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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 551

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 534/24, Beschluss v. 19.12.2024, HRRS 2025 Nr. 551


BGH 2 StR 534/24 - Beschluss vom 19. Dezember 2024 (LG Erfurt)

Cannabis-Amnestie (Gesamtstrafenbildung: keine Zäsurwirkung des Strafbefehls bei Erledigung der Strafe).

§ 55 Abs. 1 StGB; Art. 313 Abs. 1 EGStGB; Art. 316p EGStGB

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 5. Juni 2024, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe und die Kosten des Rechtsmittels nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 7. Februar 2020 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und fünf Monaten verurteilt. Ferner hat es zur Kompensation einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung drei Monate der Strafe für vollstreckt erklärt und die im einbezogenen Urteil angeordnete Kompensation von einem weiteren Monat aufrechterhalten. Gegen dieses Urteil richtet sich die mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet.

1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende revisionsrechtliche Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch, zu der auf Grund der abgeurteilten Tat verhängten Freiheitsstrafe sowie zur Kompensationsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Der Gesamtstrafenausspruch hält hingegen sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand; auf die insoweit erhobene Verfahrensrüge, die sich allein auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe bezieht, kommt es nicht an.

Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift u.a. ausgeführt:

„a) Die Strafkammer […] geht zutreffend davon aus, dass die Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Erfurt vom 27. März 2019 nicht gemäß § 55 Abs. 1 StGB in die Gesamtstrafe einzubeziehen war, weil die durch ihn verhängte Strafe gemäß Art. 316p EGStGB in Verbindung mit Art. 313 Abs. 1 EGStGB erlassen ist. Der Strafbefehl bezieht sich auf den Besitz von 0,32 Gramm Marihuana. Das ist nach der mit dem Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 27. März 2024 (BGBl. I Nr. 109) geschaffenen Rechtslage seit dem 1. April 2024 (§ 34 Abs. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 1 Nr. 1 KCanG) nicht mehr strafbar oder mit Geldbuße bedroht gemäß Art. 313 Abs. 1 Satz 1 EGStGB.

Ist eine Strafe nach Art. 316p EGStGB in Verbindung mit Art. 313 Abs. 1 EGStGB erlassen worden, kommt eine Einbeziehung der Strafe in eine nachträgliche Gesamtstrafe nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2024 - 2 StR 392/24; Beschluss vom 26. Juni 2024 - 3 StR 177/24, Rn. 9 ff.).

b) Der Straferlass hat jedoch entgegen der Ansicht der Strafkammer […] und nach richtiger Auffassung des Beschwerdeführers […] zur Folge, dass der Strafbefehl des Amtsgerichts Erfurt vom 27. März 2019 auch keine Zäsurwirkung entfaltet.

Der Angeklagte beging die neu abgeurteilte Tat in der Nacht vom 23. auf den 24. März 2019. Seither sind der Strafbefehl des Amtsgerichts Erfurt vom 27. März 2019 und die Urteile des Landgerichts Erfurt vom 7. Februar 2020 und vom 15. Dezember 2020 gegen ihn ergangen. Folgen der Beendigung der neu abgeurteilten Tat mehrere Verurteilungen des Täters nach, ist bei der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe von der frühesten nicht erledigten Verurteilung auszugehen. Dieser Verurteilung kommt regelmäßig eine Zäsurwirkung zu (vgl. BGH, Urteil vom 8. November 2018 - 4 StR 269/18, Rn. 13 m. w. N.). Bei einer Erledigung der Strafe entfällt die mit der Vorverurteilung verbundene Zäsur (vgl. BGH, Beschluss vom 1. September 2022 - 4 StR 227/22, Rn. 5 m. w. N.). Es kommt deshalb in Folge des Erlasses der Strafe aus dem Strafbefehl nicht mehr darauf an, dass der Angeklagte sowohl die abgeurteilte Tat als auch die dem ersten Urteil zu Grunde liegenden Taten vor dem Strafbefehl begangen hat und die dem zweiten Urteil zu Grunde liegende Tat danach. Ohne die Zäsurwirkung des Strafbefehls sind die Urteile untereinander gesamtstrafenfähig und die Strafkammer hätte eine Gesamtstrafe aus der Strafe für die neu abgeurteilte Tat und den Strafen für alle Taten aus den beiden Urteilen bilden müssen.

Dass die Strafkammer lediglich die Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 7. Februar 2020 und nicht auch die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 15. Dezember 2020 in die Gesamtstrafe einbezogen hat, ist mithin fehlerhaft. […].“

Dem tritt der Senat bei und merkt an, dass sich die Urteilsgründe auch zum Vollstreckungsstand der weiteren durch das Amtsgericht Sömmerda am 1. Oktober 2018 festgesetzten Geldstrafe nicht verhalten.

3. Der Rechtsfehler zwingt nicht zur Zurückverweisung der Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO. Vielmehr kann die neu zu treffende Gesamtstrafenentscheidung gemäß § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO dem nachträglichen Beschlussverfahren nach den §§ 460, 462 StPO überlassen werden.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 551

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede