Bearbeiter: Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 561/98, Beschluss v. 21.12.1998, HRRS-Datenbank, Rn. X
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 27. Mai 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Strafkammer des Landgerichts Kiel zurückverwiesen.
Die Revision des Angeklagten führt bereits auf die Verfahrensrüge zur Aufhebung der Gesamtstrafenfestsetzung, da die Strafkammer trotz dazu drängender Umstände die Feststellung, ob entgegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK das Verfahren verzögert worden ist, unterlassen hat. Daher kann offenbleiben, ob hier ein solcher Verstoß allein mit der Sachrüge hätte gerügt werden können (vgl. BGHR- StGB § 46 11 Verfahrensverzögerung 12; BGH, Beschl. vom 28. August 1998 - 3 StR 142/98). Kommt es in einem Strafverfahren zu einem außergewöhnlich langen Abstand zwischen Tat und Urteil oder einer sehr langen Dauer des Verfahrens, so hat der Tatrichter grundsätzlich drei unterschiedliche Strafmilderungsgründe zu bedenken:
Zum einen kann bereits der lange zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil zu einem wesentlichen Strafmilderungsgesichtspunkt führen, ohne daß es insoweit auf die Dauer des Verfahrens selbst ankäme (vgl. BGHR StGB § 46 11 Verfahrensverzögerung 6).
Zum zweiten kann unabhängig von diesem Strafmilderungsgrund des langen Zeitablaufs einer überdurchschnittlich langen Verfahrensdauer eine eigenständige strafmildernde Bedeutung zukommen, bei der insbesondere die mit dem Verfahren selbst verbundenen Belastungen des Angeklagten zu berücksichtigen sind. Dieser Strafmilderungsgrund kann auch dann gegeben sein, wenn die außergewöhnlich lange Verfahrensdauer sachliche Gründe hatte und nicht von den Strafverfolgungsorganen zu vertreten ist.
Zum dritten kann das Verfahren aber auch Anlaß zur Prüfung bieten, ob das in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK garantierte Recht des Angeklagten auf gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit verletzt ist. Die für eine mögliche Verletzung des Beschleunigungsgebotes maßgeblichen Umstände kann sich der Tatrichter als gerichtskundige Tatsachen im Wege des Freibeweises verschaffen (BGHR StGB § 46 II Verfahrensverzögerung 11). Er hat sodann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der auch der Bundesgerichtshof gefolgt ist, im Urteil Art und Ausmaß der Verzögerung festzustellen und in einem zweiten Schritt das Maß der Kompensation durch Vergleich der an sich verwirkten mit der tatsächlich verhängten Strafe ausdrücklich und konkret zu bestimmen (BVerfG NStZ 1997, 591; BGHR StGB § 46 11 Verfahrensverzögerung 7, 12).
Die Strafkammer hat die beiden erstgenannten Strafmilderungsgründe des langen Zeitablaufs und der Verfahrensdauer - wenn auch bedenklich pauschal - berücksichtigt, dagegen hat sie nicht aufgeklärt, ob darüber hinaus das Verfahren aus Gründen, die den Strafverfolgungsorganen anzulasten sind, verzögert worden ist. Die Umstände, insbesondere die auffällige Dauer von bisher nahezu sechs Jahren seit Verkündung des ersten tatrichterlichen Urteils vom 25. August 1992 und der lange Abstand zwischen der zweiten Aufhebungsentscheidung des Senats vom 9. Oktober 1996 und dem angefochtenen Urteil vom 27. Mai 1998, mit dem lediglich die Gesamtstrafe neu festgesetzt werden mußte, wofür nur eine Hauptverhandlungsdauer von 2 1/4 Stunden aufgewandt werden mußte, haben dazu gedrängt.
Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt. Er macht jedoch von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Kiel zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück.
Externe Fundstellen: NJW 1999, 1198; NStZ 1999, 181; StV 1999, 206
Bearbeiter: Karsten Gaede