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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 355

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 578/16, Beschluss v. 14.02.2017, HRRS 2017 Nr. 355


BGH 4 StR 578/16 - Beschluss vom 14. Februar 2017 (LG Dortmund)

Unerlaubte Einfuhr von Betäubungsmitteln (Mittäterschaft: Voraussetzungen bei fehlendem eigenhändigen Transport); tatrichterliche Beweiswürdigung (revisionsrechtliche Überprüfbarkeit).

§ 29 Abs. 1 Nr. 1 BtMG; § 25 Abs. 2 StGB; § 261 StPO

Entscheidungstenor

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit der Angeklagte „wegen unerlaubten Handeltreibens mit einer halbautomatischen Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Patronenmunition“ (Anklagevorwurf Ziffer IV. 9) verurteilt worden ist.

Im Umfang der Einstellung trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 12. Mai 2016, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Anklagevorwürfe Ziffer IV. 11 und 12) verurteilt worden ist;

b) im Ausspruch über die Einzelstrafe wegen des Anklagevorwurfs Ziffer V. und im Gesamtstrafenausspruch sowie

c) im Ausspruch über die Einziehung.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten „unter Freisprechung im Übrigen wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit einer halbautomatischen Schusswaffe in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Patronenmunition“ zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ferner hat es einen Mercedes Sprinter eingezogen.

Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten erzielt den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Strafverfolgung wegen des Waffendelikts ist verjährt (§ 78 Abs. 1 Satz 1 StGB). Insoweit beruht die Verurteilung des Angeklagten auf dem Vorwurf, „spätestens im Jahre 2010“ eine Pistole nebst Patronenmunition an einen früheren Mitangeklagten verkauft zu haben. Der vom Landgericht angewandte (schwerste) Straftatbestand des § 52 Abs. 1 Nr. 2c WaffG sieht Freiheitsstrafe im Höchstmaß von fünf Jahren vor, so dass die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB fünf Jahre beträgt. Als erste überhaupt zur Unterbrechung der Verjährung geeignete Strafverfolgungsmaßnahme kommt die richterliche Anordnung der Durchsuchung vom 19./27. August 2015 in Betracht (§ 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB). Da jedoch die Tathandlung „spätestens im Jahre 2010“ und damit - zugunsten des Angeklagten nicht ausschließbar - auch früher begangen worden sein kann, ist diese Straftat verjährt.

Demgemäß hat der Senat das Verfahren gemäß § 206a Abs. 1 StPO eingestellt, soweit es diesen Vorwurf betrifft.

2. Die Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen (Anklagevorwürfe IV. 11 und 12; Tatzeiten 19. Juni 2015 und 17. August 2015) hält der materiellrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 19. Dezember 2016 Folgendes ausgeführt:

„Zwar ist die Beweiswürdigung grundsätzlich dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 29. September 2016 - 4 StR 329/16; vom 13. Juli 2016- 1 StR 94/16; vom 5. Dezember 2013 - 4 StR 371/13). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der sie tragenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden. Die Strafkammer hat zwar rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Angeklagte K. spätestens seit dem Jahr 2010 als Betäubungsmittelkurier des Mitangeklagten M. tätig war (UA S. 16, 35-36) und sich das von diesem genutzte Fahrzeug der Marke Mercedes Sprinter am 19. Juni 2015 und 17. August 2015 für jeweils etwa eine halbe Stunde vor der von dem gesondert verfolgten A. angemieteten Lagerhalle im Anwesen Al. -Straße in D. befunden hat (UA S. 20, 35-36). Soweit das Landgericht hinsichtlich der bei diesen Fahrten transportierten Mengen von Betäubungsmitteln von einer Mindestmenge von fünf Kilogramm Cannabis (Haschisch und/oder Marihuana) ausgegangen ist und diesbezüglich wohl auf die bei der Durchsuchung des fraglichen Lagerraums vom 4. September 2015 noch vorhandenen erheblichen Mengen an Cannabis abgestellt hat (UA S. 20, 35), ist der Revision jedoch zuzugeben (RB P. /Kr. S. 2), dass das Landgericht nicht festgestellt hat, ob es sich bei dem Angeklagten K. um den einzigen Betäubungsmittelkurier des gesondert verfolgten A. im fraglichen Zeitraum handelte und die sichergestellten Betäubungsmittel in diesem Umfang letztlich auch von diesem angeliefert wurden.

