HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 166
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede
Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 378/23, Beschluss v. 24.10.2023, HRRS 2024 Nr. 166
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 14. Juni 2023 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat in vollem Umfang Erfolg.
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts betrat der Beschuldigte am 8. Februar 2023 den Wartebereich einer psychiatrischen Tagesklinik in K. Dort hielten sich auch die Zeuginnen M. und F. auf. Der Beschuldigte sprach die Zeugin F. auf einen Schlüsselanhänger an und sagte, als sie hierauf keine Reaktion zeigte, sinngemäß zu ihr, dass „Frauen sich nicht wundern dürften“. Schließlich setzte er sich neben sie. Als sie gerade mit ihrem Handy Nachrichten an ihren Freund schrieb, stand der Beschuldigte auf, entfernte sich zunächst, drehte sich dann aber zu ihr hin und griff nach dem Handy, um es ihr wegzunehmen. Die Zeugin versuchte, ihn daran zu hindern, indem sie das Handy fest umklammerte. Der Beschuldigte zog nunmehr zwei oder drei Sekunden kräftiger an dem Handy und entriss es ihr schließlich, um es für sich zu nutzen. Dabei ließ sich nicht sicher feststellen, ob er dies tat, weil er wahnbedingt glaubte, es handele sich bei der Zeugin F. um eine Ärztin, die ihm zuvor eine Jacke weggenommen habe und er ihr nun deshalb das Handy wegnehmen müsse, um es für sich zu behalten, oder weil er das Handy verkaufen und sich von dem Erlös Betäubungsmittel kaufen wollte. Mit dem Handy rannte der Beschuldigte in Richtung des Ausgangs. Die Zeuginnen M. und F. verfolgten ihn, ebenso der im Wartebereich ebenfalls anwesende Zeuge H. Der Beschuldigte, der zwischenzeitlich das Handy unbemerkt fallen gelassen hatte, konnte das Gebäude nicht verlassen, nachdem ein im Eingangsbereich stehender Mann die Ausgangstür blockiert hatte. Zudem versperrten die Zeugen M. und H. den Weg, worauf der Beschuldigte zwei Gegenstände aus der Hosentasche zog. Dabei ließ sich nicht feststellen, ob es sich um zwei Spritzen oder um zwei wie Spritzen aussehende Kugelschreiber handelte. Die Zeugen hielten die Gegenstände für Spritzen und wichen verängstigt zurück, so dass der Beschuldigte fliehen konnte.
Der Beschuldigte leidet seit 1995 an einer schizophrenen Erkrankung, die sich zum Zeitpunkt der Tat als chronisch verlaufende, primär paranoide Schizophrenie präsentierte. Er war akut psychotisch, so dass er sich - wie stets in floriden Phasen seiner Erkrankung - systematisch verfolgt und beobachtet fühlte und an Angstzuständen beziehungsweise der Vorstellung litt, andere wollten ihm Böses antun. Zwar war die Einsicht in das Unrecht seines Tuns erhalten. Er handelte bei der gewaltsamen Wegnahme des Handys aber - losgelöst davon, ob dieses erfolgte, weil er wahnbedingt glaubte, dass die Zeugin F. eine Ärztin sei und ihn zuvor bestohlen habe, oder weil er das Handy veräußern wollte, um Betäubungsmittel zu erwerben und damit seine ihn plagenden psychosebedingten Angstzustände zu lindern - im Zustand aufgehobener Steuerungsfähigkeit.
2. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte tateinheitlich die Tatbestände des Raubes und der Nötigung verwirklicht, aber im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat. Es hat die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet. Der zur Tatzeit bestehende, die Schuldunfähigkeit aufhebende Zustand sei längerdauernder Art. Die psychische Erkrankung habe sich symptomatisch in der Anlasstat niedergeschlagen. Auslöser der Tat sei ein auf die schizophrene Erkrankung des Beschuldigten zurückgehendes Wahnerleben; dies gelte unabhängig davon, ob der Beschuldigte das Handy der Zeugin in der wahnhaften Vorstellung wegnahm, bei dem Tatopfer handele es sich um eine Ärztin, die ihn bestohlen habe, oder ob er es an sich nahm, um von dessen Verkaufserlös Betäubungsmittel zu erwerben und so seine psychotischen Angstzustände zu lindern. Von dem Beschuldigten seien auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, er sei für die Allgemeinheit gefährlich. Vom Beschuldigten, der keine Krankheitseinsicht zeige und die Einnahme antipsychotischer Arzneimittel generell ablehne, seien bei unzureichender medizinischer Betreuung mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten. Dafür spreche isoliert betrachtet bereits die Anlasstat. Es sei zudem hochwahrscheinlich, dass sich der Beschuldigte außerhalb des geschützten Raums einer Klinik und ohne Medikamenteneinnahme krankheitsbedingt weiterhin fremde Sachen gegen den Widerstand anderer, notfalls mit erheblicher Gewalt, verschaffen werde.
3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält rechtlicher Prüfung nicht stand, weil es an einer hinreichenden Grundlage für die zuverlässige Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten fehlt.
a) Eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines Zustands künftig Straftaten von erheblicher Bedeutung begeht. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. März 2021 - 4 StR 527/20, StV 2022, 296 und vom 28. April 2022 - 2 StR 17/22, StV 2023, 232).
b) Diesen Anforderungen wird die Gefahrenprognose nicht gerecht, da sie die alternativ festgestellten Ursachen der Schuldunfähigkeit des Beschuldigten dabei nicht hinreichend in den Blick nimmt.
In ihrer nur knapp begründeten Gefahrenprognose stützt sich das Landgericht - ohne zwischen den beiden möglichen Ursachen, die jeweils den Übergriff des Beschuldigten gegenüber der Zeugin F. ausgelöst haben könnten, zu unterscheiden - auf die Annahme zukünftiger hoch florider Krankheitsschübe, die mit Angstzuständen, erneuter Obdachlosigkeit, Betäubungsmittelkonsum und einer weiteren Dekompensation einhergehen und in deren Folge es ? bei Verfolgungserleben- und Beobachtungserleben bzw. erheblichen Angstzuständen ? zur Begehung von Delikten vergleichbarer Art kommen würde.
Jedenfalls mit Blick auf die Erwartung, der Beschuldigte könne Delikte vergleichbarer Art zur Ermöglichung des Betäubungsmittelkonsums begehen, der seinerseits der Linderung psychotischer Angstzustände diene, fehlt es an einer umfassenden Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände. Diente ? was das Landgericht aufgrund einer Äußerung des Beschuldigten gegenüber dem Sachverständigen in Erwägung gezogen hat - die Wegnahme des Handys tatsächlich dem Ziel, Heroin zu konsumieren, um krankheitsbedingte Angstzustände zu lindern, wäre zu erörtern gewesen, warum es nach der Entlassung des seit 1995 Heroin konsumierenden Beschuldigten aus dem Maßregelvollzug im August 2014 bis zum Tattag nicht zu weiteren solchen „Beschaffungstaten“ gekommen ist. Es ist zwar nicht zu übersehen, dass der Beschuldigte in der Zwischenzeit mehrfach stationär in Kliniken untergebracht war; gleichwohl bleiben erhebliche Zeiträume, die er in Freiheit verbracht hat und in denen bei festgestellter Abhängigkeit von Opioiden mit einem Konsum von 0,1 bis 0,2 Gramm Heroin täglich an sich mit „Beschaffungstaten“ zum Erwerb von Betäubungsmitteln zu rechnen gewesen wäre. Der Umstand aber, dass ein Täter trotz bestehender Grunderkrankungen in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, kann ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten sein und ist deshalb regelmäßig zu erörtern (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 ? 2 StR 81/21, NStZRR 2021, 303). Dies gilt im Übrigen letztlich auch im Hinblick auf das wahnhafte Erleben des Beschuldigten als möglichem Auslöser von Übergriffen gegen andere Personen. Auch insoweit fehlt es an konkreten Hinweisen, dass der Beschuldigte in den vergangenen Jahren strafrechtlich auffällig geworden ist. Der den Urteilsgründen zu entnehmende Umstand, dass der Angeklagte in mehreren Kliniken und Unterkünften Hausverbot hat, belegt Verhaltensauffälligkeiten, aber (noch) kein strafrechtlich relevantes Verhalten.
c) Die Sache bedarf insgesamt, unter Heranziehung eines anderen Sachverständigen, neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei ist insbesondere auch die vom Tatrichter seiner Entscheidung bisher zugrunde gelegte Annahme, der Beschuldigte konsumiere Heroin, um Angstzustände, die er infolge seiner schizophrenen Erkrankung erleide, zu mildern, kritisch zu überprüfen. Insoweit ist in den Blick zu nehmen, dass der Beschuldigte nicht nur an einer schizophrenen Erkrankung leidet, sondern auch von Opiaten abhängig ist und täglich Heroin geraucht hat. Ob und inwieweit dabei ein Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung besteht, bedarf weiterer Aufklärung.
HRRS-Nummer: HRRS 2024 Nr. 166
Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede