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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 574

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 239/19, Beschluss v. 03.12.2019, HRRS 2020 Nr. 574


BGH 4 StR 239/19 - Beschluss vom 3. Dezember 2019 (LG Halle)

Unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (Tateinheit bei teilidentischen Ausführungshandlungen; Tatserien).

§ 29 BtMG; § 52 Abs. 1 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sind nicht nur Tätigkeiten, die unmittelbar der Beschaffung und Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern ebenfalls etwa dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge. Dies gilt auch für die bloße Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer an den Lieferanten. Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt nach ständiger Rechtsprechung eine Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen. Nichts anderes gilt, wenn der Empfänger des Rauschgifts im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung den Lieferanten aufsucht und das Geld für mehrere vorangegangene Lieferungen gleichzeitig übergibt. Das Bezahlen des Lieferanten dient als verbindendes Element den vorangegangenen Umsatzgeschäften gleichermaßen, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet.

2. Will das Tatgericht bei einer Tatserie mit im Wesentlichen gleichen Tatverläufen aufgrund einer Häufigkeitsangabe und eines Zeitraums eine bestimmte Zahl von Einzeltaten feststellen, ist es gehalten, eine nachvollziehbare Berechnung anzustellen, die im Revisionsverfahren einer Nachprüfung zugänglich ist.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 20. Dezember 2018, hinsichtlich der Fälle III. 1. bis 30. der Urteilsgründe auch zugunsten des Mitangeklagten K., mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner allgemein auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg, hinsichtlich der Fälle III. 1. bis 30. der Urteilsgründe auch zugunsten des nichtrevidierenden Mitangeklagten K. .

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erhielt der Angeklagte von dem Mitangeklagten K. „im Rhythmus von etwa sechs Wochen mindestens seit Oktober 2015 bis Mitte Februar 2018 in 29 Fällen“ Betäubungsmittel, die er sodann nach Abzug von Eigenkonsummengen in seinem Bekanntenkreis veräußerte (Fälle III. 1. bis 29. der Urteilsgründe). Für seine Verkaufstätigkeit wurde der Angeklagte seitens des Mitangeklagten durch die Gewährung der Eigenkonsummengen und die Verringerung von Schulden, die er bei dem Mitangeklagten hatte, entlohnt. In allen 29 Fällen erhielt der Angeklagte jeweils 100 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 14,8 % THC, von denen er ein Gramm am Tag selbst konsumierte, in den Fällen 16 bis 29 zusätzlich jeweils zehn Gramm Crystal mit einem Wirkstoffgehalt von 54 % Methamphetaminbase, von denen er 0,2 Gramm je Woche selbst konsumierte, und Anfang Februar 2018 im Fall 29 darüber hinaus ein Kilogramm Haschisch mit einem Wirkstoffgehalt von 0,42 % THC.

Der Angeklagte übergab die von ihm erzielten Verkaufserlöse in unregelmäßigen Abständen an den Mitangeklagten; auch wenn er die Verkaufserlöse für die von ihm veräußerten Betäubungsmittel noch nicht vollständig an den Mitangeklagten abgeführt hatte, erhielt er von diesem „dem sechswöchigen Rhythmus entsprechend“ weitere Drogen zum Weiterverkauf.

Anfang März 2018 erhielt der Angeklagte von dem Mitangeklagten K. 200 Gramm Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 14,8 % THC sowie 200 Gramm Crystal mit einem Wirkstoffgehalt von 54 % Methamphetaminbase, die er - wiederum nach Abzug von Eigenkonsummengen - bis zu einer Durchsuchung seiner Räumlichkeiten am 4. April 2018 teilweise veräußerte (Fall III. 30. der Urteilsgründe).

Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten, in der er bis dahin regelmäßig die Betäubungsmittel an seine Abnehmer verkaufte und übergab, wurden in einem in der Küche befindlichen Tresor 48,9 Gramm Haschisch aus der Lieferung im Fall 29 sowie 65,6 Gramm Marihuana und 163 Gramm Crystal aus der Lieferung im Fall 30 sichergestellt. Zur Absicherung seines Drogenhandels bewahrte der Angeklagte spätestens zu diesem Zeitpunkt auf dem Küchentisch ein Springmesser und im benachbarten Wohnzimmer eine Stahlrute, einen Dolch und weitere Messer griffbereit auf.

2. Bereits der Schuldspruch des angefochtenen Urteils hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a) Die konkurrenzrechtliche Beurteilung des rechtsfehlerfrei festgestellten Geschehens als 30 tatmehrheitliche Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG (Fälle III. 1. bis 29. der Urteilsgründe) bzw. des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG (Fall III. 30. der Urteilsgründe) begegnet in zweifacher Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

aa) Zum einen hat sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob zumindest einzelne der tatmehrheitlich ausgeurteilten Taten zueinander in gleichartiger Tateinheit stehen, obwohl sich eine solche Prüfung hier aufdrängte.

(1) Ausführungshandlungen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sind nicht nur Tätigkeiten, die unmittelbar der Beschaffung und Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen, sondern ebenfalls etwa dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge. Dies gilt auch für die bloße Ãœbermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer an den Lieferanten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19 Rn. 9; vom 10. Juli 2017 ? GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 20 mwN). Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt nach ständiger Rechtsprechung eine Tateinheit begründende Ãœberschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Januar 2019 - 3 StR 448/18, NStZ-RR 2019, 250, 251; vom 24. Juli 2018 - 3 StR 88/17, NStZ-RR 2018, 351; vom 10. Juli 2017 - GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 Rn. 23). Nichts anderes gilt, wenn der Empfänger des Rauschgifts im Rahmen einer bestehenden Handelsbeziehung den Lieferanten aufsucht und das Geld für mehrere vorangegangene Lieferungen gleichzeitig übergibt. Das Bezahlen des Lieferanten dient als verbindendes Element den vorangegangenen Umsatzgeschäften gleichermaßen, so dass dieses als teilidentische Ausführungshandlung die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB begründet (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2019 - 3 StR 65/19 Rn. 9).

(2) Nach diesen Maßstäben liegt es hier nahe, dass zumindest einzelne der vom Landgericht festgestellten Taten zueinander in gleichartiger Tateinheit stehen. Denn nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil übergab der Angeklagte das aus seinen Betäubungsmittelverkäufen erwirtschaftete Geld seinem Lieferanten - dem Mitangeklagten K. - in unregelmäßigen Abständen und unabhängig von dem sechswöchigen Rhythmus, in dem er selbst die Betäubungsmittel erhielt. So wurde der Angeklagte auch dann alle sechs Wochen mit weiteren Drogen beliefert, wenn er zu diesem Zeitpunkt den Verkaufserlös für die zuvor erhaltenen Betäubungsmittel noch nicht vollständig an den Mitangeklagten bezahlt hatte (UA S. 10 und S. 11). In Anbetracht dieser Feststellungen hätte das Landgericht prüfen müssen, ob und für welche Rauschgiftlieferungen aufgrund eines einheitlichen Zahlungsvorgangs ein teilweises Überlagern der objektiven Ausführungshandlungen vorlag. Eine solche Prüfung hat es indes nicht vorgenommen.

bb) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet darüber hinaus die Annahme von zwei selbständigen, real konkurrierenden Taten in den Fällen III. 29. und III. 30. der Urteilsgründe.

Das Landgericht hat übersehen, dass sich der Angeklagte auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen auch im Fall 29 des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG schuldig gemacht hat. Denn die Besitzausübung über das im Tresor in seiner Küche zu Verkaufszwecken aufbewahrte Haschisch aus der Lieferung von Anfang Februar 2018 stellt einen Teilakt der auf den Umsatz der Gesamtmenge bezogenen Bewertungseinheit des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge dar, bei welchem dem Angeklagten das auf dem Küchentisch bereitliegende Springmesser und die im Wohnzimmer befindlichen Waffen bzw. waffenähnlichen Gegenstände zur Verfügung standen. Dies reicht für die Erfüllung des Tatbestands des § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG aus (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 12. Januar 2017 - 1 StR 394/16, NStZ 2017, 714, 715; vom 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96, BGHSt 43, 8, 10; Beschluss vom 8. Mai 2019 - 4 StR 203/19, NStZ-RR 2019, 220).

Der Angeklagte hat sich damit sowohl im Fall 29 als auch im Fall 30 jeweils wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG strafbar gemacht. Da sich beide Taten durch das Bereithalten des Springmessers und der weiteren Waffen bzw. waffenähnlichen Gegenstände in ihren Ausführungshandlungen teilweise überschneiden, sind jedenfalls diese beiden Taten konkurrenzrechtlich zur Tateinheit verknüpft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Mai 2019 - 4 StR 203/19, NStZ-RR 2019, 220; vom 21. August 2018 - 3 StR 615/17 Rn. 12; vom 27. Juni 2018 - 4 StR 116/18, NStZ 2019, 97; vom 5. Dezember 2017 - 4 StR 562/17 Rn. 4).

b) Die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 29 Fällen (III. 1. bis 29. der Urteilsgründe) hat aber auch deswegen keinen Bestand, weil sich die von der Strafkammer festgestellte Anzahl von 29 Einzeltaten schon rechnerisch nicht erschließt.

Will das Tatgericht bei einer Tatserie mit im Wesentlichen gleichen Tatverläufen aufgrund einer Häufigkeitsangabe und eines Zeitraums eine bestimmte Zahl von Einzeltaten feststellen, ist es gehalten, eine nachvollziehbare Berechnung anzustellen, die im Revisionsverfahren einer Nachprüfung zugänglich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. März 2014 - 4 StR 4/14, NStZ 2014, 709; vom 15. Mai 2003 - 3 StR 141/03, BGHR BtMG § 29 Serienstraftaten 3). Daran fehlt es hier.

Der vom Landgericht festgestellte Tatzeitraum von Oktober 2015 bis Mitte Februar 2018 (UA S. 9) umfasst 124 volle Wochen. Zur Tatfrequenz ist im Urteil festgestellt, dass der Angeklagte seitens des nichtrevidierenden Mitangeklagten K. im Rhythmus von sechs Wochen mit Betäubungsmitteln beliefert wurde (UA S. 9, 10, 15). Auf Grundlage dieser Feststellungen könnte es zwar im Zeitraum von Oktober 2015 bis Mitte Februar 2018 zu zwanzig Belieferungen des Angeklagten mit Betäubungsmitteln gekommen sein. Eine höhere Anzahl von Fällen, namentlich die im Urteil festgestellte Anzahl von 29 Einzeltaten, lässt sich aber anhand des zugrunde gelegten Tatzeitraums und der festgestellten Tatfrequenz nicht nachvollziehen.

3. Die Aufhebung der Verurteilung in den Fällen III. 1. bis 30. der Urteilsgründe ist gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten K. zu erstrecken, weil die aufgezeigten materiellrechtlichen Fehler auch dessen Verurteilung betreffen; insbesondere würden teilidentische Ausführungshandlungen - etwa durch gleichzeitige Entgegennahme der Zahlungen für mehrere Betäubungsmittellieferungen - auch für den Mitangeklagten Tateinheit begründen.

Soweit der Mitangeklagte K. darüber hinaus in einem weiteren Fall wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verurteilt ist (Fall III. 31. der Urteilsgründe), wird diese Verurteilung von der Revisionserstreckung nach § 357 Satz 1 StPO nicht erfasst.

4. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Das neue Tatgericht wird über die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) und unter Beachtung der Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Zuschrift an den Senat neu zu befinden haben.

Sofern das neue Tatgericht die Verhängung von Freiheitsstrafen unter sechs Monaten in Betracht zieht, wird es zudem Gelegenheit haben, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB zu erörtern.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 574

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner