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Bearbeiter: Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 4 StR 25/03, Beschluss v. 11.02.2003, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 4 StR 25/03 - Beschluss vom 11. Februar 2003 (LG Stralsund)

Versuchter Totschlag; Rücktritt (fehlgeschlagener Versuch; Wechsel vom Tötungs- zum Verletzungsvorsatz).

§ 15 StGB; § 16 StGB; § 22 StGB; § 24 Abs. 1 StGB; § 212 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Täter vom Versuch eines Tötungsdelikts auch nach Scheitern seines Versuchs, das Opfer durch Verwendung des zunächst eingesetzten Tatmittels zu töten, strafbefreiend zurücktreten, wenn er die Möglichkeit der Fortsetzung des Tötungsversuchs mit anderen Mitteln erkannt, sich aber gleichwohl dazu entschlossen hat, sein Opfer nur noch körperlich zu verletzen (BGHSt 34, 53, 58; vgl. zum Wechsel von Tötungs- und Verletzungsvorsatz im übrigen BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 47).

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 27. September 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es keines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf.

Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht den Angeklagten der zum Nachteil seines Stiefsohns Sven St. begangenen gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden. Dagegen hält die Verurteilung wegen tateinheitlich verwirklichten versuchten Totschlags der rechtlichen Nachprüfung schon deshalb nicht stand, weil die Begründung, mit der das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 Abs. 1 StGB verneint hat, durch greifenden rechtlichen Bedenken begegnet. Das Landgericht meint, es liege ein fehlgeschlagener Versuch vor. Hierzu hat es ausgeführt: "Nachdem der Weihnachtsbaumständer zwischen Bett und Heizkörper gefallen war, war es dem Angeklagten nicht mehr möglich, die Tat ohne eine zeitliche Zäsur zu beenden. Eine Vollendung der Tat hätte durch weitere Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten allenfalls mit zeitlicher Verzögerung nach dem Ingangsetzen einer neuen Kausalkette herbeigeführt werden können. Eine solche neue Kausalkette kann allenfalls der nachfolgende Schlag mit der Vase darstellen, jedoch beruhte dieser Schlag auf einem neu gefaßten Entschluß, durch welchen eine neue Kausalkette in Gang gesetzt wurde. Hierfür spricht, daß der Angeklagte zwischen dem Schlag mit dem Tannenbaumständer und dem Schlag mit der Vase zunächst den Zeugen Sven St. mit Fäusten angriff. Zumindest standen dem Angeklagten nach Ausführung des Schlages mit der Vase keine anderen gleichwertigen Mittel zur Verfügung, mit denen die Tat ohne eine zeitliche Zäsur hätte vollendet werden können" (UA 25).

Diese Begründung trägt den Ausschluß strafbefreienden Rücktritts nicht. Ausgehend von den Feststellungen des Landgerichts, der Angeklagte habe mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Tannenbaumständer "in Richtung des Kopfes" des Sven St. geschlagen, dem es gelungen sei, durch eine Kopfdrehung dem Schlag auszuweichen, war der Versuch des Totschlags unbeendet und konnte der Angeklagte Strafbefreiung grundsätzlich durch bloßes Aufgeben des Tötungsvorsatzes erlangen. Ein strafbarer fehlgeschlagener Versuch hätte nur dann vorgelegen, wenn der Angeklagte die versuchte Tat als endgültig gescheitert angesehen hätte, weil er sie, wie er wußte, mit dem bereits eingesetzten oder anderen ihm zur Hand liegenden Mitteln nicht vollenden konnte (BGHSt 35, 90, 94). Die Frage ist unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes zu beantworten. Insoweit fehlt es aber an den erforderlichen Feststellungen. Denn auch wenn der Angeklagte den Tannenbaumständer, den er bei dem Schlag aus der Hand verloren hatte, - wie das Landgericht zum engeren Tatgeschehen festgestellt hat - "nur noch mit großem Aufwand hätte wiedererlang( en)" können (UA 7), so belegt dies noch nicht, daß ihm dies objektiv oder zumindest aus seiner Sicht unmöglich war. Vielmehr hätte es dazu näherer Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten im Schlafzimmer bedurft.

Im übrigen kann der Wertung des Landgerichts auch deshalb nicht gefolgt werden, weil die Erwägung, die weitere Einwirkung auf den Geschädigten mittels Fäusten und durch den Schlag mit der Vase hätten - nach einer "zeitlichen Zäsur" - eine "neue Kausalkette in Gang gesetzt", von den Feststellungen nicht getragen wird. Sie steht zudem in Widerspruch zu der Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe den versuchten Totschlag und die gefährliche Körperverletzung, die das Landgericht in dem Schlag mit der Vase sieht, tateinheitlich verwirklicht. Mit welcher Vorstellung der Angeklagte dabei weiter auf Sven St. einwirkte, teilt das Urteil nicht mit. Darauf kommt es aber an. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann der Täter vom Versuch eines Tötungsdelikts auch nach Scheitern seines Versuchs, das Opfer durch Verwendung des zunächst eingesetzten Tatmittels zu töten, strafbefreiend zurücktreten, wenn er die Möglichkeit der Fortsetzung des Tötungsversuchs mit anderen Mitteln erkannt, sich aber gleichwohl dazu entschlossen hat, sein Opfer nur noch körperlich zu verletzen (BGHSt 34, 53, 58; vgl. zum Wechsel von Tötungs- und Verletzungsvorsatz im übrigen BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 47). Die Sache bedarf deshalb auch unter diesem Gesichtspunkt weiterer Aufklärung.

Im Hinblick auf die vom Landgericht angenommene tateinheitliche Verwirklichung von versuchtem Totschlag und - für sich selbst rechtsfehlerfrei festgestellter - gefährlicher Körperverletzung hat der aufgezeigte Rechtsfehler die Aufhebung des Urteils insgesamt zur Folge (vgl. BGHR StPO § 353 Aufhebung 1). Über die Sache ist deshalb insgesamt neu zu verhandeln und zu entscheiden.

Bearbeiter: Karsten Gaede