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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1061

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 189/20, Beschluss v. 12.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1061


BGH 4 StR 189/20 - Beschluss vom 12. August 2020 (LG Magdeburg)

Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (Einbeziehung von Härten, die sich aus der Einbeziehung bereits erlassener Strafen ergeben); Widerruf der Strafaussetzung (Anrechnung bereits erbrachter Geldleistungen, Orientierung an Strafzumessungsgrundsätzen); Gesamtstrafe und Strafaussetzung.

Art. 6 Abs. 1 MRK; § 55 StGB; § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB; § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass etwaige Härten, die sich aus der Einbeziehung bereits erlassener Strafen in eine nachträgliche Gesamtstrafe ergeben, im Rahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sind; denn der Angeklagte wird, ohne dass ein Widerrufsgrund im Sinne des § 56f StGB gegeben wäre, dadurch nach Ablauf der Bewährungszeit so gestellt, als wäre die Strafaussetzung widerrufen worden.

2. Entfällt die Strafaussetzung zur Bewährung wegen nachträglicher Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, so sind Geldleistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Bewährungsauflagen erbracht hat, gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB in aller Regel auf die Strafe anzurechnen. Dies hat in der Weise zu geschehen, dass die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe ohne Rücksicht auf die Bewährungsleistungen festzusetzen und sodann als Ausgleich für die Nichterstattung von Geldleistungen eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung dieser Leistungen auf die Gesamtstrafe vorzunehmen ist.

3. Die Entscheidung, in welcher Höhe vom Angeklagten erbrachte Geldleistungen auf die Gesamtstrafe anzurechnen sind, ist an Strafzumessungsgrundsätzen zu orientieren. Sie ist Teil der Straffrage, knüpft an die Höhe der (nachträglichen) Gesamtstrafe an und kann nicht losgelöst von ihr beantwortet werden. Dies unterscheidet sie von der Kompensationsentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK, die eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung darstellt und daher von der Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im Strafausspruch grundsätzlich nicht erfasst wird.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 23. Dezember 2019 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Anrechnung von Leistungen des Angeklagten unterblieben ist, die er im Rahmen der durch Urteil des Landgerichts Halle vom 24. August 2015 gewährten Strafaussetzung zur Bewährung erbracht hat.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang mit Urteil vom 28. Juni 2017 wegen Bestechung unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 24. August 2015 und unter Einbeziehung der darin verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Kompensationsentscheidung getroffen.

Auf die Revision des Angeklagten änderte der Senat das Urteil mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 (4 StR 58/18) im Schuldspruch dahin ab, dass der Angeklagte der Bestechung in vier Fällen schuldig ist, und hob das Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen auf; insoweit wurde die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr aufgrund des rechtskräftigen Schuldspruchs wegen Bestechung in vier Fällen unter Auflösung der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 24. August 2015 und unter Einbeziehung der darin verhängten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und die Kompensationsentscheidung aufrechterhalten.

Die auf die Sachrüge gestützte und mit Einzelausführungen begründete Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Weder die Strafrahmenwahl noch die Strafzumessung im engeren Sinne begegnen rechtlichen Bedenken. Auch die Gesamtstrafe ist rechtsfehlerfrei begründet. Entgegen der Auffassung der Revision war das Landgericht von Rechts wegen nicht gehalten, strafmildernd zu berücksichtigen, dass die Gesamtstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 24. August 2015 inzwischen erlassen ist.

Zwar entspricht es gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass etwaige Härten, die sich aus der Einbeziehung bereits erlassener Strafen in eine nachträgliche Gesamtstrafe ergeben, im Rahmen der Strafzumessung mildernd zu berücksichtigen sind; denn der Angeklagte wird, ohne dass ein Widerrufsgrund im Sinne des § 56f StGB gegeben wäre, dadurch nach Ablauf der Bewährungszeit so gestellt, als wäre die Strafaussetzung widerrufen worden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Dezember 2015 - 1 StR 562/15, StV 2016, 562; vom 26. November 2008 - 5 StR 450/08, insoweit nicht abgedruckt in wistra 2009, 271; Urteil vom 12. Januar 1993 - 5 StR 606/92, wistra 1993, 144; siehe auch Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 1240).

Eine solche Fallkonstellation liegt hier jedoch nicht vor. In dem nach Zurückweisung einer Sache an das Tatgericht für die Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB maßgeblichen Zeitpunkt der ersten tatgerichtlichen Entscheidung in dieser Sache am 28. Juni 2017 (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. Januar 2019 - 5 StR 553/18, StV 2019, 452) war die auf zwei Jahre bemessene Bewährungszeit in jenem Verfahren, die mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils am 1. September 2015 zu laufen begann, noch nicht abgelaufen. Damit fehlt es an einer im Rahmen der Strafzumessung auszugleichenden besonderen Härte.

2. Das Landgericht hätte jedoch, worauf die Revision zutreffend hingewiesen hat, eine Anrechnungsentscheidung im Hinblick auf die vom Angeklagten in Erfüllung der Bewährungsauflagen geleisteten Zahlungen in jenem Verfahren treffen müssen.

Entfällt die Strafaussetzung zur Bewährung wegen nachträglicher Bildung einer Gesamtfreiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, so sind Geldleistungen, die der Verurteilte zur Erfüllung von Bewährungsauflagen erbracht hat, gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB in aller Regel auf die Strafe anzurechnen. Dies hat in der Weise zu geschehen, dass die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe ohne Rücksicht auf die Bewährungsleistungen festzusetzen und sodann als Ausgleich für die Nichterstattung von Geldleistungen eine die Strafvollstreckung verkürzende Anrechnung dieser Leistungen auf die Gesamtstrafe vorzunehmen ist (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. August 2018 - 4 StR 250/18, StV 2020, 470; vom 22. Februar 2017 - 1 StR 555/16, NStZ-RR 2017, 199 f. und vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 f.).

Einer Entscheidung über den Ausgleich der vom Angeklagten erbrachten Bewährungsauflagen durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die Gesamtfreiheitsstrafe stand - entgegen der Auffassung des Landgerichts - der Eintritt horizontaler Teilrechtskraft nicht entgegen.

Der Senat hatte das im ersten Rechtsgang ergangene Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 28. Juni 2017 im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Damit hatte das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht über die Höhe der Einzelstrafen sowie über die Höhe der Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Halle vom 24. August 2015 einschließlich der hieran anknüpfenden Frage einer Anrechnung der vom Angeklagten in Erfüllung des Bewährungsbeschlusses des Landgerichts Halle gemäß § 56b Abs. 2 Nr. 2 und 4 StGB erbrachten Geldleistungen in Höhe von 125.144,00 € gemäß §§ 58 Abs. 2 Satz 2, 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu entscheiden. Die Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils im Strafausspruch durch das Revisionsgericht umfasste auch die Frage der Anrechnung von Bewährungsauflagen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2007 - 4 StR 49/07, StraFo 2007, 249).

Die Entscheidung, in welcher Höhe vom Angeklagten erbrachte Geldleistungen auf die Gesamtstrafe anzurechnen sind, ist an Strafzumessungsgrundsätzen zu orientieren (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 383). Sie ist Teil der Straffrage, knüpft an die Höhe der (nachträglichen) Gesamtstrafe an und kann nicht losgelöst von ihr beantwortet werden. Dies unterscheidet sie von der Kompensationsentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK, die eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung darstellt (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2019 - 5 StR 553/18, StV 2019, 452, 453) und daher von der Aufhebung des tatgerichtlichen Urteils durch das Revisionsgericht allein im Strafausspruch grundsätzlich nicht erfasst wird (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 138 f.).

Die Sache bedarf daher in diesem Umfang neuer Verhandlung und Entscheidung.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1061

Externe Fundstellen: StV 2021, 40

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner