw. der Tatbeiträge jedes Mittäters. Fördert er durch seine einzelnen Handlungen jeweils einzelne Taten, so liegt zwischen diesen grundsätzlich Tatmehrheit vor, während einzelne Beiträge, die sich auf mehrere Taten beziehen, zwischen den Taten Tateinheit begründen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die anderen Mittäter die einzelnen Delikte gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung. (Bearbeiter)


Entscheidung

670. BGH 4 StR 160/04 - Beschluss vom 8. Juni 2004 (LG Landshut)

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (konstitutive Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs; rechtsgutsbezogene Auslegung; Pervertierung des Fahrzeugs; Ungenügen eines reinen Zusammenhangs mit dem Straßenverkehr; Öffentlichkeit eines Verkehrsraums und faktische Herbeiführung der Öffentlichkeit).

§ 315 b StGB

1. Geschütztes Rechtsgut der Bestimmung des § 315 b StGB ist die Sicherheit des Straßenverkehrs. Sie bezieht sich nur auf den öffentlichen Verkehrsraum und setzt daher voraus, dass durch die Tathandlung in den Verkehr auf Wegen und Plätzen, die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen, eingegriffen worden ist (st. Rspr.; BGHSt 16, 7, 9 f.).

2. Ein Verkehrsraum ist öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird. Die vereinzelte Inanspruchnahme der Rasenfläche, die ersichtlich nicht als Zuweg zu einem Gebäude dient, begründet keine faktische Öffentlichkeit einer Fläche (vgl. BGH NZV 1998, 418).

3. Die Anwendbarkeit der Strafvorschrift des § 315 b StGB wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass die konkrete Gefahr oder gar der Schaden erst au-

ßerhalb des öffentlichen Verkehrsraums eintreten. Der Senat hätte keine Bedenken, einen tatbestandsmäßigen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b StGB auch dann zu bejahen, wenn der Täter mit seinem Pkw das Opfer bereits auf der Straße verfolgt, er es aber erst außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums erfasst. Befindet sich das Opfer dagegen von vorneherein - d.h. in dem Zeitpunkt, in dem sich der Täter zur Tatbegehung entschließt und sein Fahrzeug zweckwidrig als Waffe oder Schadenswerkzeug einsetzt ("pervertiert") - außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums, fehlt es an einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit an einer tatbestandlichen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 315 b StGB. Dass die Tathandlung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Kriminalpolitische Überlegungen haben dabei außer Betracht zu bleiben.


Entscheidung

673. BGH 4 StR 229/04 - Beschluss vom 1. Juli 2004 (LG Halle)

Sexuelle Nötigung in Form der Vergewaltigung (Ausnutzung einer schutzlosen Lage; notwendige Feststellungen bei Ableitung aus der Person des vermeintlichen Täters und zur subjektiven Seite).

§ 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB; § 15 StGB

1. Eine schutzlose Lage liegt vor, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, dass es dem ungehemmten Einfluss des Täters preisgegeben ist; dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Opfer sich dem überlegenen Täter allein gegenübersieht und auf fremde Helfer nicht rechnen kann, wobei es allerdings eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten nicht bedarf (st. Rspr.; BGHSt 44, 228, 231 f.; 45, 253, 256). Dabei beruht die schutzlose Lage regelmäßig auf äußeren Umständen wie insbesondere der Einsamkeit des Tatortes und dem Fehlen von Fluchtmöglichkeiten (BGH NStZ 2003, 533, 534).

2. Eine tatbestandsmäßige schutzlose Lage ergibt sich aber noch nicht allein daraus, dass sich der Täter mit dem Opfer allein in der eigenen Familienwohnung befindet. Vielmehr müssen dann regelmäßig weitere Umstände hinzutreten, wie etwa das Abschließen der Tür durch den Täter mit der Folge, dass dem Opfer jegliche Fluchtmöglichkeit abgeschnitten wird (vgl. BGH NJW 2002, 381).

3. Allerdings kann eine schutzlose Lage des Opfers sich auch aus in seiner Person liegenden Umständen ergeben. In einem solchen Fall sind an die Feststellungen der schutzlosen Lage aber erhöhte Anforderungen zu stellen; erforderlich ist, dass das Opfer Widerstandshandlungen gegenüber dem Täter unterlässt, weil es anderenfalls zumindest Körperverletzungshandlungen durch den Täter befürchtet (BGH NStZ 2003, 533, 534).

4. Den Feststellungen muss auch zu entnehmen, dass sich der Angeklagte im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB eine durch äußere Umstände geprägte Lage ausgenutzt hat. Hierzu muss der Täter die schutzlose Lage erkannt und sich zunutze gemacht haben (vgl. BGH NStZ 2003, 233, 234 m.w.N.). Dass sich ein vermeintliches Opfer aus Angst dem Angeklagten nicht widersetzte, belegt noch nicht, dass der Angeklagte sich dessen bewusst war und er sich dies für die Tatbegehung zunutze machte.


