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HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 874

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 575/14, Urteil v. 21.05.2015, HRRS 2015 Nr. 874


BGH 3 StR 575/14 - Urteil vom 21. Mai 2015 (OLG Frankfurt)

Beteiligung am Völkermord (Mittäterschaft; arbeitsteiliges Vorgehen; gemeinschaftliche Tätigkeit; Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat; Umfang der Tatbeteiligung; Tatherrschaft; kein Erfordernis einer Mitwirkung am Kerngeschehen; Organisationsherrschaft; keine Beschränkung auf staatliche oder militärische Führungspersonen); Anforderungen an die Beweiswürdigung beim freisprechenden Urteil; rechtsfehlerhafte Berücksichtigung eines späten Entschlusses zur Aussage; Vereidigungsverbot (Reichweite; erfasste Straftaten).

§ 220a StGB; § 25 StGB; § 261 StPO; § 60 Nr. 2 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine mittäterschaftliche Beteiligung am Völkermord setzt - allgemeinen Grundsätzen entsprechend - keine Mitwirkung am Kerngeschehen voraus. Steht fest, dass ein Angeklagter ausreichend gewichtige Beteiligungshandlungen begangen hat, ist insbesondere eine eigenhändige Begehung von Tötungshandlungen nicht erforderlich. Auch ein Rückgriff auf die Kriterien der sog. „Tatherrschaft kraft Organisationsherrschaft“ ist dann entbehrlich.

2. Ein Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO kommt bei Verstößen des Zeugen gegen eine internationale Strafvorschrift - hier: Rule 91 (H) der Rules of Procedure and Evidence des IStGHR - nur in solchen Fällen in Betracht, in denen die internationale Strafvorschrift inhaltlich einer der in § 60 Nr. 2 StPO genannten Straftaten entspricht. Denn § 60 Nr. 2 StPO führt nicht alle in diesem Zusammenhang denkbaren Straftaten, sondern ausdrücklich nur solche auf, die mit der abzuurteilenden Tat in einem inneren Zusammenhang stehen. Das ist bei der vorbenannten Strafnorm nicht der Fall, die allenfalls ein Aussagedelikt statuiert.

Entscheidungstenor

Auf die Revisionen des Generalbundesanwalts und der Nebenkläger wird das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 18. Februar 2014 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an einen anderen Strafsenat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Oberlandesgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Völkermord zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt und festgestellt, dass von dieser sechs Monate als vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen des Generalbundesanwalts und von vier Nebenklägern, die sich mit der Sachrüge dagegen wenden, dass der Angeklagte nur als Gehilfe, nicht aber als (Mit-)Täter des Völkermordes verurteilt worden ist, sowie die auf verfahrensrechtliche Beanstandungen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Rechtsmittel des Generalbundesanwalts und der Nebenkläger haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie ebenso wie die Revision des Angeklagten unbegründet.

I. Nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen wurde die in dem zentralafrikanischen Land Ruanda lebende Bevölkerung seit frühester Zeit in die durch ihr Volkstum bestimmten Gruppen der Hutu, der Tutsi und der Twa eingeteilt, wobei die Hutu mit knapp 90% den weitaus größten Bevölkerungsanteil stellten. Gleichwohl bildeten die Tutsi bis zum Beginn der 1960er Jahre die herrschende Gesellschaftsschicht. Sodann übernahm die Gruppe der Hutu die Macht. Wie bereits zuvor ereigneten sich auch in der Folgezeit vielfach ethnisch motivierte Gewalttaten, denen zahlreiche Menschen zum Opfer fielen. Viele Tutsi flohen in die benachbarten Länder. Der 58 Jahre alte, nicht vorbestrafte Angeklagte, welcher der Volksgruppe der Hutu angehört, war seit 1988 Bürgermeister der ca. 65.000 Einwohner zählenden, im Norden Ruandas gelegenen Gemeinde Muvumba. Nachdem am 1. Oktober 1990 die Front Patriotique Rwandais (im Folgenden: FPR), der mehrheitlich Tutsi angehörten, von Uganda aus Ruanda angegriffen hatte, flohen die Bürger Muvumbas in Richtung Süden. 1993 erreichten sie die Gemeinde Murambi, wo sie unter der Verwaltung des Angeklagten in drei Flüchtlingslagern lebten. In dieser Zeit wurde in Ruanda eine staatlich gelenkte Propaganda betrieben, der zufolge die Angehörigen der durch ihr Volkstum bestimmten Gruppe der Tutsi „Komplizen“ der FPR und deshalb Staatsfeinde waren, die sowohl körperlich als auch als soziale Gruppe vernichtet werden müssen. Es hatten sich u.a. extremistische sog. Interahamwe-Milizen gebildet, die Tutsi angriffen und verfolgten.

Am Abend des 6. April 1994 wurde das Flugzeug des ruandischen Staatspräsidenten Habyarimana beim Landeanflug auf den Flughafen von Kigali, der Hauptstadt Ruandas, abgeschossen. Dabei fanden Habyarimana sowie der Präsident Burundis und mehrere hohe Offiziere den Tod. Dieses Ereignis war der Anlass für den Beginn eines Genozids, bei dem Angehörige der Hutu in der Zeit vom 6. April 1994 bis zum 18. Juli 1994 zwischen 500.000 und 1.000.000 Menschen töteten, die zum allergrößten Teil der Gruppe der Tutsi angehörten. Ein kleiner Teil der Getöteten waren gemäßigte Hutu, die in Opposition zur Regierung standen oder sich dem Töten widersetzten. Der Angeklagte nahm gegenüber den Tutsi eine ambivalente Haltung ein: Einerseits war ihm die Verfolgung und Vernichtung dieser Gruppe kein besonderes Anliegen; er war auch am Wohlergehen derjenigen Bürger Muvumbas interessiert, die Tutsi waren. Andererseits hielt er auch Reden, in denen er die offizielle gegen die Tutsi gerichtete Propaganda verkündete, welche er auch in die Tat umzusetzen bereit war, wenn es ihm aufgrund der jeweiligen Situation opportun erschien, um seiner Stellung als Funktionsträger des Regimes zu genügen und diese zu erhalten.

Im Zuge des Genozids an den Tutsi fand u.a. das sog. Kirchenmassaker von Kiziguro statt. Mindestens 450 Menschen, von denen die allermeisten den Tutsi angehörten, hatten vor den Gewalttaten auf dem Gelände der Kirche des in der Gemeinde Murambi gelegenen Ortes Kiziguro Schutz gesucht. Am 11. April 1994 griffen Soldaten, Gendarmen, Gemeindepolizisten, Angehörige der Interahamwe-Milizen sowie Bürger Murambis und Muvumbas diese Personen mit dem Ziel an, sie zu töten. Der Angriff wurde, wie am Vortage bei einer Zusammenkunft im Beisein des Angeklagten besprochen, vom ehemaligen Bürgermeister der Gemeinde Murambi, Jean-Baptiste Gatete, und anderen Autoritätspersonen befehligt, zu denen auch der Angeklagte gehörte. Die Angreifer töteten mindestens etwa 400 der auf dem Kirchengelände befindlichen Menschen überwiegend mit Macheten, Lanzen, Knüppeln, Äxten, Beilen und Hacken zumeist auf sehr qualvolle und grausame Weise. Viele der Getöteten und einige noch Lebende warfen die Angreifer in eine 350 Meter entfernte tiefe Grube; außerdem vergewaltigten sie Tutsi-Frauen und -Mädchen. Höchstens 60 Personen überlebten das Massaker, teilweise deshalb, weil sie in die Grube sprangen und von dort nach etwa einer Woche befreit wurden.

Der Angeklagte wusste um die näheren Tatumstände und die Motivation Gatetes und der übrigen Angreifer, welche mit dem Ziel handelten, jedenfalls die in Ruanda lebenden Tutsi auszurotten. Nach dem Tatgeschehen floh er mit vielen Angehörigen seiner Gemeinde und erreichte im April 1994 Tansania. Nach weiterer Flucht lebt er seit dem Jahre 2002 mit seiner Familie in Deutschland.

Nach der Wertung des Oberlandesgerichts ist der Angeklagte der Beihilfe zum Völkermord gemäß den nach § 2 Abs. 1 StGB anwendbaren § 220a Abs. 1 Nr. 1 aF, § 27 StGB schuldig. Zur Begründung hat es, soweit in diesem Revisionsverfahren von Bedeutung, ausgeführt, der objektive Tatbestand sei erfüllt, weil der Angeklagte sowohl Gatete als auch den übrigen Angreifern Hilfe geleistet habe. Gatete habe die Voraussetzungen des § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF als mittelbarer Täter (§ 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB) verwirklicht. Aufgrund der bestehenden Hierarchie habe er als „starker Mann“ Tatherrschaft gehabt und sei mit Blick auf den ihm zur Verfügung stehenden Machtapparat trotz der voll deliktisch handelnden unmittelbaren Täter als „Täter hinter dem Täter“ anzusehen. Der subjektive Tatbestand liege bei ihm vor. Die einzelnen Angreifer hätten als unmittelbare Täter gehandelt. Der Angeklagte habe durch sein Handeln diese Haupttaten gefördert; sein Vorsatz habe die Haupttaten und seine fördernden Handlungen umfasst.

Die Voraussetzungen einer Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangenen Völkermordes lägen demgegenüber nicht vor. Der Angeklagte habe weder durch seine einzelnen Handlungen noch durch deren Gesamtheit Tatherrschaft gehabt. Dies ergebe sich sowohl bei funktionaler Betrachtung als auch bei einer wertenden Gesamtschau aller Umstände. Der Senat habe nicht festgestellt, dass die Handlungen des Angeklagten aus dessen Sicht derart wesentlich für das Massaker gewesen seien, dass dessen Durchführung aus seiner Sicht maßgeblich von seiner Mitwirkung abgehangen habe. Weiter sei nicht festgestellt, dass der Angeklagte selbst in der Absicht gehandelt habe, die Gruppe der Tutsi ganz oder teilweise zu zerstören.

II. Revision des Generalbundesanwalts

Das Rechtsmittel des Generalbundesanwalts hat im Ergebnis weitgehend Erfolg. Die getroffenen Feststellungen belegen - selbst wenn man dem Tatgericht bei der Abgrenzung von (Mit-)Täterschaft und Beihilfe einen Beurteilungsspielraum einräumen will - entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands eines mittäterschaftlich vom Angeklagten begangenen Völkermordes (§ 25 Abs. 2, § 220a Abs. 1 Nr. 1 StGB aF). Soweit das Oberlandesgericht die im Rahmen des subjektiven Tatbestandes erforderliche Völkermordabsicht des Angeklagten nicht festgestellt hat, hält die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Täter des Völkermordes kann jedermann sein; in Betracht kommen insbesondere nicht lediglich staatliche oder militärische Führungspersonen (MüKo-StGB/Kreß, 2. Aufl., § 6 VStGB Rn. 7, 30 mwN). Nach ständiger Rechtsprechung, von der abzuweichen der vorliegende Fall keinen Anlass gibt, ist die Frage, ob ein Beteiligter eine Tat als (Mit-)Täter oder Gehilfe begeht, nach folgenden Kriterien zu beurteilen: Mittäterschaft ist gegeben, wenn ein Tatbeteiligter mit seinem Beitrag nicht bloß fremdes tatbestandsverwirklichendes Tun fördern will, sondern dieser Beitrag im Sinne arbeitsteiligen Vorgehens Teil einer gemeinschaftlichen Tätigkeit sein soll. Dabei muss der Beteiligte seinen Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils wollen. Der gemeinschaftliche Tatentschluss kann durch ausdrückliche oder auch durch konkludente Handlungen gefasst werden. Ob ein Beteiligter ein derart enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen, die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte für diese Beurteilung können der Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille hierzu sein, so dass Durchführung und Ausgang der Tat maßgeblich auch vom Willen des Betreffenden abhängen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. März 1994 - 3 StR 664/93, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 16). Die Annahme von Mittäterschaft erfordert allerdings nicht zwingend eine Mitwirkung am Kerngeschehen; es kann sogar ein Beitrag im Vorbereitungsstadium des unmittelbar tatbestandlichen Handelns (BGH, Beschluss vom 19. August 2014 - 3 StR 326/14, juris Rn. 7; Urteil vom 8. Januar 1992 - 3 StR 391/91, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 12) und ein solcher im Stadium zwischen Vollendung und Beendigung der Tat (BGH, Beschluss vom 14. Juni 1989 - 3 StR 156/89, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Mittäter 5) genügen.

Vor diesem Hintergrund ist das Oberlandesgericht bereits von einem zu engen Verständnis der (Mit-)Täterschaft ausgegangen, wenn es darauf abgestellt hat, es habe nicht feststellen können, dass die Handlungen des Angeklagten aus seiner Sicht derart wesentlich für das Massaker waren, dass dessen Durchführung maßgeblich von seiner Mitwirkung abhing. Zudem sind seine Erwägungen unvollständig, mit denen es eine mittäterschaftliche Beteiligung des Angeklagten an der Tat verneint hat; denn sie beziehen nicht alle festgestellten Umstände des Falles in die gebotene tatrichterliche wertende Betrachtung des Gesamtgeschehens ein. Von Bedeutung ist dabei etwa, dass der Angeklagte, der aufgrund seiner Stellung und Funktion eine herausgehobene Autoritäts- und Respektsperson war, bereits in die Vorbereitungen des Massakers eingebunden war. So ist im Einzelnen festgestellt, dass er sich ebenso wie Gatete und andere „Verwalter“ am 10. April 1994 zu dem Kirchengelände begab und Gespräche mit den Priestern führte, in denen diesen zu verstehen gegeben wurde, dass auch sie bei dem bevorstehenden Angriff getötet werden würden, wenn sie das Kirchengelände nicht verließen. Am Nachmittag desselben Tages nahm er an einer Zusammenkunft der „Verwalter“ teil, bei der der Angriff besprochen und beschlossen wurde, zur Verstärkung Soldaten aus Gabiro herbeizuholen. Auch zu dem unmittelbaren Tatgeschehen leistete der Angeklagte wesentliche Beiträge. Am Vormittag des 11. April begab er sich mit Gatete und anderen Autoritätspersonen zu dem Kirchengelände, um den Angriff zu befehligen und zu koordinieren. Er stand neben Gatete, als dieser befahl, mit dem Angriff zu beginnen, und verlieh auf diese Weise der Aufforderung zusätzliches Gewicht. Auch forderte er die Angreifer persönlich mit Worten wie „Helft!", „Helft mal!", „Arbeitet!" und „Fangt mit Eurer Arbeit an!" dazu auf, die versammelten Tutsi zu töten, was die Angreifer weiter bestärkte. Nachdem er sich sodann für eine Weile entfernt hatte, fuhr er erneut mit Gatete vor und ließ sich über den Stand der andauernden Tötungen berichten. Als er erfuhr, dass es den bislang anwesenden Angreifern nicht gelingen werde, alle Tutsi zu töten, bevor das Eintreffen der herannahenden RPR-Truppen zu erwarten war, sagte er zu, Unterstützung zu bringen, und forderte die Anwesenden auf, das Möglichste zu tun, um die anwesenden Tutsi umzubringen. Sodann fuhr er zu den umliegenden Lagern und befahl einigen der sich dort aufhaltenden Flüchtlingen, sich mit ihm zum Kirchengelände zu begeben und die dort befindlichen Tutsi zu töten. Er transportierte die Betreffenden mit seinem Fahrzeug zum Kirchengelände und setzte sie dort ab. Anschließend ging er in den Innenhof des Kirchengeländes, in dem zahlreiche Leichen lagen und das Blut knöchelhoch stand, und forderte die dort tötenden Angreifer auf, sich mit dem weiteren Töten zu beeilen. Im weiteren Verlauf des Massakers erschien er bei denjenigen Angreifern, die das Gelände umstellten, und wies diese an aufzupassen, dass niemand entkomme. Am Nachmittag des 11. April 1994 begab er sich mit Gatete zu einem in der Nähe gelegenen Krankenhaus und befahl, die dort anwesenden Tutsi herauszuholen; diese wurden sodann in Richtung des Kirchengeländes getrieben.

Mit diesen zahlreichen und gewichtigen Tätigkeiten förderte der Angeklagte nicht lediglich fremdes Tun, sondern fügte mehrere eigene, vom Willen zur Tatherrschaft getragene, objektiv für die Tat wesentliche Tatbeiträge derart in eine gemeinschaftliche Tat ein, dass diese als Teil der Tätigkeit der anderen und umgekehrt deren Tun als Ergänzung seiner eigenen Tatbeiträge anzusehen sind. Da der Angeklagte sich an dem unmittelbaren Tatgeschehen beteiligte, bedarf es hier entgegen der in der Revisionsbegründung vertretenen Auffassung des Generalbundesanwalts nicht des Rückgriffs auf die für andere Fallkonstellationen in der Rechtsprechung entwickelte Rechtsfigur der „Tatherrschaft kraft Organisationsherrschaft“ (BGH, Urteil vom 26. Juli 1994 - 5 StR 98/94, BGHSt 40, 218 ff.), die zur mittelbaren Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1 Alternative 2 StGB führt; das Verhalten des Angeklagten erfüllt vielmehr die objektiven Voraussetzungen einer unmittelbaren Mittäterschaft nach § 25 Abs. 2 StGB, auch wenn nicht festgestellt ist, dass er eigenhändig Tötungshandlungen vornahm.

2. Mit Blick auf die insoweit auch in ihrem Zusammenhang eindeutigen Urteilsgründe kann dem Vorbringen in der Revisionsbegründung des Generalbundesanwalts nicht gefolgt werden, die Urteilsgründe würden die nach § 220a Abs. 1 StGB aF erforderliche Völkermordabsicht, das heißt das zielgerichtete Wollen der teilweisen oder vollständigen Zerstörung einer von der Vorschrift geschützten Gruppe (BGH, Beschluss vom 21. Februar 2001 - 3 StR 244/00, NJW 2001, 2732, 2733) zumindest in deren sozialer Existenz (BGH, Urteil vom 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 80; vgl. im Einzelnen MüKo-StGB/Kreß, 2. Aufl., § 6 VStGB Rn. 71 ff.), positiv belegen. Die Umstellung des Schuldspruchs auf täterschaftlich begangenen Völkermord und die Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe durch den Senat kommen deshalb nicht in Betracht. Allerdings weist die der Feststellung, der Angeklagte habe nicht in Völkermordabsicht gehandelt, zugrunde liegende Beweiswürdigung auch mit Blick auf den insoweit im Revisionsverfahren geltenden eingeschränkten Prüfungsmaßstab durchgreifende Rechtsfehler auf.

a) Spricht das Tatgericht einen Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei, oder verurteilt ihn - wie hier - lediglich als Gehilfen der Tat, weil es sich vom Vorliegen eines für dessen Aburteilung als (Mit-)Täter erforderlichen subjektiven Tatbestandsmerkmals nicht zu überzeugen vermag, so ist dies im Revisionsverfahren zwar grundsätzlich hinzunehmen. Ein durchgreifender Rechtsfehler kann aber darin liegen, dass die zugrunde liegende Beweiswürdigung lückenhaft ist oder das Tatgericht überspannte Anforderungen an die für die Feststellung des Tatbestandsmerkmals erforderliche Sicherheit stellt. Daneben ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte vorhanden sind. Dementsprechend kann ein Rechtsfehler auch deshalb anzunehmen sein, weil das Tatgericht nach den Feststellungen nahe liegende Schlussfolgerungen nicht gezogen hat, ohne tragfähige Gründe anzuführen, die dieses Ergebnis stützen (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. Februar 2012 - 4 StR 602/11, juris Rn. 10; Urteil vom 11. Dezember 2014 - 3 StR 265/14, juris Rn. 67).

b) Hieran gemessen bestehen im vorliegenden Fall durchgreifende rechtliche Bedenken gegen die tatrichterliche Beweiswürdigung. Das Oberlandesgericht hat insoweit zur Begründung lediglich ausgeführt, die Verfolgung und Vernichtung der Tutsi seien dem Angeklagten kein besonderes eigenes Anliegen gewesen; er habe diesen gegenüber eine ambivalente Haltung eingenommen. Deshalb könne aus der festgestellten Beteiligung an dem Massaker nicht mit ausreichender Sicherheit auf seine Absicht im Sinne des § 220a Abs. 1 StGB aF geschlossen werden. Diese im Gegensatz zu den sonstigen Ausführungen zur Beweiswürdigung eher rudimentären, auf einer halben Seite der schriftlichen Urteilsgründe abgehandelten Erwägungen greifen in mehrfacher Hinsicht zu kurz:

Das Oberlandesgericht hat im Zusammenhang mit dem ambivalenten Verhalten des Angeklagten gegenüber den Tutsi auch festgestellt, der Angeklagte habe Reden gehalten, in denen er die offizielle gegen die Volksgruppe der Tutsi gerichtete Propaganda verkündete, welche er auch in die Tat umzusetzen bereit gewesen sei, wenn es ihm aufgrund der jeweiligen Situation opportun erschienen sei, um seiner Stellung als Funktionsträger des Regimes zu genügen und diese zu erhalten (UA S. 38). Diese ausdrückliche Feststellung hätte Anlass gegeben zu erwägen, ob die Zerstörung zumindest eines Teils der Volksgruppe der Tutsi sich für den Angeklagten als notwendiges Mittel für einen dahinter liegenden weiteren Zweck - die Erhaltung seiner Stellung im staatlichen System Ruandas - darstellte. Denn es genügt, wenn die ganze oder teilweise Zerstörung der Gruppe das Zwischenziel des Täters bildet (Werle, Völkerstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 814); sie muss ebenso wie bei den sonstigen Delikten mit einer durch eine besondere Absicht geprägten überschießenden Innentendenz nicht Triebfeder bzw. Endziel, Beweggrund oder Motiv des Täters sein (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - 3 StR 265/14, juris Rn. 66 mwN zu § 263 StGB).

Das Tatgericht hat auch nicht in den Blick genommen, dass die ambivalente Haltung des Angeklagten nach den Feststellungen vor allem für diejenigen Tutsi galt, für die er als Bürgermeister Verantwortung trug. Damit hat es ebenfalls den naheliegenden Erklärungsansatz ausgeblendet, dass es dem Angeklagten vor allem daran gelegen war, in dem Bereich - insbesondere den Flüchtlingslagern -, für den er die administrative Verantwortung trug, keine Unruhen aufkommen zu lassen.

Soweit sich die Ausführungen zur Beweiswürdigung bezüglich der Völkermordabsicht im Übrigen in der pauschalen Aussage erschöpfen, auf diese könne auch aus der festgestellten Beteiligung an der Tat nicht geschlossen werden, ist zu besorgen, dass das Oberlandesgericht zum einen von einem zu niedrigen Gewicht der objektiven Tathandlungen ausgegangen ist und zum anderen nicht beachtet hat, dass das Massaker Teil eines staatlich geförderten genozidalen Gesamtgeschehens war (vgl. zur diesbezüglichen Indizwirkung für die Völkermordabsicht der Beteiligten Werle, Völkerstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 825 mwN). Jedenfalls wären die mehreren, sich über einen längeren Zeitraum hinziehenden und sich in das Gesamtgeschehen nahtlos einfügenden objektiven Tathandlungen des Angeklagten, die für sich genommen nicht nahelegen, der Angeklagte habe als einziger aller gemeinschaftlich handelnden Tatbeteiligten nicht mit Völkermordabsicht gehandelt, im Einzelnen auf ihre Indizwirkung für deren Vorliegen zu würdigen gewesen. Dies hat das Oberlandesgericht versäumt.

III. Revisionen der Nebenkläger

Da der Senat durch gesonderten Beschluss mit in der Hauptverhandlung ausdrücklich erklärter Zustimmung des Generalbundesanwalts und aller Nebenkläger die Strafverfolgung gemäß § 154a Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Nr. 2 StPO auf den Vorwurf des Völkermordes anlässlich des „Massakers von Kiziguro“ beschränkt hat, bedarf es keiner Erörterung, ob die Revisionen der Nebenkläger Erfolg haben könnten, weil das Oberlandesgericht seine Kognitionspflicht verletzt hat, indem es im erstinstanzlichen Verfahren die angeklagten konkreten Tötungsdelikte ohne Zustimmung der Nebenkläger und damit nicht in wirksamer Weise von der Strafverfolgung ausgenommen hat.

Die Revisionen aller vier Nebenkläger haben mit der Sachrüge aus denselben Gründen und in demselben Umfang Erfolg wie diejenige des Generalbundesanwalts. Insbesondere kommt auch auf die Revision der Nebenkläger die von diesen begehrte Änderung des Schuldspruchs durch den Senat nicht in Betracht.

IV. Revision des Angeklagten

1. Die erhobenen Verfahrensrügen greifen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführten Gründen nicht durch. Der Senat bemerkt insoweit zusammenfassend bzw. ergänzend:

a) Soweit die Revision eine Verletzung der §§ 261, 52 StPO geltend macht und beanstandet, das Oberlandesgericht habe bei der Würdigung der Aussage der Ehefrau des Angeklagten rechtsfehlerhaft berücksichtigt, dass die Zeugin zunächst von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und sich erst gegen Ende der Hauptverhandlung zu einer Aussage entschlossen habe, zeigt sie zwar einen Rechtsfehler auf (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1987 - 4 StR 46/87, BGHSt 34, 324, 327; Beschluss vom 27. Januar 2009 - 3 StR 1/09, juris Rn. 2 ff.; Beschluss vom 13. August 2009 - 3 StR 168/09, NStZ 2010, 101, 102). Auf diesem beruht die angefochtene Entscheidung jedoch nicht (§ 337 StPO). Die Zeugin hat insoweit im Wesentlichen lediglich bekundet, am 9. April 1994 - und damit zwei Tage vor dem Massaker - mit dem Angeklagten telefoniert zu haben. Dabei habe dieser angegeben, sich in Kayonza - das etwa 20 km von Kiziguro entfernt liegt - zu befinden. Das Oberlandesgericht hat seine Überzeugung davon, dass der Angeklagte am Tattag in Kiziguro am Tatort war, sorgfältig dargelegt und begründet. Es ist mit Blick auf die zahlreichen Zeugen, die ausgesagt haben, den Angeklagten am Tatort gesehen zu haben, und deren Bekundungen nach der Wertung des Oberlandesgerichts durch die Aussage der Ehefrau des Angeklagten nicht in Frage gestellt werden, ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht zu einem anderen Ergebnis der Beweisaufnahme gekommen wäre, hätte es die rechtsfehlerhafte Erwägung nicht angestellt.

b) Die Rüge, die Zeugin U. sei vereidigt worden, obwohl sie in dem Verfahren gegen Gatete vor dem Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda (im Folgenden: IStGHR) falsch ausgesagt und deshalb ein Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO bestanden habe, dringt nicht durch. Dabei kann dahin stehen, ob anzunehmen ist, ein Verstoß scheide bereits deshalb aus, weil die Vorschrift voraussetzt, dass der Zeuge sich nach deutschen Strafrechtsnormen strafbar gemacht hat. Hält man die Norm auch dann für anwendbar, wenn der Zeuge zuvor gegen eine internationale Strafvorschrift verstoßen hat, so kommt ein Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO jedenfalls nur in solchen Fällen in Betracht, in denen die internationale Strafvorschrift inhaltlich einer der in § 60 Nr. 2 StPO genannten Straftaten entspricht, hier also dem § 258 StGB ähnlich ist und die (versuchte) Strafvereitelung unter Strafe stellt. Denn § 60 Nr. 2 StPO führt nicht alle in diesem Zusammenhang denkbaren Straftaten, sondern ausdrücklich nur solche auf, die mit der abzuurteilenden Tat in einem inneren Zusammenhang stehen. Dies entspricht der ratio legis, die nicht in erster Linie dahin geht, den Zeugen vor einem Meineid zu bewahren, sondern in den Blick nimmt, dass der Tatverdächtige seine Stellung als der eines Beschuldigten ähnlich empfindet und der Eid erfahrungsgemäß in einem solchen Fall zur Erhöhung des Beweiswertes nicht geeignet ist (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 60 Rn. 8 mwN). Die von der Revision angeführte Rule 91 (H) der Rules of Procedure and Evidence des IStGHR, bei der es sich um selbstgesetztes Recht des Strafgerichtshofs handelt, statuiert indes allenfalls ein Aussagedelikt. Aussagedelikte sind in dem Katalog des § 60 Nr. 2 StPO aus den genannten Gründen aber gerade nicht enthalten. Keiner näheren Betrachtung bedarf deshalb auch, ob das Verhalten der Zeugin vor dem IStGHR überhaupt nach dessen Rule 91 strafbar ist.

c) Die Beanstandung, § 244 Abs. 3 und 6 StPO seien verletzt, weil das Oberlandesgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen sei, aufgrund von Zeugenschutzmaßnahmen und Sperrerklärungen des IStGHR bestimmte Auslandszeugen nicht vernehmen zu dürfen, so dass diese unerreichbar im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO seien, dringt nicht durch. Dabei ist nicht von Belang, ob das Oberlandesgericht an die diesbezüglichen Entscheidungen des IStGHR gebunden war oder über die Vernehmung der Zeugen ohne entsprechende Bindungswirkung nach Maßgabe allein des deutschen Rechts zu befinden hatte. Denn das Oberlandesgericht hat die Ablehnung des Antrags auf Vernehmung der benannten Auslandszeugen mit näherer rechtsfehlerfreier Begründung auch auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO gestützt, was die Revision nicht angreift.

d) Die Rüge, es liege ein Verstoß gegen § 55 Abs. 1, § 244 Abs. 2 StPO vor, weil das Oberlandesgericht rechtsfehlerhaft von einer Vernehmung des Zeugen Gatete abgesehen habe, nachdem dieser sich auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht berufen hatte, hat keinen Erfolg. Sie ist bereits nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die Beanstandung der Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht muss unter anderem eine bestimmte Beweisbehauptung enthalten (KK/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 51; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 367, jeweils mwN); hieran fehlt es. Die Revision bringt in diesem Zusammenhang lediglich vor, der Zeuge hätte bestätigt, dass der Angeklagte nicht an der Tat in Kiziguro mitwirkte. Dieses auf ein Negativgeschehen bezogene, weit gefasste, pauschale und somit durch Wertungen ausfüllungsbedürftige Vorbringen erfüllt die Anforderungen an eine ausreichend bestimmte Beweisbehauptung nicht; es ist vielmehr lediglich auf die Ermittlung eines Beweisziels, das heißt die Folgerung, die das Gericht ziehen soll (LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 96), gerichtet. Die Beanstandung ist auch unbegründet, denn dem Zeugen stand aus den vom Oberlandesgericht und dem Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführten Gründen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu. Aufgrund der Angaben seines Rechtsbeistandes durfte das Oberlandesgericht auch davon ausgehen, dass der Zeuge von diesem Recht Gebrauch machen würde; weitere Maßnahmen waren insoweit nicht veranlasst.

2. Die auf die Sachrüge veranlasste materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere ist die Beweiswürdigung, soweit sie das objektive Tatgeschehen betrifft, sorgfältig und frei von Rechtsfehlern. Das Oberlandesgericht hat sich u.a. mit den Besonderheiten des vorliegenden Falles, die sich etwa daraus ergeben, dass die Zeugen überwiegend aus einem fremden Kulturkreis stammen, auseinandergesetzt und die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen nicht nur auf die Aussagen von „Opferzeugen“, sondern auch auf die Bekundungen von Personen gestützt, die auf der Seite der Täter an den Straftaten zum Nachteil der Tutsi beteiligt waren.

V. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind als solche rechtsfehlerfrei getroffen worden; sie werden von den aufgezeigten Rechtsfehlern nicht erfasst und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Demgegenüber bedarf die Sache bezüglich des subjektiven Tatbestandes neuer Verhandlung und Entscheidung. Dies gilt auch für den als solchen rechts fehlerfrei festgestellten Vorsatz des Angeklagten; dieser ist mit der Völkermordabsicht so eng verknüpft, dass der Senat auch die diesbezüglichen Feststellungen aufhebt, um dem neuen Tatgericht zu ermöglichen, insgesamt einheitliche Feststellungen zum subjektiven Tatbestand zu treffen.

HRRS-Nummer: HRRS 2015 Nr. 874

Bearbeiter: Christian Becker