HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2002
3. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB


Entscheidung

BGH 2 StR 125/02 - Urteil vom 18. September 2002 (LG Wiesbaden)

Totschlag; direkter Vorsatz; bedingter Vorsatz; verminderte Schuldfähigkeit; tiefgreifende Bewusstseinsstörung; Beweiswürdigung; kein notwendiger Einfluss eines Affekts iSd § 21 StGB auf den Vorsatz.

§ 212 StGB; § 15 StGB; § 16 StGB; § 21 StGB; § 213 Alt. 2 StGB; § 261 StGB

Ein die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beeinträchtigender Affekt muss sich nicht notwendigerweise auf den Vorsatz und dessen Form auswirken. Auch ein Täter, der in seinem Hemmungsvermögen erheblich vermindert ist, kann gemessen an der Verfolgung seines deliktischen Ziels durchaus folgerichtig und zielgerichtet handeln. Überlegtes und zielgerichtetes Handeln und erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit (z. B. wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung auf Grund Affekts) schließen sich somit nicht aus.

2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 4 StR 165/02 - Urteil vom 12. September 2002 (LG Essen)

BGHSt; vollendete schwere Brandstiftung (Tatbestandsalternative "teilweises Zerstören" durch eine Brandlegung; Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient; Inbrandsetzen); Zerstören von Bauwerken; Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel; erheblicher Schaden i.S.d. § 306e StGB.

§ 306 a StGB; § 306 StGB; § 305 StGB; § 305a StGB; § 306e StGB

1. Zur Tatbestandsalternative "teilweises Zerstören" durch eine Brandlegung in § 306 a StGB (BGHSt).

2. Geschütztes Tatobjekt des neu gefassten § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jede Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient; Gebäude, Schiff und Hütte werden nur exemplarisch genannt. Geschützt ist die "Wohnstätte" des Menschen. Mit der in der Vorschrift genannten "andere(n) Räumlichkeit" sollen auch Wohnungen erfasst werden, die kein "Gebäude" sind, wie beispielsweise Wohn- oder Künstlerwagen. Wohnungen in Gebäuden sind Teile des Gebäudes (vgl. BGH NStZ 2001, 252). (Bearbeiter)

3. In Brand gesetzt ist ein Gebäude, wenn es so vom Feuer erfasst ist, dass es selbständig ohne Fortwirken des Zündstoffs weiterbrennt, wobei es erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass sich der Brand auf Teile des Gebäudes ausbreiten kann, die für dessen bestimmungsgemäßen Gebrauch von wesentlicher Bedeutung sind (vgl. nur BGHSt 18, 363, 364 ff.; 34, 115, 117; BGHR StGB § 306 Nr. 2 Inbrandsetzen 1, 3, 6). (Bearbeiter)

4. Nach dem Willen des Gesetzgebers kann zu § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB grundsätzlich auf die Auslegung des Begriffs "teilweises Zerstören" in den §§ 305, 305 a StGB zurückgegriffen werden. Auch bei Berücksichtigung der (Gemein-) Gefährlichkeit einer jeden Brandlegung muss ein "teilweises Zerstören" von Gewicht vorliegen, um im Sinne der §§ 306, 306 a StGB tatbestandsmäßig zu sein. (Bearbeiter)

5. Teilweises Zerstören im Sinne der §§ 305, 305 a StGB wird angenommen, wenn - für eine nicht nur unbeträchtliche Zeit (vgl. BGHSt 41, 219, 221) - das Tatobjekt wenigstens für einzelne seiner Zweckbestimmungen unbrauchbar gemacht wird, wenn ein für die ganze Sache zwecknötiger Teil unbrauchbar wird oder wenn einzelne Bestandteile der Sache, die für einen selbständigen Gebrauch bestimmt und eingerichtet sind, wie etwa Abteilungen eines Gebäudes, gänzlich vernichtet werden (vgl. RGSt 54, 205, 206; BGH, Urteil vom 22. Mai 1963 - 2 StR 133/63, insoweit in BGHSt 18, 363 nicht abgedruckt). Dabei ist eine Zerstörung der Substanz der Sache nicht erforderlich. (Bearbeiter)

6. Teilweises Zerstören (von Gewicht) bedeutet bei einer Brandlegung in einem Mehrfamilienhaus, dass (zumindest) ein zum selbständigen Gebrauch bestimmter Teil des Wohngebäudes - d.h. eine zum Wohnen bestimmte, abgeschlossene "Untereinheit" - durch die Brandlegung für Wohnzwecke unbrauchbar geworden ist. Das ist dann der Fall, wenn für den "verständigen" Wohnungsinhaber die Wohnung wegen der Brandlegungsfolgen für eine beträchtliche Zeit - und nicht nur für Stunden oder einen Tag - nicht mehr benutzbar ist. Zur Erfüllung des Tatbestandes "teilweises Zerstören eines Gebäudes" reicht es nicht aus, dass (lediglich) das Mobiliar zerstört wurde. (Bearbeiter)

7. Ob bereits ein "erheblicher Schaden" i.S. von § 306 e StGB eingetreten ist, richtet sich nach dem durch die Brandstiftung betroffenen Schutzgut unter Berücksichtigung der Zielsetzung des vom Gesetzgeber mit § 306 e StGB geschaffenen persönlichen Strafmilderungs- bzw. Strafaufhebungsgrundes. Soll § 306 e StGB nicht leerlaufen, darf die Schadensgrenze nicht zu niedrig angesetzt werden. Auf Wertgrenzen, die die Rechtsprechung für andere Tatbestände mit gänzlich anderen Normzwecken und Schutzobjekten entwickelt hat (etwa für § 315 c Abs. 1 StGB: ca. 750 Euro) kann daher nicht zurückgegriffen werden. Vielmehr ist ein durch Brandstiftung entstandener erheblicher (Sach-) Schaden an einem Wohngebäude regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn mindestens 2500 Euro objektiv - tatobjektbezogen - zur Schadensbeseitigung erforderlich sind. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 150/02 - Urteil vom 8. Oktober 2002 (LG Augsburg)

BGHSt; Geheimnis; Offenkundigkeit (Fahrzeug- und Halterdaten; Registerauskunft nach § 39 Abs. 1 StVG; Gesetzessystematik; berechtigtes Interesse); Strafantrag (Verletzter; Kenntnis als Voraussetzung des Laufs der Erklärungsfrist); Zurückweisung zur Klärung von Verfahrensvoraussetzungen.

§ 203 Abs. 2 Satz 2 StGB; § 39 Abs. 1 StVG; § 44 Abs. 1 BDSG; § 43 Abs. 2 Nr. 3 BDSG; § 32 Abs. 1 Nr. 1c SächsDSG; § 77 Abs. 1 StGB; § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB

1. Fahrzeug- und Halterdaten, die im Rahmen einer einfachen Registerauskunft nach § 39 Abs. 1 StVG übermittelt werden, sind nicht offenkundig und fallen damit unter den Schutz des § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB. (BGHSt)

2. Offenkundig im Sinne von § 203 StGB sind solche Tatsachen, von denen verständige und erfahrene Menschen ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich jederzeit durch Benutzung allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen unschwer überzeugen können. Offenkundige Tatsachen fallen nicht in den Schutzbereich des § 203 Abs. 2 Satz 2 StGB. (Bearbeiter)

3. Allgemein zugänglich sind Zeitschriften, Bibliotheken, Adress- und Telefonbücher etc. Voraussetzung für die allgemeine Zugänglichkeit eines öffentlichen Registers ist das Fehlen von Einschränkungen der Benutzbarkeit desselben. Öffentliche Register gehören dann nicht zu den allgemein zugänglichen Quellen, wenn die Einsichtnahme von einem berechtigten Interesse abhängig ist. (Bearbeiter)

4. Bei § 203 StGB ist Verletzter nur diejenige Person, über deren personenbezogene Daten der Täter Auskunft gegeben hat, nicht aber die speichernde Behörde als "Herrin der Daten" (vgl. BGHR StGB § 77 Abs. 1 Verletzter 1). (Bearbeiter)

5. Die nach § 77b Abs. 2 Satz 1 StGB erforderliche Kenntnis setzt das Wissen um diejenigen Umstände voraus, die die Tat zum Antragsdelikt machen (vgl. auch BGHSt 44, 209 [212]). (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 5 StR 42/02 - Urteil vom 9. Oktober 2002 (LG Cottbus)

BGHSt; Versuch einer Körperverletzung mit Todesfolge in Form eines "erfolgsqualifizierten Versuchs" (unmittelbares Ansetzen; Vorhersehbarkeit); beachtlicher Irrtum über den Kausalverlauf (objektive Zurechnung); Zulässigkeit von Verfahrensrügen; Öffentlichkeitsgrundsatz (Zeugenvernehmung; Beweisthema); Auskunftsverweigerungsrecht (Verfolgungsgefahr; keine Anfechtbarkeit in tatsächlicher Hinsicht); Aufklärungspflicht (Ermessen des Gerichts); Fragerecht der Nebenklage (Jugendliche; Heranwachsende); Gebot der erschöpfenden Beweiswürdigung (Grenzen der Revisibilität; Rekonstruktionsverbot); Entführen; Sich Bemächtigen; Strafzumessung (Grenzen der Revisibilität); Befangenheit; Änderung des Geschäftsverteilungsplans (Wechsel); Guben.

§ 227 StGB; § 15 StGB; § 16 Abs. 1 StGB; § 18 StGB; § 22 StGB; § 23 StGB; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 338 Nr. 6 StPO; § 55 StPO; § 103 Abs. 1 JGG; § 239a StGB; § 46 StGB; § 21e GVG; § 24 StPO

1. Der Versuch einer Körperverletzung mit Todesfolge in Form eines "erfolgsqualifizierten Versuchs" ist möglich. (BGHSt)

2. Im Rahmen der ihm obliegenden Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO und gegebenenfalls nach Maßgabe der § 244 Abs. 3 bis 5, § 245 StPO bestimmt grundsätzlich allein der Tatrichter den Umfang der Beweisaufnahme. Sofern die genannten Vorschriften nicht zu einer weiteren Beweisaufnahme zwingen, steht es im Ermessen des Gerichts zu bestimmen, mit Hilfe welcher Beweismittel Beweis erhoben werden soll. Dabei hindert ein früher erteilter Sachverständigenauftrag das Gericht nicht, einen Sachverständigen später ausschließlich als Zeugen, somit auch nur zu von ihm wahrgenommenen Tatsachen zu vernehmen (vgl. dazu BGH GA 1976, 78, 79). (Bearbeiter)

3. In verbundenen Verfahren vor den Jugendgerichten ist die Nebenklage zulässig, soweit sie sich nicht gegen den Jugendlichen richtet (vgl. zu § 103 Abs. 1 JGG BGHSt 41, 288). Dieser Grundsatz gilt auch für verbundene Verfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende. Indes darf das Nebeneinander von Jugendlichen einerseits und Erwachsenen andererseits im gleichen Verfahren nicht zu einer Beeinträchtigung der - das Jugendstrafrecht beherrschenden - erzieherischen Belange führen (BGHSt aaO S. 292). Daraus folgt, dass in Fällen gegenläufiger Interessen zwischen Nebenklage und Jugendlichen - etwa bei Ausübung des Frage- und Beweisantragsrechts zur Aufklärung des Vorwurfs gemeinsamer Tatbegehung von Jugendlichen und Heranwachsenden/Erwachsenen - im Zweifel der Position des Jugendlichen Vorrang einzuräumen ist. (Bearbeiter)

4. Für ein unmittelbares Ansetzen ist nicht erforderlich, dass der Täter bereits ein Tatbestandsmerkmal verwirklicht. Es genügt, dass er Handlungen vornimmt, die nach seinem Tatplan der Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und unmittelbar in die tatbestandliche Handlung einmünden. Das Versuchsstadium erstreckt sich deshalb auch auf Handlungen, die in ungestörtem Fortgang unmittelbar zur Tatbestandserfüllung führen sollen oder die in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit ihr stehen. Dies ist der Fall, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum "jetzt geht es los" überschreitet, es eines weiteren "Willensimpulses" nicht mehr bedarf und er objektiv zur tatbestandsmäßigen Angriffshandlung ansetzt, so dass sein Tun ohne Zwischenakte in die Erfüllung des Tatbestandes übergeht (vgl. BGHSt 28, 162, 163; 26, 201, 202 ff.; BGH NStZ 2000, 422; 1999, 395, 396). (Bearbeiter)

4. Rein psychische Empfindungen wie Angst- und Panikgefühle genügen nicht, um eine Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB zu begründen. In diesen Fällen liegt eine Körperverletzung nur dann vor, wenn die psychischen Einwirkungen den Geschädigten in einen pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustand versetzt haben (vgl. nur BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 2, insoweit in BGHSt 41, 285 nicht abgedruckt; BGH NStZ 1997, 123; 1986, 166; NStZ-RR 2000, 106). (Bearbeiter)

5. § 227 StGB soll allein der mit der Körperverletzung verbundenen Gefahr des Eintritts der qualifizierenden Todesfolge entgegenwirken. Die genannte Vorschrift erfasst deshalb nur solche Körperverletzungen, denen die spezifische Gefahr anhaftet, zum Tode des Opfers zu führen; gerade diese Gefahr muss sich im tödlichen Ausgang niedergeschlagen haben (BGHSt 31, 96, 98; BGHR StGB § 227 [i.d.F. 6. StrRG] Todesfolge 1). Eine solche deliktsspezifische Gefahr kann auch schon von der bloßen Körperverletzungshandlung ausgehen (BGHSt 14, 110, 112). (Bearbeiter)

6. Der gemäß § 227 StGB erforderliche Zurechnungszusammenhang wird nicht durch das eigene Verhalten des Opfers unterbrochen, wenn dessen Reaktion eine naheliegende und nachvollziehbare Reaktion darstellt. Ein solches durch eine Flucht "Hals über Kopf" geprägtes Opferverhalten ist vielmehr bei den durch Gewalt und Drohung geprägten Straftaten geradezu deliktstypisch. (Bearbeiter)

7. Anders als bei Fahrlässigkeitsdelikten, bedarf es bei der Körperverletzung mit Todesfolge nicht des Nachweises, dass ein jeder von mehreren Beteiligten einen für den Erfolg kausalen Beitrag erbracht hat, soweit Mittäterschaft vorliegt. Es macht sich nach § 227 StGB auch derjenige strafbar, der die Verletzung nicht mit eigener Hand ausführt, jedoch aufgrund eines gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit dem Willen zur Tatherrschaft zum Verletzungserfolg beiträgt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Handlung der anderen im Rahmen des allseitigen ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnisses lag (vgl. BGHR StGB § 226 Kausalität 2, 3). (Bearbeiter)

8. Der Todeserfolg ist vorhersehbar gewesen, wenn der Erfolgseintritt nicht außerhalb aller Lebenserfahrung liegt; alle konkreten Einzelheiten brauchen dabei nicht voraussehbar zu sein. Es genügt die Vorhersehbarkeit des Erfolgs im allgemeinen. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 1 StR 541/01 - Urteil vom 23. Oktober 2002 (LG Ulm)

BGHSt; Abgrenzung von Bestechlichkeit und Vorteilsannahme bei der Einwerbung von Drittmitteln (hochschulrechtliches Anzeigeverfahren / Genehmigungsverfahren; Kongressreisen und betriebsinterne Feiern der Forschungseinrichtungen; Pflichtwidrigkeit; Diensthandlung; geheimgehaltene Koppelung; Vorteil; Unrechtsvereinbarung; branchenübliche Sozialadäquanz; Ermessensbeamter; Entscheidungsspielraum; sachwidrige Beeinflussung).

§ 332 StGB; § 331 StGB; Art. 5 Abs. 3 GG

1. Zum Sichbereitzeigen i.S.d. § 332 Abs. 3 StGB. (BGHSt)

2. Zur Abgrenzung der Bestechlichkeit von der Vorteilsannahme bei der Einwerbung von Drittmitteln (Fortführung des Senatsurteils vom 23. Mai 2002 - 1 StR 372/01 -). (BGHSt)

3. Die Beziehung zwischen Vorteil und Diensthandlung (nach der alten Fassung des Tatbestandes) entfällt auch nicht etwa deshalb, weil entsprechende Vorteilsgewährungen im Tatzeitraum "branchenüblich" waren. Unter dem rechtlichen Gesichtspunkt, in gewissem Umfang übliche und deshalb sozialadäquate Vorteile von der Strafbarkeit auszunehmen, können allenfalls gewohnheitsmäßig anerkannte, relativ geringwertige Aufmerksamkeiten aus gegebenen Anlässen vom Tatbestand ausgenommen sein. (Bearbeiter)

