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HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 163

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 5 StR 240/13, Urteil v. 11.12.2013, HRRS 2014 Nr. 163


BGH 5 StR 240/13 - Urteil vom 11. Dezember 2013 (LG Berlin)

Rechtsstaatswidrige Tatprovokation im Betäubungsmittelstrafrecht (verdeckt agierende Ermittlungspersonen; "V-Mann"; massive Einflussnahme auf den Täter; mittelbare Tatprovokation; Strafzumessungslösung; Recht auf ein faires Verfahren); Beweiswürdigung; Grundsatz der Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit.

Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK; § 29 BtMG; § 30 BtMG; § 261 StPO; § 147 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ein tatprovozierendes Verhalten ist bei Abwägung aller Umstände insbesondere dann "unvertretbar übergewichtig" - und damit rechtsstaatswidrig - wenn es sich über einen außergewöhnlich langen Zeitraum erstreckt und währenddessen in vielfältiger, einen hohen Tatanreiz schaffender Weise - auch mit gewissem Druck - auf den späteren Täter eingewirkt wird. Weiterhin kann eine Rolle spielen, dass die staatlich veranlassten Maßnahmen die Tatbegehung erheblich erleichtert haben und dass der Umfang der Tat um ein Vielfaches über das Ausmaß des ursprünglichen Anfangsverdachtes hinausgeht sowie dass weitere Ermittlungen keinerlei belastende Momente ergeben haben.

2. Eine rechtsstaatswidrige Beeinflussung durch eine staatliche Tatprovokation kann auch mittelbar gegenüber Personen erfolgen, die mit den verdeckt im Auftrag des Staates tätigen Personen keinen direkten Kontakt haben. Das kann insbesondere dann der Fall sein, wenn die Ermittler schon aufgrund des Umfangs der initiierten Tat - hier eines Betäubungsmittelgeschäfts - davon ausgehen müssen, dass seitens des Täters weitere Personen hinzugezogen werden.

3. Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation führt grundsätzlich nicht zu einem Verfahrenshindernis, sondern ist auf der Ebene der Strafzumessung zu berücksichtigen (st. Rspr.). Das gilt auch für Fälle einer besonders schwerwiegenden Beeinflussung. Gegenteiliges ergibt sich nach Ansicht des Senats auch nicht aus der neu eingeführten Regelung in § 20g Abs. 2 Nr. 4 BKAG.

4. Es steht nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, ob sie strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in den Akten vermerken und zu welchem Zeitpunkt sie dies tun. Das Tatgericht muss den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können. Dies ist kein Selbstzweck, sondern soll die ordnungsgemäße Vorbereitung der Hauptverhandlung durch das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten gewährleisten. Zudem muss in einem Rechtsstaat schon der bloße Anschein, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen, vermieden werden. Deshalb sollte in den Akten ebenfalls vermerkt sein, ob eine Vertrauensperson für ihre Tätigkeit eine Entlohnung zugesagt bekommen oder gar erhalten hat.

5. Der Senat weist darauf hin, dass Höhe und Erfolgsbezogenheit des jeweiligen Honorars im Rahmen der gebotenen umfassenden Beweiswürdigung für die Bewertung des Motivs der Vertrauensperson, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, relevant sein und entscheidungserhebliche Bedeutung erlangen kann.

6. Rechtsstaatliche Belange sind namentlich auch durch ein etwaiges Strafverfahren gegen die VP zu gewährleisten. In Fällen einer Tatprovokation der hier vorliegenden Art besteht für die Staatsanwaltschaft Anlass, bei Verdacht eines zielstrebig und unbedingt auf einen großen Betäubungsmittelumsatz gerichteten, grob rechtswidrigen Verhaltens einer VP deren strafrechtliche Verantwortlichkeit zu überprüfen.

7. Die Polizei ist verpflichtet, eine von ihr beauftragte Vertrauensperson bestmöglich zu überwachen (vgl. BGHSt 45, 321, 336). Es muss der Gefahr begegnet werden, dass diese den ihr staatlicherseits erteilten Auftrag missbraucht (vgl. BGHSt 32, 345, 353). Dies gilt besonders dann, wenn die Vertrauensperson - wie häufig und auch vorliegend offenbar in erheblichem Ausmaß - selbst aus dem kriminellen Milieu stammt.

Entscheidungstenor

Die Revisionen der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 7. November 2012 werden verworfen.

Die Angeklagten haben jeweils die durch ihr Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen.

Die Kosten der Revisionen der Staatsanwaltschaft und die durch diese Rechtsmittel den Angeklagten jeweils entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I. Das Landgericht hat verurteilt

- den Angeklagten A. wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln und mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln - jeweils in nicht geringer Menge - zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten,

- die Angeklagten Sa. und So. jeweils wegen Beihilfe zu den vom Angeklagten A. täterschaftlich verwirklichten Delikten zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten bzw. von drei Jahren und sieben Monaten,

- den Angeklagten U. wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln - jeweils in nicht geringer Menge - zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren sowie

- den Angeklagten V. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten.

Hiergegen richten sich die Revisionen der fünf Angeklagten, die jeweils die Sachrüge erheben. Die Angeklagten A. und So. haben zudem Verfahrensfehler geltend gemacht. Die Revisionen bleiben ebenso wie die zu Ungunsten der Angeklagten eingelegten, jeweils auf die Sachrüge gestützten und vom Generalbundesanwalt teilweise vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg.

1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen geriet der Angeklagte A. Anfang September 2009 in Verdacht, aus einem Café heraus in großem Umfang mit Heroin zu handeln. Seit 1. November 2009 setzte das Landeskriminalamt Berlin die aus dem kriminellen Milieu stammende, seit über zehn Jahren im Drogen-, Waffen- und Falschgeldbereich tätige sowie als sehr erfahren und stets zuverlässig geltende Vertrauensperson (VP) "M." ein, ohne dies aktenkundig zu machen. Sie sollte für ihre Tätigkeit über die Auslagenerstattung hinaus Honorare für die jeweiligen Einsatztage sowie eine Erfolgsprämie erhalten, "die ... bei einer großen Sicherstellungsmenge höher ausfallen sollte als bei einer kleineren" (UA S. 13).

"M." suchte in den folgenden Monaten häufig das fragliche "Café A." auf und kam alsbald mit dem Angeklagten A. ins Gespräch; dieser Erstkontakt wurde lediglich in einem polizeiinternen Treffbericht festgehalten und erst nach Anklageerhebung aktenkundig (UA S. 14). "M." wurde nunmehr mit der Legende ausgestattet, selbst mit Heroin zu handeln, das er "über Bremerhaven in Containern einführe und durch einen Kontakt zu einem Hafenarbeiter namens ´Kl. ` an der Zollkontrolle vorbei aus dem Hafenbereich" schaffen könne (UA S. 15 f.).

Vom 7. Dezember 2009 bis 5. Januar 2010 war in Richtung des "Cafés A." eine Überwachungskamera installiert. Deren Aufzeichnungen wurden ausgewertet, ein Bericht hierüber wurde nicht gefertigt. Das Videomaterial wurde gelöscht, da es "aus Sicht der Ermittler nicht ergiebig war". Auch diese Ermittlungsmaßnahme wurde in den Akten erst nach der Anklageerhebung erwähnt (UA S. 18).

Am 23. Februar 2010 schilderte "M." in einem Hinterzimmer des "Cafés A." - entsprechend seiner Legende - seine Heroingeschäfte und fragte den Angeklagten, ob sie "nicht zusammen Geld verdienen" wollten. Dieser antwortete jedoch "spontan, dass er mit dem ´Dreckszeug Heroin` nichts zu tun haben wolle". Im weiteren Gespräch ließ er erkennen, dass Haschisch und Kokain "für ihn etwas anderes seien und er dagegen nicht so eine Abscheu habe wie gegen Heroin". Noch am selben Tag berichtete "M." dagegen seiner polizeilichen Führung, das Gespräch sei auf Initiative des Angeklagten A. zustande gekommen, der "insgesamt sehr begierig" auf die Bremerhavener Kontakte gewesen sei. Dessen Abneigung gegen Heroin erwähnte er nicht. In der hierüber gefertigten "Quellenvernehmung", der ersten von insgesamt 81, wurde die seit Mitte November 2009 erfolgte Fortführung des Einsatzes "M. s" erstmals aktenkundig gemacht (UA S. 19 f.).

Der Angeklagte fand die Idee eines wegen der Kontakte "M. s" anscheinend einfach zu gestaltenden Einfuhrschmuggels von Kokain "sehr faszinierend und verlockend. Um nicht unbedarft zu erscheinen", gab er auf die Frage "M. s" wahrheitswidrig an, über "entsprechende Kontakte" zu verfügen und sich "mal umzuhören" (UA S. 21).

Da "M." bis Anfang Mai 2010 trotz dieser Bemühungen nichts über Handelstätigkeiten erfahren hatte und "auch anderweitige neue Ermittlungserkenntnisse hierzu nicht vorlagen", wurde er vom VP-Führer beauftragt, "aktiv" an den Angeklagten A. heranzutreten. Dies tat er am 4. Mai 2010, indem er dem Angeklagten vorspiegelte, sich für diesen bei seinem "Mann in Bremerhaven, der beim Zoll arbeite und für die Containereinfuhr zuständig sei, ... eingesetzt zu haben"; dieser sei hundertprozentig verlässlich und zu einer Zusammenarbeit mit dem Angeklagten bereit. "Es wäre die leichteste und sicherste Methode, Geld zu verdienen. Je größer die Lieferung, desto größer der Gewinn." Der Angeklagte fand dies interessant, wollte den Mann aber zuvor kennenlernen, um sich selbst ein Bild machen zu können. Seiner polizeilichen Führung gegenüber gab "M." dagegen an, der Angeklagte habe von sich aus nach Einzelheiten der Abwicklung gefragt. Er habe geantwortet, "dass der Mann im Hafen mindestens 50.000 Euro verlange" (UA S. 22 f.).

Obwohl "M." dem Angeklagten A. in der Folge noch mehrmals anbot, mit ihm nach Bremerhaven zu fahren, ging dieser darauf nicht ein, weil er "den Gedanken an ein Drogengeschäft aus eigenem Antrieb ... nicht weiterverfolgte". Auch wenn er "M." wahrheitswidrig Gegenteiliges sagte, verfügte er "weder über entsprechende Kontakte noch über ausreichende finanzielle Mittel, ... zumal ´M. ` ... stets auch weitere 50.000 Euro für sich selbst verlangte" (UA S. 23 f.). Als der Angeklagte im Juli 2010 130.000 Euro aus einer Erbschaft erhielt, verlieh er das Geld an zwei Bekannte.

Da "M." ihm nach wie vor regelmäßig die Nutzung der günstigen Einfuhrmöglichkeit eröffnete, versuchte der Angeklagte etwa zur selben Zeit gleichwohl erstmals, einen Kontakt zu einem Kokain-Lieferanten herzustellen. "M. s" Einsatz wurde nun mit Blick auf die polizeilich konstruierte Bremerhavener Einfuhrmöglichkeit fortgesetzt, obwohl sich fast neun Monate nach seinem Beginn keine Anhaltspunkte für eigene Kokain- oder gar - dem Anfangsverdacht entsprechend - Heroingeschäfte des Angeklagten ergeben hatten (UA S. 25).

Am 6. August 2010 fuhren der Angeklagte und "M." nach Bremerhaven, um den "Hafenmitarbeiter ´Kl.`" zu treffen. Bei diesem handelte es sich um einen zunächst nicht offen ermittelnden Polizeibeamten, der dann aber seit 24. September 2010 als Verdeckter Ermittler (VE) eingesetzt wurde. Während der Hinfahrt hatte "M." vom Angeklagten verlangt, dieser solle sich szenebedingt als "Ma." vorstellen und "unter vier Augen ... schnell zur Sache kommen". Daher erörterte der Angeklagte mit "Kl." sogleich, ob dieser beim Schmuggel von Taschen mit Kokain im Rahmen einer Containerlieferung aus Südamerika behilflich sein könne. Entsprechend der entworfenen Legende bejahte "Kl.", jedoch seien 50.000 Euro an ihn zu zahlen. Abschließend kündigte der Angeklagte A. - ohne derartige Kontakte zu haben - an, "nun werde er jemanden nach Südamerika schicken, um dort Vorbereitungen für den Transport in die Wege zu leiten". Er war von dem Treffen "sehr beeindruckt" und wollte sich "eine solch einmalige Gelegenheit ... nicht entgehen lassen" (UA S. 26 f.).

In der "Quellenvernehmung" am Folgetag gab "M." - möglicherweise wiederum wahrheitswidrig - an, auf der Fahrt nach Bremerhaven habe der Angeklagte von einem "Deal" mit 270 kg Rauschgift in Mazedonien berichtet, der gescheitert sei, weil das Transportschiff zu groß für einen der dortigen Häfen gewesen sei. Dies glaubten die Ermittler ohne weitere Prüfung, obwohl Mazedonien als Binnenstaat über keinen Hafen verfügt (UA S. 27 f.).

Da "M." weiter drängte, sprach der Angeklagte A. den mit ihm befreundeten Angeklagten U. an. Dieser war im Jahr 2007 in den Niederlanden wegen Schmuggels "einer Partie Kokain im Umfang von insgesamt drei Kilogramm ... nach Belgien" zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden und sollte sich nun an einen in der Türkei Inhaftierten wenden, der Kontakte zu Kokainhändlern haben sollte; dies misslang (UA S. 28). Dennoch berichtete "M." seinem VP-Führer, dass der Angeklagte A. gesagt habe, "dass es bald losgehe" (UA S. 28 f.).

Etwa Anfang Oktober 2010 wandte sich der Angeklagte A. an den lediglich einmal nicht einschlägig vorbestraften Angeklagten Sa. den er seit 20 Jahren gut kannte, schilderte ihm die "sich nur einmal im Leben bietende günstige Gelegenheit" und bat ihn um Unterstützung bei dem Kokainimport. Er versprach sich vom Angeklagten Sa., dieser werde in Südamerika Informationen sammeln "und möglicherweise auch bereits eine Kokainlieferung ... nach Bremerhaven vorbereiten". Mit Blick auf die zu diesem Zweck in Aussicht gestellten 50.000 Euro, auf deren Erhalt es ihm in erster Linie ankam, ging der in Wahrheit noch unentschlossene Angeklagte Sa. "formal" auf den Vorschlag ein.

Am 20. Oktober 2010 kam es in Bremerhaven zu einem weiteren Treffen von "Kl." mit "M." und dem Angeklagten A., bei dem dieser von "zwei möglichen Lieferschienen" sprach, ein Übergabeort ausgesucht und vereinbart wurde, dass die Hälfte der "Provisionszahlung" vor der Warenübergabe erfolgen solle (UA S. 29 f.).

Am 8. Februar 2011 berichtete "M." in einer "Quellenvernehmung", der Angeklagte A. habe eingeräumt, "dass der angekündigte Transport nicht klappen würde", zugleich aber versprochen, "dass die Sachen in ein bis anderthalb Monaten" über "seinen ´großen Mann` in der Türkei ... da seien". Anhaltspunkte für im Übrigen betriebene Kokaingeschäfte des Angeklagten A. lagen weiterhin nicht vor; derartige Ermittlungen wurden auch nicht geführt (UA S. 30 f.).

Vor diesem Hintergrund zweifelte der Angeklagte A. selbst daran, Kokain besorgen zu können. Vom mittlerweile - scheinbar - zum Freund gewordenen "M." durch entsprechende Redeweisen "an der Ehre gepackt" und unter Druck gesetzt, entschied er sich jedoch zum Weitermachen. Deshalb brachte er den Angeklagten Sa. dazu, am 18. Februar 2011 nach Venezuela zu fliegen. Dieser kehrte jedoch am 1. März 2011 von dort zurück, ohne ein Kokaingeschäft auch nur angebahnt zu haben (UA S. 31 ff.). Auf "M. s" Initiative trafen sich dieser und der Angeklagte A. am 29. März 2011 in Magdeburg-Rothensee mit "Kl. ", um weitere Absprachen zu treffen (UA S. 33 f.).

Nach diesem etwa anderthalbjährigen Vorlauf kam es zum eigentlichen Tatgeschehen: Der mit dem Angeklagten A. befreundete und einige Jahre zuvor nur wegen Straßenverkehrsdelikten bestrafte Angeklagte So. wollte günstig arabischen Wasserpfeifentabak erwerben; A. wollte ihn hierbei finanziell unterstützen. Im April oder Mai 2011 fuhren die Angeklagten A. und So. in die Niederlande, um das - tatsächlich durchgeführte - Wasserpfeifentabakgeschäft abzuschließen. Dabei kam der Angeklagte A. mit dem Bekannten des Angeklagten So. auch über eine mögliche Kokainlieferung ins Gespräch, bei dem der Angeklagte A. von der (vermeintlichen) Möglichkeit berichtete, die Zollkontrolle in Bremerhaven "absolut sicher" zu umgehen. Der niederländische Bekannte sagte zu, sich um ein Treffen mit einem Mann, "der Kontakte nach Südamerika habe", zu bemühen. Am 17. Mai 2011 erhielt "M." vom VP-Führer den Auftrag, dem Angeklagten A. "zu sagen, die ganze Sache mit dem Kokaintransport zu vergessen, weil ´Kl. ` nicht glaube, dass A." diesen "wirklich ... bewerkstelligen könne" (UA S. 36).

Das avisierte Treffen fand am 25. Mai 2011 wiederum in den Niederlanden statt; hieran nahmen die Angeklagten A. und So., dessen niederländischer Bekannter (der "Araber") sowie möglicherweise zwei Südamerikaner teil. Während der Angeklagte A. erneut die sichere Einfuhrmöglichkeit schilderte, beteiligte sich der Angeklagte So. an den Verhandlungen nicht. Diese wurden in weiteren Treffen ab 30. Mai 2011 fortgesetzt. Hieran nahm neben den Angeklagten So. - der ursprünglichen Kontaktperson - und A. nun auch der Angeklagte Sa. als dessen "rechte Hand" teil. Letztlich einigte man sich, über die Bremerhavener "Einfuhrschiene" um die 100 kg Kokain einzuführen und zum gewinnbringenden Weiterverkauf nach Berlin zu bringen. 16 kg Kokain "von guter Qualität" sollte der Angeklagte A. erhalten, der mit einem Verkaufserlös zwischen 500.000 und 600.000 Euro rechnete. Die Angeklagten So. und Sa. rechneten für ihre Mitwirkung mit 10.000 Euro bzw. dem Erlass von Schulden (UA S. 37 ff.).

Unterdessen kam es am 31. Mai, 8. Juli und 2. August 2011 zu Treffen "M. s" und des Angeklagten A. mit "Kl.". Dieser erhielt dabei von "M." eine Geldzahlung und räumte die Besorgnis des Angeklagten A. aus, ein Container könne ohne sein Wissen "gescannt" werden. Gemeinsam wurde eine leere, zur Zwischenlagerung vorgesehene Wohnung besichtigt, die die Ermittlungsbehörden mit Mikrofonen ausgestattet und ebenso besorgt hatten wie einen - mit einer Fahrzeuginnenraumüberwachung versehenen - Kleintransporter, den der Angeklagte A. für erforderlich gehalten hatte. Dieser teilte "Kl." schließlich den fraglichen Container mit, übergab ihm 3.000 Euro als "Anzahlung" und erhielt den Schlüssel für die "Bunkerwohnung" (UA S. 41 f.).

Am Mittwoch, dem 17. August 2011, traf das Schiff "C. S." mit dem das Kokain enthaltenden Container in Bremerhaven ein. Noch am selben Tag begaben sich "M." und der Angeklagte A. in die "Bunkerwohnung"; letzterer händigte dort "Kl." 12.000 Euro aus und kündigte die Restzahlung für den bevorstehenden Montag an, womit "Kl." sich entsprechend den Vorgaben seiner Führung zufrieden gab. Das Abholen der Taschen im Hafen und deren Transport in die Wohnung wurden für den folgenden Vormittag vereinbart. Gegen 10.00 Uhr fuhren "Kl." und der Angeklagte A. mit dem Transporter zum Hafengelände, wo letzterer die Siegel des Containers auftrennte. Die darin aufgefundenen drei Taschen transportierten beide zur "Bunkerwohnung", in der "M." wartete. Dorthin bestellte der Angeklagte A. nun telefonisch den Angeklagten U., den er in den Wochen zuvor gewonnen hatte, den Weitertransport des Kokains nach Berlin zu organisieren. Der Angeklagte U. hatte zunächst wegen seiner Vorstrafe Bedenken gehabt, dann aber seine Hilfe zugesagt, weil er sich dem Angeklagten A. verpflichtet fühlte und dieser ihm vom "Einfluss seiner Leute" berichtet hatte. Der Angeklagte U. rechnete mit einer Menge Kokains zumindest guter Qualität im zweistelligen Kilogrammbereich und stellte sich eine Entlohnung in Höhe von ein paar Tausend Euro vor (UA S. 44 f.).

Der Angeklagte A. übergab dem Angeklagten U. die Wohnungsschlüssel und ließ sich von diesem gegen 11.20 Uhr zu einem Treffpunkt fahren, den er mit "M." und "Kl." vereinbart hatte. Der Angeklagte U. wiederum traf sich am Nachmittag mit dem unbestraften Angeklagten V., einem Speditionsfahrer. Dieser hatte im Juli 2011 zugesagt, für 1.000 Euro das Kokain - nach seiner Vorstellung im zweistelligen Kilogrammbereich - mit seinem beruflich genutzten Lkw nach Berlin zu schaffen, und dem Angeklagten U. zudem bereits am Wochenbeginn seinen privaten Pkw für die erforderlichen Fahrten, insbesondere für die Begleitung nach Berlin, überlassen. Gemeinsam fuhren die Angeklagten U. und V. in dessen Pkw zur "Bunkerwohnung", um das Kokain in das Auto zu laden. Nach ihrem Eintreffen und dem Beginn des Packens wurden sie dort von einem polizeilichen Sondereinsatzkommando festgenommen, das die Wohnung seit dem Morgen observiert hatte; 97,17 kg Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von fast 87 kg Cocainhydrochlorid wurden sichergestellt. Auch die übrigen Angeklagten wurden am selben Tag festgenommen (UA S. 45 ff.).

2. Das Landgericht hat diese Feststellungen im Wesentlichen aufgrund der Angaben der Angeklagten getroffen. Alle haben ihre jeweiligen Tatbeiträge in weitgehend miteinander kompatiblen Verteidigererklärungen eingeräumt. Diese Einlassungen hat das Landgericht als nicht zu widerlegen angesehen, obwohl nach den als Zeugen gehörten polizeilichen Führungsbeamten die VP "M." - die in der Hauptverhandlung nicht selbst vernommen werden konnte - ihnen gegenüber den gesamten Tathergang in über 80 Quellenvernehmungen "teilweise grob abweichend geschildert" hat, "insbesondere auch im Hinblick auf Art und Ausmaß ihrer Einflussnahme auf den Angeklagten A." (UA S. 89). Diesen nur durch Zeugen vom Hörensagen eingeführten, in den Urteilsgründen nicht näher dargelegten Angaben hat das Landgericht nur "geringen Beweiswert" zugebilligt, da es sich bei "M." um eine "Person aus dem kriminellen Milieu" handele, die "ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Angeklagten A. hatte" (UA S. 89 f.).

3. Das Landgericht hat vor allem wegen des "sehr langen Zeitraums", in dem "M." im Zuge einer Vielzahl legendenbildender Maßnahmen - ergänzt durch den eingebundenen VE "Kl." - mit erheblichen Verlockungen und Druck auf den Angeklagten A. eingewirkt hat und diesem auch im Übrigen die Begehung der ganz erheblich über den Anfangsverdacht hinausgehenden Tat seitens der Ermittlungsbehörden wesentlich erleichtert wurde, eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation bejaht (UA S. 96 ff.). Trotz der nur mittelbaren Einflussnahme hat es eine solche auch hinsichtlich der Angeklagten Sa. und So. angenommen, weil diese "ihre Tatbeiträge gerade im Hinblick auf den infolge der staatlichen Einflussnahme sicher erscheinenden Einfuhrweg erbracht haben" (UA S. 104).

An Schuldsprüchen hat sich das Landgericht hierdurch aber im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gehindert gesehen (UA S. 95). Es hat stattdessen den "schweren Makel" der unzulässigen, beim Angeklagten A. "besonders massiven" Tatprovokation bei den drei genannten Angeklagten mit herangezogen, um den jeweils bejahten minder schweren Fall (§ 29a Abs. 2, § 30 Abs. 2 BtMG) zu begründen, und hat daher Freiheitsstrafen verhängt, die erheblich unter den vom Landgericht sonst als schuldangemessen angesehenen geblieben sind (Angeklagter A. : "nicht unter zehn Jahren"; Angeklagte Sa. und So. : "nicht unter sieben Jahren"). Bei den Angeklagten U. und V. hat es die staatliche Tatprovokation allgemein strafmildernd berücksichtigt.

4. Die Angeklagten streben jeweils die Einstellung des Verfahrens an, der Angeklagte So. aber nur hilfsweise für den Fall, dass er nicht freigesprochen wird. Alle Angeklagten wenden sich hilfsweise gegen den sie jeweils betreffenden Strafausspruch. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft rügen im Wesentlichen die Feststellungen zur rechtsstaatswidrigen Tatprovokation als unzureichend, weil der Inhalt der über 80 mit "M." durchgeführten Quellenvernehmungen im Urteil nicht mitgeteilt wird, und beanstanden ferner - nur insoweit vom Generalbundesanwalt vertreten - die nach den Feststellungen zur Tatprovokation vom Landgericht für die Strafzumessung gezogenen Folgerungen.

