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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 799

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 603/19, Urteil v. 27.05.2020, HRRS 2020 Nr. 799


BGH 5 StR 603/19 - Urteil vom 27. Mai 2020 (LG Leipzig)

Verhängung von Geldstrafe neben Freiheitsstrafe (Ausnahmecharakter; Ermessen; Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters; wechselseitige Gewichtung; schuldangemessenes Strafmaß); nachträgliche Gesamtstrafenbildung (kein Härteausgleich bei vollständiger Bezahlung einer Geldstrafe).

§ 41 StGB; § 46 StGB; § 55 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Nach § 41 StGB kann dann, wenn der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht hat, eine sonst nicht oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhängt werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters angebracht ist. Angesichts ihres Ausnahmecharakters muss die Kumulation von Geld- und Freiheitsstrafe näher begründet werden. Dabei sind zunächst die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und die Aufspaltung der Sanktion in Freiheits- und Geldstrafe zu begründen. Sodann hat in einem zweiten Schritt die wechselseitige Gewichtung der als Freiheitsstrafe und als Geldstrafe zu verhängenden Teile des schuldangemessenen Strafmaßes nach den Grundsätzen des § 46 StGB zu erfolgen.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 30. April 2019 - auch zugunsten der Angeklagten - im Strafausspruch aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten N. wegen Untreue in 42 Fällen und den Angeklagten G. wegen Beihilfe hierzu in 18 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von zwei Jahren (N.) sowie einem Jahr und zehn Monaten (G.) verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Daneben hat es gegen den Angeklagten N. eine Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 39 Euro und gegen den Angeklagten G. eine solche von 180 Tagessätzen zu je 14 Euro verhängt. Zudem hat es Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf den jeweiligen Strafausspruch beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben Erfolg.

I.

Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Der Angeklagte N. war von 1992 bis 2009 als Schadensregulierer im Außendienst für ein Versicherungsunternehmen tätig. In diesem Rahmen fingierte er - teils gemeinschaftlich handelnd mit dem Angeklagten G. - in zahlreichen Fällen im Zusammenwirken mit den betreffenden Versicherungsnehmern entweder nicht existente Schadensfälle oder die Höhe tatsächlich eingetretener Schäden. Unter Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht gegenüber seinem Arbeitgeber regulierte er die vermeintlichen Schäden der Versicherungsnehmer, indem er diesen von dem Versicherer ausgestellte Schecks übergab oder Überweisungen des Unternehmens an diese veranlasste. Die betreffenden Versicherungsnehmer erlangten zu Unrecht insgesamt fast 1.160.000 Euro, wovon die Angeklagten im erheblichen Umfang profitierten.

2. Auf Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagten jeweils wegen mehrerer Fälle der Untreue bzw. der Beihilfe hierzu verurteilt. Die Strafen hat es betreffend den Angeklagten N. dem Strafrahmen des § 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 StGB und betreffend den Angeklagten G. dem des § 266 Abs. 1 StGB entnommen. Die zusätzliche Verhängung von Geldstrafen gemäß § 41 StGB hat das Landgericht jeweils damit begründet, dass sich die Angeklagten durch die abgeurteilten Taten selbst bereichert hätten. Zudem hat es die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von über 550.000 Euro gegen den Angeklagten N. und fast 310.000 Euro gegen den Angeklagten G. angeordnet.

II.

Die Staatsanwaltschaft hat ihre zuungunsten der Angeklagten eingelegten Revisionen wirksam auf die Strafaussprüche beschränkt. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel führen - auch zugunsten der Angeklagten (§ 301 StPO) - zu deren Aufhebung.

1. Die kumulative Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Nach § 41 StGB kann dann, wenn der Täter sich durch die Tat bereichert oder zu bereichern versucht hat, eine sonst nicht oder nur wahlweise angedrohte Geldstrafe verhängt werden, wenn dies auch unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters angebracht ist. Angesichts ihres Ausnahmecharakters muss die Kumulation von Geld- und Freiheitsstrafe näher begründet werden. Dabei sind zunächst die pflichtgemäße Ausübung des Ermessens und die Aufspaltung der Sanktion in Freiheits- und Geldstrafe zu begründen. Sodann hat in einem zweiten Schritt die wechselseitige Gewichtung der als Freiheitsstrafe und als Geldstrafe zu verhängenden Teile des schuldangemessenen Strafmaßes nach den Grundsätzen des § 46 StGB zu erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 13. März 2019 - 1 StR 367/18, NStZ 2019, 601 f. mwN; MüKoStGB/Radtke, 3. Aufl., § 41 Rn. 6, 32; Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl., StGB, § 41 Rn. 1; Fischer, StGB, 67. Aufl., § 41 Rn. 2; krit. zum Ausnahmecharakter LK/Grube, 13. Aufl., § 41 Rn. 5; SSWStGB/Claus, 4. Aufl., § 41 Rn. 4 f.).

Diesen Anforderungen wird das Landgericht schon deshalb nicht gerecht, weil es die Anwendung des § 41 StGB ausschließlich damit begründet hat, dass sich die Angeklagten durch die Tat „selbst bereichert“ haben. Dies beschreibt aber lediglich eine der tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift. Dass das Landgericht das ihm zustehende Ermessen pflichtgemäß ausgeübt hat, lässt sich den Urteilsgründen hingegen nicht entnehmen. Zudem hat das Landgericht nicht erörtert, ob die kumulative Verhängung von Freiheits- und Geldstrafen im Sinne des § 41 StGB angebracht ist. Angesichts der angeordneten Einziehung des Wertes des Tatertrages von jeweils mehreren hunderttausend Euro hätte es sich aber dazu gedrängt sehen müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08; MüKoStGB/Radtke, aaO Rn. 9; Schönke/Schröder/Kinzig, aaO Rn. 5; SSWStGB/Claus, aaO Rn. 6).

Es handelt sich um Rechtsfehler zugunsten wie zu Lasten der Angeklagten (§ 301 StPO). Die zusätzliche Anwendung von § 41 StGB stellt einerseits ein zusätzliches Strafübel dar, andererseits hätte die Strafkammer ohne die zusätzliche Geldstrafe möglicherweise eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe verhängt.

2. Betreffend den Angeklagten N. weist die Bildung der Gesamtfreiheitsstrafe einen weiteren Rechtsfehler zu dessen Gunsten auf.

Das Landgericht hat dem Angeklagten dabei einen Härteausgleich dafür zugebilligt, dass zwei Geldstrafen aus einer früheren Verurteilung nicht gemäß § 55 StGB einbezogen werden konnten, da sie zum Zeitpunkt des vorliegenden Urteils bereits vollständig bezahlt waren. Es hat dabei aber übersehen, dass dem Angeklagten durch die nicht mehr mögliche Einbeziehung der Geldstrafen in die Gesamtfreiheitsstrafe kein Nachteil entstanden ist, dem durch die Vornahme eines Härteausgleichs Rechnung zu tragen wäre. Denn wären die Geldstrafen noch einbeziehungsfähig gewesen, hätte dies möglicherweise gemäß § 55 Abs. 1 StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren geführt, weil die Strafkammer für die abgeurteilten Taten eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren als schuldangemessen angesehen hat. Dann aber wäre die hier nach § 56 Abs. 2 StGB gewährte Aussetzung der Vollstreckung der Strafe zur Bewährung nicht in Betracht gekommen. Die Einbeziehung der Geldstrafen hätte mithin für den Angeklagten zu einem schwereren Strafübel führen können, so dass ihre vollständige Bezahlung keine ihn benachteiligende Härte darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 2017 - 2 BvR 2312/17, StraFo 2018, 106, 108; s. auch BGH, Urteile vom 5. November 2013 - 1 StR 387/13; vom 23. Januar 2019 - 5 StR 479/18). Zutreffend weist der Generalbundesanwalt zudem darauf hin, dass die Vollstreckung der Geldstrafe dem Angeklagten N. nur bei der Bildung der Gesamtgeldstrafe hätte zugutekommen dürfen.

3. Im Übrigen weist die Strafzumessung keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf. Insbesondere beruht das strafmildernd herangezogene Fehlen effektiver Kontrollmechanismen - entgegen der Revision - auf einer tragfähigen Beweiswürdigung. Denn das Landgericht hat sich insoweit rechtsfehlerfrei auf die zeugenschaftliche Einschätzung des polizeilichen Hauptsachbearbeiters stützen können, wonach im Innendienst des geschädigten Versicherungsunternehmens „tatsächlich keine Prüfung“ erfolgt sei.

4. Das Urteil beruht auf den Rechtsfehlern (§ 337 Abs. 1 StPO). Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier Prüfung andere Strafen verhängt hätte. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von den Wertungsfehlern nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Sie können um solche Feststellungen ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

5. Der Senat weist darauf hin, dass die strafschärfende Erwägung, die Angeklagten hätten sich durch die Taten „nicht nur unerheblich selbst bereichert“, rechtsfehlerhaft sein kann, wenn damit lediglich das zur Begründung eines besonders schweren Falles herangezogene Regelbeispiel der Gewerbsmäßigkeit (§ 266 Abs. 2 i.V.m. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) umschrieben wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. April 2004 - 3 StR 113/04; vom 28. Mai 2015 - 2 StR 23/15, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Gewerbsmäßigkeit 1).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 799

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 239

Bearbeiter: Christian Becker