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Bearbeiter: Rocco Beck

Zitiervorschlag: BGH, 3 StR 527/00, Beschluss v. 30.01.2001, HRRS-Datenbank, Rn. X


BGH 3 StR 527/00 - Beschluß v. 30. Januar 2001 (LG Verden)

Voraussetzungen für Unterbringung in einer psychiatrischen Krankenhaus

§ 63 StGB

Entscheidungstenor

1. Der Angeklagte wird auf seinen Antrag gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 7. Juni 2000 in den vorigen Stand wiedereingesetzt.

Die Kosten der Wiedereinsetzung trägt der Angeklagte.

Damit ist der Beschluß des Landgerichts Verden vom 23. August 2000, mit dem die Revision verworfen worden ist, gegenstandslos.

2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 7. Juni 2000 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchtem sexuellen Mißbrauch von Kindern sowie wegen der unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln an eine Person unter 18 Jahren in zwei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem gesamtstrafenfähigen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit Beschluß vom 23. August 2000 hat das Landgericht die Revision des Angeklagten wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist als unzulässig verworfen.

Dem Angeklagten war auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die von ihm nicht verschuldete Versäumung der Frist zur Begründung der Revision zu bewilligen (§§ 44, 45, 46 StPO). Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat allein zum Maßregelausspruch Erfolg, im übrigen ist sie unbegründet.

1. Die Überprüfung des Schuldspruchs und des Strafausspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Zur Begründung verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in dessen Antragsschrift vom 15. November 2000. Insbesondere hat die Strafkammer im Fall zum Nachteil des Kindes Andrea M. mit einer rechtsfehlerfreien Begründung einen minder schweren Fall des Mißbrauchs eines Kindes verneint. Durch die fehlerhafte, den rechtlichen Anforderungen nicht genügende Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB und die hierauf beruhenden Strafrahmenmilderungen ist der Angeklagte im Strafausspruch nicht beschwert.

2. Dagegen kann die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus keinen Bestand haben.

a) Zur Begründung der Maßregelanordnung hat sich das Landgericht im wesentlichen auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. - Facharzt für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie - gestützt. Nach dessen Darlegungen sei die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seines Tuns in vollem Umfang einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, zum Zeitpunkt aller Taten wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit derart eingeschränkt gewesen, daß eine verminderte Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB vorgelegen habe. Beim Angeklagten liege eine narzißtische Persönlichkeitsstörung mit massiven Selbstwertzweifeln und Versagensängsten verbunden mit einer Neigung zu kriminellen Handlungsweisen vor. Es bestünde eine psychosexuelle Fehlentwicklung mit einer Fixierung auf der prägenitalen Entwicklungsstufe, mit Bedürfnissen und Wünschen nach Nähe und Zärtlichkeit sowie mit seit 1996 verstärkten pädophilen Neigungen. Beziehungswünschen zu erwachsenen Frauen auf einer ebenbürtigen, harmonischen Ebene weiche der Angeklagte aus Angst vor den als übermächtig erlebten Frauen und vor seinen Unterlegenheitsgefühlen und Versagensängsten als Mann aus. In seinem bisherigen Leben sei es ihm nicht gelungen, eine erwachsene, selbstvertrauende, durchsetzungsfähige und verantwortungsbewußte männliche Identität zu entwickeln. Er projiziere sein Scheitern und die Verantwortung für sein Handeln ständig auf andere. Dies deute auf eine ungenügend entwickelte Gewissensinstanz als Ausdruck einer gravierenden psychischen Entwicklungs- und Reifestörung hin. Hierbei werde die Befriedigung eigener Bedürfnisse und Wünsche als vorrangig vor denen anderer behandelt. Es bestehe beim Angeklagten ein Mangel an verläßlichen moralischen Wertvorstellungen als Richtlinien für die Gestaltung und Regulierung zwischenmenschlichen Zusammenlebens. Die Gefahr der Wiederholung von sexuellen Übergriffen ergebe sich aus der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten.

b) Bereits der Ausgangspunkt des Landgerichts, daß beim Angeklagten sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit erheblich im Sinne des § 21 StGB beeinträchtigt gewesen seien, hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht Stand. Beide Alternativen des § 21 StGB können nicht gleichzeitig angewandt werden (st. Rspr., vgl. BGHSt 40, 341, 349; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 21 Rdn. 3). Eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsichtsfähigkeit zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner, erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit - wie hier - das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat (BGHSt 40, 341, 349; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6 m.w.Nachw.).

c) Weiterhin sind die Feststellungen und Wertungen des Landgerichts nicht geeignet, die Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB zu rechtfertigen. Diese setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit zur Tatzeit im Sinne des § 21 StGB begründet. In diesem Zustand muß der Angeklagte eine rechtswidrige Tat begangen haben, die auf den die Annahme der §§ 20, 21 StGB rechtfertigenden dauerhaften Defekt zurückzuführen ist, d. h. mit diesem in einem kausalen symptomatischen Zusammenhang steht (BGH NStZ 1999, 128, 129 m.w.Nachw.). Dabei können nicht pathologisch bedingte Störungen nur dann Anlaß für eine Unterbringung gemäß § 63 StGB sein, wenn sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen entsprechen. Es bedarf einer Gesamtschau der Täterpersönlichkeit und ihrer Entwicklung, um feststellen zu können, ob die Störungen des Täters sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen wie krankhafte seelische Störungen stören, belasten oder einengen (vgl. BGHSt 34. 22, 28; BGH NStZ 1999, 612, 613). In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Angeklagten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH NStZ 1997, 383; BGHR StGB § 63 Zustand 26).

Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Sie belegen eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB nicht, da die erforderliche Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten sowie ihrer Entwicklung und des Gewichts der Störungen fehlt. Aufgrund der beschriebenen Persönlichkeitsstörungen läßt sich nicht zuverlässig beurteilen, ob sie in ihrem Gewicht den krankhaften seelischen Störungen - mit Ausnahme der weniger gewichtigen - entsprechen und als länger dauernde Umstände den Zustand des Täters wiederspiegeln. Die Ausführungen des Landgerichts beschränken sich weitgehend darauf, das vom Sachverständigen gewonnene Ergebnis der ärztlichen Begutachtung zu referieren und sich diesem "aus eigener Überzeugung" anzuschließen, ohne weitere maßgebliche Umstände in die Betrachtung einzubeziehen. So setzt sich die Kammer nicht damit auseinander, daß der vielfach vorbestrafte Angeklagte nur einmal wegen einer Sexualstraftat, nämlich im Jahre 1991 wegen exhibitionistischer Handlungen, verurteilt worden ist. Sie befaßt sich auch nicht ausreichend mit der Frage, ob zwischen den abgeurteilten Sexualstraftaten und den Persönlichkeitsstörungen ein kausaler, symptomatischer Zusammenhang besteht oder ob die sexuellen Übergriffe nicht Ausdruck einer vorübergehenden Lebenskrise sind. Das Fehlen der gebotenen Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten führt des weiteren dazu, daß es für die vom Landgericht im Rahmen des § 63 StGB angestellte Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich weiterer Sexualstraftaten an einer tragfähigen Grundlage mangelt (vgl. BGHSt 27, 246, 248; BGH NJW 1983, 350; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 2 und 3).

Bearbeiter: Rocco Beck