II. Die von den Angeklagten A. und So. erhobenen Verfahrensrügen erweisen sich durchgängig als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), da jeweils in Bezug genommene Stellungnahmen und Schriftstücke nicht bzw. sonstige Verfahrenstatsachen nicht vollständig mitgeteilt werden. Der Erörterung bedarf danach allein die Anwendung des materiellen Rechts durch das Landgericht.

1. Die Prüfung aufgrund der Revisionen der Angeklagten hat Folgendes ergeben: Der Verurteilung der Angeklagten steht kein Verfahrenshindernis entgegen (lit. a). Die Schuldsprüche erweisen sich ebenso als rechtsfehlerfrei (lit. b) wie die Strafaussprüche (lit. c).

a) Die Annahme des Landgerichts, durch den festgestellten Einsatz verdeckt agierender Personen sei gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verstoßen worden, ist rechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Die Strafkammer hat zunächst zu Recht angenommen, der Angeklagte A. sei zu seiner Tat rechtsstaatswidrig provoziert worden. Zwar bestand gegen ihn zunächst ein gewisser Anfangsverdacht. In der Folge wurde das tatprovozierende Verhalten aber bei Abwägung aller Umstände "unvertretbar übergewichtig" (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1983 - 2 StR 370/83, NStZ 1984, 78, 79; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 853). Hierbei durfte das Landgericht maßgeblich auf den außergewöhnlich langen Zeitraum abstellen, während dessen nicht nur durch die VP "M. ", sondern ergänzend durch den VE "Kl. in vielfältiger, einen hohen Tatanreiz schaffender Weise - auch mit gewissem Druck - auf den Angeklagten eingewirkt sowie die Durchführung der Kokaineinfuhr seitens der Ermittlungsbehörden zudem durch weiteres Tun wesentlich erleichtert worden ist. Es durfte weiter berücksichtigen, dass der Umfang der staatlicherseits initiierten Tat um ein Vielfaches über das Ausmaß des ursprünglichen Anfangsverdachtes hinausging und die übrigen Ermittlungen - soweit sie überhaupt geführt wurden - keinerlei belastende Momente ergeben haben. In der Gesamtschau spricht letztlich nichts dafür, dass der bislang unbestrafte Angeklagte A. die Tat ohne die gewichtigen Maßnahmen der Ermittlungsbehörden und das dem Staat zuzurechnende (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336) Vorgehen "M. s" verübt hätte. Das Verfahren war mithin nicht fair im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (vgl. EGMR [Große Kammer], NJW 2009, 3565, 3568).

bb) Bei der festgestellten besonderen Fallgestaltung durfte das Landgericht auch in Bezug auf die Angeklagten Sa. und So. einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens bejahen. Zu diesen beiden hatten die VP "M." und der VE "Kl." nach den Feststellungen allerdings keinen unmittelbaren Kontakt, so dass es an einer direkten staatlichen Einflussnahme fehlt (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom 17. März 1994 - 1 StR 1/94, NStZ 1994, 335; vom 17. August 2004 - 1 StR 315/04, NStZ 2005, 43). Allein deshalb stehen Rechtsgründe der Annahme einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation jedoch nicht von vornherein entgegen. Denn eine solche kommt etwa auch dergestalt in Betracht, dass der durch die Vertrauensperson Provozierte deren Anweisung befolgt, einen weiteren Beteiligten in die Tat zu verstricken (vgl. zu dieser Konstellation BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 334).

Eine derartige ausdrückliche Anweisung ist zwar nicht festgestellt worden. Dem Urteil lässt sich aber entnehmen, dass "die Ermittlungsbehörden ... stets damit gerechnet" haben, "dass der Angeklagte A. einen Betäubungsmittelschmuggel nicht alleine begehen, sondern dabei zumindest Helfer haben werde. Ihnen war daher bewusst, dass sich die provozierende Wirkung des zur Verfügung gestellten Einfuhrweges auch auf andere Personen als den Angeklagten A. erstrecken würde" (UA S. 104). Angesichts der Größe des Drogengeschäfts erscheint diese Einschätzung als geradezu zwingend. Tatsächlich sind die Angeklagten Sa. und So. wesentlich durch das seitens des Staates geschaffene, ihnen vom Angeklagten A. erwartungsgemäß vermittelte Szenario beeinflusst worden, da sie "ihre Tatbeiträge gerade im Hinblick auf den infolge der staatlichen Einflussnahme sicher erscheinenden Einfuhrweg erbracht haben" (UA S. 104). Angesichts dessen hält der Senat die landgerichtliche Bewertung der nur mittelbaren Einwirkung auf die beiden im Lager des unmittelbar provozierten A. stehenden Angeklagten für rechtsfehlerfrei.

cc) Eine rechtsstaatswidrige Tatprovokation zieht jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kein Verfahrenshindernis nach sich; ihr ist vielmehr im Rahmen der Strafzumessung Rechnung zu tragen (sogenannte Strafzumessungslösung). Für diese Auffassung ist maßgebend, dass selbst ein massiver Verstoß gegen § 136a StPO nach ausdrücklicher gesetzlicher Regelung lediglich zu einem Beweisverwertungsverbot führt, nach den Prinzipien des deutschen Verfahrensrechts ein Beweisverbot stets nur die jeweils unzulässige Ermittlungshandlung betrifft und im Falle eines Verfahrenshindernisses der Schutz unbeteiligter Dritter sowie ihrer Individualrechtsgüter - etwa Leib und Leben - Not leiden (vgl. BGH, aaO, 323, 334; siehe auch Urteil vom 23. Mai 1984 - 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 353), ferner die Genugtuungsfunktion des Strafrechts verfehlt werden könnte. Angesichts dieser gewichtigen Argumente gibt der vorliegende Fall einer - freilich besonders schwerwiegenden - rechtsstaatswidrigen Einwirkung auf drei der Angeklagten keinen Anlass, über die bisherige Rechtsprechung hinauszugehen. Dies gilt jedenfalls angesichts einer nur verhältnismäßig gering zu gewichtenden Zwangseinwirkung durch die VP auf den Angeklagten A. und unter Berücksichtigung von dessen nach der Tatprovokation aufgewendeter erheblicher krimineller Energie bei zugleich nur mittelbarer Einwirkung auf die beiden anderen betroffenen Angeklagten.

Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass durch das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt vom 25. Dezember 2008 (BGBl. I S. 3083, 3085) in § 20g Abs. 2 Nr. 4 BKAG mit Wirkung zum 1. Januar 2009 der "Einsatz von Privatpersonen, deren Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensperson)", normiert worden ist. Denn diese Regelung betrifft primär polizeirechtliche Präventivmaßnahmen innerhalb eines speziellen Anwendungsbereichs. Sie legt den von der Revision des Angeklagten A. befürworteten Schluss nicht nahe, der Gesetzgeber habe durch diese - sich auf die dem Bundeskriminalamt in § 4a Abs. 1 BKAG übertragenen Aufgaben beziehende - Teilregelung einen nicht ausdrücklich gesetzlich normierten Einsatz von Vertrauenspersonen im Rahmen des Strafverfahrens als nicht mehr zulässig ansehen wollen. Ein dahingehender Wille des Gesetzgebers lässt sich insbesondere den Materialien nicht entnehmen (vgl. BTDrucks. 16/10121 S. 16, 25).

b) Die Schuldsprüche sind rechtlich nicht zu beanstanden. Ihnen liegen Feststellungen zugrunde, die ohne einen die jeweils glaubhaft geständigen Angeklagten benachteiligenden Rechtsfehler zustande gekommen sind.

c) Auch die Strafaussprüche sind sorgfältig und rechtsfehlerfrei begründet worden und haben daher Bestand. Das Landgericht hat bei ihrer Festsetzung dem außergewöhnlichen, in einem Rechtsstaat nicht mehr hinnehmbaren Gesamtgewicht des festgestellten Einsatzes der VP "M." und des VE "Kl." sowie der sonstigen die Tat fördernden Maßnahmen der Ermittlungsbehörden in - angesichts der erheblichen Menge des eingeführten und für den Handel bestimmten Kokains guter Qualität einerseits und deren Sicherstellung aufgrund der umfassenden polizeilichen Überwachung andererseits (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BGH, Beschluss vom 19. Mai 1987 - 1 StR 202/87, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 1; Urteil vom 16. März 1995 - 4 StR 111/95, BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 28) - noch hinreichendem Maße Rechnung getragen, und zwar bei allen Angeklagten. Das nur begrenzt eingesetzte Druckpotential und die erheblichen kriminellen Aktivitäten der Angeklagten, insbesondere des Hauptangeklagten A., machten eine noch stärkere Strafreduktion bis hin zur Grenze der Aussetzungsfähigkeit der Freiheitsstrafen nicht erforderlich.

2. Mit ihren Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft vor allem gegen die Beweiswürdigung, soweit diese die Tatsachen betrifft, die der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation zugrunde liegen, im Übrigen gegen die Strafzumessung. Sie haben keinen Erfolg.

a) Die - vom Revisionsgericht ohnehin nur eingeschränkt überprüfbare - tatgerichtliche Beweiswürdigung erweist sich vorliegend insbesondere nicht als lückenhaft. Dem Landgericht ist namentlich bei der Einschätzung des Beweiswertes der Angaben "M. s" als gering kein Rechtsfehler unterlaufen. Es durfte insofern berücksichtigen, dass die Vertrauensperson "aus dem kriminellen Milieu" stammt, "ein erhebliches finanzielles Eigeninteresse an der Überführung des Angeklagten A. hatte" und ihre Angaben lediglich über Zeugen vom Hörensagen in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnten (zum hierdurch geminderten Beweiswert vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 340; Beschluss vom 4. März 2003 - 4 StR 543/02). Bei dieser Beweislage war es - ungeachtet der überaus breiten wörtlichen Wiedergabe der Angeklagteneinlassungen - nicht gehalten, Näheres zum Inhalt der über 80 "Quellenvernehmungen" mitzuteilen, weil sich hierdurch, wie auch der Generalbundesanwalt meint, nichts für die Beweiswürdigung Gewichtiges hätte ergeben können. Für diese Bewertung hält der Senat zwei weitere Umstände für bedeutsam:

aa) Die Polizei ist verpflichtet, eine von ihr beauftragte Vertrauensperson bestmöglich zu überwachen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 336). Es muss der Gefahr begegnet werden, dass diese den ihr staatlicherseits erteilten Auftrag missbraucht (vgl. BGH, Urteil vom 23. Mai 1984 - 1 StR 148/84, BGHSt 32, 345, 353). Dies gilt besonders dann, wenn die Vertrauensperson - wie häufig und auch vorliegend offenbar in erheblichem Ausmaß - selbst aus dem kriminellen Milieu stammt. Wie das Landgericht zutreffend dargelegt hat (UA S. 102), war die Kontrollpflicht nicht dadurch relativiert oder gar entfallen, dass "M.", ohne dass das näher konkretisierbar war, sich in der Vergangenheit als zuverlässig erwiesen hatte (vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 854).

Seine Kontrolle ist jedoch nicht im gebotenen Maße erfolgt. Dies hat es ermöglicht, dass "M." nach den Feststellungen im Rahmen der "Quellenvernehmungen" mehrfach wahrheitswidrige Angaben machen konnte - etwa zu Kontakten und dem Verhalten des Angeklagten A. -, ohne dass diese seitens der Ermittlungsbehörden auch nur in Frage gestellt wurden. Namentlich die Vernehmungsbeamten wären zur Prüfung verpflichtet gewesen, ob die Schilderungen "M. s" in sich stimmig und mit sonstigen Ermittlungsergebnissen vereinbar waren. Hierbei hätte jede Gelegenheit ergriffen werden müssen, objektivierbare Daten zu überprüfen.

bb) Darüber hinaus wurde bei den Ermittlungen mehrfach gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und -vollständigkeit verstoßen. Der Einsatz "M. s" blieb über mehrere Monate in den Akten völlig unerwähnt. Sein Erstkontakt mit dem Angeklagten A. wurde zunächst lediglich in einem polizeiinternen Treffbericht festgehalten und erst nach Anklageerhebung aktenkundig. Dies gilt auch für den Umstand, dass für die Dauer eines Monats in Richtung des "Cafés A." eine Überwachungskamera installiert war. Deren Aufzeichnungen wurden ausgewertet, ohne dass hierüber ein Bericht angefertigt wurde. Zudem wurde das Videomaterial gelöscht, da es "aus Sicht der Ermittler nicht ergiebig war".

Ein solches Vorgehen ist in einem rechtsstaatlichen Verfahren nicht hinnehmbar. Es steht nicht im Belieben der Ermittlungsbehörden, ob sie strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in den Akten vermerken und zu welchem Zeitpunkt sie dies tun. Das Tatgericht muss den Gang des Verfahrens ohne Abstriche nachvollziehen können. Dies ist kein Selbstzweck, sondern soll die ordnungsgemäße Vorbereitung der Hauptverhandlung durch das Gericht und die übrigen Verfahrensbeteiligten gewährleisten (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 1999 - 1 StR 221/99, BGHSt 45, 321, 338 f.; LG Berlin StV 1986, 96; Urteil vom 23. April 2008 - [528] 1 Kap Js 1946/06 KLs [11/07]). Zudem muss in einem Rechtsstaat schon der bloße Anschein, die Ermittlungsbehörden wollten etwas verbergen, vermieden werden. Deshalb sollte in den Akten ebenfalls vermerkt sein, ob eine Vertrauensperson für ihre Tätigkeit eine Entlohnung zugesagt bekommen oder gar erhalten hat. Der Senat weist darauf hin, dass Höhe und Erfolgsbezogenheit des jeweiligen Honorars im Rahmen der gebotenen umfassenden Beweiswürdigung für die Bewertung des Motivs der Vertrauensperson, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, relevant sein und entscheidungserhebliche Bedeutung erlangen kann.

Angesichts von Qualität und Quantität des festgestellten Vorgehens "M. s" ist der vom Landgericht gezogene Schluss, der Angeklagte A. sei hierdurch zu dem Drogengeschäft sehr großen Ausmaßes veranlasst worden, nicht zu beanstanden, sondern vielmehr naheliegend. Eine die Vernehmungen "M. s" betreffende Aufklärungsrüge haben die staatsanwaltschaftlichen Revisionen nicht erhoben.

cc) Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass rechtsstaatliche Belange namentlich auch durch ein etwaiges Strafverfahren gegen die VP zu gewährleisten sind. In Fällen einer Tatprovokation der hier vorliegenden Art besteht für die Staatsanwaltschaft Anlass, bei Verdacht eines zielstrebig und unbedingt auf einen großen Betäubungsmittelumsatz gerichteten, grob rechtswidrigen Verhaltens einer VP deren strafrechtliche Verantwortlichkeit zu überprüfen.

b) Die Strafzumessung enthält ebenfalls keinen die Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler. Insbesondere ist die Differenz zwischen den verhängten und den ohne die unzulässige Tatprovokation vom Landgericht als angemessen angesehenen Strafen angesichts des Ausmaßes der Rechtsstaatswidrigkeit nicht etwa unangemessen hoch.

HRRS-Nummer: HRRS 2014 Nr. 163

Externe Fundstellen: StV 2014, 321

Bearbeiter: Christian Becker