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HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 716

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 97/18, Beschluss v. 06.06.2018, HRRS 2018 Nr. 716


BGH 4 StR 97/18 - Beschluss vom 6. Juni 2018 (LG Arnsberg)

Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung (molekulargenetische Vergleichsuntersuchung).

§ 261 StPO

Leitsatz des Bearbeiters

Ob die Übereinstimmung zwischen den Allelen des Angeklagten und auf Tatortspuren festgestellten Allelen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Annahme einer Täterschaft des Angeklagten bietet, hängt von der Identitätswahrscheinlichkeit ab. Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass zufällig eine andere Person identische Merkmale aufweist, desto höher kann das Tatgericht den Beweiswert einer Übereinstimmung einordnen und sich - gegebenenfalls allein aufgrund der Übereinstimmung - von der Täterschaft überzeugen. Der Tatrichter hat daher diese Wahrscheinlichkeit mitzuteilen und die Grundlagen für deren Berechnung so darzulegen, dass dem Revisionsgericht eine Plausibilitätsprüfung möglich ist.

Entscheidungstenor

I. Auf die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 21. November 2017 wird das vorbezeichnete Urteil, 1. soweit es den Angeklagten V. betrifft,

a) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, aa) soweit der Angeklagte im Fall II.1 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe; cc) soweit gegen den Angeklagten eine Einziehung des Wertes von Taterträgen über 18.500 Euro hinaus angeordnet worden ist;

b) dahingehend berichtigt, aa) dass der Angeklagte im Fall II. 2 der Urteilsgründe des schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung schuldig ist; bb) dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe eines Betrages von 18.500 Euro als Gesamtschuldner angeordnet ist;

c) im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen; 2. soweit es den Angeklagten S. betrifft, dahin berichtigt, dass der Angeklagte wegen schweren Raubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 18.500 Euro als Gesamtschuldner angeordnet ist.

II. Die weiter gehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

III. Der Angeklagte S. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten V. wegen Wohnungseinbruchdiebstahls und „gemeinschaftlichen“ schweren Raubes in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und die „Einziehung eines Geldbetrages“ in Höhe von 29.500 Euro angeordnet. Den Angeklagten S. hat es wegen „gemeinschaftlichen“ schweren Raubes in Tateinheit mit „gemeinschaftlicher“ Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und die „Einziehung eines Geldbetrages“ in Höhe von 18.500 Euro angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen der Angeklagten haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I. Zur Revision des Angeklagten V.

1. Die Verurteilung des Angeklagten V. wegen Wohnungseinbruchdiebstahls im Fall II.1 der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben, weil die Urteilsgründe nicht belegen, dass die Überzeugung des Landgerichts von der Täterschaft des Angeklagten auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NJW 2014, 2454 mwN).

a) Die Strafkammer hat den nicht geständigen Angeklagten V. allein deshalb als überführt angesehen, weil eine am Tatort gesicherte Blutspur nach einem Ermittlungshinweis des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen „zu einer Zuordnung mit“ einer DNA in der DNA-Analyse-Datei geführt habe. Diese DNA entstamme einer Speichelprobe des Angeklagten (UA 12).

b) Diese Darlegungen genügen nicht den Anforderungen, die die Rechtsprechung an die Darstellung einer Überzeugungsbildung von der Täterschaft eines Angeklagten stellt, die sich allein auf die Übereinstimmung zwischen den Allelen des Angeklagten und auf Tatortspuren festgestellten Allelen stützt (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 347/12, BGHSt 58, 212, 214 ff. mwN).

aa) Ob die Übereinstimmung zwischen den Allelen des Angeklagten und auf Tatortspuren festgestellten Allelen eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Annahme einer Täterschaft des Angeklagten bietet, hängt von der Identitätswahrscheinlichkeit ab. Je geringer die Wahrscheinlichkeit ist, dass zufällig eine andere Person identische Merkmale aufweist, desto höher kann das Tatgericht den Beweiswert einer Übereinstimmung einordnen und sich - gegebenenfalls allein aufgrund der Übereinstimmung - von der Täterschaft überzeugen (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 214 f.). Der Tatrichter hat daher diese Wahrscheinlichkeit mitzuteilen und die Grundlagen für deren Berechnung so darzulegen, dass dem Revisionsgericht eine Plausibilitätsprüfung möglich ist (zu den Einzelheiten der Darstellung einer molekulargenetischen Vergleichsuntersuchung vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2018 - 4 StR 498/17, NStZ 2018, 303; Beschluss vom 31. Mai 2017 - 5 StR 149/17, NStZ 2017, 723, 724; Urteil vom 5. Juni 2014 - 4 StR 439/13, NStZ 2014, 477, 478 f.; Urteil vom 21. März 2013 - 3 StR 247/12, BGHSt 58, 212, 217).

bb) Den Urteilsgründen kann zwar noch entnommen werden, dass zwischen Allelen in einer Tatortspur und Allelen in einer Speichelprobe des Angeklagten eine Übereinstimmung bestand. Dies allein stellt für die Annahme einer Täterschaft des Angeklagten aber noch keine ausreichende Tatsachengrundlage dar. Zu der für die Bestimmung des Beweiswerts der festgestellten Übereinstimmung maßgeblichen Identitätswahrscheinlichkeit verhält sich das Urteil nicht.

2. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall II.1 der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe und der auf § 73c Satz 1 StGB gestützten Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe des für diese Tat nach § 73d Abs. 2 StGB auf 11.000 Euro bestimmten Teilbetrages nach sich. Hinsichtlich der verbleibenden Einziehungsanordnung über einen Betrag von 18.500 Euro war die von der Strafkammer in den Urteilsgründen rechtsfehlerfrei angenommene Gesamtschuldnerschaft mit dem Mitangeklagten S. in die Urteilsformel aufzunehmen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 2 StR 548/17, Rn. 5; Beschluss vom 20. Februar 2018 - 2 StR 12/18, Rn. 2; Köhler, NStZ 2017, 665, 668 f. mwN). Dadurch wird der Angeklagte nicht beschwert (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Februar 2018 - 2 StR 12/18, Rn. 3; Beschluss vom 6. Juli 2007 - 2 StR 189/07, Rn. 2). Schließlich war der Schuldspruch im Fall II.2 der Urteilsgründe dahingehend zu berichtigen, dass der Hinweis auf die Mittäterschaft („gemeinschaftlich“) entfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2007 - 2 StR 189/07, Rn. 1; Beschluss vom 12. Oktober 1977 - 2 StR 410/77, BGHSt 27, 287, 289).

3. Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten V. ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte (Revisionsbegründung von Rechtsanwalt G. vom 17. Januar 2018) eine Verletzung des § 257c StPO geltend machen will, was seinem Vorbringen schon nicht mit der gebotenen Eindeutigkeit entnommen werden kann, ist diese Rüge jedenfalls aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 13. März 2018 angeführten Gründen unzulässig.

II. Zur Revision des Angeklagten S.

Die Anordnung der Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 18.500 Euro war dahingehend zu ergänzen, dass der Angeklagte für diesen Geldbetrag - wie von der Strafkammer in den Urteilsgründen rechtsfehlerfrei angenommen - mit dem Mitangeklagten V. als Gesamtschuldner haftet. Auch der Angeklagte S. wird dadurch nicht beschwert. Der Hinweis auf die Mittäterschaft im Schuldspruch („gemeinschaftlich“) hatte bei ihm zu entfallen (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Juli 2007 - 2 StR 189/07, Rn. 1; Beschluss vom 12. Oktober 1977 - 2 StR 410/77, BGHSt 27, 287, 289). Im Übrigen hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten S. ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2018 Nr. 716

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2018, 288; StV 2020, 435

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner