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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1084

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 66/20, Urteil v. 06.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1084


BGH 3 StR 66/20 - Urteil vom 6. August 2020 (LG Mainz)

Sicherungsverwahrung (Hang zu erheblichen Straftaten; eingeschliffener innerer Zustand; fest eingewurzelte Neigung; Gesamtwürdigung; Darlegungspflicht des Tatgerichts; symptomatischer Zusammenhang zwischen Anlass- und Symptomtat; kriminogene Persönlichkeitsstruktur); Beschränkung der Revision auf den Maßregelausspruch.

§ 66 StGB; § 318 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Das Merkmal „Hang“ im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Das (wahrscheinliche) Vorliegen eines solchen Hangs hat das Tatgericht - nach sachverständiger Beratung - in eigener Verantwortung unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände wertend festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen.

2. Unter dem symptomatischen Zusammenhang zwischen den Anlass- und Symptomtaten i.S.d § 66 StGB ist zu verstehen, dass sämtliche Taten Symptomcharakter zeigen, also kennzeichnend für den Hang im beschriebenen Sinne (und die Gefährlichkeit des Täters) sind. Zwischen diesen Taten und der Persönlichkeit des Täters ist mithin eine innere Beziehung dergestalt erforderlich, dass sie als Ausfluss des insoweit wirksam gewordenen Hangs erscheinen. Somit müssen sowohl die Anlasstat als auch die Symptomtaten in einem gleichartigen Verhältnis zur kriminogenen Persönlichkeitsstruktur des Täters stehen.

Entscheidungstenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 9. Juli 2019, soweit es die Angeklagte D. betrifft, im gesamten Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unter Bestimmung des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe von einem Jahr angeordnet und Einziehungsentscheidungen getroffen. Von der Unterbringung der Angeklagten und dem Vorbehalt ihrer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision - zulasten der Angeklagten - gegen die Ablehnung der (vorbehaltenen) Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß §§ 66, 66a StGB sowie - zugunsten der Angeklagten - gegen die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB. Das wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkte und vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

a) Am Abend des 20. Mai 2017 fassten die Angeklagte und der Mitangeklagte, ihr geschiedener Ehemann, den Entschluss, die Zeugin C. in deren Wohnhaus zu überfallen, um Bargeld, Schmuck und sonstige werthaltige Gegenstände zu erbeuten.

In Ausführung des gemeinsamen Tatplans überstiegen die Angeklagten kurze Zeit später die das Anwesen umschließende Gartenmauer und liefen zur Terrasse. Als der Zeuge Di., der Lebensgefährte der Zeugin C., die Terrassentür öffnete, stieß ihn die mit einem Schal und der Kapuze ihres Pullovers vermummte Angeklagte zur Seite und betrat das Haus. Währenddessen drängte der Mitangeklagte den Zeugen unter Vorhalt einer Spielzeugpistole, die einer halbautomatischen Kurzwaffe täuschend ähnlich sah, zurück in das Gebäude, setzte ihn auf dem Boden der Küche fest und drückte ihm die Pistole in den Bauch. Die Angeklagte traf im Flur auf die Zeugin C. und sprühte ihr unvermittelt aus kurzer Distanz zweimal mit einer Reizgasspraydose CS-Gas in das Gesicht, was bei der Geschädigten zu starken brennenden Schmerzen in den Augen sowie auf der Augenpartie und den Wangen führte. Auf Aufforderung begab sich diese mit ihrer Geldbörse und derjenigen ihres Lebensgefährten ebenfalls in die Küche und setzte sich auf einen Stuhl. Unter dem Eindruck des Geschehens gaben beide Zeugen, als die Angeklagte dies verlangte, ihr Bargeld von insgesamt 750 € und jeweils ihre EC-Karte unter Angabe einer PIN heraus. Sodann ergriff die Angeklagte ein in der Küche liegendes Brotmesser mit einer einseitig scharfen Klinge von mindestens 20 Zentimeter Länge, hielt es der Zeugin C. mit der stumpfen Klingenseite an den Hals und forderte sie auf mitzuteilen, wo sie Geld und Schmuck aufbewahre, woraufhin die Zeugin äußerte, sie besitze nur Modeschmuck. Der Mitangeklagte durchsuchte in der Folge das Haus und trug werthaltige Gegenstände, insbesondere elektronische Geräte nebst Zubehör, zusammen, während die Angeklagte die Geschädigten bewachte. Als sie die Ringe an der Hand der Zeugin C. bemerkte, zog sie diese ihrem Opfer - dessen „flehenden Bitten“ zum Trotz - von den Fingern und nahm sie an sich. Als der Mitangeklagte die Zeugen zu fesseln begann, brachte die Angeklagte mit einem in der Küche befindlichen Wasserkocher Wasser zum Kochen, hielt diesen schräg oberhalb des Kopfes der Zeugin C. und drohte ihr an, sie mit dem Wasser zu übergießen, falls sie nicht preisgebe, wo weiteres Gold sei. Auf Intervention des Mitangeklagten stellte sie den Wasserkocher wieder zur Seite.