Soweit sich die Strafkammer - nach deren Auffassung - aufgrund der festgestellten Umstände nicht davon überzeugen konnte, dass der Angeklagte K. an den fraglichen Tagen jeweils selbst Fahrer des Fahrzeugs war oder bei den jeweiligen Transporten überhaupt mitgefahren ist, jedoch davon ausgeht, dass mit dem Fahrzeug nicht ohne dessen Wissen und Willen dort Betäubungsmittel angeliefert worden wären (UA S. 35), trägt dies allein noch nicht den Schuldspruch wegen (mittäterschaftlicher) unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (UA S. 48). Der Tatbestand der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln erfordert zwar keinen eigenhändigen Transport der Betäubungsmittel über die Grenze, so dass Mittäter nach § 25 Abs. 2 StGB grundsätzlich auch ein Beteiligter sein kann, der das Rauschgift nicht selbst in das Inland verbringt. Voraussetzung dafür ist nach den auch hier geltenden Grundsätzen des allgemeinen Strafrechts aber ein die Tatbegehung objektiv fördernder Beitrag, der sich als ein Teil der Tätigkeit aller darstellt und der die Handlungen der anderen als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Hierzu ist eine wertende Gesamtbetrachtung erforderlich (BGH, Beschlüsse vom 8. September 2016 - 1 StR 232/16; vom 31. März 2015 - 3 StR 630/14; vom 2. Juni 2015 - 4 StR 144/15, BGHR BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 4 Einfuhr 3; vom 27. Mai 2014 - 3 StR 137/14, und vom 1. September 2004 - 2 StR 353/04). Von besonderer Bedeutung sind dabei der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Einfluss bei der Vorbereitung der Tat und der Tatplanung, der Umfang der Tatbeteiligung und die Teilhabe an der Tatherrschaft oder jedenfalls der Wille dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von dem Willen des Betreffenden abhängen. Entscheidender Bezugspunkt ist der Einfuhrvorgang selbst (BGH, Beschlüsse vom 8. September 2016 - 1 StR 232/16, und vom 2. Juni 2016 - 1 StR 161/16). Das vom Landgericht festgestellte ‚Wissen und Wollen‘ des Angeklagten K. bezüglich der Nutzung seines Fahrzeugs zum Betäubungsmitteltransport nach Deutschland allein reicht nach diesen Grundsätzen für die Annahme einer Tatherrschaft des Angeklagten bezüglich des Einfuhrvorgangs jedoch nicht aus. Weitere Umstände, aus denen sich ein gewisser Einfluss des Angeklagten K. auf die gegenständlichen Einfuhrvorgänge als solche ergeben würden - etwa die Festlegung der einzuhaltenden Fahrroute oder ähnliches - hat das Landgericht ebenso wenig festgestellt wie sonstige Umstände, die nach den maßgeblich den Täterwillen ausfüllenden Kriterien diesen hinsichtlich der Einfuhren tragfähig begründen.

Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der neue Tatrichter die vermissten Feststellungen - etwa durch eine Vernehmung des gesondert verfolgten A. - noch treffen kann.

Angesichts der tateinheitlichen Verwirklichung führt dies zum Wegfall des Schuldspruchs insgesamt, also auch der für sich genommen rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen (Beihilfe zum) unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

Dies bedingt auch den Wegfall sowohl des Einzelstrafausspruchs zu den Anklagevorwürfen Ziffer IV. 11. und 12. (jeweils Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten) als auch des Gesamtstrafausspruchs.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.

3. Auch die Einziehungsentscheidung kann nicht bestehen bleiben.

Das Landgericht hat die Einziehung des Mercedes Sprinter auf § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB gestützt. Die Feststellungen tragen indes die Voraussetzungen der Sicherungseinziehung nicht. Zwar genügt es, wenn der betroffene Gegenstand „individuell gefährlich ist“ (vgl. dazu Fischer, StGB, 64. Aufl., § 74 Rn. 16). Auch hat das Landgericht festgestellt, „dass die Betäubungsmittel in dem als Werkzeuglager eingerichteten Stauraum des Mercedes Sprinter in Verstecken verbaut waren“. Damit ist die für die Sicherungseinziehung nach § 74 Abs. 2 Nr. 2 Fall 2 StGB erforderliche individuelle Gefährlichkeit des eingezogenen Gegenstandes indes nicht hinreichend belegt. Welcher Art die Verstecke sind und ob sie einen spezifischen Bezug zu den von der Strafkammer befürchteten weiteren Betäubungsmittelstraftaten aufweisen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 1990 - 4 StR 440/90, StV 1991, 262 [Ls]; und vom 14. Februar 1995 - 1 StR 845/94; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 33 Rn. 343, 345; MünchKomm/Joecks, StGB, 3. Aufl., § 74 Rn. 44, 45), kann der Senat dem angefochtenen Urteil auch in seinem Gesamtzusammenhang nicht entnehmen.

4. Danach kann auch die Einzelstrafe wegen der Tat vom 4. September 2015 (Anklagevorwurf Ziffer V.) nicht bestehen bleiben. Die Einziehung als Nebenstrafe gemäß § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB kann bei der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen sein; über das Eigentum an dem eingezogenen Mercedes Sprinter und dessen Wert verhält sich das Landgericht nicht. Der Senat kann nicht ausschließen, dass in der neuen Verhandlung der Tatrichter die Einziehung (auch) auf § 74 Abs. 2 Nr. 1 StGB stützt oder jedenfalls Nachteile für den Betroffenen auszuschließen haben wird, wenn er sich mit einer Anwendung des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB begnügen sollte (vgl. Fischer, aaO § 74 Rn. 18; LK-Schmidt, StGB, 12. Aufl., § 74 Rn. 59).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 355

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2017, 146; StV 2018, 512

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede