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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 490

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 6 StR 284/24, Urteil v. 05.03.2025, HRRS 2025 Nr. 490


BGH 6 StR 284/24 - Urteil vom 5. März 2025 (LG Halle)

Entscheidung bei Gesetzesänderung, Schuldspruchänderung; Meistbegünstigungsprinzip (milderes Gesetz); Betäubungsmittelgesetz; Konsumcannabisgesetz.

§ 2 Abs. 3 StGB; § 354a StPO; § 354 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 5. Februar 2024

a) im Schuldspruch geändert und wie folgt dahin neu gefasst, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis, des Handeltreibens mit Cannabis in zwei Fällen sowie des Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Besitz von Munition schuldig ist;

b) in den Aussprüchen über die Strafen in den Fällen II.1, II.3 und II.4 der Urteilsgründe sowie über die Gesamtstrafe aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen haben Bestand.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten und die Revision der Staatsanwaltschaft werden verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision des Angeklagten, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

4. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse. - Von Rechts wegen -

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit „mit Verstoß gegen § 2 Absatz 2 i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 1 Satz 1 WaffG“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Die auf den Strafausspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe sowie den Gesamtstrafenausspruch beschränkte und ebenfalls auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts handelte der Angeklagte unter Nutzung eines EncroChat-Mobiltelefons in der Zeit von März 2020 bis April 2021 mit Cannabisprodukten und Betäubungsmitteln. Gegenstand seines Handeltreibens waren im Fall II.1 der Urteilsgründe vier Kilogramm Marihuana mit einer Wirkstoffmenge von 200 Gramm THC, im Fall II.2 der Urteilsgründe ein Kilogramm Methamphetamin mit einer Wirkstoffmenge von 630 Gramm Methamphetaminbase, im Fall II.3 der Urteilsgründe zwei Kilogramm Marihuana mit 100 Gramm THC sowie 100 Gramm Kokain mit 30 Gramm Kokainhydrochlorid und 500 „LSD-Sticks“, im Fall II.4 der Urteilsgründe drei Kilogramm Marihuana mit 150 Gramm THC und im Fall II.5 der Urteilsgründe 2.000 Ecstasytabletten mit insgesamt 292 Gramm MDMA-Base. Im April 2021 wurden bei ihm 45,8 Gramm Cannabis mit 5,99 Gramm THC sowie verschiedene Kleinmengen Methamphetaminracemat, Cannabis, Kokain und CBD-Hanf sichergestellt; zudem verfügte er über mehrere funktionsfähige Gewehrpatronen (Fall II.6 der Urteilsgründe).

II.

Die Revision des Angeklagten hat teilweise Erfolg.

1. Der Schuldspruch bedarf in den Fällen II.1, II.3 und II.4 der Urteilsgründe der Änderung und im Fall II.6 der Urteilsgründe der Klarstellung.

a) Durch das am 1. April 2024 in Kraft getretene Konsumcannabisgesetz unterfallen die Tathandlungen des Angeklagten, soweit sich diese ausschließlich (Fälle II.1 und II.4 der Urteilsgründe) oder zumindest auch auf Marihuana bezogen (Fall II.3 der Urteilsgründe), nunmehr der Strafvorschrift des § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG. Nach § 2 Abs. 3 StGB i.V.m. § 354a StPO ist die Gesetzesänderung durch den Senat zu berücksichtigen, weil sich die Strafandrohung des § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 KCanG gegenüber derjenigen des vom Landgericht zur Anwendung gebrachten § 29a Abs. 1 BtMG als milder erweist.

Danach ist der Angeklagte in den Fällen II.1 und II.4 der Urteilsgründe des Handeltreibens mit Cannabis (§ 2 Abs. 1 Nr. 4, § 34 Abs. 1 Nr. 4 KCanG) schuldig. Dass sich die Taten auf Cannabis in nicht geringer Menge bezogen, stellt lediglich ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall dar (§ 34 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG), der im Schuldspruch keinen Ausdruck findet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. September 2024 - 2 StR 459/23, Rn. 5; vom 9. Juli 2024 - 3 StR 220/24, Rn. 5).

Im Fall II.3 der Urteilsgründe, in dem sich das Handeltreiben nicht nur auf Marihuana, sondern auch auf eine nicht geringe Menge Kokain sowie LSD bezog, war der Schuldspruch dahin zu ändern, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Cannabis schuldig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juli 2024 - 5 StR 289/24, Rn. 3).

b) Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO wie aus der Urteilsformel ersichtlich insgesamt neu gefasst und ihn dabei zugleich im Hinblick auf das im Fall II.6 der Urteilsgründe tateinheitlich verwirklichte Waffendelikt klargestellt (vgl. zur Tenorierung bei Straftaten nach dem Waffengesetz BGH, Beschlüsse vom 27. August 2024 - 4 StR 203/24, Rn. 6; vom 21. Mai 2024 - 5 StR 26/24, Rn. 5; vom 11. Dezember 2023 - 1 StR 276/23, Rn. 22).

2. Der Strafausspruch unterliegt teilweise der Aufhebung.

a) Die in den Fällen II.1, II.3 und II.4 der Urteilsgründe verhängten Strafen, die das Landgericht jeweils in Anwendung des Regelstrafrahmens des § 29a Abs. 1 BtMG mit einem Jahr und einem Monat Freiheitsstrafe (Fälle II.1 und II.4 der Urteilsgründe) beziehungsweise mit einem Jahr und drei Monaten Freiheitsstrafe (Fall II.3 der Urteilsgründe) bemessen hat, können angesichts der hier geringeren Strafandrohung des KCanG keinen Bestand haben. Der Senat kann trotz des jeweils beachtlichen Schuldumfangs und der im Verhältnis dazu überaus milden Strafen nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung der Neuregelungen nach dem Konsumcannabisgesetz auf noch niedrigere Strafen erkannt hätte. Dies gilt auch im Fall II.3 der Urteilsgründe, obwohl die Strafe nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StGB hier weiterhin den Strafrahmen des Betäubungsmittelgesetzes zu entnehmen sein wird. Denn es ist zu berücksichtigen, dass der nach dem Betäubungsmittelgesetz zu ahndende Schuldumfang des Handeltreibens geringer geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2024 - 6 StR 272/24, Rn. 6).

b) Die Aufhebung der in den Fällen II.1, II.3 und II.4 der Urteilsgründe verhängten Strafen zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen werden von der aufgrund der Gesetzesänderung notwendigen Aufhebung der vorgenannten Strafen nicht berührt; sie können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

III.

Die wirksam auf die Strafe im Fall II.2 der Urteilsgründe sowie die Gesamtstrafe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft bleibt ohne Erfolg.

1. Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatgerichts. Es ist seine Aufgabe, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen, sie zu bewerten und hierbei gegeneinander abzuwägen. Ein Eingriff des Revisionsgerichts in diese Einzelakte der Strafzumessung ist in der Regel nur möglich, wenn die Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, wenn das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder wenn sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, gerechter Schuldausgleich zu sein. Nur in diesem Rahmen kann eine Verletzung des Gesetzes im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO vorliegen. Dagegen ist eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ausgeschlossen. In Zweifelsfällen muss das Revisionsgericht die vom Tatgericht vorgenommene Bewertung bis an die Grenze des Vertretbaren hinnehmen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 4. Juli 2019 - 4 StR 47/19, NStZ-RR 2019, 339; Beschluss vom 10. April 1987 - GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349).

2. Hieran gemessen halten sowohl die Strafe im Fall II.2 der Urteilsgründe als auch die Gesamtstrafe sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Die hiergegen seitens der Beschwerdeführerin erhobenen Einwände verfangen nicht. Näherer Erörterung bedarf nur das Folgende:

a) Die Strafrahmenwahl im Fall II.2 der Urteilsgründe hat Bestand. Zwar hat das Landgericht die Gefährlichkeit des vom Angeklagten gehandelten Methamphetamins nicht - wie es geboten gewesen wäre - bereits bei der Prüfung des minder schweren Falles, sondern erst bei der Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigt (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2016 - 2 StR 41/16, Rn. 5). Dieser Rechtsfehler hat sich bei der Bestimmung des Strafrahmens jedoch nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgewirkt, weil das Landgericht den Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG zur Anwendung gebracht und das Vorliegen eines minder schweren Falles gemäß § 29a Abs. 2 BtMG verneint hat.

b) Die im Fall II.2 der Urteilsgründe verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten löst sich - auch wenn sie außerordentlich mild ist - vor dem Hintergrund der von der Strafkammer zugunsten des Angeklagten in den Blick genommenen gewichtigen strafmildernden Umstände, namentlich seiner bisherigen Unbestraftheit, seinem umfassenden Geständnis und dem erheblichen Zeitablauf seit der Tat, noch nicht von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein; sie ist nicht so unvertretbar milde, dass sie außerhalb des dem Tatgericht bei der Strafbemessung eingeräumten Beurteilungsspielraums läge (vgl. BGH, Urteile vom 12. Mai 2021 - 5 StR 120/20, Rn. 13; vom 17. März 2021 - 5 StR 148/20, Rn. 20; vom 19. Januar 2012 - 3 StR 413/11, Rn. 5, NStZ-RR 2012, 168 f.).

c) Schließlich zeigt die Revision auch zur Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe, die in ihrer Höhe ebenfalls noch innerhalb des dem Tatgericht eingeräumten Spielraumes liegt und deshalb vom Revisionsgericht hinzunehmen ist, keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Vor- oder zum Nachteil (§ 301 StPO) des Angeklagten auf.

Der Senat teilt nicht die Sorge der Beschwerdeführerin, das Landgericht habe (auch) die Bemessung der Gesamtstrafe so vorgenommen, dass ihre Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt werden konnte. Weder die Formulierung der Strafzumessungsgründe des angefochtenen Urteils noch das Ausmaß des vom Angeklagten verwirklichten Unrechts geben zu der Besorgnis Anlass, das Landgericht habe durch unzulässige Vermengung von Gesichtspunkten der Strafzumessung mit solchen der Strafaussetzung zur Bewährung eine nicht mehr schuldangemessene Gesamtstrafe verhängt (vgl. BGH, Urteile vom 4. Juli 2019 - 4 StR 47/19, NStZ-RR 2019, 339, 340; vom 28. November 2018 - 5 StR 376/18, Rn. 10; vom 7. Februar 2012 - 1 StR 525/11, BGHSt 57, 123, 133 f.).

Dies gilt namentlich für die strafmildernde Berücksichtigung der stabilen familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten durch die Strafkammer. Bereits aus der gesetzlichen Pflicht, die Wirkungen der Strafe in den Strafzumessungsakt einzustellen (§ 46 Abs. 1 Satz 2 StGB), folgt die Bedeutung der Lebensumstände des Angeklagten für die Strafzumessung. Dies gilt auch dann, wenn die Lebensumstände des Angeklagten nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tatgeschehen stehen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1987 - 2 StR 446/87, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 1; Beschlüsse vom 29. Juli 2021 - 1 StR 221/21; vom 16. August 2011 - 5 StR 300/11; Schäfer/Sander/van Gemmerem, Praxis der Strafzumessung, 7. Aufl., Rn. 1119).

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 490

Bearbeiter: Sina Aaron Moslehi/Karsten Gaede