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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 555

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 274/22, Beschluss v. 19.01.2023, HRRS 2023 Nr. 555


BGH 4 StR 274/22 - Beschluss vom 19. Januar 2023 (LG Bielefeld)

Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Konkurrenzen: Tateinheit, mehrere Taten, Überschneidung der tatbestandlichen Ausführungshandlungen, gleichzeitiger Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte, enger räumlicher und zeitlicher Zusammenhang).

§ 52 StGB; § 30a BtMG

Leitsatz des Bearbeiters

Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln anzusehen ist, begründet der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte jedenfalls dann Tateinheit, wenn die Art und Weise der Besitzausübung wegen eines engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 10. März 2022 im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen sowie des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig ist.

Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, wobei er in einem Fall Gegenstände mit sich führte, die zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind“, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sieben Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.

Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und zum Wegfall einer Einzelstrafe; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Annahme rechtlich selbständiger Taten in den Fällen II.1. b) cc) und dd) der Urteilsgründe hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil sich die beiden Ausführungshandlungen teilweise überschneiden und die Taten deshalb im Verhältnis der Tateinheit (§ 52 Abs. 1 StGB) zueinander stehen.

a) Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte am 25. Juni 2021 zehn Kilogramm Marihuana zum gewinnbringenden Weiterverkauf von einem Lieferanten, wovon er etwa fünf Kilogramm an unbekannte Abnehmer verkaufte (Tat II.1. b) cc)). Am 2. Juli 2021 erwarb er weitere fünf Kilogramm Marihuana zum Zwecke des gewinnbringenden Weiterverkaufs, von denen er etwa zwei Kilogramm an unbekannte Abnehmer veräußerte (Tat II.1. b) dd)). Am 7. Juli 2021 lagerte der Angeklagte eine Restmenge von insgesamt 4.927,39 Gramm aus der Lieferung vom 25. Juni 2021 verpackt in insgesamt siebzehn Teilmengen zwischen vier und 1.249 Gramm u.a. in der von ihm bewohnten Wohnung, wobei er diese Betäubungsmittel im Wohnzimmer sowie weitere Teilmengen in anderen Räumlichkeiten seiner Wohnung verwahrte. Zudem lagerte er die Restmenge aus der Tat vom 2. Juli 2021 von insgesamt 2.977,93 Gramm Marihuana - verpackt in sechs Einzelmengen von jeweils ca. 500 Gramm - in einer im Wohnzimmer aufgefundenen Sporttasche.

b) Das Landgericht hat bei der Annahme von Tatmehrheit nicht berücksichtigt, dass mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, unabhängig vom Vorliegen einer Bewertungseinheit, zueinander dann in Tateinheit stehen, wenn sich ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen teilweise überschneiden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2018 - 3 StR 88/18, NStZ 2020, 42, 43; Beschluss vom 24. Januar 2017 - 3 StR 487/16, NStZ 2017, 711, 712; Beschluss vom 13. Oktober 1998 - 4 StR 315/98, NStZ-RR 1999, 119, 120). Da das Vorhalten einer Handelsmenge zum Vertrieb als Teilakt des Handeltreibens anzusehen ist, begründet der gleichzeitige Besitz zweier für den Verkauf bestimmter Vorräte jedenfalls dann Tateinheit, wenn die Art und Weise der Besitzausübung wegen eines engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs über eine bloße Gleichzeitigkeit hinausgeht und die Ausübung des Besitzes über die eine Menge zugleich die Ausübung der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die andere darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juni 2020 - 6 StR 162/20, juris Rn. 4; Beschluss vom 28. Mai 2018 - 3 StR 88/18, NStZ 2020, 42, 43; Urteil vom 2. April 2015 - 3 StR 642/14, juris Rn. 7). Bei der festgestellten Sachlage sind die Gesetzesverletzungen des Angeklagten durch dieselbe Handlung (§ 52 Abs. 1 StGB) begangen worden; es liegt somit nur eine Tat vor.

c) Der Senat hat den Schuldspruch dementsprechend selbst geändert (§ 354 Abs. 1 StPO entsprechend). § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.

Zugleich war der Schuldspruch dahingehend zu berichtigen, dass der Zusatz „unerlaubt“ hinsichtlich sämtlicher abgeurteilter Delikte zu entfallen hatte, da Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz ausschließlich den unerlaubten Umgang mit Betäubungsmitteln betreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. März 2021 - 3 StR 19/21, NStZ 2022, 301 mwN). Zudem war die Tenorierung des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG entsprechend der Beschlussformel neu zu fassen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2022 - 6 StR 588/21, juris Rn. 2).

2. Die Schuldspruchänderung führt zum Wegfall der vom Landgericht verhängten Einzelstrafe für die Tat II.1. b) dd) von einem Jahr und drei Monaten. Die Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sieben Monaten bleibt hiervon unberührt und kann bestehen bleiben. Mit Blick auf die Einsatzstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten sowie Anzahl und Höhe der weiteren Einzelstrafen (vier Mal jeweils ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe, zwei Mal je zwei Jahre Freiheitsstrafe und eine weitere Freiheitsstrafe von einem Jahr) kann der Senat ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung auf eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte.

3. Der geringfügige Erfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten von den durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten zu entlasten.

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 555

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede