hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 550

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 15/22, Beschluss v. 23.02.2022, HRRS 2022 Nr. 550


BGH 3 StR 15/22 - Beschluss vom 23. Februar 2022 (LG Koblenz)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung (Mitteilungen zum Vollstreckungsstand; Zäsurwirkung).

§ 55 StGB

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 29. Juni 2021

im Schuldspruch unter Ziffer 2. dahin neu gefasst, dass der Angeklagte der gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in zehn Fällen, der sexuellen Nötigung und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln schuldig ist;

im Ausspruch über die Gesamtstrafen aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Ziffer 1. des Tenors der Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, der Nötigung, der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und Freiheitsberaubung sowie der Geiselnahme schuldig gesprochen. Es hat ihn deswegen unter Auflösung der durch Urteil des Landgerichts Gießen vom 25. Januar 2018 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und unter Einbeziehung der dort festgesetzten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Darüber hinaus hat die Strafkammer unter Ziffer 2. des Tenors den Angeklagten wegen sexueller Nötigung, gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in zehn Fällen und „gewerbsmäßigen“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit seiner auf eine Verfahrensrüge und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision gegen das Urteil. Das Rechtsmittel führt zu der unter 1.a) der Entscheidungsformel dargestellten Neufassung des zweiten Schuldspruchs und hat den aus 1.b) der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Verfahrensrüge bleibt aus den in der Zuleitungsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen der Erfolg versagt.

2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat hinsichtlich der Schuldsprüche, der Einzelstrafaussprüche und der Kompensationsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten aufgedeckt. Die Urteilsformel ist indes auf der Grundlage der zutreffenden rechtlichen Würdigung der unter II.2.d) der Urteilsgründe festgestellten Tat dahin neu zu fassen, dass der Zusatz „gewerbsmäßig“ entfällt; denn das gewerbsmäßige Handeln als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall nach § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG betrifft nur die Strafzumessung und ist deshalb gemäß § 260 Abs. 4 Satz 2 StPO nicht in die Urteilsformel aufzunehmen (BGH, Beschluss vom 3. Februar 2015 - 3 StR 632/14, juris Rn. 3 mwN).

3. Hingegen hält die Gesamtstrafenbildung revisionsgerichtlicher Nachprüfung nicht stand. Im Ausgangspunkt zutreffend ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass die Einzelstrafen betreffend die unter II.1. der Urteilsgründe festgestellten, vor dem Urteil des Landgerichts Gießen begangenen Taten mit den dort verhängten Einzelstrafen gesamtstrafenfähig sein können. Sie hat jedoch keine Feststellungen zu dem Vollstreckungsstand der Verurteilung vom 25. Januar 2018 getroffen. Insbesondere hätte mitgeteilt werden müssen, ob die verhängte Bewährungsstrafe etwa durch Straferlass vor der Urteilsverkündung im vorliegenden Verfahren erledigt war und deshalb eine Einbeziehung zu unterbleiben hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. August 2020 - 1 StR 239/20, StV 2021, 20 Rn. 4). Ungeachtet dessen erweist sich die Gesamtstrafenbildung auch insoweit als rechtsfehlerhaft, als die Strafkammer nicht berücksichtigt hat, dass, falls - wie hier - die Zäsurwirkung einer einzubeziehenden Vorverurteilung zur Bildung zweier Gesamtstrafen nötigt, das Gericht einen sich daraus möglicherweise für den Angeklagten ergebenden Nachteil infolge eines zu hohen Gesamtstrafenübels auszugleichen hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2016 - 2 StR 18/16, NStZ-RR 2016, 368, 369 mwN). Diesbezügliche Erwägungen finden sich im Rahmen der Strafzumessung nicht.

Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, können die Feststellungen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO; vgl. KKGericke, StPO, 8. Aufl., § 353 Rn. 23). Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird zu beachten haben, dass für die Gesamtstrafenbildung der Vollstreckungsstand zum Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils (29. Juni 2021) maßgebend ist (s. etwa BGH, Beschluss vom 18. Juni 2020 - 3 StR 135/20, juris Rn. 13 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 550

Bearbeiter: Christian Becker