4. Nach allgemeiner Ansicht liegt eine Dienstpflichtverletzung vor, wenn die Diensthandlung gegen ein Gesetz, eine Rechtsverordnung, eine Verwaltungsvorschrift oder eine allgemeine oder konkrete dienstliche Weisung verstößt. Bei Ermessungsentscheidungen handelt der Amtsträger pflichtwidrig, wenn er sachwidrig entscheidet, aber auch dann, wenn er sich nicht ausschließlich von sachlichen Gesichtspunkten leiten, sondern sich durch den Vorteil beeinflussen lässt, diesen also mit in die Waagschale legt (vgl. nur BGHSt 15, 88, 92; 15, 239, 242, 247). Dabei spielt es für den Schuldspruch keine Rolle, ob die Entscheidung selbst sachlich gerechtfertigt werden kann. Bezieht sich die Vereinbarung mit dem Vorteilsgeber auf eine künftige Diensthandlung, so genügt es nach der tatbestandsausweitenden Vorschrift des § 332 Abs. 3 StGB für die Pflichtwidrigkeit, dass der Täter sich ausdrücklich oder stillschweigend bereit gezeigt hat, bei Vornahme der Diensthandlung seine Pflichten zu verletzen oder, bei einer Ermessensentscheidung, sich bei der Ausübung seines Ermessens von dem Vorteil beeinflussen zu lassen. Ob der Täter sich insgeheim vorbehält, später sachgerecht zu verfahren, ist unerheblich. Entscheidend ist der von ihm nach außen erweckte Eindruck. Schließlich kann die pflichtwidrige Diensthandlung nicht bereits in der Annahme des Vorteils gesehen werden; vielmehr muss sich die Vorteilsannahme auf eine schon an sich und als solche pflichtwidrige Diensthandlung beziehen (vgl. BGHSt 15, 239, 241/242; BGH NJW 2002, 2801, 2806). (Bearbeiter)

5. Das Merkmal des Sichbereitzeigens hat eigenständige Bedeutung. Seinem sprachlichen Gehalt nach verlangt es ein bestimmtes Verhalten des Täters, das aufgrund objektiv feststellbarer Umstände die wertende Folgerung zu tragen vermag, dieser habe nach außen wirkend bewusst seine Bereitschaft bekundet, seine Entscheidung auch an dem Vorteil auszurichten. (Bearbeiter)

6. Soll der Qualifikationstatbestand der Bestechlichkeit von demjenigen der Vorteilsannahme in den Fällen des Sichbereitzeigens abgrenzbar bleiben, so bedarf es bei der in Rede stehenden Fallgestaltung weiterer hinzutretender Umstände, aus denen sich die Bekundung der Beeinflussbarkeit ergibt. Das bloße Fordern, Vereinbaren oder Annehmen eines Vorteils kann allerdings insbesondere in Fällen ausschließlich eigennütziger Vereinnahmung und Verwendung des Vorteils ein gewichtiges Beweisanzeichen für ein Sichbereitzeigen im Sinne des § 332 Abs. 3 Nr. 2 StGB sein. Hat aber der Vorteil einen wie immer gearteten dienstlichen Bezug und können andere Gesichtspunkte auch gegen einen bewusst vermittelten Eindruck der Beeinflussbarkeit sprechen, so bedarf es einer ausdrücklichen Würdigung aller Umstände, die die Annahme eines Sichbereitzeigens zu tragen oder ihnen zu widerstreiten vermögen. Im Einzelfall muss dazu auch festgestellt werden, welche Vorstellungen über den Zweck der Vorteilsgewährung und deren Annahme bei den Beteiligten bestanden haben (vgl. BGHSt 15, 352, 355). (Bearbeiter)

7. Der Tatbestand der Vorteilsannahme unterliegt einer Einschränkung des Anwendungsbereichs für diejenigen Fälle, in denen es die hochschulrechtlich verankerte Dienstaufgabe des Amtsträgers ist, sog. Drittmittel für Lehre und Forschung - und damit zugleich auch Vorteile im Sinne des Tatbestandes - einzuwerben. Voraussetzung für eine solche Einschränkung des Tatbestandes der Vorteilsannahme ist aber, dass es sich bei den einzutreibenden Drittmitteln nicht nur der Sache nach um Fördermittel für Forschung und Lehre handelt, sondern dass diese auch dem im Drittmittelrecht vorgeschriebenen Verfahren unterworfen werden (Anzeige und Genehmigung; vgl. BGH NJW 2002, 2801, 2804). (Bearbeiter)

8. Ob die finanzielle Unterstützung von Kongressreisen und diejenige betrieblicher Feiern sachlich-inhaltlich noch dem Bereich der hochschulrechtlichen Drittmitteleinwerbung und Forschungsförderung zugeordnet werden kann, ist durch die dazu berufenen Aufsichtsorgane des Zuwendungsempfängers zu entscheiden, die dabei möglicherweise auch den Aspekt der Lauterkeit des Wettbewerbs zwischen den verschiedenen Anbietern medizintechnischer Produkte einschließlich vergaberechtlicher Vorschriften zu bedenken haben werden. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 3 StR 270/02 - Beschluss vom 15. Oktober 2002 (Frankfurt am Main)

Böswilliges Verächtlichmachen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung; Strafzumessung; Meinungsfreiheit (offener Brief; objektiver Sinn von Äußerungen; Schmähkritik).

§ 90 a Abs. 1 Nr. 1 StGB, § 90 a Abs. 3 StGB; § 92 Abs. 1 StGB; § 92 Abs. 2 Nr. 6 StGB; § 92 Abs. 3 Nr. 1 und 3 StGB ; Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG; Art. 5 Abs. 2 GG; § 21 StGB

1. In Fällen der gesetzlichen Beschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit durch eine Staatsschutznorm ist besonders sorgfältig zwischen einer - wie verfehlt auch immer erscheinenden - Polemik und einer Beschimpfung oder einem böswilligen Verächtlichmachen zu unterscheiden, bei denen das Ziel nicht die Auseinandersetzung in der Sache sondern allein die Diffamierung ist.

2. § 90 a StGB verbietet nicht ablehnende und scharfe Kritik am Staat zu üben und verfassungsfeindliche Ziele zu propagieren. (BVerfGE 47, 198, 232)

3. Bei der Deutung des objektiven Sinns von Äußerungen dürfen neben Wortlaut und Kontext auch Umstände außerhalb der Äußerung berücksichtigt werden (BVerfG NJW 1995, 3303, 3305).

4. Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 des Grundgesetzes enthält nicht nur den verfassungsrechtlichen Maßstab für die Beurteilung, ob eine Meinungsäußerung erlaubt oder verboten ist, sondern verlangt auf Grund seiner wertsetzenden Bedeutung auch bei der Zumessung der Sanktion für eine verbotene Meinungsäußerung Beachtung (vgl. BVerfG NStZ 1994, 357, 358; NJW 1999, 204, 205; 2002, 1031, 1034 f).


Entscheidung

BGH 4 StR 185/02 - Urteil vom 10. Oktober 2002 (LG Rostock)

Totschlag durch Unterlassen; Ingerenz; Garantenpflicht aus tatsächlicher Übernahme von Schutzpflichten; Vorsatz (Abgrenzung von bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz; Wissenselement; Willenselement); Überzeugungsbildung; Zweifelssatz; Verdeckungabsicht iSd § 211 bei Handeln zur Verdeckung des Tötungsdelikt selbst; Zäsur.

§ 212 StGB; § 13 StGB; § 16 StGB; § 261 StPO; § 211 StGB

Der Annahme eines Verdeckungsmordes steht nicht entgegen, dass sich bereits die zu verdeckende Vortat gegen das Leben des Opfers richtet. Um eine andere zu verdeckende Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt es sich jedoch nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Daher ist für die Annahme eines Verdeckungsmordes dann kein Raum, wenn der Täter bereits von Anfang an mit Tötungsvorsatz gegen das Opfer gehandelt hat, da allein das Hinzutreten der Verdeckungsabsicht die davor begangenen Einzelakte nicht zu einer anderen Tat macht. Anders ist die Rechtslage nur dann zu beurteilen, wenn zwischen einer vorsätzlichen Tötungshandlung und der mit Verdeckungsabsicht vorgenommenen weiteren Tötungshandlung eine deutliche zeitliche Zäsur liegt.