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HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 637

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 297/24, Urteil v. 18.12.2024, HRRS 2025 Nr. 637


BGH 2 StR 297/24 - Urteil vom 18. Dezember 2024 (LG Marburg)

Tötungsvorsatz (Beweiswürdigung: Wissenselement, Rückschaufehler aus nur potentiell lebensgefährlichen Tatfolgen, „Denkzettel“, gefährliche Gewalthandlung, Schläge mit behandschuhten Fäusten ins Gesichtsfeld; Darstellungsmangel); Konkurrenzen (Verhältnis von Freiheitsberaubung und Nötigung: Spezialität; Verhältnis von vollendeter Bedrohung: und versuchter Nötigung: Tateinheit, Gesetzeskonkurrenz); Täter-Opfer-Ausgleich (friedensstiftender Ausgleich: adäquater Ausgleich für materielle Schäden); Revisionsbeschränkung (Unwirksamkeit isolierter Anfechtung des Strafausspruchs ohne die Einziehungsentscheidung).

§ 15 StGB; § 46a Nr. 1 StGB; § 212 StGB; § 223 StGB; § 224 StGB; § 239 StGB; § 240 StGB; § 241 StGB; § 261 StPO; § 352 Abs. 1 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Ob ein Täter bedingt vorsätzlich handelte, ist in Bezug auf beide Vorsatzelemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind.

2. Im Hinblick auf einen bedingten Tötungsvorsatz liegt es bei äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.

3. Die insoweit erforderliche Beweiswürdigung ist dabei Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder weil an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen worden ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Das Tatgericht darf bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Marburg vom 19. Dezember 2023 wird

a) die Strafverfolgung im Fall II. 2. der Urteilsgründe mit Zustimmung des Generalbundesanwalts dahin beschränkt, dass von der Ahndung wegen Bedrohung (Angeklagter Ö.) und wegen Beihilfe zur Bedrohung (Angeklagter J.) abgesehen wird (§ 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO),

b) das vorbezeichnete Urteil im Fall II. 1. der Urteilsgründe, hinsichtlich der Einziehungsentscheidungen und in den Gesamtstrafenaussprüchen mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft werden verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten Ö. wegen gefährlicher Körperverletzung sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und versuchter Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt; den Angeklagten J. hat es wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur Nötigung und zur versuchten Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten S. wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht gegen die Angeklagten J. und S. die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von jeweils 2.000 Euro angeordnet.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihren zuungunsten aller Angeklagten eingelegten Revisionen, mit denen sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Rechtsmittel haben - nach Verfahrensbeschränkung - den aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilerfolg.

I.

Der Senat nimmt mit Zustimmung des Generalbundesanwalts im Fall II. 2. der Urteilsgründe den Vorwurf der Bedrohung (Angeklagter Ö.) bzw. der Beihilfe zur Bedrohung (Angeklagter J.) nach § 154a Abs. 2 StPO aus verfahrensökonomischen Gründen von der Verfolgung aus. Zwar entspricht die Verurteilung im Fall II. 2. der Urteilsgründe der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum strafrechtlichen Konkurrenzverhältnis zwischen versuchter Nötigung und vollendeter Bedrohung gemäß § 241 StGB in der bis zum 2. April 2021 geltenden Fassung (vgl. die Nachweise in BGH, Beschluss vom 30. April 2024 - 1 StR 152/24). Der Senat neigt jedoch - unter Aufgabe seiner zur bisherigen Rechtslage ergangenen Rechtsprechung - zur Annahme von Tateinheit zwischen Bedrohung und versuchter Nötigung (vgl. insoweit auch BGH, Beschlüsse vom 20. Juli 2022 - 4 StR 220/22, BGHR StGB § 241 Abs. 2 Konkurrenzen 1 Rn. 6; vom 13. Februar 2024 - 5 StR 443/23, Rn. 6 ff.; vom 30. April 2024 - 1 StR 152/24; und vom 12. November 2024 - 6 StR 572/24, Rn. 7; anderer Ansicht hingegen noch: BGH, Beschluss vom 29. Juni 2022 - 3 StR 161/22, Rn. 4).

II.

