hrr-strafrecht.de - Rechtsprechungsübersicht


HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 383

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 482/21, Beschluss v. 22.02.2022, HRRS 2022 Nr. 383


BGH 3 StR 482/21 - Beschluss vom 22. Februar 2022 (LG Duisburg)

Besitz kinderpornographischer Schriften (Verhältnis zum Herstellen; Verjährung; Auffangtatbestand; Dauerdelikt; keine Klammerwirkung).

§ 184b StGB; § 52 StGB; § 53 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Zwar tritt der Besitz kinderpornographischer Schriften als Auffangtatbestand regelmäßig hinter dem Herstellen zurück. Steht jedoch der Verfolgbarkeit des verdrängenden Tatbestands das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen, so lebt der subsidiäre Besitztatbestand wieder auf und der Angeklagte ist aus diesem zu bestrafen.

2. Das Dauerdelikt des Besitzes kinderpornographischer Schriften verklammert mit Blick auf dessen geringeren Unwertgehalt tatmehrheitlich begangene Taten des (schweren) sexuellen Missbrauchs nicht zur Tateinheit.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Duisburg vom 17. Juni 2021

im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften und in sieben Fällen in Tateinheit mit Besitz kinderpornographischer Schriften, sowie des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 37 Fällen, davon in 23 Fällen in Tateinheit mit Herstellen kinderpornographischer Schriften und in 14 Fällen in Tateinheit mit Besitz kinderpornographischer Schriften, schuldig ist;

im Adhäsionsausspruch dahin ergänzt, dass eine Verpflichtung zum Ersatz aller zukünftiger materieller und derzeit nicht vorhersehbarer immaterieller Schäden des Adhäsionsklägers nur insoweit besteht, als die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die weitergehende Revision wird verworfen; allerdings werden für die Taten unter II. A. 3. & 4. a. ii. bis ll. der Urteilsgründe Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr und drei Monaten festgesetzt.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die den Nebenklägern F. K., M. K. und W. sowie dem Neben- und Adhäsionskläger Z. im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in acht Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern in 37 Fällen, jeweils in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und die Sicherungsverwahrung des Angeklagten angeordnet. Zudem hat es ihn zur Zahlung von Schmerzensgeld an den Adhäsionskläger verurteilt, die Pflicht zum Ersatz künftiger materieller und immaterieller Schäden festgestellt und die weitergehende Adhäsionsklage „abgewiesen“. Der Angeklagte stützt seine Revision auf die allgemeine Sachrüge. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und führt zur Nachholung einzelner Einzelstrafenfestsetzungen. Im Übrigen ist es unbegründet.

1. Der Schuldspruch ist insofern zu ändern, als sich der Angeklagte bei den insgesamt 21 bis in den Juli 2015 begangenen Taten tateinheitlich zu dem - teils schweren - sexuellen Missbrauch von Kindern jeweils wegen Besitzes von kinderpornographischen Schriften, nicht wegen deren Herstellens strafbar gemacht hat.

a) Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kam es zwischen April 2007 sowie August 2020 in insgesamt 45 Fällen zu sexuellen Handlungen zwischen dem Angeklagten und verschiedenen Jungen. Zur eigenen sexuellen Erregung filmte oder fotografierte er die Übergriffe jeweils und speicherte sie dauerhaft ab. Bei einer Durchsuchung im August 2020 wurden die Datenträger sichergestellt.

b) Der Verurteilung wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB in den ab dem 1. April 2004, 5. November 2008 und 27. Januar 2015 geltenden Fassungen steht für die zwischen dem 13. April 2007 und dem 2. Juli 2015 begangenen Taten das Verfahrenshindernis der Verfolgungsverjährung gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 StGB entgegen. Weder ruhte die Verjährungsfrist von fünf Jahren (vgl. nunmehr § 78b Abs. 1 Nr. 1 StGB in der ab dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung), noch wurde sie vor ihrem Ablauf im Sinne des § 78c Abs. 1 StGB unterbrochen. Zum Zeitpunkt der am Tage der Verfahrenseinleitung erlassenen richterlichen Durchsuchungsanordnung vom 28. August 2020 war hinsichtlich der genannten Taten die - für den jeweiligen Straftatbestand zu prüfende (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2003 - 3 StR 383/03, juris Rn. 2 mwN) - Verjährung bereits eingetreten.

Vor diesem Hintergrund kommt es nicht mehr darauf an, dass im Ãœbrigen eine Strafbarkeit wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften nach den Gesetzesfassungen, die vor dem 27. Januar 2015 galten, eine besondere Verwendungsabsicht voraussetzte (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 3 StR 264/19, NStZ-RR 2020, 172, 173).

c) Allerdings ist der Angeklagte des Besitzes von kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB in den vom 1. April 2004 bis zum 26. Januar 2015 geltenden Fassungen beziehungsweise nach § 184b Abs. 3 StGB in der ab dem 27. Januar 2015 geltenden Fassung schuldig.

Zwar tritt der Besitz kinderpornographischer Schriften als Auffangtatbestand regelmäßig hinter dem Herstellen zurück. Steht jedoch der Verfolgbarkeit des verdrängenden Tatbestands das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen, so lebt der subsidiäre Besitztatbestand wieder auf und der Angeklagte ist aus diesem zu bestrafen (vgl. entsprechend zum Sichverschaffen BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 3 StR 264/19, NStZ-RR 2020, 172, 173 mwN). Insoweit ist keine Verjährung eingetreten, da sie erst mit Tatbeendigung begann (§ 78a Satz 1 StGB), hier also mit der Sicherstellung der Datenträger. Das Dauerdelikt des Besitzes der verschiedenen Tatvideos verklammert mit Blick auf dessen geringeren Unwertgehalt die tatmehrheitlichen Taten des (schweren) sexuellen Missbrauchs nicht zur Tateinheit (s. BGH, Beschlüsse vom 4. Februar 2020 - 5 StR 657/19, BGHR StGB § 184b Konkurrenzen 4 Rn. 4; vom 15. Dezember 2020 - 6 StR 397/20, juris Rn. 3; vgl. auch BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 3 StR 264/19, NStZ-RR 2020, 172, 174).

d) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StGB wie aus der Beschlussformel ersichtlich. § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

e) Der Strafausspruch bleibt davon unberührt. Die vom Landgericht herangezogenen Strafrahmen der § 176a Abs. 2, § 176 Abs. 1 StGB aF sind nicht betroffen. Die strafschärfend herangezogene Erwägung, der Angeklagte habe jeweils mehrere Strafgesetze tateinheitlich verwirklicht, gilt fort. Ãœberdies ist der tateinheitliche langjährige Besitz selbst hergestellter kinderpornographischer Aufnahmen von eigenen Missbrauchstaten ebenso strafschärfend berücksichtigungsfähig wie das Herstellen der Aufnahmen selbst (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 3 StR 264/19, juris Rn. 29).

2. Der Adhäsionsausspruch über die Verpflichtung zum Ersatz künftiger Schäden ist um den Vorbehalt zu ergänzen, dass die Ansprüche nicht anderweitig übergegangen sind (vgl. etwa § 116 SGB X, § 86 VVG; BGH, Urteil vom 20. September 2018 - 3 StR 618/17, NStZ-RR 2019, 59; Beschlüsse vom 9. November 2021 - 2 StR 145/21, juris; vom 25. November 2009 - 3 StR 304/09, StraFo 2010, 117 f.).

3. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen weiteren Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

Allerdings hat das Landgericht in Bezug auf vier abgeurteilte Taten des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit dem Herstellen kinderpornographischer Schriften (unter II. A. 3. & 4. a. ii. bis ll. der Urteilsgründe) keine Einzelstrafen bestimmt. Da es in entsprechenden Fällen jeweils auf Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr und drei Monaten erkannt hat sowie insgesamt auszuschließen ist, dass es in den genannten Fällen abweichende Einzelstrafen verhängt hätte, setzt der Senat demgemäß in diesen Fällen selbst die Strafen fest (§ 354 Abs. 1 StPO analog). Das Verbot der Schlechterstellung nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht dem nicht entgegen (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 16. September 2010 - 4 StR 433/10, NStZ-RR 2010, 384; vom 23. August 2016 - 3 StR 166/16, juris Rn. 2 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2022 Nr. 383

Bearbeiter: Christian Becker