HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Januar 2003
4. Jahrgang
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IV. Nebenstrafrecht, Haftrecht und Jugendstrafrecht


Entscheidung

BGH 5 StR 600/01 - Urteil vom 24. Oktober 2002 (LG Berlin)

BGHSt; Entziehen von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus einem Steueraussetzungsverfahren durch Beseitigung der Kontrollmöglichkeit; Täterschaft und Teilnahme (Mittäterschaft; Beurteilungsspielraum) bei der Steuerhinterziehung durch Mitglieder einer Schmuggelorganisation (Anmeldungspflicht bei Verbrauchsteuern); Strafzumessung (Berücksichtigung der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Schmuggelorganisation für entstandene Verbrauchsteuern; geringere Schuld bei lediglich aus formalen Gründen entstandenen Steuerforderungen); Vorabentscheidungsverfahren (ernsthafte Zweifel; Vorlagepflicht; richtlinienkonforme Auslegung; Gemeinschaftsrecht); Gebrauchen einer unechten Urkunde; Überzeugungsbildung (Tatvorsatz bei der Steuerhinterziehung; Beurteilung der Einlassung des Angeklagten zur inneren Tatseite); Verbindung (Aufrechterhaltung der Zuständigkeit nach Entfallen des Zusammenhangs).

§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO; § 143 BranntwMonG; § 25 Abs. 2 StGB; § 46 StGB; § 267 Abs. 1 StGB; Art. 20 (i.V.m. Art. 4 lit. c und Art. 6 Abs. 1 lit. a) Systemrichtlinie 92/12/EWG; Art. 234 Abs. 3 EG; § 15 StGB; § 261 StPO; § 2 StPO; § 3 StPO

1. Für ein Entziehen von verbrauchsteuerpflichtigen Waren aus einem Steueraussetzungsverfahren reicht ein Verhalten aus, mit dem eine bestehende Kontrolle oder Kontrollmöglichkeit über Waren beseitigt wird, so dass für die Zollbehörden die Eigenschaft der Waren als verbrauchsteuerpflichtig, aber unversteuert nicht mehr erkennbar ist. (BGHSt)

2. Jedes in den Gesamtablauf eingebundene Mitglied einer Schmuggelorganisation ist zur Anmeldung der durch die Entziehung entstandenen Verbrauchsteuern verpflichtet und damit tauglicher Täter einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, wenn es nach allgemeinen strafrechtlichen Grundsätzen als Mittäter der Entziehung anzusehen ist. (BGHSt)

3. Zur Berücksichtigung der gesamtschuldnerischen Haftung der Mitglieder einer Schmuggelorganisation für entstandene Verbrauchsteuern im Rahmen der Strafzumessung. (BGHSt)

4. Mittäterschaftlich handelt derjenige, der aufgrund eines gemeinsamen Tatplans einen für die Deliktsbegehung förderlichen Tatbeitrag leistet, welcher sich nach seiner Willensrichtung nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller darstellt, und der dementsprechend die Handlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt. (Bearbeiter)

5. Ob dies der Fall ist, ist in wertender Betrachtung zu beantworten. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Wertung können das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft sein (st. Rspr., vgl. BGHSt 37, 289, 291; BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatinteresse 2 m. w. N.). Auf der Grundlage gemeinsamen Wollens kann dabei sogar eine bloße Mitwirkung bei der Tatvorbereitung oder eine sonstige Unterstützungshandlung ausreichen (vgl. BGHSt 40, 299, 301; BGH NStZ 1995, 120; 1999, 609). Allerdings kommt eine (sukzessive) Mittäterschaft dann nicht (mehr) in Betracht, wenn eine tatunterstützende "Beteiligungshandlung" erst nach Beendigung einer Straftat - also nach dem Handlungsgeschehen, mit dem das Tatunrecht seinen Abschluss findet - einsetzt, selbst wenn die Mitwirkung vorher zugesagt worden ist. Die tatrichterliche Bewertung zur Abgrenzung von Mittäterschaft und Beihilfe ist dabei nur begrenzt der revisionsgerichtlichen Überprüfung zugänglich. In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für diese Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das angefochtene Urteil erkennen, dass der Tatrichter die genannten Maßstäbe erkannt und vollständig gewürdigt hat, so kann das gefundene Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft beanstandet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre (vgl. BGH NJW 1997, 3385, 3387). (Bearbeiter)

6. Täter einer Steuerhinterziehung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO kann freilich nur sein, wer selbst zur Aufklärung steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (vgl. BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 1). (Bearbeiter)

7. Der Einwand, eine Verkürzung von Verbrauchsteuern könne dann nicht gegeben sein, wenn der Nachweis erbracht sei, dass die Ware letztlich tatsächlich noch ausgeführt worden sei, greift nicht durch. Entgegen der Ansicht der Verteidigung steht die Tatsache der späteren Ausfuhr des Alkohols der Annahme einer (vorher erfolgten) Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren nicht entgegen. (Bearbeiter)

8. Sind verkürzte Steuerforderungen des deutschen Steuerfiskus nur aus formalen Gründen entstanden, ist dies bei der Strafzumessung im Hinblick auf die verschuldeten Auswirkungen der Tat (§ 46 Abs. 2 Satz 2 StGB) in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung zu berücksichtigen (vgl. BGH StV 2000, 497). (Bearbeiter)

9. Der Eintritt einer Steuerverkürzung ist Tatbestandsmerkmal des § 370 AO. Damit setzt auch die innere Tatseite der Steuerhinterziehung voraus, dass der Täter den angegriffenen Steueranspruch dem Grunde nach kennt und dessen Höhe zumindest für möglich hält (BGH wistra 1989, 263; 1998, 225, 226). Einer genauen Kenntnis der steuerlichen Vorschriften bedarf es insoweit nicht (BGH wistra 1998, 225, 226). (Bearbeiter)

10. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind entlastende Angaben eines Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine (ausreichenden) Beweise gibt, nicht ohne weiteres den Urteilsfeststellungen als unwiderlegbar zugrundezulegen. Vielmehr muss der Tatrichter auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses entscheiden, ob diese Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (BGHSt 34, 29, 34; BGH wistra 1998, 225, 226). Dies gilt im besonderen Maße bei der Behauptung eines dem Angeklagten günstigen inneren Vorgangs, ohne dass objektivierbare Tatsachen, in denen die angebliche innere Einstellung einen erkennbaren Niederschlag gefunden hätte, deutlich würden (BGH wistra 1998, 225, 226). Der Tatrichter muss allerdings die vorhandenen Beweise einer erschöpfenden Würdigung unterziehen und dabei auch äußere Umstände bei der Beurteilung der subjektiven Seite mit heranziehen (vgl. BGH StPO § 261 Einlassung 5). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 346/02 - Urteil vom 19. November 2002 (LG Freiburg)

BGHR; Aufklärungserfolg in einem anderen Vertragsstaat des Schengener Durchführungsübereinkommens; Strafzumessung (keine Milderung, weil Drogen für das Ausland bestimmt sind).

31 Nr. 1 BtMG; SDÜ; § 49 Abs. 2 StGB

1. Der Anwendbarkeit des § 31 Nr. 1 BtMG steht nicht entgegen, dass der Aufklärungserfolg nicht im Inland, sondern in einem anderen Vertragsstaat des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) eingetreten ist. (BGHR)

2. Für die Anwendung des § 31 Nr. 1 BtMG reicht es aus, dass bei den Strafverfolgungsbehörden bereits vorhandene Wissen auf eine sicherere Grundlage zu stellen und dadurch die Möglichkeit der Strafverfolgung zu verbessern (BGH StV 2002, 254; StV 2000, 623; BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 18 und 27). (Bearbeiter)

3. Die Bekämpfung des Rauschgifthandels ist ein internationales Anliegen (§ 6 Nr. 5 StGB). Es ist rechtsfehlerhaft, wenn durch Instanzgerichte strafmildernd berücksichtigt wurde, dass das Rauschgift "nicht für den deutschen Markt bestimmt" gewesen sei (BGHR BtMG § 30 Strafzumessung 1). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 StR 344/02 - Beschluss vom 9. Oktober 2002 (LG Darmstadt)

Heranwachsender (Zuständigkeit; Tateinheit; Teilidentität); unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Dauerdelikt).

§ 338 Nr. 4 StPO; § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 107 JGG; § 108 Abs. 1 JGG; § 33 JGG; § 6 a StPO

Die Zuständigkeit des Jugendgerichts ist bereits dann begründet, wenn auch nur ein Teil einer einheitlichen Tat vor Vollendung des 21. Lebensjahres verwirklicht wurde (BGH NStZ-RR 1996, 250).