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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1000

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 239/21, Beschluss v. 01.09.2021, HRRS 2021 Nr. 1000


BGH 4 StR 239/21 - Beschluss vom 1. September 2021 (LG Detmold)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Tateinheit: Überschneiden der tatbestandlichen Ausführungshandlungen, gleichzeitiges Bezahlen der vorangegangenen Lieferung und Abholung der neuen Lieferung); Einziehung des Wertes von Taterträgen (fehlende tragfähig belegte Berechnungsgrundlage).

§ 29a BtMG; § 52 StGB; § 73c StGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 1. Februar 2021

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf tateinheitlichen Fällen schuldig ist;

b) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben

aa) im Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe,

bb) im Ausspruch über die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 31.500 Euro.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen unter Einbeziehung „des Urteils des Amtsgerichts Detmold vom 27.01.2020“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Nach den Feststellungen suchte der Angeklagte seinen Drogenlieferanten C. regelmäßig in dessen Wohnung auf, um dort „auf Kommission“ Betäubungsmittel abzuholen und im Folgenden gewinnbringend an Dritte zu verkaufen. Der Angeklagte veräußerte die Betäubungsmittel an ihm bekannte Abnehmer sowie teils an von C. entsandte Personen. Im ersteren Fall führte der Angeklagte die Verkaufsgeschäfte selbstständig durch, während die von C. entsandten Personen dem Angeklagten jeweils den vereinbarten Geldbetrag in einem Umschlag übergaben. Immer wenn der Angeklagte den C. aufsuchte, rechneten beide die jeweils vorangegangenen Drogenübergaben ab. Im Einzelnen erhielt der Angeklagte in einem Fall von C. 79,9 g Kokain mit einem Wirkstoffgehalt von 80 % zum Weiterverkauf. In neun weiteren Fällen erhielt der Angeklagte jeweils ein Kilogramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 11 %. Schließlich übergab C. dem Angeklagten 970,1 g Amphetamin mit einem Wirkstoffgehalt von 88,2 g Amphetaminbase, welches bei einer Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten sichergestellt wurde.

2. a) Der Schuldspruch hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht vollständig stand. Die konkurrenzrechtliche Bewertung der Taten ist auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen rechtsfehlerhaft.

aa) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. Juni 2021 zutreffend ausgeführt hat, wird die Bewertung der vorbenannten Taten als elf zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehende Taten von den zugrundeliegenden Feststellungen nicht getragen. Mehrere Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln stehen zueinander in Tateinheit im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB, wenn ihre tatbestandlichen Ausführungshandlungen sich (teilweise) überschneiden. Eine derartige, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen liegt vor, wenn sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, NJW 2018, 2905, 2906 f.; Beschluss vom 19. Dezember 2018 - 4 StR 526/18, NStZ 2019, 413). So lag es hier, denn nach den Feststellungen rechneten der Angeklagte und C. bei jedem neuen Erwerbsvorgang über den jeweils vorangegangenen ab.

Auf der Grundlage seiner insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hätte das Landgericht alle Taten als tateinheitlich zusammentreffende Fälle bewerten müssen. Der Senat ändert den Schuldspruch daher gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog entsprechend ab. § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da sich der Angeklagte auch bei zutreffender konkurrenzrechtlicher Bewertung des Tatgeschehens nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

bb) Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler ergeben. Entgegen dem Revisionsvorbringen sind insbesondere die festgestellten Wirkstoffmengen der Betäubungsmittel und damit die nicht geringen Betäubungsmittelmengen tragfähig belegt. Die auf das verlesene Urteil gegen den anderweitig Verfolgten C. und die dort zu den Wirkstoffgehalten des Marihuanas und des Kokains getroffenen Feststellungen gestützte Beweiswürdigung ist im Hinblick auf die Einlassung des Angeklagten, es habe sich durchweg um gleichbleibende Standardqualität gehandelt, tragfähig begründet.

b) Die Änderung des Konkurrenzverhältnisses der Taten zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, kann die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe im Hinblick auf die einbezogene Strafe nicht als Einzelstrafe bestehen bleiben. Für die neue Entscheidung weist der Senat, wie bereits der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 30. Juni 2021, darauf hin, dass bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB nicht das frühere Urteil, sondern die verhängte Strafe einbezogen wird.

c) Schließlich hält auch die Einziehungsentscheidung des Landgerichts der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht vollständig stand. Während die auf § 73 StGB gestützte Einziehung des bei dem Angeklagten sichergestellten Bargeldbetrages frei von Rechtsfehlern ist, unterliegt die vom Landgericht daneben angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c StGB) mit den zugehörigen Feststellungen der Aufhebung, weil dem Urteil eine tragfähig belegte Berechnungsgrundlage des Einziehungsbetrages insoweit nicht zu entnehmen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2018 - 2 StR 311/18, NStZ 2019, 20 mwN). Das Landgericht hat zwar festgestellt, welche Kaufpreise der Angeklagte für die von ihm „selbstständig“ betriebene Weiterveräußerung des Marihuanas und des Kokains verlangte. Ob er diese Beträge tatsächlich von seinen Kunden erhielt, ist damit jedoch nicht festgestellt. Zudem kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden, wie hoch die von den durch C. vermittelten Käufern gezahlten Kaufpreise waren. Der der Einziehungsentscheidung zugrunde gelegte Gesamterlös ist daher nicht nachvollziehbar dargelegt. Der Senat kann auf dieser Grundlage selbst unter Berücksichtigung des vom Landgericht vorgenommenen Abschlags von 10 auf 5 Euro pro Gramm Marihuana eine Beschwer des Angeklagten nicht gänzlich ausschließen.

Das neue Tatgericht wird auch Gelegenheit haben, hinsichtlich der Einziehung des Wertes von Taterträgen die Voraussetzungen einer gesamtschuldnerischen Haftung des Angeklagten zu prüfen.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1000

Bearbeiter: Karsten Gaede/Julia Heß