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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 562

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 337/22, Beschluss v. 01.02.2023, HRRS 2023 Nr. 562


BGH 4 StR 337/22 - Beschluss vom 1. Februar 2023 (LG Münster)

Konkurrenzen (mittelbare Täterschaft: individuelle Gegebenheiten des eigenen Tatbeitrags; Tatmehrheit); Urteilstenor (rechtliche Bezeichnung der Tat: gesetzliches Regelbeispiel, Schuldform).

§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB; § 53 StGB; § 260 StPO

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten C. wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 13. April 2022, soweit es ihn betrifft,

a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte C. der Urkundenfälschung in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug, und des Betruges schuldig ist,

b) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen II. 2. b) (2) bis (7) der Urteilsgründe und über die Gesamtstrafe aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

2. Die Revision des Angeklagten P. gegen das Urteil des Landgerichts Münster vom 13. April 2022 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte P. wegen Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis sowie Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen in zwei tateinheitlichen Fällen verurteilt ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten C. der „gewerbsmäßigen Urkundenfälschung in sechs Fällen, in zwei Fällen davon in Tateinheit mit Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug“, des Betruges sowie der Urkundenfälschung schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten P. hat das Landgericht der „Beihilfe zum gewerbsmäßigen Betrug in zwei Fällen, des Fahrens ohne Fahrerlaubnis“ sowie des Verschaffens von falschen amtlichen Ausweisen in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wenden sich die Angeklagten mit ihren jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen. Das Rechtsmittel des Angeklagten C. hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; die Revision des Angeklagten P. führt lediglich zu einer Berichtigung der Urteilsformel. Im Übrigen sind die beiden Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Nach den Feststellungen zu den Fällen II. 2. b) (2) bis (7) der Urteilsgründe verschaffte sich der Angeklagte C. Kontokarten („EC-Karten“) rumänischer Saisonarbeiter, die er vorgeblich bei der Arbeitssuche in Deutschland unterstützte. Die Kontokarten gab er entgeltlich an unbekannte Dritte weiter, die zumindest einige der Konten für Betrugszwecke einsetzten, was der Angeklagte billigend in Kauf nahm. Nach dem Tatplan des Angeklagten C. verwendeten die gutgläubigen Saisonarbeiter bei der Kontoeröffnung von ihm zur Verfügung gestellte nachgemachte Meldebescheinigungen, um den Bankmitarbeitern das Bestehen einer Meldeanschrift vorzutäuschen. Später ließ der Angeklagte C. die postalisch an diese Anschrift übersandten Kontokarten abfangen und reichte sie an die dritten Personen weiter. Im Einzelnen veranlasste der Angeklagte C. am 19. Juni und am 21. August 2020 den Angeklagten P., zwei bzw. vier Saisonarbeiter zu einer Bankfiliale zu begleiten, wo sie entsprechend dem Tatplan Girokonten eröffneten. Der Angeklagte P. fungierte als Dolmetscher. In den Tatplan war er eingeweiht; dass er auch von den Fälschungen wusste, hat das Landgericht jedoch nicht festzustellen vermocht. Nach Abfangen und Weitergabe der Kontokarten wurde jeweils eines der im Juni und August 2020 eröffneten Konten für Betrugszwecke verwendet.

II.

1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte C. habe sich in den Fällen II. 2. b) (2) bis (7) der Urteilsgründe der „gewerbsmäßigen“ Urkundenfälschung in sechs tatmehrheitlichen Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit Beihilfe zum „gewerbsmäßigen“ Betrug (Taten II. 2. b) (2) und (7) der Urteilsgründe), schuldig gemacht, hält im Hinblick auf die Bewertung der Konkurrenzen revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Angeklagte C. jeweils in mittelbarer Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1 Var. 2 StGB eine Urkundenfälschung im Sinne von § 267 Abs. 1 Var. 3 StGB begangen hat, indem er die gutgläubigen Saisonmitarbeiter dazu veranlasste, gefälschte Meldebescheinigungen vorzulegen.

Im Falle mittelbarer Täterschaft bestimmt sich jedoch das Konkurrenzverhältnis mehrerer Gesetzesverletzungen für den Täter ausschließlich nach den individuellen Gegebenheiten seines eigenen Tatbeitrags (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2004 - 1 StR 99/04 Rn. 1; Beschluss vom 23. September 2003 - 3 StR 294/03 Rn. 8; Urteil vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218 Rn. 91).

Dies hat zur Folge, dass in Bezug auf den Angeklagten C. nur zwei tatmehrheitlich begangene Urkundenfälschungen jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum Betrug vorliegen. Denn sowohl die Vorlage der beiden gefälschten Meldebescheinigungen am 19. Juni 2020 (Fälle II. 2. b) (2) und (3) der Urteilsgründe) als auch die Vorlage der vier weiteren gefälschten Meldebescheinigungen am 21. August 2020 (Fälle II. 2. b) (4) bis (7) der Urteilsgründe) wurden durch jeweils nur einen Akt veranlasst (vgl. dazu, BGH, Beschluss vom 11. Mai 2022 - 4 StR 44/22 Rn. 4, NStZ 2023, 164 mwN). Dem Zusammenhang der Urteilsgründe entnimmt der Senat dabei, dass der Angeklagte C. an beiden Tagen dem Angeklagten P. jeweils nur eine einzige Anweisung erteilte.

b) Der Senat kann den Schuldspruch selbst ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte C. gegen die Annahme von lediglich zwei tatmehrheitlichen Fällen nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

Der Senat berichtigt außerdem die Urteilsformel. Die Gewerbsmäßigkeit des Handelns des Angeklagten ist nicht aufzunehmen, da sie lediglich das Vorliegen eines gesetzlichen Regelbeispiels umschreibt und damit nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat im Sinne von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 4 StR 474/20 Rn. 2; Beschluss vom 29. Juli 2020 - 4 StR 218/20 Rn. 2; Beschluss vom 15. April 2009 - 3 StR 128/09).

Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen II. 2. b) (2) bis (7) der Urteilsgründe und zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten C. ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

III.

1. Hinsichtlich des Angeklagten P. ist lediglich der Urteilstenor - wie aus der Beschlussformel ersichtlich - zu berichtigen.

a) Die Gewerbsmäßigkeit des Handelns des Angeklagten ist nicht aufzunehmen, da sie lediglich das Vorliegen eines gesetzlichen Regelbeispiels umschreibt und damit nicht zur rechtlichen Bezeichnung der Tat im Sinne von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO gehört (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Januar 2021 - 4 StR 474/20 Rn. 2; Beschluss vom 29. Juli 2020 - 4 StR 218/20 Rn. 2; Beschluss vom 15. April 2009 - 3 StR 128/09).

b) Bei der rechtlichen Bezeichnung der Tat im Sinne von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO muss sich die Schuldform - Verurteilung wegen vorsätzlichen oder fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis - bereits aus dem Urteilstenor ergeben (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Februar 2022 - 4 StR 495/21 Rn. 12 mwN; Beschluss vom 25. August 1983 - 4 StR 452/83 Rn. 14, VRS 65, 359 [zu § 315c und § 316 StGB]). Der Senat ergänzt den Urteilstenor entsprechend, da der Angeklagte P. ausweislich der Urteilsgründe im Fall II. 3. b) vorsätzlich handelte.

2. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten P. ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

3. Der geringe Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten P. mit den Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

4. Die beantragte Aufhebung des Haftbefehls kommt mangels Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (§ 126 Abs. 3 StPO) nicht in Betracht.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 562

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede