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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1348

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 338/20, Beschluss v. 27.10.2020, HRRS 2020 Nr. 1348


BGH 3 StR 338/20 - Beschluss vom 27. Oktober 2020 (LG Mönchengladbach)

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung; Prüfung eines minder schweren Falles beim Totschlag (Berücksichtigung eines gesetzlich vertypten Milderungsgrundes).

§ 55 StGB; § 213 StGB

Leitsatz des Bearbeiters

Über die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB zu entscheiden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als eine frühere Verurteilung gilt gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das letzte tatgerichtliche Sachurteil oder ein ihm gleichstehendes Erkenntnis, das sich mit der Schuld und/oder zumindest noch einem Teil der Straffrage befasst.

Entscheidungstenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. März 2020 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die er auf die in allgemeiner Form erhobenen Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts stützt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig.

2. Die sachlich-rechtliche Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere belegen die Urteilsgründe, wie vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift näher ausgeführt, den Tötungsvorsatz des Angeklagten noch hinreichend.

Demgegenüber hat der Strafausspruch keinen Bestand, da er sowohl bei der Wahl des Strafrahmens als auch in Bezug auf die unterbliebene nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe durchgreifenden materiellrechtlichen Bedenken begegnet.

a) Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des Totschlags gemäß § 213 StGB - bereits im Rahmen der rechtlichen Würdigung - abgelehnt und die Strafe dem nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Rahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Zur Begründung hat es hinsichtlich des § 213 Alternative 2 StGB allgemein auf sämtliche zugunsten des Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgründe abgestellt und auf seine nachfolgenden Ausführungen dazu verwiesen. Dass der Totschlag nicht vollendet wurde und mithin der vertypte Milderungsgrund des § 23 Abs. 2 StGB gegeben ist, findet weder im Zusammenhang mit § 213 StGB noch bei den später strafmildernd aufgezählten Gesichtspunkten Erwähnung.

Danach ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, dass das Tatgericht bei der Prüfung des minder schweren Falles neben den allgemeinen Strafzumessungsumständen zusätzlich die den gesetzlich vertypten Strafmilderungsgrund verwirklichenden Umstände in die gebotene Gesamtabwägung einbezogen hat (vgl. zu den Maßstäben st. Rspr., etwa BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2015 - 1 StR 629/14, BGHR StGB § 213 Alternative 2 Verneinung 4 Rn. 9 f.; vom 14. November 2014 - 3 StR 392/14, juris Rn. 3). Weil nach den weiteren Umständen nicht auszuschließen ist, dass die Strafkammer unter Zugrundelegung der zutreffenden Maßstäbe einen minder schweren Fall bejaht und auf eine mildere Strafe erkannt hätte, ist der Strafausspruch aufzuheben.

b) Die Erwägungen des Landgerichts tragen die Entscheidung nicht, von der nachträglichen Bildung einer Gesamtstrafe abzusehen.

Der Angeklagte war zunächst am 5. August 2019 durch das Amtsgericht Grevenbroich verurteilt worden. In der Nacht vom 10. auf den 11. September 2019 beging er die nunmehr abgeurteilte Tat. Am 18. Oktober 2019 verurteilte ihn das Landgericht Mönchengladbach auf seine auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil zu einer Geldstrafe. Das Urteil ist rechtskräftig.

Über die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe ist nach § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB zu entscheiden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als eine frühere Verurteilung gilt gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das letzte tatgerichtliche Sachurteil oder ein ihm gleichstehendes Erkenntnis, das sich mit der Schuld und/oder zumindest noch einem Teil der Straffrage befasst (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Februar 2020 - 4 StR 347/19, NJW 2020, 2202 Rn. 4 mwN; vom 3. November 2015 - 4 StR 407/15, juris Rn. 8; vom 30. Juni 1960 - 2 StR 147/60, BGHSt 15, 66, 69). Da im Berufungsurteil noch über den Rechtsfolgenausspruch entschieden wurde, entfaltete das amtsgerichtliche Urteil entgegen der Ansicht der Strafkammer keine Zäsurwirkung. Eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung hing mithin davon ab, ob die andere Strafe bereits vollstreckt oder anderweitig erledigt war. Hierzu verhalten sich die Urteilsgründe nicht.

c) Die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen sind durch die aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Weitergehende Feststellungen, die den bislang getroffenen nicht widersprechen, sind möglich und in Bezug auf den Vollstreckungsstand der früheren Strafe geboten. Insoweit ist für die Prüfung der Gesamtstrafenbildung der Zeitpunkt der Verkündung des angefochtenen Urteils maßgebend (s. BGH, Beschluss vom 6. März 2018 - 3 StR 530/17, StV 2018, 489 Rn. 8 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1348

Bearbeiter: Christian Becker