Nachdem beide Geschädigten gefesselt waren, verließen die Angeklagten das Anwesen mit einer Tatbeute im Gesamtwert von mehr als 8.000 €. Das Bargeld verbrauchten sie in den nächsten zwei Tagen vorgefasster Absicht entsprechend für Drogen.

b) Die Angeklagte leidet an einer Polytoxikomanie (ICD-10: F19.2) und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.2). Während die Persönlichkeitsstörung nicht das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB erfüllt, führte die - seit frühester Jugend bestehende - Abhängigkeit von Alkohol und unterschiedlichen psychotropen Drogen jedenfalls nicht dazu, dass bei Tatbegehung die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Angeklagten in relevanter Weise beeinträchtigt gewesen wäre.

c) Die Angeklagte ist vielfach - insbesondere wegen Gewalt-, aber etwa auch Raub- und Erpressungsdelikten - vorgeahndet, unter anderem wie folgt:

aa) Das Amtsgericht W. hatte sie mit Urteil vom 21. August 2007 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe „von 12 Monaten“ verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Nach dem Widerruf der Strafaussetzung war diese Entscheidung in ein weiteres Urteil einbezogen worden, mit dem das Amtsgericht W. gegen die Angeklagte eine (Einheits-)Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt hatte. Die Strafe war vom 16. September 2008 bis zum 15. Dezember 2009 vollstreckt worden.

Der Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung lag folgendes Geschehen zugrunde: Am Abend des 26. September 2006 suchte die Angeklagte mit zwei Mittätern auf ihre Initiative ihren ehemaligen Wohnungsgenossen auf, um ihm „eine Abreibung zu verpassen“. Auf Bitte der Angeklagten öffnete dieser seine Wohnungstür, woraufhin die Mittäter ihm eine Vielzahl von Faustschlägen und Fußtritten versetzten. Der Geschädigte trug multiple Hämatome davon, insbesondere im Gesicht.

bb) Das Landgericht F. hatte die Angeklagte mit Urteil vom 9. Februar 2011 der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie des Computerbetruges schuldig gesprochen und auf eine „Freiheitstrafe“ (gemeint: Gesamtfreiheitsstrafe) von sechs Jahren und vier Monaten erkannt; für das Erpressungs- und Körperverletzungsdelikt hatte es eine Einzelfreiheitsstrafe von sechs Jahren festgesetzt. Zugleich hatte es die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. In dieser Sache hatte sie sich vom 4. August 2010 bis zum 18. Januar 2017 in Untersuchungs- und Strafhaft befunden, mit Ausnahme eines Zeitraums von zirka einem Jahr und vier Monaten, in dem die Maßregel des § 64 StGB ohne substantiellen Behandlungserfolg vollzogen worden war, sowie eines Zeitraums von sieben Wochen, in dem eine Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt worden war. Nach Vollverbüßung steht die Angeklagte unter Führungsaufsicht.

Dieser Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Am frühen Morgen des 2. August 2010 stiegen die Angeklagte und zwei Mittäter in ein Pfarrhaus ein und traten dort an den in seinem Bett schlafenden Pfarrer heran. Unter Vorhalt mitgeführter Messer forderten sie Geld von ihm. Als der aus dem Schlaf gerissene Mann den Forderungen nicht sofort nachkam, stach die Angeklagte mindestens zweimal auf ihn ein, wobei sie ihn wenigstens einmal in den Bauch traf. Nachdem ihm noch weitere Stichverletzungen zugefügt worden waren, öffnete er den Tresor, woraufhin einer der Mittäter diesem Bargeld von 300 € entnahm und flüchtete. Anschließend nötigten die Angeklagte und der andere Mittäter den Pfarrer zur Herausgabe seiner EC-Karte sowie zur Preisgabe der PIN; sie verließen das Anwesen unter Mitnahme weiterer werthaltiger Gegenstände. Mit der EC-Karte hoben sie kurze Zeit später am Geldautomaten 1.000 € ab. Vorgefasster Absicht entsprechend verwendete die Angeklagte die Tatbeute im Wesentlichen für den Erwerb von Drogen.

2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat im Hinblick auf den festgestellten Hang der Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, ihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB angeordnet. Bei der Bemessung des vorab zu vollstreckenden Teils der Freiheitsstrafe hat es vor dem Hintergrund der erheblichen langjährigen Suchterkrankung eine Behandlungsdauer von drei Jahren prognostiziert.

Die Strafkammer hat von der Unterbringung der Angeklagten in der Sicherungsverwahrung ebenso wie von einem entsprechenden Vorbehalt abgesehen. Zwar lägen die formellen Voraussetzungen für die obligatorische Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 4 Satz 1 bis 4 StGB vor. Jedoch könnten die materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht festgestellt werden. Die gebotene Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit der Angeklagten und ihrer Taten maßgebenden Umstände ergebe, dass sie - trotz ungünstiger Legalprognose - keinen eingeschliffenen inneren Zustand aufweise, der sie immer wieder neu deliktisch handeln lasse, so dass bei ihr kein Hang zu erheblichen Straftaten bestehe. Es fehle an dem notwendigen symptomatischen Zusammenhang zwischen der Anlasstat und den die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB begründenden Vortaten. Deshalb scheide nach § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB auch ein Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung aus.

II.

1. Die Revision ist wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkt.

Ohne einen Revisionsantrag zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2017 - 2 StR 280/17, StraFo 2018, 29), hat die Staatsanwaltschaft die Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch erklärt. Allerdings hat sie das Urteil allein wegen sachlich-rechtlicher Mängel bei den Entscheidungen über die Maßregeln der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§§ 66, 66a StGB) und in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) beanstandet. Nach seinem unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV zu ermittelnden maßgeblichen Sinn (st. Rspr.; s. etwa BGH, Urteil vom 23. Januar 2020 - 3 StR 332/19, juris Rn. 8 mwN) ist das Revisionsvorbringen deshalb dahin zu verstehen, dass sich die Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidungen wendet und das Urteil im Übrigen, mithin den Schuld- und Strafausspruch sowie die Einziehungsanordnungen, nicht angreifen will.

Die Beschränkung des Rechtsmittels auf den Maßregelausspruch ist wirksam. Eine ihr entgegenstehende Wechselwirkung zwischen dem Absehen von (dem Vorbehalt) der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung oder der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einerseits und dem Strafausspruch andererseits ist grundsätzlich nur dann anzunehmen, wenn sie sich aus den Urteilsgründen ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 478/15, NStZ 2017, 650; Beschluss vom 19. Februar 2020 - 3 StR 415/19, NStZ-RR 2020, 168, 169 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 318 Rn. 25 f., jeweils mwN). Hier lassen sich weder den Urteilsausführungen zur Strafzumessung noch denjenigen zu den Entscheidungen über die Maßregeln nach §§ 66, 66a und § 64 StGB Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass das Landgericht zwischen dem Straf- und dem Maßregelausspruch einen Zusammenhang hergestellt hätte, der eine getrennte Prüfung ausschlösse.

2. Der Maßregelausspruch hat keinen Bestand.

a) Die Strafkammer hat rechtsfehlerhaft von der Unterbringung der Angeklagten in der Sicherungsverwahrung abgesehen. Während sie die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 4 Satz 1 bis 4 StGB zutreffend bejaht hat, halten die Erwägungen, mit denen sie den nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB erforderlichen Hang zu erheblichen Straftaten verneint hat, sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

aa) Das Merkmal „Hang“ im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Das (wahrscheinliche) Vorliegen eines solchen Hangs hat das Tatgericht - nach sachverständiger Beratung - in eigener Verantwortung unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände wertend festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (s. zum Ganzen BGH, Urteile vom 29. November 2018 - 3 StR 300/18, NStZ-RR 2019, 140, 141; vom 31. Juli 2019 - 2 StR 132/19, juris Rn. 13, jeweils mwN).

bb) Das Landgericht hat im Hinblick auf die Persönlichkeit der Angeklagten sowie auf ihre Taten eine Gesamtwürdigung vorgenommen und dabei im rechtlichen Ansatz zutreffend geprüft, ob zwischen der abgeurteilten Tat (Anlasstat) und den beiden Vortaten vom 26. September 2006 und 2. August 2010 (s. I. 1. c) aa) und bb)), durch welche die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB begründet sind (Symptomtaten), ein symptomatischer Zusammenhang besteht. Die Prüfung selbst begegnet indes durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

(1) Unter dem symptomatischen Zusammenhang zwischen den Anlass- und Symptomtaten (zum Begriff s. BGH, Urteil vom 2. September 1997 - 5 StR 323/97, NStZ-RR 1998, 6, 7; Schönke/Schröder/Kinzig, StGB, 30. Aufl., § 66 Rn. 31 mwN) ist zu verstehen, dass sämtliche Taten Symptomcharakter zeigen, also kennzeichnend für den Hang im beschriebenen Sinne (und die Gefährlichkeit des Täters) sind. Zwischen diesen Taten und der Persönlichkeit des Täters ist mithin eine innere Beziehung dergestalt erforderlich, dass sie als Ausfluss des insoweit wirksam gewordenen Hangs erscheinen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. April 2008 - 5 StR 19/08, NStZ 2008, 453). Somit müssen sowohl die Anlasstat als auch die Symptomtaten in einem gleichartigen Verhältnis zur kriminogenen Persönlichkeitsstruktur des Täters stehen (s. BGH, Urteil vom 10. März 1992 - 5 StR 25/92, NStZ 1992, 382; zum Ganzen Schönke/Schröder/ Kinzig aaO; LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 218).

(2) Gemessen daran hat die Strafkammer auf der Grundlage der von ihr getroffenen Feststellungen das Fehlen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen Anlass- und Symptomtaten nicht nachvollziehbar dargetan. Sie hat das Kriterium des symptomatischen Zusammenhangs fehlgedeutet und die an ihn zu stellenden rechtlichen Anforderungen überspannt.

Im Ausgangspunkt hat sich die Strafkammer die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen zu den die Persönlichkeit der Angeklagten bestimmenden Umständen „vollumfänglich zu Eigen“ gemacht (UA S. 77). Hiernach ist ihre Persönlichkeit geprägt einerseits durch die dissoziale Persönlichkeitsstörung und andererseits durch die Polytoxikomanie als zwei „deliktrelevante Faktoren“, die „in einem wechselseitigen Beziehungsgefüge“ stehen. Die Angeklagte erfüllt alle spezifischen Diagnosekriterien der dissozialen Persönlichkeitsstörung, etwa ein „Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen Anderer“ sowie eine „sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives, einschließlich gewalttätiges Verhalten“. „Das Hauptmerkmal der Persönlichkeit“ weist „ein tiefgreifendes Muster der Missachtung und Verletzung der Rechte, Bedürfnisse und Wünsche anderer auf“ (UA S. 70). Wenngleich ohne Suchterkrankung von der Angeklagten „keine schweren Gewalttaten“ mehr zu erwarten sind, hat sie „eine verfestigte und hauptsächlich in ... (ihrer) Persönlichkeit ... verwurzelte Neigung zum Begehen von Straftaten“ (UA S. 76).

Inwieweit die Anlass- und Symptomtaten auf die so zusammenfassend beschriebene Persönlichkeitsstruktur zurückzuführen sind, ist im Urteil nicht erörtert. Die Strafkammer hat vielmehr die Taten miteinander verglichen und ist dabei zu dem Ergebnis gelangt, es handele sich bei der Anlasstat um eine gegenüber den Symptomtaten „völlig andere Straftat“ (UA S. 79). Ungeachtet dessen, dass auch „Delikte ganz unterschiedlicher Art“ (UA S. 77) sämtlich Symptomcharakter haben können (vgl. Fischer, StGB, 67. Aufl., § 66 Rn. 56 mwN), hat die Strafkammer den Vergleich zwischen den Taten unter zwei Einzelaspekten durchgeführt, unter denen diese Wertung als „völlig andere Straftat“ nicht nachvollziehbar erscheint, wohingegen sie andere der Wertung entgegenstehende Gesichtspunkte ausgeblendet hat:

(a) Zum einen hat die Strafkammer darauf abgestellt, dass sich die vom Landgericht F. abgeurteilte Tat vom 2. August 2010 als „impulshafter Aggressionsdurchbruch ohne bzw. aus nichtigem Anlass“ und die vom Amtsgericht W. abgeurteilte Tat vom 26. September 2006 als „durchaus impulsive Reaktion“ auf eine von ihr „als demütigend empfundene Situation“ darstelle. Bei der Anlasstat habe die Angeklagte das CSGas hingegen zielgerichtet eingesetzt, um ihre finanziellen Interessen durchzusetzen und nicht erkannt zu werden; im weiteren Verlauf der Tat habe sie anders als früher eine "(Rest)Impulskontrolle“ gezeigt (UA S. 79).

Diese Differenzierung geht fehl. Es erschließt sich nicht, dass bei der Anlasstat das Verhalten der Angeklagten deshalb nicht als einem Hang entsprechend impulsiv und aggressiv zu beurteilen wäre, weil sie hiermit auch einen rationalen Zweck verfolgte. Dass die massive Gewaltanwendung in Form des CS-Gaseinsatzes gegen eines der Opfer nicht als hangbedingt anzusehen sei, weil sie zielgerichtet der Begehung der schweren Straftat und der Verhinderung ihrer Aufklärung diente, ist nicht nachvollziehbar. In den Urteilsgründen wird auch nicht tragfähig dargelegt, dass bei der Tat vom 2. August 2010 der Messereinsatz keinen rationalen Zweck verfolgt hätte. Die Feststellungen legen Gegenteiliges nahe: Die Angeklagte drohte damals dem Opfer mit dem Messer, um sich Geld anzueignen. Nachdem der Bedrohte ihren Forderungen nicht sofort nachgekommen war, stach sie in dessen Bauch. Dem gemeinsam mit ihren Mittätern gefassten Tatplan entsprechend öffnete der Geschädigte später unter dem Druck der Drohungen und Verletzungshandlungen den Tresor, so dass ihm einer der Komplizen Bargeld entnehmen konnte.

Soweit die Strafkammer angenommen hat, die Angeklagte habe bei der Anlasstat eine Restimpulskontrolle gezeigt, indem sie letztlich davon abgesehen habe, das bereits mit dem CS-Gas attackierte Opfer noch mit dem Messer zu verletzen und es mit kochendem Wasser zu übergießen, ist dies im Ausgangspunkt zwar nicht zu beanstanden. In den Urteilsgründen wird jedoch die Bedeutung dieses Umstands für die innere Beziehung zwischen der Persönlichkeit der Angeklagten und der tatsächlich begangenen Tat nicht aufgezeigt. Mangels solcher Darlegungen besagt der Umstand zunächst nicht mehr, als dass die Angeklagte imstande war, eine ihr mögliche noch schwerere Form der Tatbegehung zu unterlassen. Hinzu kommt, dass dieses Unterlassen jeweils mit äußeren Ereignissen einherging, nämlich der Äußerung der Geschädigten auf die Aufforderung, den Aufbewahrungsort von Geld und Schmuck mitzuteilen, sowie dem Einschreiten des Mitangeklagten.

(b) Zum anderen hat die Strafkammer einen wesentlichen Unterschied zwischen der Anlasstat und den Symptomtaten in dem jeweils zugrundeliegenden Motiv gesehen. Bei der Anlasstat sei „leitendes Tatmotiv“ gewesen, dass die Angeklagte aufgrund eines Wohnungsbrandes „vor dem Nichts“ gestanden habe (UA S. 77). Die Tat vom 2. August 2010 sei hingegen „wesentlich auf die Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten zurückzuführen“ gewesen, während sich die Tat vom 26. September 2006 als „jugendtypische Verfehlung“ darstelle (UA S. 78).

Die Strafkammer hat dabei verkannt, dass die Angeklagte auch die Anlasstat in der Absicht beging, sich die finanziellen Mittel für den Drogenkonsum zu verschaffen. Ebenso wenig hat sie bedacht, dass die Angeklagte im Vorfeld der Tat vom 26. September 2006 gleichfalls ihre Unterkunft verloren hatte, indem sie von dem späteren Opfer wegen Alkoholexzessen der gemeinsamen Wohnung verwiesen worden war. Soweit in den Urteilsgründen mit den Ausführungen zum „leitenden Tatmotiv“ bei der Anlasstat zum Ausdruck gebracht werden sollte, dass diese als - nicht symptomatische - in einer Ausnahmesituation begangene Spontantat zu beurteilen sei, findet dies in den Feststellungen zur Persönlichkeit der Angeklagten und zur Tat keine Stütze.

(c) Schließlich hat es die Strafkammer versäumt, die Gemeinsamkeiten zwischen den Anlassund Symptomtaten in den Blick zu nehmen. So weisen gerade die Anlasstat und die Tat vom 2. August 2010 augenfällige Parallelen auf, namentlich die Auswahl eines als vermögend eingestuften Opfers, das Eindringen in dessen Haus bei Dunkelheit, die mittäterschaftliche Tatbegehung, die Drohung mit und der Einsatz von gefährlichen Werkzeugen (insbesondere Messern) zur Bereicherung sowie das Motiv des Betäubungsmittelkonsums.

cc) Da sich die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung nicht aus einem anderen Grund als richtig erweist, kann diese Entscheidung nicht bestehen bleiben. Der Rechtsfehler erfasst auch das Absehen vom Vorbehalt der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung.

b) Die Aufhebung der Entscheidung über die Maßregel der §§ 66, 66a StGB bedingt im Hinblick auf die rechtliche Verbindung und Wechselwirkung (§ 72 StGB) die Aufhebung der Maßregel nach § 64 StGB (s. BGH, Urteil vom 4. April 2019 - 3 StR 31/19, juris Rn. 19). Somit kann dahinstehen, ob die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 2 StGB) für sich gesehen rechtsfehlerfrei begründet ist.

3. Der gesamte Maßregelausspruch unterliegt daher der Aufhebung. Über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und die (vorbehaltene) Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist daher - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 und 3 StPO) - neu zu verhandeln und zu entscheiden.

Sollte die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer die Voraussetzungen beider Maßregeln als erfüllt ansehen, wird sie - worauf die Verteidiger in der Revisionshauptverhandlung zu Recht hingewiesen haben - die Vorschrift des § 72 StGB in den Blick zu nehmen haben (vgl. LK/Valerius, StGB, 13. Aufl., § 72 Rn. 21 f. mwN); dem Senat als Revisionsgericht ist eine solche Prüfung verwehrt.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1084

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 339; StV 2021, 253

Bearbeiter: Christian Becker