HRR-Strafrecht

Onlinezeitschrift für Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Strafrecht

April 2000
1. Jahrgang
PDF-Download

III. Strafverfahrensrecht (mit Gerichtsverfassungsrecht)



Entscheidung

BGH 4 StR 558/99 - Urteil v. 10. Februar 2000 (LG Arnsberg)

Festnahmerecht (Jedermannalternative); Körperverletzung mit Todesfolge; Notwehrrecht; Fahrlässigkeit; Verhältnismäßigkeit; Angemessenheit

§ 127 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 32 StGB; § 227 StGB

1. Zum Festnahmerecht nach § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO. (BGHSt)

2. Das Festnahmerecht des § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO knüpft an die "Frische" und nicht an die "Schwere" der Tat an und gilt unabhängig von der Gewichtigkeit der Tat und vom Wert der Beute bei allen Verbrechen oder Vergehen (vgl. RGSt 17, 127). Allerdings gestattet das Recht zur Festnahme nicht die Anwendung eines jeden Mittels, das zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist, selbst wenn die Ausführung oder Aufrechterhaltung der Festnahme sonst nicht möglich wäre. Das angewendete Mittel muß vielmehr zum Festnahmezweck in einem angemessenen Verhältnis stehen. Unzulässig ist es daher regelmäßig, die Flucht eines Straftäters durch Handlungen zu verhindern, die zu einer ernsthaften Beschädigung seiner Gesundheit oder zu, einer unmittelbaren Gefährdung seines Lebens führen (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 50). (Bearbeiter)

3. Zur Anwendung des Festnahmerechts nach § 127 Abs. 1 Satz 1 StPO bei einer durch die Festnahmehandlungen verursachten Todesfolge. (Bearbeiter)


Entscheidung

BGH 2 ARs 495/99 (2 AR 249/99) - Beschluß v. 02. Februar 2000 (StA Oldenburg; AG Koblenz)

Zuständigkeit für die Anordnung der Entnahme von Körperzellen und deren Untersuchung zur Feststellung des DANN - Identifizierungsmusters

§§ 81 g, 162 Abs. 1 StPO; § 2 DNA-IFG

Die Entnahme von Körperzellen und deren molekulargenetische Untersuchung zur Feststellung des DNA - Identifizierungsmusters bilden zusammen eine Untersuchungshandlung. Für deren Anordnung ist der Ermittlungsrichter desjenigen Amtsgerichts zuständig, in dessen Bezirk die Entnahme stattfinden soll; dies gilt auch dann, wenn beantragt ist, die Untersuchung der Körperzellen im Bezirk eines anderen Amtsgerichts vorzunehmen. (BGHSt)


Entscheidung

BGH 3 StR 377/99 - Urteil v. 11. Februar 2000 (OLG Frankfurt/Main)

Grenzen bei der Beweiswürdigung von anonymen Quellen; "In camera" - Verfahren im Strafprozeß nicht zulässig

§§ 96 Satz 1, 261 StPO; Art. 6 Abs. 3 lit.d MRK

1. Zu den Grenzen der Beweiswürdigung bei der Verwertung anonymer Quellen. (BGH)

2. Ein "in camera" - Verfahren, wie es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1999 - 1 BvR 385/90 - zu § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO zulässig ist, kommt im Bereich des Strafverfahrens zu § 96 Satz 1 StPO nicht in Betracht. (BGH)


Entscheidung

BGH 1 StR 5/00 - Beschluß v. 16. Februar 2000 (LG München I)

Verletzung des Rechts auf wirksame Verteidigung durch Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger des Angeklagten; Gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem; Entpflichtung

Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK; § 142 StPO

1. Einzelfall der Verletzung des Rechts auf wirksame Verteidigung durch Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger des Angeklagten (Gestörtes Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Angeklagtem nach Anraten, ein unwahres Geständnis abzulegen).

2. Die Berufung des Angeklagten auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis steht der Bestellung des bisherigen Wahlverteidigers zum Pflichtverteidiger jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die vom Angeklagten vorgetragenen Behauptungen zwar erheblich, aber ersichtlich unzutreffend sind (BGHR StPO § 142 Abs. 1 Entpflichtung 1).


Entscheidung

BGH 1 StR 589/99 - Beschluß v. 18. Januar 2000 (LG Augsburg)

Verwertungsverbot; Überzeugungsbildung; Verbot der Protokollverlesung nach Zeugnisverweigerung; Anhörung nichtrichterlicher Vernehmungspersonen

§ 252 StPO; § 212 StGB; § 261 StPO

1. Das Verbot der Protokollverlesung nach Zeugnisverweigerung gilt über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch dahingehend, daß es dem Gericht auch verwehrt ist, die früheren Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten durch Anhörung nichtrichterlicher Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung einzuführen und dann zu verwerten (BGHSt 21, 218; 2, 99, 104 f.).

2. Zwar besteht das aus dem Sinn des § 252 StPO abzuleitende Verwertungsverbot nach dem Wortlaut dieser Regelung nur unter der Voraussetzung, daß der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Recht zur Aussageverweigerung Gebrauch macht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen nichtrichterliche Vernehmungspersonen in der Hauptverhandlung grundsätzlich solange nicht über den Inhalt früherer Angaben eines zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen gehört werden, wie Ungewißheit darüber besteht, ob der Zeuge von seinem Weigerungsrecht Gebrauch macht oder darauf verzichtet (BGHSt 25, 176, 177; 7, 194, 196).


Entscheidung

BGH 1 StR 652/99 - Beschluß v. 12. Januar 2000 (LG Baden-Baden)

Totschlag; Beweiswürdigung (Zeugenaussage); Überzeugungsbildung; Aufklärungsrüge; Umfang der Aufklärungspflicht; Zweifelsgrundsatz

§ 212 StGB; § 261 StPO; § 244 Abs. 2 StPO

Je weniger gesichert das Beweisergebnis erscheint, je gewichtiger die Unsicherheitsfaktoren sind, je mehr Widersprüche bei der Beweiserhebung zutage getreten sind, desto größer ist der Anlaß für das Gericht, trotz der erlangten Überzeugung weitere erkennbare Beweismöglichkeiten zu benutzen (BGH, Beschl. vom 10. Juni 1999 - 1 StR 229/99; StV 1996, 249, 250 m.w.Nachw.).


Entscheidung

BGH 4 StR 616/99 - Urteil v. 10. Februar 2000 (LG Dortmund)

Zeugnisverweigerungsrecht; Verweigerung in der Hauptverhandlung; "Vernehmung" durch den Verteidiger; Verwertungsverbot; Aufklärungspflicht

§ 52 StPO; § 252 StPO; § 244 Abs. 2 StPO

Macht der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, dürfen Angaben, die er zuvor bei einer "Vernehmung" durch den Verteidiger gemacht hat, nicht verwertet werden. (BGHSt)


Entscheidung

BGH 5 StR 543/99 - Urteil v. 8. Februar 2000 (LG Braunschweig)

Begründungserfordernis bei § 247 StPO; Zulässigkeitsanforderungen der Revision (Begründung); Vernehmung kindlicher Zeugen; Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen; Abwesenheit des Angeklagten; Fragerecht; Erneute Vorladung

§ 247 StPO; § 338 Nr. 5 StPO; § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO

1. Der Senat hält die Verhandlung über die Entlassung eines Zeugen generell für keinen wesentlichen Teil der Hauptverhandlung; die Abwesenheit des Angeklagten dabei ist daher regelmäßig nicht geeignet, den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO zu begründen.

2. Solche Auslegung des Verfahrensrechts beschränkt nicht etwa das Fragerecht eines bei der Verhandlung über die Entlassung etwa abwesenden Angeklagten. Ihm ist vielmehr regelmäßig uneingeschränkt das Recht zuzubilligen, die erneute Vorladung eines ohne seine Anhörung entlassenen Zeugen oder Sachverständigen zum Zweck weiterer zulässiger Befragung zu verlangen.