HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Dezember 2002
3. Jahrgang
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IV. Nebenstrafrecht, Haftrecht und Jugendstrafrecht


Entscheidung

BGH 3 StR 325/02 - Beschluss vom 1. Oktober 2002 (LG Dortmund)

Zuwiderhandeln gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot; Bewertungseinheit (Tateinheit; Konkurrenzen; Tatmehrheit; Zweifelssatz; konkrete Anhaltspunkte).

§ 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG; § 52 StGB; § 261 StPO

1. § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG beinhaltet kein Organisationsdelikt, so dass sich grundsätzlich jedes Handeln, mit dem der Täter für den mit einem Betätigungsverbot belegten Verein tätig wird oder dessen Belange fördert, als rechtlich selbständige Tat im materiellen Sinn darstellt (BGHSt 46, 6, 9 ff. m. w. N.).

2. Abgesehen von den Fällen natürlicher Handlungseinheit greift eine hiervon abweichende Beurteilung dann Platz, wenn der Täter ein auf eine gewisse Dauer angelegtes Amt oder einen Tätigkeitsbereich im Interesse des Vereins mit dem Willen übernimmt, zur Aufrechterhaltung oder zur Unterstützung der verbotenen Tätigkeit des Vereins beizutragen. Hier verbindet das übernommene Amt oder die übernommene Funktion als Grundlage und Gegenstand der einheitlichen strafrechtlichen Bewertung sämtliche in Ausübung des Amtes bzw. der Funktion begangenen Zuwiderhandlungen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 4 VereinsG zu einer einzigen Tat (Bewertungseinheit; BGHSt 46, 6, 12 ff.).

3. Voraussetzung für die Annahme einer rechtlichen Bewertungseinheit ist nicht, dass eine fest umrissene Funktion oder ein Amt des Angeklagten innerhalb des verbotenen Vereins positiv festgestellt werden oder "hinreichend sicher angenommen werden" kann. In Anwendung des Zweifelssatzes muss vom Vorliegen nur einer Tat vielmehr schon dann ausgegangen werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die tatsächlichen Voraussetzungen einer Bewertungseinheit gegeben sind (vgl. BGH NJW 2002, 1810 für Bewertungseinheiten beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln).


Entscheidung

BGH 5 StR 97/02 - Urteil vom 27. September 2002 (LG Oldenburg)

Umsatzsteuerhinterziehung (Vollendung; Scheinfirmen; Vorsteuererstattungen; Angaben - Auswirkungen einer fehlenden / unleserlichen Unterschrift; Versuch; unmittelbares Ansetzen bei der Steuerhinterziehung); Urkundenfälschung (unechte Urkunde); Sicherungsverwahrung (Hang; Wertindifferenz).

§ 370 AO; § 267 StGB; § 22 StGB; § 66 StGB

1. Auch Fälle, in denen die Existenz eines Unternehmens nur vorgetäuscht wird, für das sodann ohne Bezug auf reale Vorgänge fingierte Umsätze angemeldet und Vorsteuererstattungen begehrt werden, sind als Steuerhinterziehung (und nicht als Betrug) zu beurteilen (BGHSt 40, 109).

2. Selbst das Fehlen der gesetzlich vorgeschriebenen Unterschrift steht dem Vorliegen von Angaben im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht entgegen. Für eine Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist der Mangel der fehlenden Unterschrift darüber hinaus grundsätzlich bereits dann unbeachtlich, wenn eine Steuererklärung zum Zwecke der Steuerverkürzung oder der Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile eingesetzt werden soll. § 370 AO setzt nämlich tatbestandlich keine wirksame Steuererklärung voraus, sondern lediglich Bekundungen zu den genannten Zwecken, die sogar mündlich oder schlüssig gemacht werden können (vgl. BGHSt 25, 190, 203).

3. Tatsachen sind dann steuerlich erheblich, wenn sie zur Ausfüllung eines Besteuerungstatbestands herangezogen werden müssen und damit Grund und Höhe des Steueranspruchs oder des Steuervorteils beeinflussen oder wenn sie die Finanzbehörden zur Einwirkung auf den Steueranspruch sonst veranlassen könnten.

4. Soweit der Angeklagte durch falsche Angaben gegenüber dem Finanzamt (zunächst) nur die Erteilung einer Steuernummer erstrebte, hat er damit keine Angaben zu steuerlich erheblichen Tatsachen gemacht. Die Schwelle zum Versuch der Steuerhinterziehung wird in solchen Fällen erst dann überschritten, wenn eine falsche Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht wird.

5. Der Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB kann nicht tragfähig mit der Wertindifferenz begründet werden (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 10). Vielmehr kann auch ohne eine entsprechende Gewissensausbildung allein die Furcht vor Strafe - insbesondere bei Taten wie der Steuerhinterziehung - den notwendigen Gesetzesgehorsam bewirken. Deshalb reicht eine sich aus dem Fehlen einer moralischen Verankerung ergebende Tatneigung für die Annahme eines Hanges, der von der Rechtsprechung (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1, 4) als eingeschliffener innerer Zustand definiert wird, nicht aus.


Entscheidung

BGH 2 ARs 259/02 - Beschluss vom 9. Oktober 2002

Zuständigkeit für die Überwachung der Führungsaufsicht; Übertragung der Vollstreckung.

§ 68 f Abs. 1 StGB; § 82 Abs. 1 JGG; § 84 Abs. 1 JGG; § 85 JGG

Das widerrufliche Übertragungsrecht des § 85 Abs. 5 JGG steht nur dem ursprünglichen Vollstreckungsleiter selbst zu, nicht aber dem gemäß § 85 Abs. 5 JGG eingeschalteten Richter. Für die weitere Übertragung der Vollstreckung auf einen dritten Richter ist damit nicht der selbst infolge Übertragung gem. § 85 Abs. 5 JGG zuständig gewordene Richter, sondern wiederum der ursprünglich zuständige Richter zuständig.