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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1088

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 394/20, Beschluss v. 10.08.2021, HRRS 2021 Nr. 1088


BGH 3 StR 394/20 - Beschluss vom 10. August 2021 (OLG Stuttgart)

Ursachenzusammenhang zwischen Handlung und Erfolg (Fortwirkung; weitere Ereignisse; Eröffnung einer neuen Ursachenreihe); Vorsatz bzgl. des Kausalverlaufs (Abweichungen; Grenzen allgemeiner Lebenserfahrung).

§ 15 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben. Ein Ursachenzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Demgegenüber verliert eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht, wenn außer ihr noch andere Ereignisse zur Herbeiführung des Erfolges beitragen. Ob die weitere Ursache durch das Opfer, einen Dritten oder den Täter selbst gesetzt wird, ist dabei ohne Bedeutung.

2. Der Vorsatz muss sich auf den gesamten Geschehensablauf erstrecken. Da aber alle Einzelheiten dieses Ablaufs kaum jemals genau voraussehbar sind, schließen Abweichungen gegenüber dem vorgestellten Verlauf den Vorsatz nicht ohne weiteres aus. Unwesentlich sind vielmehr Abweichungen, die sich in den Grenzen allgemeiner Lebenserfahrung, das heißt im Rahmen adäquater Kausalität, halten.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 13. Januar 2020 im Schuldspruch dahin geändert, dass er im Fall B.III.1. der Urteilsgründe schuldig ist des Mordes in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Personen und mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge in jeweils 19 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten schuldig gesprochen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung in zwei Fällen, der Gründung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in dieser und mit der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über Kriegswaffen sowie - im Fall B.III.1. der Urteilsgründe - des Mordes in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Personen und mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge in jeweils 17 tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie zweier weiterer Fälle des Mordes jeweils in Tateinheit mit Kriegsverbrechen gegen Personen, mit Freiheitsberaubung mit Todesfolge und mit Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Es hat deswegen auf lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe erkannt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Oberlandesgericht hat, soweit hier von Bedeutung, folgende Feststellungen getroffen: Bei Gefechten in R. im März 2013 nahm die Shura Front, der auch die vom Angeklagten gegründete und befehligte Katiba Mohamed Ibn Abd Allah angehörte, mehrere Regimeanhänger gefangen. Jedenfalls 19 von ihnen führten der Angeklagte und weitere Kämpfer einem Scharia-Richter vor. Dieser verurteilte die Gefangenen, wie vom Angeklagten für möglich gehalten und - infolge seiner religiösen Überzeugung - gebilligt, wegen ihrer Nähe zum syrischen Herrscherhaus als Ungläubige zum Tode. In Gegenwart des Angeklagten, der durch seine bewaffnete Präsenz Fluchtversuche unterband, wurden sie unverzüglich hingerichtet. Zwei durch die Exekutionsmaßnahmen bereits tödlich verwundete Gefangene erschoss der Angeklagte, „um sie von ihrem unweigerlich in den Tod mündenden Leiden [zu] erlösen“.

II.

Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Urteils hat einen Rechtsfehler lediglich dahin ergeben, dass sich die konkurrenzrechtliche Beurteilung des im Fall B.III.1. der Urteilsgründe festgestellten Geschehens als unzutreffend erweist.

Auf der Grundlage der vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen hat sich der Angeklagte (neben der Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) des Mordes, der Kriegsverbrechen gegen Personen sowie der Freiheitsberaubung mit Todesfolge in jeweils 19 tateinheitlichen Fällen anstatt, wie vom Oberlandesgericht gewertet, in jeweils 17 tateinheitlichen und zwei weiteren Fällen schuldig gemacht (vgl. zur Tateinheit bei höchstpersönlichen Rechtsgütern: BGH, Urteil vom 23. Mai 2012 - 5 StR 54/12, BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Rücktritt 13 Rn. 8; Beschlüsse vom 24. Oktober 2000 - 5 StR 323/00, NStZ-RR 2001, 82; vom 10. Februar 2016 - 2 StR 391/15, BGHR StGB § 1 Entschluss, einheitlicher 1 Rn. 8 f.). Denn bereits durch seine Beteiligung an den Hinrichtungshandlungen verursachte er nicht nur den Tod der 17 sofort verstorbenen Gefangenen, sondern auch den der zwei anschließend zusätzlich eigenhändig von ihm Erschossenen. Dieser Ursachenzusammenhang war von seinem ursprünglichen Vorsatz umfasst.

1. Ursächlich für den Eintritt eines tatbestandsmäßigen Erfolgs ist jede Bedingung, die den Erfolg herbeigeführt hat. Dabei ist gleichgültig, ob neben der Tathandlung noch andere Umstände, Ereignisse oder Geschehensabläufe zur Herbeiführung des Erfolgs beigetragen haben (BGH, Urteil vom 30. August 2000 - 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29, 30). Ein Ursachenzusammenhang ist nur dann zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat. Demgegenüber verliert eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht, wenn außer ihr noch andere Ereignisse zur Herbeiführung des Erfolges beitragen (BGH, Urteile vom 8. September 1993 - 3 StR 341/93, BGHSt 39, 322, 324; vom 10. Januar 2008 - 3 StR 463/07, juris Rn. 21). Ob die weitere Ursache durch das Opfer, einen Dritten oder den Täter selbst gesetzt wird, ist dabei ohne Bedeutung (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 1993 - 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195, 197 f.).

Der Angeklagte verursachte den Tod aller 19 Gefangenen mit, indem er sie während der Hinrichtungshandlungen an der Flucht hinderte. Dies gilt unbeschadet des Umstands, dass er zwei von ihnen später eigenhändig erschoss. Denn der Schusswaffeneinsatz gegen die bereits tödlich verletzten Opfer knüpfte an die vorausgegangenen Exekutionsmaßnahmen an und wäre ohne die hierdurch geschaffene Lage nicht möglich gewesen.

2. Der Tod dieser Opfer als Folge der ursprünglichen Hinrichtungshandlungen ist auch vom Vorsatz des Angeklagten mitumfasst.

Der Vorsatz muss sich auf den gesamten Geschehensablauf erstrecken. Da aber alle Einzelheiten dieses Ablaufs kaum jemals genau voraussehbar sind, schließen Abweichungen gegenüber dem vorgestellten Verlauf den Vorsatz nicht ohne weiteres aus. Unwesentlich sind vielmehr Abweichungen, die sich in den Grenzen allgemeiner Lebenserfahrung, das heißt im Rahmen adäquater Kausalität, halten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 6. Mai 1954 - 3 StR 843/53, GA 1955, 123, 125; vom 21. April 1955 - 4 StR 552/54, BGHSt 7, 325, 329; vom 26. April 1960 - 5 StR 77/60, BGHSt 14, 193, 194; vom 9. Oktober 1969 - 2 StR 376/69, BGHSt 23, 133, 135; vom 10. April 2002 - 5 StR 613/01, BGHR StGB § 16 Abs. 1 Kausalverlauf 3; vom 3. Dezember 2015 - 4 StR 223/15, BGHR StGB § 16 Abs. 1 Kausalverlauf 4 Rn. 12).

Nach diesen Grundsätzen bewegt sich der Umstand, dass die - durch die Exekutionsmaßnahmen bereits tödlich verletzten - zwei Tatopfer unmittelbar erst infolge der Schüsse des Angeklagten starben, nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit und stellt eine lediglich unwesentliche Abweichung des tatsächlichen vom vorgestellten Kausalverlauf dar.

3. Der Angeklagte hat sich durch seine mittäterschaftliche Beteiligung an der Hinrichtung der 19 Gefangenen mithin eines vollendeten Mordes aus sonstigen niedrigen Beweggründen, der Kriegsverbrechen gegen Personen sowie der Freiheitsberaubung mit Todesfolge in jeweils 19 tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht. Die durch die auf zwei bereits tödlich verwundete Gefangene eigenhändig abgefeuerten Schüsse verwirklichten Tötungsdelikte treten, da die Herbeiführung des Todeserfolgs dem Angeklagten strafrechtlich nur einmal angelastet werden kann, konkurrenzrechtlich dahinter zurück (vgl. BGH, Urteil vom 3. Dezember 2015 - 4 StR 223/15, BGHR StGB § 16 Abs. 1 Kausalverlauf 4 Rn. 14; NKStGB/Neumann/Saliger, 5. Aufl., § 212 Rn. 26a).

4. Mithin bedarf es der Änderung des Schuldspruchs entsprechend § 354 Abs. 1 StPO. Die Vorschrift des § 265 StPO steht dem nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können. Die Schuldspruchänderung bedingt den Wegfall von zwei der drei für die einheitliche materiellrechtliche Tat festgesetzten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafen. Die lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe bleibt davon unberührt (§ 54 Abs. 1 Satz 1 StGB).

Auch die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB) beruht nicht auf dem Rechtsfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Es ist auszuschließen, dass das Oberlandesgericht die Schuldschwere anders bewertet hätte, wenn es die Konkurrenzen im Fall B.III.1. der Urteilsgründe zutreffend bestimmt hätte. Denn das Ausmaß und die Schwere der Tat bestimmt der Umstand, dass der Angeklagte insgesamt 19 Menschen vorsätzlich tötete (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 139/02, NStZ 2003, 146 Rn. 7; Beschluss vom 19. Februar 2019 - 3 StR 14/19, NStZ 2019, 410 Rn. 10). Die bloße Korrektur des Konkurrenzverhältnisses hat keine Verringerung des Tatunrechts und des Schuldgehalts in seiner Gesamtheit zur Folge (BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 - 3 StR 178/13, wistra 2014, 392 Rn. 8).

5. Angesichts des geringfügigen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten (§ 473 Abs. 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 1088

Bearbeiter: Christian Becker