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HRR-Strafrecht
Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht
April 2002
3. Jahrgang
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Die Vorschrift des § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB findet auch auf Straftaten im Sinne der §§ 176 bis 179 StGB Anwendung, die in der ehemaligen DDR begangen wurden. (BGHSt)
1. Höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen sind einer additiven Betrachtungsweise, wie sie der natürlichen Handlungseinheit zu Grunde liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Greift der Täter daher einzelne Menschen nacheinander an, so besteht selbst bei einheitlichem Tatentschluss und engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlass, diese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen (BGH StV 1999, 351, 352, StV 1994, 537, 538 jew. m.w.N.). Besonderheiten können eine andere Beurteilung rechtfertigen.
2. Bei der Frage, ob ein sonstiger minder schwerer Fall im Sinne von § 213 StGB, zweite Alternative, vorliegt, ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auf die Vergleichbarkeit mit den Fällen einer Provokation abzustellen ist. Entscheidend hierfür ist vielmehr, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, dass die Anwendung des, Ausnahmestrafrahmens geboten ist (BGH NStZ 1985, 310 m.w.N.). In diesem Zusammenhang können auch die Vorgeschichte der Tat und die gesamten Beziehungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung sein. Bereits bei Vorliegen eines "vertypten Milderungsgrundes" kann die Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommen.
1. Für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts ist maßgeblich, ob der Täter nach der letzten von ihm konkret vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hält (vgl. BGHSt 39, 221, 227f.; 35, 90, 93). Auf einen - fest umrissenen oder nur in groben Zügen gefassten - Tatplan kommt es dabei entgegen der früheren Rechtsprechung nicht an. Der freiwillige Verzicht auf eine ohne weitere Zäsur als noch möglich erkannte Tatbestandsverwirklichung, auch wenn sie über den ursprünglichen Tatplan hinausgeht, reicht zum strafbefreienden Rücktritt vom unbeendeten - dann nicht etwa fehlgeschlagenen - Versuch aus (vgl. BGH NStZ-RR 1997, 259 m.w.N.).
2. Ein fehlgeschlagener Versuch liegt dann nicht vor, wenn der Täter die Tat, wie er weiß, mit den bereits eingesetzten oder den zur Hand liegenden einsatzbereiten Mitteln ohne zeitliche Zäsur noch vollenden kann (BGHSt - GS - 39, 221, 228).
3. Für die Beurteilung der Rücktrittsfrage ist es bei einem Vergewaltigungsversuch unerheblich, dass der Angeklagte seine geschlechtliche Befriedigung dann durch andere erzwungene sexuelle Handlungen zu erlangen suchte (BGH NStZ 1997, 385).
Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Abgrenzung zwischen beendetem und unbeendetem Versuch und damit für die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts darauf an, ob der Täter nach der letzten Ausführungshandlung - in bezug auf die Tat im Sinne des materiell-rechtlichen Straftatbestandes (vgl. BGHSt 33, 142, 144) - davon ausgeht oder er es zumindest für möglich hält, dass ohne sein weiteres Zutun der tatbestandsmäßige "Erfolg" eintritt (BGH NStE Nr. 38 zu § 24 StGB m.w.N.). Bei einem fehlgeschlagenen Versuch ist ein Rücktritt ausgeschlossen (BGHSt 34, 53, 56; 39, 221, 228, 232).
Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verlangt einen Gesamtvergleich des früher und des derzeit geltenden Strafrechts (vgl. BGHSt 37, 320, 322; 38, 18, 20). Dabei hat der Tatrichter die Strafrahmen der unter Zugrundelegung einer konkreten Betrachtungsweise der besonderen Umstände des Einzelfalles (vgl. BGHSt 20, 22, 25) in Frage kommenden Strafvorschriften zu vergleichen und den Grundsatz der strikten Alternativität zu beachten.
Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen, mithin in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212). Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt, zu entnehmen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 29). Nur ausnahmsweise, wenn dem Täter bei der Tat die Umstände nicht bewusst waren, die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, oder wenn es ihm nicht möglich war, seine gefühlsmäßigen Regungen, die sein Handeln bestimmen, gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 2, 4, 10, 12, 15, 24, 28), kann anstatt einer Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen lediglich eine Verurteilung wegen Totschlages in Betracht kommen.
1. Nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 22. März 2001 - GSSt 1/00 - (BGHSt 46, 321) setzt der Begriff der Bande den Zusammenschluß von mindestens drei Personen voraus, die sich mit dem Willen verbunden haben, künftig für eine gewisse Dauer mehrere selbständige, im einzelnen noch ungewisse Straftaten des im Gesetz genannten Deliktstyps zu begehen. Abweichend von der früheren Rechtsprechung (vgl. nur BGH NStZ 1996, 443; 2001, 32, 33) ist ein "gefestigter Bandenwille" oder ein "Tätigwerden in einem übergeordneten Bandeninteresse" nicht mehr erforderlich. Die Mitglieder der Bande können vielmehr in der Bande ihre eigenen Interessen an einer risikolosen und effektiven Tatausführung und Beute- oder Gewinnerzielung verfolgen.
2. Diese neue Rechtsprechung gilt - unabhängig davon, ob sie sich zugunsten oder zu Lasten eines Angeklagten auswirkt - auch für "Altfälle" (vgl. BVerfG NStZ 1990, 537). Danach unterscheidet sich die Bande von der Mittäterschaft durch das Element der auf eine gewisse Dauer angelegten Verbindung mehrerer Personen zu zukünftiger gemeinsamer Deliktsbegehung. Mitglied einer Bande kann auch sein, wem nach der - stillschweigend möglichen - Bandenabrede nur Aufgaben zufallen, die sich bei wertender Betrachtung als Gehilfentätigkeiten darstellen (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2002 - 4 StR 499/01, zum Abdruck in BGHSt bestimmt).
3. Die Frage, ob die Beteiligung an einer Tat Mittäterschaft oder Beihilfe ist, beurteilt sich auch beim bandenmäßigen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach den allgemeinen Grundsätzen über die Abgrenzung zwischen diesen Beteiligungsformen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass der Begriff des Handeltreibens wegen seiner weiten Auslegung jede eigennützige, den Umsatz fördernde Tätigkeit erfasst, selbst wenn es sich nur um eine gelegentliche, einmalige oder vermittelnde Tätigkeit handelt. Wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung, ob ein Tatbeteiligter beim unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Mittäter oder nur Gehilfe ist, sind insbesondere der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ 1999, 451, 452; 2000, 482; NStZ-RR 2001, 148). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Mittäterschaft - ebenso wie die Beteiligung an einer Bande - durchaus Abstufungen nach dem Grad des Tatinteresses und des Tateinflusses zulässt (BGHSt 42, 255, 258).
4. Die Bewertung des Tatrichters, ein Angeklagter sei lediglich Gehilfe des Betäubungsmittelhandels gewesen, unterliegt nur begrenzter revisionsrechtlicher Kontrolle (BGH NStZ-RR 2001, 148, 149).
1. Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwendet auch derjenige, der ein Tatopfer mit einer mit Platzpatronen geladenen Schreckschusspistole bedroht, bei welcher der Gasdruck nach vorne austritt, wenn die Pistole innerhalb kürzester Zeit unmittelbar am Körper des Opfers zum Einsatz gebracht werden kann.
2. Der Senat gibt jedoch zu bedenken, dass eine Änderung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wenig sinnvoll erscheint.
1. Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG ist bei der Anwendung von Staatsschutzvorschriften besonders sorgfältig zwischen zulässiger Polemik und einer Beschimpfung oder böswilligen Verächtlichmachung zu unterscheiden (BVerfGE 93, 266, 293 ff.; BVerfG NJW 1999, 204, 205).
2. Schon nach einfach-rechtlichen, insbesondere aber auch nach verfassungsrechtlichen Anforderungen unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist eine den objektiven Sinngehalt der umstrittenen Äußerung erfassende Deutung unerlässlich. Im Fall ihrer Mehrdeutigkeit darf der Tatrichter nicht die zur Verurteilung führende Deutung zugrunde legen, ehe er andere Deutungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen hat (BVerfGE 93, 266, 295 ff.). Kriterien für die Auslegung sind der Wortlaut, der sprachliche Kontext der Äußerung sowie die für die Zuhörer erkennbaren Begleitumstände, unter denen die Äußerung fällt.
3. Schutzgut der Vorschrift des § 90 a Abs. 1 Satz 1 StGB ist das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland selbst, nicht aber das von einzelnen Staatsorganen, der Verwaltung oder einzelner Beamter ist (BGHR StGB § 90 a Beschimpfen 1 m.w.N.).
4. Bei dem Angeklagten angelasteten Äußerungen im Wahlkampf ist bei der Auslegung des Sinngehalts zu berücksichtigen, dass die Verwendung plakativer, vereinfachender und polemischer Ausdrucksweisen im Wahlkampf als typisches Mittel zur Verdeutlichung des eigenen Standpunkts, zur Abgrenzung gegenüber dem politischen Gegner und vor allem zur Überzeugung der potentiellen Wähler durchaus nicht unüblich ist.
5. Für die Anwendung des Art. 5 GG ist die Einordnung der Äußerungen von maßgeblicher Bedeutung. Meinungen fallen stets in den Schutzbereich dieses Grundrechts, ohne dass es dabei auf Begründetheit oder Richtigkeit ankäme (vgl. BVerfG NJW 1999, 204, 205); sie verlieren diesen Schutz auch nicht, wenn sie scharf und überzogen sind (vgl. BVerfGE 61, 1, 7/8/9). Dagegen werden reine Tatsachenbehauptungen, die bewusst oder erwiesen unwahr sind, nicht geschützt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG bereits dann eröffnet ist, wenn eine tatsachenhaltige Äußerung durch Elemente der Stellungnahme des Meinens oder Dafürhaltens geprägt ist und die Tatsachenbehauptungen der Bildung einer Meinung oder der Stützung von Werturteilen dienen.
6. Die Strafvorschrift des § 90 a StGB verbietet es Mitgliedern oder Anhängern von politischen Parteien nicht, scharfe Kritik am Staat zu üben und die Ziele und Programme ihrer Partei zu propagieren, mögen sie auch noch so verfassungsfeindlich sein. Die Grenze zur Strafbarkeit ist erst überschritten, wenn die Kritik beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verunglimpft (BVerfGE 47, 198, 231 f.). In der bloßen Aufforderung zum "Umsturz" durch gewaltfreie Beseitigung der bisherigen staatlichen Ordnung und Ersetzung durch ein anderes politisches System allein liegt noch keine böswillige Verächtlichmachung.
1. Das gefährliche Werkzeug im Sinne von § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB muss nicht Nötigungsmittel sein, es genügt, dass es bei der Vornahme der sexuellen Handlung eingesetzt wird (BGHSt 46, 225, 228). Ausreichend ist es hierbei, wenn das gefährliche Werkzeug bei einem einheitlichen Vorgang mit Sexualbezug eingesetzt wird; das gefährliche Werkzeug muss nicht bei der primären Sexualhandlung selbst eingesetzt werden.
2. Eine sexuelle Handlung liegt dann vor, wenn sie objektiv, d.h. nach ihrem äußeren Erscheinungsbild einen Sexualbezug aufweist. Bei ambivalenten Tätigkeiten, die für sich betrachtet nicht ohne weiteres einen sexuellen Bezug aufweisen, ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des Einzelfalls kennt (BGHR § 184c Nr. 1 Erheblichkeit 5). Zu diesen Umständen gehören auch Äußerungen des Angeklagten in diesem Zusammenhang.
3. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass eine bereits als gesichert erscheinende Überzeugung durch die weitere Beweisaufnahme wider Erwarten umgestoßen werden kann.
1. Wut kann als niedriger Beweggrund dann in Betracht kommen, wenn sie ihrerseits auf niedrigen Beweggründen beruht (BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 36 m.w.N.).
2. Heimtückisch handelt, wer in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers bewusst zur Tötung ausnutzt. Arglos ist ein Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs weder mit einem lebensbedrohlichen noch mit einem "lediglich" gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren oder doch erheblichen Angriff rechnet (vgl. BGHSt 33, 363, 365; 20, 301, 302; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 7, 13 und 17). Arg- und Wehrlosigkeit können auch dann gegeben sein, wenn der Tat eine feindselige verbale Auseinandersetzung vorausgeht, das Opfer die drohende Gefahr aber erst im letzten Augenblick erkennt, so dass ihm keine Möglichkeit bleibt, dem Angriff zu begegnen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3 und 15).