Entscheidung

649. BGH 3 StR 500/03 - Urteil vom 27. Mai 2004 (LG Oldenburg)

Sexuelle Nötigung (funktionaler Zusammenhang zwischen Nötigung und sexueller Handlung); schwerer Menschenhandel (qualitativ andersartige Form der Prostitution: übergewichtige Freier, geschlechtskranke Freier).

§ 177 StGB Abs. 1 StGB; § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB

1. Das Erfordernis des funktionalen Zusammenhangs zwischen Nötigung und sexueller Handlung bei § 177 Abs. 1 StGB setzt lediglich voraus, dass das Opfer durch die Nötigung zu wenigstens einer individualisierbaren sexuellen Handlung genötigt wurde. Hingegen ist nicht erforderlich, dass die vom Täter abgenötigte Handlung oder die Person des Dritten bereits zum Zeitpunkt der Nötigung individualisiert waren.

2. Schwerer Menschenhandels gemäß § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter eine andere Person durch den Einsatz von Nötigungsmitteln zur Fortsetzung der Prostitution bestimmt. Wird die Prostitution bereits freiwillig ausgeübt, ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erforderlich und ausreichend, dass das Opfer durch die Einwirkung des Täters zu einer qualitativ andersartigen, von ihm nicht gewollten Form der Prostitution bestimmt wird (vgl. BGH 2 StR 111/01 - Beschluss vom 9. Mai 2001). Erzwungener Geschlechtsverkehr mit übergewichtigen Kunden ist dieser wenig trennscharfen Begriffsbestimmung nicht ohne weiteres zuzuordnen. Als qualitativ andersartige Form der Prostitution könnte es indessen zu beurteilen sein, wenn Druck ausgeübt worden ist mit dem Ziel, auch mit geschlechtskranken Kunden ungeschützt zu verkehren (nicht tragend).


Entscheidung

630. BGH 3 StR 107/04 - Urteil vom 1. Juli 2004 (LG Aurich)

Mord; Heimtücke (Strafzumessung: Rechtsfolgenlösung, außergewöhnliche Umstände, Motivbündel).

§ 211 StGB; § 46 StGB

1. Im Rahmen der sog. Rechtsfolgenlösung für die Strafzumessung beim Heimtückemord kann das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, dass jener Grenzfall eintritt, in dem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter Schuld unverhältnismäßig wäre. Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (Senat NStZ 1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und 3).

2. Ein außergewöhnlicher Umstand kann im Bestehen einer für den Täter zermürbenden, nahezu ausweglosen,

notstandsnahen Situation schwerster seelischer Bedrängnis oder Erregung zu sehen sein, wenn sie der Tat den Stempel des Außergewöhnlichen aufgedrückt hat (vgl. BGH NJW 1983, 54, 55; NStZ 1995, 231; 2003, 146).


Entscheidung

663. BGH 4 StR 119/04 - Beschluss vom 26. Mai 2004 (LG Neubrandenburg)

Sexueller Missbrauch gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Verdrängung durch den schweren sexuellen Missbrauch auch bei Annahme eines minder schweren Falles; Strafzumessung).

§ 176 Abs. 1 StGB; § 176a Abs. 3 StGB; § 52 StGB; § 46 StGB

1. Der Tatbestand des sexuellen Missbrauchs gemäß § 176 Abs. 1 StGB wird durch den Tatbestand des vollendeten schweren sexuellen Missbrauchs gemäß § 176 a Abs. 1 StGB verdrängt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - 2 StR 144/03). Dies gilt auch dann, wenn ein minder schwerer Fall gemäß § 176 a Abs. 3 StGB angenommen wird (vgl. BGH NStZ 2003, 440).

2. Wird der Tatbestand des § 176 Abs. 1 StGB von dem Qualifikationstatbestand des § 176 a StGB verdrängt, bleibt sein Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren auch dann unanwendbar, wenn ein minder schwerer Fall gemäß § 176 a Abs. 3 StGB angenommen wird.


Entscheidung

615. BGH 2 StR 14/04 - Beschluss vom 4. Juni 2004 (LG Erfurt)

Mord (Versuch, Vollendung); Körperverletzung; Konkurrenzen.

§ 211 StGB; § 223 StGB; § 52 Abs. 1 StGB; § 53 Abs. 1 StGB

Wenn der Täter bereits bei Beginn einer Körperverletzung zugleich mit Tötungsvorsatz handelte, tritt die Körperverletzung hinter dem vollendeten Tötungsverbrechen zurück. Das gilt auch nach der Änderung der Rechtsprechung zum Konkurrenzverhältnis zwischen versuchten vorsätzlichen Tötungsverbrechen und vollendeten Körperverletzungsdelikten, wonach die vollendete Körperverletzung hinter dem lediglich versuchten Tötungsdelikt nicht zurücktritt (Abgrenzung zu BGHSt 44, 196).