1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

a) Am 3. November 2020 stellte der Nebenkläger B. in seiner Funktion als stellvertretender Leiter der Ordnungsbehörde der Stadt K. fest, dass die von dem Sohn des Angeklagten Ö. betriebene Wettannahmestelle gegen die zu diesem Zeitpunkt geltende Corona-Verordnung verstieß. Er regte daher bei dem zuständigen Landkreis an, ein Bußgeldverfahren einzuleiten, und drohte die zwangsweise Schließung der Wettannahmestelle an.

Am darauffolgenden Tag ging der Angeklagte Ö. aufgrund eines mit dem Nebenkläger geführten Gesprächs irrig davon aus, „die Angelegenheit rund um den Verstoß gegen die Coronaverordnung“ erledigt zu haben; tatsächlich war der Nebenkläger für die weitere Durchführung des Bußgeldverfahrens weder zuständig noch wollte oder konnte er hierauf Einfluss nehmen. Da das Bußgeldverfahren seitens des Landkreises weiterbetrieben wurde, machte der Sohn des Angeklagten Ö. seinem Vater Vorwürfe, weil dieser ihm versichert hatte, „die Angelegenheit ‚geregelt‘“ zu haben. Der Angeklagte Ö. geriet seinerseits in Wut auf den Nebenkläger, dem er die Schuld dafür gab, dass er gegenüber seinem Sohn wortbrüchig geworden war; zudem verfestigte sich sein vorbestehender irriger Eindruck, wonach das Ordnungsamt „einen persönlichen Feldzug gegen ihn und die Betriebe seines Sohnes“ führe.

Der Angeklagte Ö. fasste den Entschluss, den Nebenkläger B. für dessen Verhalten im Zusammenhang mit dem familiären Betrieb durch einen massiven körperlichen Angriff „abzustrafen“. Gleichzeitig sah er in einem solchen Übergriff die Chance, sämtliche weiteren Mitarbeiter der Ordnungsämter K. und S., wo sich die Familie Ö. ebenfalls geschäftlich engagierte, derart einzuschüchtern, dass man von weiteren Maßnahmen gegen die familiären Betriebe absehen würde. Aufgrund eines solchen Übergriffs erhoffte er sich zudem, von den kommunalen Behörden gegenüber der Konkurrenz bevorzugt zu werden.

Zur Planung der Einzelheiten der avisierten Tat brachte der Angeklagte Ö. die Wohnadresse des Nebenklägers und dessen Arbeitsweg nebst üblichen Gehzeiten in Erfahrung. Mit den Angeklagten J. und S. fuhr er am 3. Dezember 2020 zur Wohnadresse des Nebenklägers, parkte in einiger Entfernung und wies beide auf den Nebenkläger hin, der, wie erwartet, das Haus verließ. Spätestens zu diesem Zeitpunkt zog der Angeklagte J. spezielle, im Bereich der Fingerknöchel mit Quarzsand verstärkte Schlaghandschuhe an; die beiden anderen Angeklagten erkannten dies, wussten um die verstärkende Schlagwirkung und billigten deren Einsatz.

Die Angeklagten J. und S. rannten gemäß gemeinsamer Absprache von hinten auf den Nebenkläger zu, der sie nicht wahrnahm. Der Angeklagte S. sprang ihn von hinten an, legte einen Arm um seinen Hals und riss ihn zu Boden. Dort drehten die beiden Angeklagten ihn auf den Rücken und begannen beide, mit Fäusten auf seinen Kopf einzuschlagen, wobei ihnen bewusst war, dass sie ihm dabei potentiell lebensgefährliche Verletzungen beibringen konnten. Der Nebenkläger war aufgrund des überraschenden Angriffs zu einer Verteidigung außerstande, schrie und versuchte seinen Kopf mit seinen Armen zu schützen. Nachdem die Angeklagten dem Nebenkläger mindestens zwanzigmal „wuchtig“ mit den Fäusten ins Gesicht geschlagen hatten, liefen sie zurück zum Fahrzeug des Angeklagten Ö. und fuhren davon.

Der Nebenkläger erlitt aufgrund des Angriffs unter anderem eine beidseitige Fraktur des Orbitabodens, eine Gehirnerschütterung sowie eine Vielzahl von Prellungen des Gesichts und des Handgelenks. Diese Verletzungen hätten ohne zeitnahe medizinische Intervention zum Tode führen können. Der Geschädigte war bis zum 11. Dezember 2020 in stationärer Behandlung und bis einschließlich Februar 2021 arbeitsunfähig. Aufgrund der erlittenen Mydriasis am rechten Auge muss er sich regelmäßig augenärztlich untersuchen lassen. Die Pupille ist zudem dauerhaft geweitet, wodurch sie besonders lichtempfindlich ist. Zudem besteht seit dem Überfall eine Eintrübung im Auge, die sich durch einen schwarzen Punkt im Sichtfeld äußert; es besteht die Gefahr eines Sehverlusts auf dem rechten Auge (Fall II. 1. der Urteilsgründe).

b) Der Angeklagte Ö. entschloss sich, den Nebenkläger Sc. zu einer Entschuldigung gegenüber dem ihm freundschaftlich verbundenen gesondert verfolgten P. S. zu zwingen und ihn durch Drohung von weiterer Kritik an S. abzuhalten.

Der Angeklagte Ö. begab sich deswegen in Begleitung des Angeklagten J. sowie eines unbekannten Dritten am 1. Juni 2021 gegen 11.30 Uhr zur Wohnung des Nebenklägers. In der Wohnung stellten sich die Begleiter des Angeklagten Ö., die OP-Masken trugen, hinter den Nebenkläger, der sich hierdurch - wie vom Angeklagten Ö. beabsichtigt und von seinen Begleitern bewusst in Kauf genommen - eingeschüchtert fühlte.

Der Angeklagte Ö. verlangte von dem Nebenkläger, er solle sich bei einem seiner Freunde entschuldigen, weil er diesen beleidigt habe. Zu diesem Zweck wählte der Angeklagte Ö. die Nummer des gesondert verfolgten S. und gab das Telefon dem Nebenkläger. Da das Telefonat des Nebenklägers nicht der Anweisung des Angeklagten Ö. entsprach, versetzte dieser ihm einen wuchtigen Schlag mit der flachen Hand ins Gesicht, sodass der Geschädigte vom Stuhl fiel. Diese Gewaltanwendung nahmen die als „Drohkulisse“ bewusst eingesetzten Begleiter des Angeklagten Ö. „mindestens billigend in Kauf“.

Nachdem der Geschädigte wieder aufgestanden war, teilte der Angeklagte Ö. ihm mit, er solle sich jetzt entschuldigen, sonst würde er mehr Gewalt erfahren. Sodann entschuldigte sich der Nebenkläger telefonisch mit den Worten des Angeklagten bei dem gesondert verfolgten S.. Beim Verlassen der Wohnung sagte der Angeklagte Ö. in Anwesenheit seiner Begleiter, dass er dem Geschädigten „die Augen mit einem Löffel entfernen werde“, falls dieser die Polizei verständige. Trotz dieser Drohung zeigte der Nebenkläger die Tat am selben Tag bei der Polizei an.

Der Nebenkläger Sc. erlitt durch den Schlag offene Schürfwunden an Nase und Schläfe; aufgrund der Belastung durch die Tat begab er sich in psychologische sowie psychiatrische Behandlung und war längere Zeit arbeitsunfähig erkrankt (Fall II. 2. der Urteilsgründe).

2. Das Landgericht hat die Angeklagten im Fall II. 1. der Urteilsgründe wegen gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen; mit bedingtem Tötungsvorsatz hätten sie nicht gehandelt. Soweit es die Angeklagten J. und S. betreffe, fehle es bereits am Wissenselement des bedingten Vorsatzes, weil sie „aufgrund ihrer Verletzungshandlungen […] nicht auf eine konkrete Lebensgefahr bei dem Nebenkläger B. zu schließen“ brauchten, „da sie ihm in einem Zeitraum von max. 30 Sekunden aus ihrer Sicht ,lediglich‘ mit behandschuhten Fäusten ca. 20-mal ins Gesicht geschlagen hatten“; überdies „dürfte“ für beide Angeklagte „zum Zeitpunkt“ ihrer Flucht auch die optische Wahrnehmung der Verletzungen „noch nicht vollständig gegeben gewesen sein“. Den Angeklagten Ö. betreffend, dem das Wissen der Mitangeklagten zuzurechnen sei, gebe es ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser den Tod des Nebenklägers B. billigend in Kauf genommen habe.

Im Fall II. 2. der Urteilsgründe hat das Landgericht den Angeklagten Ö. wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und versuchter Nötigung, den Angeklagten J. wegen Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zur Nötigung und zur versuchten Nötigung schuldig gesprochen.

III.

Die Revisionen der Staatsanwaltschaft führen zur Aufhebung des Urteils im Fall II. 1. der Urteilsgründe sowie zur Aufhebung der Einziehungsentscheidungen und der Gesamtstrafenaussprüche, jeweils mit den zugehörigen Feststellungen; im Übrigen sind sie unbegründet.

1. Soweit die Revisionen zuungunsten der Angeklagten J. und S. die jeweils sie betreffende Einziehungsentscheidung im Fall II. 1. der Urteilsgründe nicht angreifen, liegt eine wirksame Beschränkung nicht vor.

Die Rechtswirksamkeit einer Revisionsbeschränkung setzt voraus, dass die Beschwerdepunkte nach dem inneren Zusammenhang des Urteils - losgelöst von seinem nicht angefochtenen Teil - rechtlich und tatsächlich unabhängig beurteilt werden können, ohne eine Überprüfung des Urteils im Übrigen erforderlich zu machen. Zudem muss gewährleistet sein, dass die nach Teilanfechtung stufenweise entstehende Gesamtentscheidung frei von inneren Widersprüchen bleiben kann (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 15. Juli 2020 - 2 StR 288/19, Rn. 8, mwN). Das ist im Fall des Angriffs gegen den Schuldspruch hinsichtlich einer Tat, auf die sich - wie hier - die Einziehungsentscheidung stützt, nicht der Fall (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2023 - 4 StR 125/23, Rn. 15). Denn die Feststellung einer rechtswidrigen Tat im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB ist zwingende Voraussetzung der Einziehung gemäß § 73 Abs. 1, § 73c StGB.

2. Der Schuldspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe kann nicht bestehen bleiben. Die Beweiswürdigung zum (verneinten) bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten weist durchgreifende Rechtsfehler zu ihrem Vorteil auf und lässt besorgen, dass das Landgericht das Fehlen des bedingten Tötungsvorsatzes im Sinne eines Rückschaufehlers (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 23. November 2023 - 2 StR 59/23, NStZ 2024, 541, 543 Rn. 12 mwN) letztlich aus dem Überleben des Verletzten geschlossen hat.

a) Ob ein Täter bedingt vorsätzlich handelte, ist in Bezug auf beide Vorsatzelemente im Rahmen der Beweiswürdigung umfassend zu prüfen und durch tatsächliche Feststellungen zu belegen. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 23. März 2023 - 3 StR 277/22, Rn. 20 mwN). Im Hinblick auf einen bedingten Tötungsvorsatz liegt es bei äußerst gefährlichen (Gewalt-)Handlungen nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit rechnet, das Opfer könne zu Tode kommen, und - weil er mit seinem Handeln gleichwohl fortfährt - einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt.

Die insoweit erforderliche Beweiswürdigung ist dabei Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder weil an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen worden ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Das Tatgericht darf bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 9. Januar 2020 - 3 StR 288/19, Rn. 19, und vom 26. Juni 2024 - 6 StR 71/24, NStZ-RR 2024, 276, 277, jeweils mwN).

b) Daran gemessen erweist sich die der Verneinung des Tötungsvorsatzes zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts als durchgreifend rechtsfehlerhaft.

aa) Es ist bei seiner Überzeugungsbildung zugunsten des Angeklagten Ö. von Annahmen ausgegangen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben hat; die Beweiserwägungen des Landgerichts sind zudem lückenhaft.

Dies gilt zunächst für die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte Ö. dem Nebenkläger wegen der nach seinem Empfinden bestehenden Gängelung lediglich einen „Denkzettel“ habe erteilen wollen, damit dieser sein dienstliches Handeln in Zukunft im Sinne der Familie des Angeklagten Ö. gestalte. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte Ö. dieses Vorstellungsbild hatte, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den Angaben des Angeklagten.

Das Landgericht hätte sich überdies in diesem Zusammenhang mit der Feststellung auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte Ö. mit der Tat sämtliche weiteren Mitarbeiter der Ordnungsämter K. und S. einschüchtern wollte, was bei einer Tötung des Nebenklägers erst recht erreicht worden wäre.

bb) Die Strafkammer hat sich zudem nicht rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die unmittelbar handelnden Mitangeklagten J. und S. die Möglichkeit des Eintritts tödlicher Verletzungen beim Nebenkläger in der konkreten Situation nicht erkannten.

Es ist schon unklar, ob die Strafkammer angesichts ihrer wertenden Formulierung, die Mitangeklagten hätten dem Nebenkläger „in einem Zeitraum von max. 30 Sekunden aus ihrer Sicht ,lediglich‘ mit behandschuhten Fäusten ca. 20-mal ins Gesicht geschlagen“, die konkrete Art der Tatausführung als äußerst gefährliche Gewalthandlung zutreffend eingeordnet hat, was jedoch bei einer derartigen Schlagfrequenz mit durch Quarzsandhandschuhen verstärkten Fäusten ins Gesichtsfeld des Opfers naheliegt.

Soweit das Landgericht hinsichtlich der Angeklagten J. und S. angenommen hat, bei ihnen habe es am Wissenselement des bedingten Vorsatzes gefehlt, weil sie „aufgrund ihrer Verletzungshandlungen […] nicht auf eine konkrete Lebensgefahr bei dem Nebenkläger B. zu schließen“ brauchten, besorgt der Senat, dass es sich mit den tatsächlich eingetretenen (nur potentiell lebensgefährlichen) Tatfolgen den Blick auf die davon zu unterscheidende konkrete Angriffsweise verstellt hat. Dafür spricht auch, dass sich die Erwägungen des Landgerichts weitgehend in der optischen Erkennbarkeit der beigebrachten Verletzungen für die Mitangeklagten erschöpfen.

cc) Die Bedeutung einer äußerst gefährlichen Tathandlung hat die Strafkammer bei der Prüfung des voluntativen Vorsatzelements hinsichtlich aller Angeklagter gänzlich außer Acht gelassen. Das Landgericht führt insoweit lediglich aus, dass das Vorliegen des Willenselements deshalb nicht festzustellen gewesen sei, weil sich in „der Beweisaufnahme […] keine Anknüpfungspunkte für eine billigende Inkaufnahme des Todes des Nebenklägers durch die Angeklagten ergeben“ hätten.

c) Da die Feststellungen mangels näherer Darlegungen zum Rücktrittshorizont auch nicht die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts vom (etwaigen) Tötungsversuch der als Mittäter handelnden Angeklagten (§ 24 Abs. 2 StGB) tragen, bedarf es insoweit insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.

3. Die Aufhebung von Fall II. 1. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der gegenüber den Angeklagten Ö. und J. verhängten Gesamtstrafen sowie der den Angeklagten J. und den Angeklagten S. betreffenden Einziehungsentscheidungen nach sich.

Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB eingehender als bisher geschehen mit Tatsachen zu belegen. Der Senat weist überdies darauf hin, dass für die Annahme eines friedensstiftenden Ausgleichs im Sinne von § 46a Nr. 1 StGB auch ein adäquater Ausgleich für die dem Tatopfer entstandenen materiellen Schäden vorzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 15. Januar 2020 - 2 StR 412/19, BGHR StGB § 46a Nr. 1 Ausgleich 13 mwN).

4. Die Schuld- und Strafaussprüche im Fall II. 2. der Urteilsgründe halten - nach Beschränkung gemäß § 154a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 StPO - rechtlicher Nachprüfung stand.

Die unterbliebene Verurteilung (auch) wegen Freiheitsberaubung begegnet entgegen der Auffassung der Revisionen keinen rechtlichen Bedenken. Die Freiheitsberaubung, die hier in der Verhinderung des Verlassens der Wohnung für mehrere Minuten bestand, war lediglich das tatbestandliche Mittel zur Begehung der Abnötigung eines Telefonanrufs durch das Tatopfer; sie tritt damit als das allgemeinere Delikt im Wege der Gesetzeseinheit hinter das speziellere Delikt zurück (BGH, Beschluss vom 15. August 2017 - 4 StR 250/17, Rn. 3 mwN).

IV. Die auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft veranlasste umfassende Prüfung des Urteils (§ 301 StPO) hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten erbracht.

HRRS-Nummer: HRRS 2025 Nr. 637

Bearbeiter: Felix Fischer/Karsten Gaede