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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1021

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 105/25, Beschluss v. 29.04.2025, HRRS 2025 Nr. 1021


BGH 6 StR 105/25 - Beschluss vom 29. April 2025 (LG Braunschweig)

„Aussage-gegen-Aussage“-Konstellation (Urteilsgründe; lückenhafte Beweiswürdigung).

§ 261 StPO; § 267 StPO

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18. Oktober 2025 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).

1. Das Landgericht hat, soweit hier von Belang, folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Nach einem Streit im April 2017 schlug der Angeklagte die Nebenklägerin, seine Ehefrau, zog sie an einem Arm ins Schlafzimmer und warf sie auf das Bett, um mit ihr Geschlechtsverkehr auszuführen, was sie ablehnte. Daraufhin schlug er mit der Faust auf sie ein und hielt sie fest, wogegen sie sich wehrte. Als die Kräfte der Nebenklägerin nachließen, verließ der Angeklagte kurzzeitig das Schlafzimmer, holte ein Seil und band mit diesem die Arme der Nebenklägerin an das Bettgestell. Sodann zog er sie aus und drang gegen ihren Willen vaginal in sie ein.

b) Die Strafkammer hat die Tat als schwere Vergewaltigung nach § 177 Abs. 7 Nr. 2 StGB in Tateinheit mit Körperverletzung nach § 223 StGB gewertet. Sie hat die Verurteilung des die Tat bestreitenden Angeklagten maßgeblich auf die als glaubhaft bewerteten Aussagen der Nebenklägerin gestützt.

2. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen entbehren - auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2024 - 4 StR 428/23, Rn. 13; vom 16. Juni 2021 - 1 StR 109/21, Rn. 10) - einer tragfähigen Beweiswürdigung.

a) Beruht die Überzeugung von der Schuld eines bestreitenden oder schweigenden Angeklagten maßgeblich auf der Aussage eines Belastungszeugen („Aussage gegen Aussage“), bedarf es einer besonders sorgfältigen Würdigung. Um dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Beweiswürdigung zu ermöglichen, ist eine Darstellung in den Urteilsgründen zu wählen, die erkennen lässt, dass alle Umstände, die die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten beeinflussen können, erkannt, in die Überlegungen einbezogen und in einer Gesamtschau gewürdigt worden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2024 - 4 StR 197/23, Rn. 7; vom 2. November 2022 - 6 StR 281/22, Rn. 6). Dies setzt in der Regel voraus, dass die Urteilsgründe die entscheidenden Aussagen des Belastungszeugen in der Hauptverhandlung zumindest in gedrängter Form wiedergeben. Vorangegangene Angaben des Zeugen sind ebenfalls darzustellen, weil andernfalls nicht überprüfbar ist, ob eine fachgerechte Konstanzanalyse vorgenommen und Abweichungen zutreffend gewichtet worden sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Februar 2024 - 6 StR 37/24, Rn. 4; vom 25. April 2023 - 4 StR 400/22, Rn. 7).

b) Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung nicht gerecht. Sie ist lückenhaft und erlaubt keine Überprüfung der Konstanzanalyse.

aa) Ausweislich der Urteilsgründe berichtete die Nebenklägerin vor ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung zuerst der Zeugin G. von Schlägen und sexuellen Übergriffen des Angeklagten, benannte aber keine Einzelheiten. Angaben gegenüber der Polizei machte sie erstmals im Mai 2022 anlässlich der Anzeige anderer Taten. Im Ermittlungsverfahren wurde die Nebenklägerin insgesamt dreimal polizeilich vernommen und von einer Sachverständigen exploriert.

bb) Es erweist sich als durchgreifend rechtsfehlerhaft, dass die Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei unzureichend wiedergegeben worden sind. Insbesondere ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die abgeurteilte Tat bereits während ihrer polizeilichen Vernehmungen im Mai und Dezember 2022 schilderte. Das Landgericht hat nur Angaben über 20 sexuelle Übergriffe des Angeklagten, Schläge, Fesselungen mit einem Seil sowie das viermalige Verlangen von Analverkehr mitgeteilt, ohne diese Verhaltensweisen miteinander oder mit Tatzeiten oder Tatorten zu verknüpfen. Auf dieser Grundlage lässt sich der Schluss des Tatgerichts nicht nachvollziehen, es lasse sich den Aussagen der ermittelnden Beamten entnehmen, dass die Nebenklägerin „mit einigen kleineren Abweichungen (…) im Wesentlichen gleichartige Vorgänge bei sämtlichen Vernehmungen geschildert“ habe.

Zudem fehlt eine zumindest gedrängte Darstellung der Angaben der Nebenklägerin im Rahmen ihrer Exploration durch die aussagepsychologische Sachverständige. Aufgrund der nur bruchstückhaften Hinweise auf einzelne Tatumstände, wie „das Holen des Seils bei der ersten Tat und das Holen der Creme bei der zweiten Tat“, ist dem Revisionsgericht auch insoweit eine Überprüfung der Konstanzanalyse verwehrt.

cc) Die Darstellung der Angaben der Nebenklägerin war nicht deshalb entbehrlich, weil die Strafkammer sich dem Ergebnis des aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens angeschlossen hat. Eine aussagepsychologische Begutachtung kann eine Beweiswürdigung durch das Tatgericht zum einen nicht ersetzen (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 178; Beschlüsse vom 18. November 2020 - 2 StR 152/20, NStZ-RR 2021, 114; vom 6. März 2024 - 6 StR 550/23) und entbindet das Revisionsgericht zum anderen nicht von deren Überprüfung.

c) Abgesehen von diesen Darstellungsmängeln stößt die Beweiswürdigung auf durchgreifende rechtliche Bedenken, soweit das Landgericht der Sachverständigen folgend die Aussagen der Nebenklägerin als „hinreichend konstant“ bewertet hat, obwohl diese erstmals in der Hauptverhandlung von einem weiteren Vorfall berichtet hat, bei dem sie anal vergewaltigt worden sei. Die Erklärung der Sachverständigen, „aufgrund der sich wiederholenden gleichförmigen Vorfälle“ sei eine Überlagerung eingetreten, ist nicht nachvollziehbar. Denn den Schilderungen der Nebenklägerin bei der Polizei zufolge verlangte der Angeklagte nur viermal Analverkehr. Außerdem handelte es sich nach ihrer Aussage bei dem erstmals in der Hauptverhandlung geschilderten erzwungenen Analverkehr im Vergleich mit dem Geschehen, das dem Teilfreispruch zugrunde liegt, um den für sie schlimmeren Vorfall.

3. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Um dem neuen Tatgericht insgesamt widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat auch die zugehörigen Feststellungen auf (§ 353 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 1021

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede