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HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 141

Bearbeiter: Ulf Buermeyer

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 296/08, Urteil v. 18.09.2008, HRRS 2009 Nr. 141


BGH 3 StR 296/08 - Urteil vom 18. September 2008 (LG Flensburg)

Freispruch; Überzeugungsbildung; Beweiswürdigung (Rücknahme eines Geständnisses); Indiztatsache (Bewertung der Beweisbedeutung; ausdrückliche Erörterung in den Urteilsgründen).

§ 261 StPO; § 267 Abs. 5 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden.

2. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt.

3. Es ist ebenfalls Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in einer Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung vertretbar, kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen.

4. Die fehlende Erwähnung einer Indiztatsache in einem bestimmten Beweiszusammenhang begründet nur dann eine revisionsrechtlich relevante Lücke der Beweiswürdigung, wenn sie nach ihrer Beweisbedeutung zwingend ausdrücklich zu erörtern war.

Entscheidungstenor

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 14. November 2007 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten J. wegen Anstiftung zur Brandstiftung sowie wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Gegen den Angeklagten S. hat es wegen fahrlässiger falscher Versicherung an Eides statt unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer Vorverurteilung eine Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 8 € verhängt. Im Übrigen lag beiden Angeklagten die Begehung von insgesamt fünf Brandstiftungsdelikten, dem Angeklagten S. zudem eine Verleitung zur Falschaussage zur Last. Von diesen Vorwürfen hat das Landgericht sie aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit der gegen diese Teilfreisprüche gerichteten Revision greift die Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen die Beweiswürdigung durch das Landgericht an. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I. Der Angeklagte J. hatte die Brandstiftungstaten im Ermittlungsverfahren zunächst bestritten, später jedoch eingeräumt, die Brände gelegt zu haben und von dem Angeklagten S. hierzu jeweils beauftragt worden zu sein. Diese Einlassung hat er im Laufe der Hauptverhandlung weitgehend zurückgenommen und nur noch das Geständnis für eine von ihm begangene Anstiftung zur Brandstiftung aufrechterhalten. Das Landgericht hat sich von der Glaubhaftigkeit der widerrufenen Angaben nicht überzeugen können und die Tatvorwürfe auch nicht aufgrund der sonstigen erhobenen Beweise als bestätigt angesehen.

II. Die tatrichterliche Beweiswürdigung hält der materiellrechtlichen Überprüfung stand.

Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen; denn die Würdigung der Beweise ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Das Revisionsgericht ist demgegenüber auf die Prüfung beschränkt, ob die Beweiswürdigung des Tatrichters mit Rechtsfehlern behaftet ist, etwa weil sie Lücken oder Widersprüche aufweist, mit den Denkgesetzen oder gesichertem Erfahrungswissen nicht in Einklang steht oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überzogene Anforderungen stellt (BGH NJW 2005, 2322, 2326). Einen Rechtsfehler in diesem Sinne zeigt die Revision nicht auf.

1. Das Landgericht hat erkannt, dass ein Geständnis oder eine sonstige Sachdarstellung eines Angeklagten einschließlich etwaiger Belastungen von Mitangeklagten nach der deutschen Strafprozessordnung durch einen Widerruf nicht beseitigt werden, sondern der Beweiswürdigung in vollem Umfang zugrunde gelegt werden können und vom Tatrichter unter Einbeziehung der Umstände und Gründe des Widerrufs auf ihre Richtigkeit zu überprüfen sind (vgl. BGHR StPO § 261 Aussageverhalten 23; vgl. auch BGH StV 2001, 440; NStZ 1994, 597; NJW 1967, 2020). Bei dieser von ihm vorgenommenen Prüfung hat es entgegen der Ansicht der Revision keine überspannten Anforderungen an die Glaubhaftigkeit der belastenden Angaben des Angeklagten J. gestellt; rechtlich erhebliche Widersprüche, Lücken oder durchgreifende Verletzungen des Zweifelsgrundsatzes liegen ebenfalls nicht vor. Das Landgericht hat das Geständnis des Angeklagten J. unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte umfassend bewertet und die sonstigen erhobenen Beweise erschöpfend gewürdigt. Dabei hat es die die Angeklagten belastenden Indiztatsachen dargelegt und rechtsfehlerfrei begründet, dass ihm diese weder jeweils für sich allein noch in ihrer Gesamtheit die Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten vermitteln konnten. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung ist deshalb hinzunehmen, auch wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich gewesen wäre.

2. Hinsichtlich der einzelnen von der Revision erhobenen Beanstandungen nimmt der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Bezug und bemerkt lediglich ergänzend:

Die Rüge, die Beweiswürdigung im Fall B. I. 1. der Urteilsgründe (Objekt N. in Fl.) sei lückenhaft, weil die Strafkammer die Aussage der Zeugen K., F., M., F. und Su. nicht dahin gewürdigt habe, ob und gegebenenfalls wie sie die Angaben des Angeklagten J. beeinflussen, geht ins Leere. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 41 f., 55, 60) hat das Landgericht die Bekundungen der genannten Zeugen bei der Bewertung der Einlassung des Angeklagten J. ausdrücklich berücksichtigt.

Im Fall B. I. 2. der Urteilsgründe (Objekt G. in Ma.) war das Landgericht nicht gehalten, in seine Beweiswürdigung die Angaben des Angeklagten S. und des Zeugen M. im Fall B. II. 1. der Urteilsgründe (Verleitung zur Falschaussage) zu einem gemeinsamen Aufenthalt in den neuen Bundesländern einzubeziehen. Die fehlende Erwähnung einer Indiztatsache in einem bestimmten Beweiszusammenhang begründet nur dann eine revisionsrechtlich relevante Lücke der Beweiswürdigung, wenn sie nach ihrer Beweisbedeutung zwingend ausdrücklich zu erörtern war (BGH NJW 2005, 2322, 2326). Eine derartige Lücke liegt mit Blick auf das sonstige Beweisergebnis nicht vor, zumal sich der Angeklagte S. und der Zeuge M. nach ihren Angaben im Fall B. II. 1. der Urteilsgründe in den neuen Bundesländern erst am 18. September 1998 und damit nach der Brandlegung in Ma. am 29. März 1998 aufhielten.

Soweit die Revision in demselben Fall unter Hinweis auf die Angaben des Angeklagten J. zu dem Zustand des Türschlosses nach der Tat beanstandet, das Landgericht habe überspannte Anforderungen an seine Überzeugungsbildung gestellt, zeigt sie ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat ausdrücklich ausgeführt, dass die Schilderung dieses Details für die Glaubhaftigkeit der früheren geständigen Einlassung des Angeklagten J. spricht. Nach einer Gesamtwürdigung aller Indiztatsachen hat es sich jedoch nicht von der Täterschaft der Angeklagten überzeugen können. Dies ist im Hinblick auf die teilweise gewichtigen, der Einlassung des Angeklagten J. entgegenstehenden Umstände hinzunehmen; denn nach den oben genannten Grundsätzen ist es auch Sache des Tatrichters, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen be- oder entlastenden Indizien in einer Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung vertretbar, kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen.

HRRS-Nummer: HRRS 2009 Nr. 141

Bearbeiter: Ulf Buermeyer