HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

Juli 2000
1. Jahrgang
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Hervorzuhebende Entscheidungen des BGH

I. Materielles Strafrecht

1. Schwerpunkt Allgemeiner Teil des StGB

In dieser Ausgabe kein Eintrag.



2. Schwerpunkt Besonderer Teil des StGB


Entscheidung

BGH 1 StR 106/00 - Beschluß v. 9. Mai 2000 (LG Augsburg)

Strafvereitelung des Verteidigers bei der Vermittlung der Zusage einer Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten für eine entlastende Aussage (Tatbestandsmäßigkeit); Verteidigungsspezifisches Handeln; Anspruch auf "konkrete und wirkliche" Verteidigung; Garantenpflicht zur Verhinderung eines Falschaussage; Vereitelungsvorsatz ("innerer Vorbehalt"); Trüben von Beweismitteln

§§ 258, 153, 22, 26 StGB; § 137 Abs. 1 Satz 1 StPO; Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK

Zur Frage der Strafvereitelung des Verteidigers bei der Vermittlung der Zusage einer Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten für eine entlastende Aussage, die nur möglicherweise richtig ist. (BGHSt)


Entscheidung

BGH 1 StR 617/99 - Beschluß v. 10. Mai 2000 (LG Baden-Baden)

Anwesenheit des Angeklagten bei Verkündung; Anwendung des Zweifelssatzes beim Verdeckungsmord; Verdeckungsabsicht (Zäsur); In dubio pro reo

§ 33a StPO; § 341 Abs. 2 StPO; § 268 Abs. 2 StPO; § 211 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

1. Ein Angeklagter, der sich vor dem Ende der Urteilsverkündung aus dem Saal entfernt oder der entfernt wird, hat als bei der Verkündung nicht anwesend zu gelten. Infolgedessen beginnt die Revisionseinlegungsfrist erst mit der Zustellung des Urteils zu laufen (§ 341 Abs. 2 StPO).

2. Um eine andere - zu verdeckende - Straftat im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt es sich jedoch dann nicht, wenn der Täter nur diejenige Tat verdecken will, die er gerade begeht. Das ist dann der Fall, wenn während einer einheitlichen Tötungshandlung die Verdeckungsabsicht nur noch als weiteres Motiv für die Tötung hinzutritt. Handelt der Angeklagte von vornherein mit direktem Tötungsvorsatz, so will er keine andere Straftat verdecken, sondern nur die begonnene Tötung vollenden. Auch ein zäsurloser Übergang vom bedingten zum unbedingten Tötungsvorsatz würde dann die zeitlich davorliegenden Teile einer einheitlichen Tötungshandlung nicht als eine andere Straftat erscheinen lassen (vgl. BGH NStZ 1990, 385; 1992, 127, 128; siehe auch BGHSt 35, 116).


Entscheidung

BGH 1 StR 502/99 - Urteil v. 6. April 2000 (LG Mannheim)

Volksverhetzung; Verharmlosen des Holocaust; Anwendung des § 130 StGB auf Verteidigerhandeln; Tatbestandsausschlußklausel; Erklärung des Verteidigers ohne jeden Bezug zur Verteidigung; Eignung, den öffentlichen Frieden zu stören; Offenkundigkeit; Meinungsfreiheit - Günstige Deutung; Auslegung; Berufsfreiheit; Anspruch auf "konkrete und wirkliche" Verteidigung

§ 130 Abs. 3, 5; § 86 Abs. 3 StGB; § 244 Abs. 3 StPO; Art 5 Abs. 1 GG; Art. 12 I GG; Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK

1. Der Tatbestand der Volksverhetzung in der Handlungsalternative des Verharmlosens des Holocaust (§ 130 Abs. 3 StGB) ist grundsätzlich auf Verteidigerhandeln nicht anzuwenden, wenn dem verteidigten Mandanten seinerseits Volksverhetzung i.S.d. Tatbestandes zur Last liegt. Insoweit greift die Tatbestandsausschlußklausel des § 86 Abs. 3 StGB (i.V.m. § 130 Abs. 5 StGB). (BGHSt)

2. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn die Erklärung des Verteidigers ohne jeden Bezug zur Verteidigung ist oder sich als verteidigungsfremdes Verhalten erweist, das sich lediglich den äußeren Anschein der Verteidigung gibt, tatsächlich aber nach den Maßstäben des Strafverfahrensrechts und des materiellen Strafrechts nichts zu solcher beizutragen vermag. (BGHSt)

3. Das Handlungsmerkmal des Verharmlosens ist erfüllt, wenn der Äußernde den Holocaust herunterspielt, beschönigt oder in seinem wahren Gewicht verschleiert. Alle denkbaren Facetten agitativer Hetze wie auch verbrämter diskriminierender Mißachtung sollen erfaßt werden. Steht eine relativierende Ausdrucksweise in Rede, ist der inhaltliche Gesamtaussagewert der Äußerung aus Sicht eines verständigen Zuhörers oder Lesers durch genaue Textanalyse unter Berücksichtigung der Begleitumstände zu ermitteln.

4. Es ist ein gewichtiges Indiz für die Eignung zur Friedensstörung, wenn tatsächlich eine erhebliche unruhestiftende öffentliche Wirkung weit über den näheren Umkreis der Äußerung hinaus eintritt.

5. Der Angeklagte hat nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK Anspruch auf "konkrete und wirkliche" Verteidigung.