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HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 288

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 250/22, Urteil v. 09.11.2022, HRRS 2023 Nr. 288


BGH 2 StR 250/22 - Urteil vom 9. November 2022 (LG Fulda)

Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (Anlasstat: Symptomwert für den Hang, Mitursächlichkeit); verminderte Schuldfähigkeit (Darlegungen zu den Voraussetzungen für eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens: Rückrechnung, Gutachten des Sachverständigen, Darlegung der Gründe für das Abweichen vom Gutachten des Sachverständigen); Jugendstrafe (Höhe: Ausrichtung an erzieherischen Gesichtspunkten, Gewaltdelikte).

§ 64 StGB; § 21 StGB; § 18 JGG

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Fulda vom 28. Februar 2022 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Dagegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs, gemäß § 301 StPO auch zugunsten des Angeklagten.

I.

Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:

1. Mit 15 Jahren rauchte der Angeklagte zum ersten Mal Cannabis und konsumierte Alkohol. Mit 17 Jahren lernte er den Nebenkläger Fl. kennen, mit dem er dann eng befreundet war. Ab März 2021 war der Angeklagte mit M. liiert, die beiden trennten sich aber im Sommer. Am 20. Juli 2021 feierten der Angeklagte und der Nebenkläger mit dem Zeugen K. in dessen Geburtstag hinein. Der Nebenkläger führte zum Schutz vor Panikattacken eine Tablette Benzodiazepin mit sich. Aus Spaß sagte der Angeklagte zu dem Nebenkläger, dass er ihm seine Notfalltablette wegnehmen wolle. Dieser erwiderte, er werde eher die Freundin des Angeklagten „ficken“, bevor er dies zulassen würde. Darauf reagierte der Angeklagte mit einem Faustschlag ins Gesicht des Nebenklägers. Durch diesen Vorfall zerbrach die Freundschaft der beiden.

Am 27. September 2021 trank der Angeklagte tagsüber Alkohol. Gegen 15.25 Uhr sandte er dem Nebenkläger über „WhatsApp“ eine Nachricht, in der er sich für eine Beleidigung entschuldigte und mitteilte, dass er weiter keinen Kontakt wünsche. Gegen 17.30 Uhr antwortete der Nebenkläger, dass er die Entschuldigung akzeptiere und auch keinen Kontakt wolle.

Mit dem Zeugen Q. begab sich der Angeklagte am Abend in die Innenstadt von F. Er steckte zuvor ein Butterflymesser ein. Unterwegs erhielt er über „WhatsApp“ eine Nachricht des Zeugen K., dass dieser den Nebenkläger gesehen habe. Weil K. nicht sagen konnte, wo sich der Nebenkläger genau aufhielt, beschloss der Angeklagte diesen zu suchen. Das teilte er Q. mit und entfernte sich. Kurz darauf entdeckte Q. den Nebenkläger in einer Personengruppe, die sich im Schlossgarten aufhielt. Er informierte den Nebenkläger davon, dass der Angeklagte ihn suche und aggressiv sei. Der Angeklagte rief Q. an und fragte, ob er den Nebenkläger gefunden habe, worauf Q. ihn entsprechend informierte.

Gegen 18.52 Uhr näherte sich der Angeklagte, der eine Blutalkoholkonzentration von maximal 2,3 Promille hatte, der Personengruppe. Der Nebenkläger saß auf einer Bank und hatte dem Angeklagten den Rücken zugewandt. Vor der Bank saß M. auf der Wiese; weitere Personen hielten sich in der Nähe auf. Der Angeklagte erkannte den Nebenkläger und lief von hinten auf ihn zu, zog das Butterflymesser aus der Jacke, klappte es auf und stach über die linke Schulter des Nebenklägers hinweg diesem in die Brust. Darauf beugte sich der Nebenkläger nach vorn und der Angeklagte stach ihm in den Rücken. Der Angeklagte erkannte die Möglichkeit, dass er den Nebenkläger durch die Messerstiche töten konnte und nahm das billigend in Kauf. Der Nebenkläger sprang nach den Stichen auf, drehte sich um und schrie den Angeklagten mit den Worten an: „Spinnst Du? Bist Du behindert?“ Weil der Nebenkläger aufrecht stand und keine Blutung zu erkennen war, ging der Angeklagte davon aus, dass er ihn noch nicht tödlich verletzt habe. Obwohl er nochmals auf den Nebenkläger hätte einstechen können, ließ er davon ab.

