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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 660

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 76/25, Beschluss v. 12.03.2025, HRRS 2025 Nr. 660


BGH 2 ARs 76/25 2 AR 46/25 - Beschluss vom 12. März 2025

Verbindungsbeschluss (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: fehlerhaft angenommene erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte, Verweisung an die große Strafkammer des Landgerichts in der Berufungsinstanz; neue erstinstanzliche Zuständigkeit der großen Strafkammer).

§ 4 Abs. 2 Satz 2 StPO; § 6 StPO; § 225a Abs. 1 StPO; § 323 Abs. 1 Satz 1 StPO; § 328 Abs. 2 StPO; § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG

Entscheidungstenor

Das beim Amtsgericht - Strafrichter - Ludwigsburg rechtshängige Verfahren 4 Ds 324 Js 113101/24 wird zu dem beim Landgericht Karlsruhe rechtshängigen Verfahren 4 KLs 420 Js 5866/24 (2) zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Gründe

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Karlsruhe hat den Angeklagten am 5. Juni 2024 wegen Diebstahls und Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung eingelegt, die er nachträglich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Ausweislich eines im Berufungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens litt der Angeklagte zu den jeweiligen Tatzeitpunkten an einer hebephrenen Schizophrenie, weswegen nach Auffassung der kleinen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe die Voraussetzungen der §§ 21, 63 StGB vorliegen könnten. Sie hat das Verfahren deshalb mit Beschluss vom 9. Januar 2025 „gemäß §§ 323 Abs. 1, 225a StPO“ der großen Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zur Übernahme vorgelegt, die es mit Beschluss vom 22. Januar 2025 übernommen hat.

Mit Anklageschrift vom 5. Dezember 2024 hat die Staatsanwaltschaft Stuttgart den Angeklagten wegen Körperverletzung zum Amtsgericht - Strafrichter - Ludwigsburg angeklagt. Das Hauptverfahren ist dort mit Beschluss vom 23. Dezember 2024 eröffnet worden. Das Landgericht Karlsruhe ist bereit, das beim Amtsgericht Ludwigsburg rechtshängige Verfahren zu übernehmen und mit dem dort rechtshängigen Verfahren zu verbinden, und hat die Sache dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Die formellen und materiellen Voraussetzungen einer Verbindung durch den Bundesgerichtshof gemäß § 4 Abs. 2 StPO liegen vor.

1. Der Bundesgerichtshof ist gemeinschaftliches oberes Gericht gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 StPO für das Amtsgericht Ludwigsburg (Bezirk des Oberlandesgerichts Stuttgart) und das Landgericht Karlsruhe (Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe).

2. Die Verfahren richten sich gegen denselben Angeklagten; die Tatzeiträume liegen eng beieinander. Eine sachgerechte Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB erfordert eine Gesamtwürdigung aller gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe. Eine Verbindung der Verfahren, für die nach § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG die große Strafkammer in erster Instanz zuständig ist, ist daher zweckmäßig.

3. Verbunden werden schließlich zwei erstinstanzliche Verfahren, auch wenn das bei dem Landgericht Karlsruhe rechtshängige Verfahren vor seiner Übernahme durch die große Strafkammer als auf den Rechtsfolgenausspruch beschränktes Berufungsverfahren geführt wurde.

Auch in dem Karlsruher Verfahren ist die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erwarten, so dass es, was die kleine Strafkammer von Amts wegen in der Berufungsinstanz zu überprüfen hatte, § 6 StPO, tatsächlich nicht in die erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte, sondern in die der Landgerichte fiel, § 74 Abs. 1 Satz 2 GVG. Um eine Einstellung dieses Verfahrens durch Prozessurteil in der Berufungsinstanz zu vermeiden, hätte die kleine Strafkammer in der Hauptverhandlung unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils die Sache an die große Strafkammer des Landgerichts mit der Folge verweisen können, dass sie sogleich und ohne Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch als erstinstanzliches Gericht auf der förmlichen Grundlage des ursprünglichen Eröffnungsbeschlusses mit einer neuen Hauptverhandlung zu beginnen hatte (vgl. BGH, Urteil vom 3. Mai 1967 - 2 StR 103/67, BGHSt 21, 245, 247; Beschluss vom 29. Oktober 2009 - 3 StR 141/09, BGHR StPO § 328 Abs. 2 Verweisungsurteil 1 Rn. 10). Außerhalb der Hauptverhandlung konnte der Vorsitzende der kleinen Strafkammer auf der Grundlage des § 323 Abs. 1 Satz 1 StPO in der seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung in Verbindung mit § 225a Abs. 1 Satz 1 StPO die Akten der großen Strafkammer zur Entscheidung darüber vorlegen, ob sie das Verfahren als erstinstanzliches übernehme. Mit dem Erlass des Übernahmebeschlusses gemäß § 225a Abs. 1 Satz 2 StPO am 22. Januar 2025 durch die große Strafkammer (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Juli 1998 - 4 StR 273/98, BGHSt 44, 121, 123; Löwe/Rosenberg/Jäger, StPO, 27. Aufl., § 225a Rn. 30) traten die Folgen ein, die sonst ein Urteil nach § 328 Abs. 2 StPO gezeitigt hätte. Das erstinstanzliche amtsgerichtliche Urteil wurde gegenstandslos (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2002 - 1 StR 306/02, BGHR StPO § 225a Anwendungsbereich 1) und das Verfahren als erstinstanzliches Verfahren bei der großen Strafkammer des Landgerichts rechtshängig.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 660

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede