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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 341/93, Urteil v. 08.09.1993, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 341/93 - Urteil vom 8. September 1993 (LG Oldenburg)

BGHSt 39, 322; fahrlässige Tötung (Zurechenbarkeit des Todes eines freiwilligen Retters nach vorheriger gefährlicher Brandstiftung; Kausalität: Unbeachtlichkeit der hypothetischen Kausalität; Vorhersehbarkeit; bewusste Selbstgefährdung; offensichtlich unverhältnismäßiges und sinnloses Wagnis).

§ 222 StGB; § 306 Nr. 2 StGB; § 307 Nr. 1 StGB

Leitsätze

1. Unternimmt bei einer Brandstiftung ein Dritter Rettungshandlungen und kommt dabei zu Tode, so kann dieser Erfolg dem Täter der Brandstiftung als fahrlässige Tötung zugerechnet werden. (BGHSt)

2. Einer Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewusster Selbstgefährdung des Opfers bedarf es insbesondere dann, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft. (Bearbeiter)

3. Etwas anderes mag gelten, wenn es sich um einen von vorneherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuch handelt (vgl. auch BGH NJW 1964, 1363). (Bearbeiter)

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 16. Februar 1993 wird verworfen.

Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Sachbeschädigung unter Einbeziehung eines anderen Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Nach den Feststellungen fand in der Nacht vom 19. zum 20. September 1992 in dem Wohnhaus der Familie H. eine Feier statt, bei der sämtliche teilnehmenden ca. 30 Gäste, darunter der Angeklagte und die späteren Opfer, im Laufe des Abends - vom Angeklagten bemerkt - erhebliche Mengen Alkohol getrunken haben. In Ausführung eines bereits vor Mitternacht erwogenen Gedankens zündete der Angeklagte etwa um 1.30 Uhr in einem der Schlafzimmer im Obergeschoß des Hauses, dessen Räumlichkeiten ihm bekannt waren, ein Kleidungsstück an, um damit das Gebäude in Brand zu setzen. Während er sich anschließend unter die Gäste im Erdgeschoß mischte, hielt sich im Obergeschoß zur Zeit der Brandlegung neben einem in einem Zimmer schlafenden Gast, Michael K., noch der 12jährige Sohn der Eheleute H. im elterlichen Schlafzimmer auf. Das Feuer breitete sich schnell aus und es entwickelte sich starker Rauch. Dem Kind gelang es, sich nach Ausbruch des Brandes, über das Vordach des Hauses kletternd, in Sicherheit zu bringen. Michael K. hingegen erlitt eine Kohlenmonoxydvergiftung, die wenig später zu seinem Tod führte. Zur Zeit der Brandlegung wiesen der Angeklagte - in seiner Steuerungsfähigkeit deshalb erheblich eingeschränkt - eine Blutalkoholkonzentration von maximal 2,1 Promille und Michael K. eine solche von 2,38 Promille auf.

Als der 22jährige Sohn der Hauseigentümer Michael H., der sich bei Brandausbruch außerhalb des Hauses aufhielt, das Feuer bemerkte, entschloß er sich sogleich zu versuchen, in das Obergeschoß zu gelangen. Er wollte entweder "im Obergeschoß noch irgendwelche Sachen vor dem Feuer in Sicherheit bringen" oder "die Bergung von Menschen", etwa seines 12jährigen Bruders oder anderer Personen, versuchen (UA S. 20, 45). Michael H., der zu diesem Zeitpunkt eine Blutalkoholkonzentration von 2,17 Promille hatte, gelangte, noch vor Eintreffen der Feuerwehr, in den Flur des Obergeschosses, wo er bewußtlos zusammenbrach. Er starb wenig später ebenfalls an den Folgen einer Kohlenmonoxydvergiftung.

2. Die Verurteilung des Angeklagten wegen besonders schwerer Brandstiftung gemäß § 307 Nr. 1 StGB (zum Nachteil Michael K.) in Tateinheit mit Sachbeschädigung läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist auch der Schuldspruch hinsichtlich der in Tateinheit begangenen fahrlässigen Tötung (zum Nachteil Michael H.) rechtlich nicht zu beanstanden. Insoweit ist der Tatbestand des § 307 Nr. 1 StGB nicht erfüllt, da das Opfer sich zur Zeit der Tat nicht in dem in Brand gesetzten Gebäude befunden hatte.

a) Das Landgericht ist mit Recht davon ausgegangen, daß die Brandlegung für den Eintritt des Todes von Michael H. ursächlich und dieser Erfolg für den Angeklagten vorhersehbar war. Dessen Tod ist dem Angeklagten auch zuzurechnen.

Zwar hat Michael H. selbst durch seinen Entschluß, sich zu Rettungsmaßnahmen in das brennende Obergeschoß des Hauses zu begeben, neben der Brandlegung durch den Angeklagten eine zusätzliche Ursache für den späteren Eintritt seines Todes geschaffen. Durch die "Freiwilligkeit" seiner Rettungshandlung wird jedoch der Ursachenzusammenhang zwischen der vorsätzlichen Brandlegung und dem späteren Tod nicht unterbrochen. Michael H. hätte sich ohne die Brandlegung der Gefahrensituation nicht ausgesetzt. Es ist anerkannt, daß eine Ursache im Rechtssinne ihre Bedeutung nicht verliert, wenn außer ihr noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen. Ein Ursachenzusammenhang ist nur zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (RGSt 5, 202, 203; BGHSt 4, 360, 361 f.; 7, 112, 114; BGH NStE Nr. 12 zu § 222 StGB). So liegt der Fall hier nicht.

Aus dem angefochtenen Urteil ergibt sich auch, daß der Angeklagte nach seinen Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage war zu erkennen, daß sein Verhalten zum Tode eines Rettungswilligen führen konnte. Nicht erforderlich ist dabei, daß er die Folgen seiner Tat in Einzelheiten voraussehen konnte; es genügt, daß sie in ihrem Gewicht im wesentlichen voraussehbar waren (BGHSt 37, 179, 180; BGH NStZ 1981, 350). Dies war dem Angeklagten nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils trotz seiner Alkoholisierung möglich. Er war in der Lage, die unmittelbaren Brandwirkungen einzuschätzen (UA S. 18) und zu bedenken, daß sich Angehörige der betroffenen Familie auf Grund eines "selbstverantwortlichen Rettungsentschlusses" unter Gefährdung ihres Lebens zur Rettung von Sachwerten oder Angehörigen ins brennende Haus begeben könnten (UA S. 46/47).

b) Zu Recht hat das Landgericht angenommen, die Zurechnung des Todes entfalle nicht unter dem Gesichtspunkt der in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Grundsätze zur sogenannten bewußten Selbstgefährdung (vgl. BGHSt 32, 262 ff.; 36, 1, 17, 18; 37, 179, 180 ff.; BGH NStZ 1984, 452; 1985, 25, 26; 1986, 266, 267; 1987, 406; Schroeder in LK 10. Aufl. § 16 Rdn. 181 ff.; Rudolphi in SK StGB vor § 1 Rdn. 79 ff.; Cramer in Schönke/Schröder 24. Aufl. § 15 StGB Rdn. 157 - jeweils m.w.N.).

Danach ist im Bereich der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte ein Verletzungserfolg, insbesondere auch der Tod eines Menschen, einem Dritten, der dafür eine Ursache gesetzt hat, möglicherweise dann nicht zuzurechnen, wenn der Erfolg die Folge einer bewußten, eigenverantwortlich gewollten und verwirklichten Selbstgefährdung ist und sich die Mitwirkung des Dritten in einer bloßen Veranlassung oder Förderung des Selbstgefährdungsaktes erschöpft hat. Die an einem Fall wie BGHSt 32, 262 ff. (das Tatopfer starb nach gemeinsamem einverständlichem Betäubungsmittelgenuß an einer Überdosis des injizierten Heroins) entwickelte Rechtsprechung kann indes nicht schematisch auf Fälle übertragen werden, in denen durch ein deliktisches Verhalten eines Täters ein Dritter zu einer sich selbstgefährdenden Handlung veranlaßt worden ist. Sie findet beispielsweise keine Anwendung, wenn sich aus dem Schutzzweck der Norm ergibt, daß der Veranlasser der Gefahr für daraus resultierende Selbstgefährdungen anderer einzustehen hat (vgl. BGHSt 37, 179, 180 ff.).

Einer Einschränkung des Grundsatzes der Straffreiheit wegen bewußter Selbstgefährdung des Opfers bedarf es insbesondere dann, wenn der Täter durch seine deliktische Handlung die naheliegende Möglichkeit einer bewußten Selbstgefährdung dadurch schafft, daß er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers oder ihm nahestehender Personen begründet und damit für dieses ein einsichtiges Motiv für gefährliche Rettungsmaßnahmen schafft (vgl. Rudolphi JuS 1969, 549, 557; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolges, 1988, S. 481 ff., 490; ders. NStZ 1992, 1 ff., 62 ff.; Maurach/Gössel/Zipf AT/2 6. Aufl. § 43 III Rdn. 61; a.A. Roxin in Festschrift für Honig S. 142 f. und Festschrift für Gallas S. 246 ff.; ders. NStZ 1984, 411 und StGB Lehrbuch AT B I § 11 Rdn. 94 sowie Burgstaller, Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht, 1974, S. 112 ff. und in Festschrift für Jeschek S. 357, 370). Es ist sachgerecht, diese sich in solchen Situationen selbst gefährdenden Personen in den Schutzbereich strafrechtlicher Vorschriften einzubeziehen. Ebenso wie dem Täter bei Gelingen der Rettungshandlung die Erfolgsabwendung zugute kommt, hat er im Fall des Mißerfolges dafür einzustehen. Etwas anderes mag gelten, wenn es sich um einen von vorneherein sinnlosen oder mit offensichtlich unverhältnismäßigen Wagnissen verbundenen Rettungsversuch handelt (vgl. auch BGH NJW 1964, 1363). Ein solcher liegt hier ersichtlich nicht vor. Was letztlich Auslöser für das Vorgehen des späteren Opfers war, die Vorstellung, Menschenleben zu retten, oder die Vorstellung, Sachwerte oder einen bestimmten Gegenstand aus dem Hause seiner Eltern vor der Vernichtung zu bewahren, ist dabei unerheblich. Maßgeblich ist, daß Michael H. sich jedenfalls mit Rettungswillen in das brennende Obergeschoß des Hauses begab und daß zum festgestellten frühen Zeitpunkt sein Verhalten zu erwarten und Hilfe objektiv geboten war; denn es befanden sich neben sämtlichen Sachwerten der Familie noch der schlafende Michael K. im Obergeschoß des Hauses. Die Rettungshandlung war nicht offenkundig unvernünftig. Auch weitere Zeugen hatten zeitlich nach dem Eingreifen Michael H. versucht, in das Obergeschoß vorzudringen, um Michael K. zu retten (UA S. 21).

Mit dieser Beurteilung weicht der Senat nicht von BGHSt 32, 262 ff. ab. Diese Entscheidung läßt ausdrücklich offen, ob die dort entwickelten Grundsätze bei anders gelagerten Fällen Anwendung finden (BGH aaO S. 264; 266/267; vgl. auch BGHSt 37, 179, 180 ff.).

Externe Fundstellen: BGHSt 39, 322; NJW 1994, 205; NStZ 1994, 338; NStZ 1994, 83; StV 1995, 77

Bearbeiter: Rocco Beck