Bei der Tatbegehung war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund der Alkoholintoxikation erheblich vermindert. Nach der Tat blieb er zunächst im hinteren Bereich des Schlossgartens und ritzte sich, möglicherweise in suizidaler Absicht, mit dem Butterflymesser in die Innenseiten seiner Handgelenke und Unterarme. Eine Bekannte lotste ihn telefonisch zu einer Bushaltestelle, wo er seine Schuhe auszog. Außerdem warf er das Butterflymesser hinter eine Mauer. Um 20.13 Uhr trafen die Polizei und ein Rettungswagen an der Bushaltestelle ein, wo sich der Angeklagte widerstandslos festnehmen ließ. Er wurde in ein Krankenhaus und danach in die psychiatrische Abteilung des städtischen Klinikums gebracht.

Der Nebenkläger verlor durch die Tat 2,5 Liter Blut und musste notoperiert werden. Zumindest der Stich in den Rücken war konkret lebensgefährlich.

Der Nebenkläger leidet seit der Tat unter einer posttraumatischen Belastungsstörung und depressiven Verstimmungen.

Der Angeklagte schloss mit dem Nebenkläger einen Vergleich, wonach er sich zur Zahlung von 6.000 Euro Schmerzensgeld verpflichtete, das alsbald durch seine Eltern bezahlt wurde. Der Angeklagte entschuldigte sich vor und in der Hauptverhandlung beim Nebenkläger und versicherte ihm, dass er ihm nie wieder etwas antun wolle. Dies nahm der Nebenkläger an.

2. Das Landgericht hat die Tat als gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 5 StGB beurteilt. Eine Verurteilung wegen versuchten Mordes hat es ausgeschlossen, weil der Angeklagte strafbefreiend vom Tötungsversuch zurückgetreten ist.

II.

Die Revision ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.

1. Die Beschwerdeführerin hat beantragt, „das Urteil“ … „aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts“ zurückzuverweisen. Begründet hat sie das Rechtsmittel damit, das Landgericht habe die Schwere der Tat verkannt.

2. Zwar hat die Staatsanwaltschaft beantragt, „das Urteil“ im Ganzen aufzuheben. Dieser Antrag steht aber mit seiner Begründung nicht in Einklang. Hinsichtlich des Angriffsziels ist in einem solchen Fall der Sinn der Revisionsbegründung maßgeblich; denn für Revisionen der Staatsanwaltschaft ist Nr. 156 RiStBV von Bedeutung. Danach ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, jedes von ihr eingelegte Rechtsmittel zu begründen. Außerdem soll sie ihre Revision stets so rechtfertigen, dass klar ersichtlich ist, in welchen Ausführungen des angefochtenen Urteils sie eine Rechtsverletzung erblickt und auf welche Gründe sie ihre Rechtsauffassung stützt (Nr. 156 Abs. 2 RiStBV). Dies entspricht dem Zweck des § 345 Abs. 2 StPO (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285; BGH, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 StR 468/14, NStZ-RR 2015, 88 f.; Urteil vom 30. November 2017 - 3 StR 385/17, NStZ-RR 2018, 86; Urteil vom 14. April 2022 - 5 StR 313/21, NStZ-RR 2022, 201). Nach dem Sinn der Revisionsbegründung ist hier allein der Rechtsfolgenausspruch angefochten.

3. Wegen § 5 Abs. 3 JGG, wonach von Zuchtmitteln oder Jugendstrafe abgesehen werden kann, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt diese Ahndung entbehrlich macht, ist das Fehlen einer Maßregelprüfung vom Revisionsangriff nicht wirksam ausgenommen.

4. Die Beschränkung des Revisionsangriffs auf den Rechtsfolgenausspruch ist nicht deshalb unwirksam, weil das Landgericht einen Verstoß gegen § 52 Abs. 3, § 2 Abs. 3 WaffG i.V.m. Anl. 1 Abschn. 1 Unterabschn. 2 Nr. 1.4.3 durch unerlaubten Besitz und Führen des Butterflymessers (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - 2 StR 347/21, BeckRS 2021, 44030) nicht abgeurteilt hat. Etwaige Subsumtionsfehler berühren die Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung nicht (vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1996 ‒ 1 StR 721/94, NStZ 1996, 352, 353). Lediglich dann, wenn auf der Grundlage der Feststellungen zu dem nicht angefochtenen Schuldspruch keine Strafe hätte verhängt werden dürfen, führt der fehlerhafte Schuldspruch zur Unwirksamkeit einer Revisionsbeschränkung (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2022 - 3 StR 412/21, NStZ-RR 2022, 290, 291). Das ist hier nicht der Fall.

III.

Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

1. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet es, dass das Landgericht nicht geprüft hat, ob die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB i.V.m. § 7 Abs. 1, § 105 Abs. 1 JGG angezeigt ist, obwohl sich diese Prüfung nach den Urteilsfeststellungen aufgedrängt hätte.

a) Angesichts des langen Alkohol- und Drogenkonsums des Angeklagten liegt die Annahme nahe, dass er einen Hang zum Konsum alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel im Übermaß hat.

b) Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt weiter voraus, dass die Anlasstat für die Maßregelanordnung im Hang des Täters ihre Wurzel findet, sie also Symptomwert für den Hang des Täters zum Missbrauch von berauschenden Mitteln hat (vgl. Senat, Beschluss vom 23. November 2021 - 2 StR 380/21). Für einen solchen Symptomzusammenhang genügt die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat (vgl. Senat, Beschluss vom 15. Februar 2018 ‒ 2 StR 549/17, BeckRS 2018, 2507; BGH, Beschluss vom 8. November 2018 - 1 StR 482/18, NStZ-RR 2019, 74, 75). Geht das Tatgericht aufgrund einer Alkoholintoxikation des Angeklagten von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt gemäß § 21 StGB aus, liegt die Mitursächlichkeit des Hangs für die Tatbegehung auf der Hand (vgl. Senat, Beschluss vom 28. April 2020 - 2 StR 95/20, juris).

c) Der Senat kann anhand der bisherigen Feststellungen auch nicht ausschließen, dass die Gefahr besteht, dass der Angeklagte infolge seines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Zwar ist er nicht vorbestraft, geständig und hat sich reumütig gezeigt. Jedoch kann sein impulsives Verhalten am 20. Juni 2021 sowie am Tattag auf erhöhte Aggressivität hindeuten, die durch den Alkoholkonsum zu spontanen Gewalthandlungen führt und der Behandlung im Maßregelvollzug zur Vermeidung von weiteren Delikten bedarf.

d) Lägen die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB vor, wäre eine hinreichende Erfolgsaussicht der Maßregel nach § 64 Satz 2 StGB wegen der Therapiewilligkeit des bisher weitgehend unbehandelten Angeklagten kaum auszuschließen.

2. Die unterbliebene Prüfung einer Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nötigt hier auch zur Aufhebung des Ausspruchs über die verhängte Jugendstrafe. Denn bei Bejahung der Maßregelvoraussetzungen wäre weiter zu prüfen gewesen, ob gemäß § 5 Abs. 3 JGG von Jugendstrafe abzusehen ist, weil deren Verhängung im Hinblick auf die Unterbringungsanordnung entbehrlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2012 - 3 StR 42/12, juris). Diese jugendstrafrechtliche Vorschrift gilt auch im Fall eines Gewaltdelikts (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 2011 - 4 StR 159/11, StraFo 2011, 288).

3. Die Ausführungen des Landgerichts zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB enthalten ebenfalls durchgreifende Rechtsfehler, die sich zum Vorteil des Angeklagten ausgewirkt haben können.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte „über den Tag hinweg größere Mengen Alkohol in Form von Bier und vermutlich auch Korn konsumiert.“ Aus einem verlesenen Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin habe sich ergeben, dass er zur Tatzeit eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,3 Promille aufgewiesen habe. Diesem Blutalkoholgehalt hat die Jugendkammer erhebliche Indizwirkung für die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei der Begehung der Tat entnommen, die nicht durch psychodiagnostische Kriterien zu widerlegen sei. Demgegenüber hat der in der Hauptverhandlung gehörte Sachverständige - in Abweichung von seinen Ausführungen im vorläufigen schriftlichen Gutachten - ausgeführt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten „eher nicht deutlich eingeschränkt gewesen“ sei. Dies ergebe sich aus dem geordneten Nachtatverhalten. Dem ist das Landgericht nicht gefolgt.

b) Die Darlegungen im angefochtenen Urteil zu den Voraussetzungen für eine alkoholbedingt erhebliche Verminderung des Hemmungsvermögens des Angeklagten bei der Begehung der Tat sind lückenhaft.

aa) Die Jugendkammer hat nicht mitgeteilt, wann und wie die Blutalkoholkonzentration von maximal 2,3 Promille zur Tatzeit ermittelt wurde. Bereits die Frage, ob es sich bei der Bestimmung dieses Wertes um eine Rückrechnung aufgrund des Ergebnisses einer Blutprobe oder eine solche aufgrund von weniger zuverlässigen Trinkmengenangaben (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1998 - 3 StR 15/98, NStZ 1998, 457 f.) gehandelt hat, wird in den Urteilsgründen nicht beantwortet. