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HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 519

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 356/21, Beschluss v. 30.03.2022, HRRS 2022 Nr. 519


BGH 4 StR 356/21 - Beschluss vom 30. März 2022 (LG Dortmund)

Mord (Verdeckungsabsicht: Vorliegen, aufgedeckte Tat, subjektive Sicht des Täters, bedingter Tötungsvorsatz, Verdeckung unabhängig vom Eintritt des Todeserfolgs möglich, Verdeckung nur durch Tod des Opfers erreichbar).

§ 211 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. In Verdeckungsabsicht im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt, wer als Täter ein Opfer deswegen tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten. Zu den einer Verdeckung zugänglichen Tatumständen gehört insbesondere die eigene Beteiligung an der vorangegangenen Tat.

2. Schon begrifflich scheidet eine Tötung zur Verdeckung einer Straftat dagegen aus, wenn diese bereits aufgedeckt ist. Für die Beurteilung dieser Frage kommt es nicht auf die objektiv gegebene Sachlage, sondern ausschließlich auf die subjektive Sicht des Täters an. Solange der Täter subjektiv davon ausgeht, dass die Umstände der Tat noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang bekannt sind, kommt eine Tötung aus Verdeckungsabsicht in Betracht.

3. Auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgehende Täter kann mit Verdeckungsabsicht handeln. Dies setzt indessen voraus, dass der Täter davon ausgeht, die Aufdeckung der vorangegangenen Straftat durch die mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführte Tathandlung als solche unabhängig vom Eintritt eines Todeserfolgs verhindern zu können. Hält er dagegen den erstrebten Verdeckungserfolg nur durch den Tod des Opfers für erreichbar, sind bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht nicht miteinander in Einklang zu bringen. Denn der zielgerichtete Wille, eine Straftat gerade durch Herbeiführung eines Todeserfolgs zu verdecken, und die bloße Billigung einer nur als möglich erkannten Todesfolge schließen sich gegenseitig aus.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 17. Februar 2021 - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung - mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 15. April 2019 wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger hob der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen auf und verwies die Sache an das Landgericht zurück. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

1. Nach den Feststellungen suchte der alkoholisierte Angeklagte am Tattag kurz nach Mitternacht den Straßenstrich in H. auf. Dort nahm er Kontakt zu der später getöteten Geschädigten auf, die der Prostitution nachging und bei welcher der Angeklagte in der Vergangenheit bereits mehrfach Kunde gewesen war. Dem Angeklagten war bekannt, dass die Geschädigte für Geschlechtsverkehr üblicherweise 40 bis 50 Euro verlangte. Ihm war auch bewusst, dass er kein Geld bei sich hatte und erst in einigen Tagen sein Gehalt ausgezahlt bekommen würde. Die beiden einigten sich auf die Ausübung des Geschlechtsverkehrs, wobei die Geschädigte, die keine Vorkasse vom Angeklagten verlangte, davon ausging, dass der Angeklagte sie unmittelbar nach dem Geschlechtsverkehr bezahlen werde. Der Angeklagte nahm billigend in Kauf, bei der Geschädigten einen Irrtum über seine sofortige Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft hervorzurufen und sie auf diese Weise zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs zu veranlassen. Er nahm ferner in Kauf, dass die Durchsetzung der Forderung der Geschädigten auf Entlohnung - wenn überhaupt - nur unter zeitlicher Verzögerung möglich sein würde.

Als die Geschädigte den Angeklagten nach Beendigung des Geschlechtsverkehrs aufforderte, ihr das Entgelt zu zahlen, offenbarte ihr der Angeklagte, dass er jetzt kein Geld bei sich habe. Die Geschädigte begann daraufhin, den Angeklagten lautstark zu beschimpfen. Auch schlug sie ihm zumindest einmal mit der Faust gegen seine Schulter. Der Angeklagte hielt die Hand der Geschädigten fest und bat sie, nicht laut zu schreien und zu schimpfen, weil andere Menschen sie hören könnten. Er erklärte ihr, kein Geld dabei zu haben, aber am nächsten oder dem darauffolgenden Tag zahlen zu wollen. Als die Geschädigte weiter schimpfte und schrie, umgriff der Angeklagte sie mit den Unterarmen am Hals und drückte für einen Zeitraum von jedenfalls einer Minute mit großer Kraft zu, so dass die Kehlkopfhörner der Geschädigten brachen. Infolge des Angriffs des Angeklagten verstarb die Geschädigte zeitnah aufgrund einer durch das Würgen verursachten zentralen Lähmung.

Beim Zudrücken mit den Unterarmen erkannte der Angeklagte den Tod der Geschädigten als mögliche Folge seines Handelns und fand sich hiermit zumindest ab. Primär kam es dem Angeklagten darauf an, dass die Geschädigte aufhörte zu schreien, weil er befürchtete, dass in der Nähe aufhältige Personen ihre Beleidigungen und Beschimpfungen mithören und so erfahren könnten, dass er die in Anspruch genommenen sexuellen Dienste nicht bezahlt hatte.

2. Das Landgericht hat in seiner rechtlichen Würdigung das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht bejaht und dies damit begründet, dass der Angeklagte die Geschädigte getötet habe, weil er verhindern wollte, dass umstehende Personen erfahren, dass er einen Betrug zu Lasten der Geschädigten begangen hatte.

II.

Die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht gemäß § 211 Abs. 2 StGB durch das Landgericht hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Strafkammer nur unzureichende Feststellungen zum Vorstellungsbild des Angeklagten getroffen hat. Denn nach den Urteilsausführungen bleibt offen, ob der Angeklagte eine Aufdeckung seiner zum Nachteil der Geschädigten begangenen Betrugstat allein durch etwaige umstehende Personen oder auch durch das Tatopfer selbst befürchtete.

1. In Verdeckungsabsicht im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB handelt, wer als Täter ein Opfer deswegen tötet, um dadurch eine vorangegangene Straftat als solche oder auch Spuren zu verdecken, die bei einer näheren Untersuchung Aufschluss über bedeutsame Tatumstände geben könnten. Zu den einer Verdeckung zugänglichen Tatumständen gehört insbesondere die eigene Beteiligung an der vorangegangenen Tat. Schon begrifflich scheidet eine Tötung zur Verdeckung einer Straftat dagegen aus, wenn diese bereits aufgedeckt ist. Für die Beurteilung dieser Frage kommt es nicht auf die objektiv gegebene Sachlage, sondern ausschließlich auf die subjektive Sicht des Täters an. Solange der Täter subjektiv davon ausgeht, dass die Umstände der Tat noch nicht in einem die Strafverfolgung sicherstellenden Umfang bekannt sind, kommt eine Tötung aus Verdeckungsabsicht in Betracht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 6. Juni 2019 - 4 StR 541/18, NStZ 2019, 605 Rn. 14; vom 17. Mai 2011 - 1 StR 50/11, BGHSt 56, 239, 243 ff.; vom 1. Februar 2005 - 1 StR 327/04, BGHSt 50, 11, 14 ff.; vom 2. Dezember 1960 - 4 StR 453/60, BGHSt 15, 291, 295 ff.).

Auch der mit bedingtem Tötungsvorsatz vorgehende Täter kann mit Verdeckungsabsicht handeln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 6. Juni 2019 - 4 StR 541/18, aaO Rn. 17; vom 7. Juni 2017 - 2 StR 474/16, NStZ 2018, 93, 94; Beschluss vom 10. März 2000 - 1 StR 675/99, NJW 2000, 1730, 1731; Urteile vom 23. November 1995 - 1 StR 475/95, BGHSt 41, 358, 359 ff.; vom 26. Juli 1967 - 2 StR 368/67, BGHSt 21, 283). Dies setzt indessen voraus, dass der Täter davon ausgeht, die Aufdeckung der vorangegangenen Straftat durch die mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführte Tathandlung als solche unabhängig vom Eintritt eines Todeserfolgs verhindern zu können. Hält er dagegen den erstrebten Verdeckungserfolg nur durch den Tod des Opfers für erreichbar, sind bedingter Tötungsvorsatz und Verdeckungsabsicht nicht miteinander in Einklang zu bringen. Denn der zielgerichtete Wille, eine Straftat gerade durch Herbeiführung eines Todeserfolgs zu verdecken, und die bloße Billigung einer nur als möglich erkannten Todesfolge schließen sich gegenseitig aus.

2. Nach diesen Grundsätzen wird die rechtliche Wertung des Landgerichts, der nach den Ausführungen der Strafkammer sicher feststellbar nur mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Angeklagte habe das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht verwirklicht, von den Gründen des angefochtenen Urteils nicht getragen.

Der mit bedingtem Tötungsvorsatz geführte Würgeangriff auf das Tatopfer wäre nach den allein maßgeblichen Tätervorstellungen nur dann ein taugliches Mittel zur Verdeckung der vorangegangenen zum Nachteil des Opfers begangenen Betrugstat gewesen, wenn der Angeklagte eine Aufdeckung der Tat ausschließlich durch etwaige umstehende Personen, nicht aber durch das Tatopfer selbst befürchtete. Rechnete er dagegen mit der Möglichkeit, dass sein strafbares Tun auch durch das Tatopfer selbst bekannt werden wird, wäre ein intendierter Verdeckungserfolg aus seiner Perspektive nur durch den Tod des Opfers erreichbar gewesen. In diesem Fall schließen sich aber die Annahme von Verdeckungsabsicht einerseits und eines lediglich bedingten Tötungsvorsatzes andererseits gegenseitig aus.

Zur Frage, ob der Angeklagte eine Aufdeckung der Betrugstat allein durch etwaige umstehende Personen oder auch durch das Tatopfer selbst erwartete, verhalten sich die Urteilsgründe nicht. Das Landgericht hat zum maßgeblichen Vorstellungsbild des Angeklagten keine näheren Feststellungen getroffen. Vor dem Hintergrund, dass das Tatopfer den Angeklagten nach den Feststellungen aus früheren Kundenkontakten persönlich kannte und ihr ausweislich der Einlassung des Angeklagten auch dessen Wohnung bekannt war, mithin eine Identifizierung des Angeklagten durch das Opfer nahelag, wären solche Feststellungen aber erforderlich gewesen.

3. Die Sache bedarf daher einer neuen tatrichterlichen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt lediglich die tatsächlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite auf. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird somit insbesondere zum Betrugs- und Tötungsvorsatz sowie zu den für die Tötung bestimmenden Beweggründen des Angeklagten neue Feststellungen zu treffen haben. Sämtliche sonstige Feststellungen bleiben bestehen und können im neuen Rechtsgang widerspruchsfrei ergänzt werden.

4. Die Adhäsionsentscheidung wird durch die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten nicht berührt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Dezember 2018 - 4 StR 484/18, Rn. 12; vom 12. Februar 2015 - 2 StR 388/14, Rn. 7; vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2018 - 5 StR 373/18, StV 2019, 437 Rn. 10).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 519

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß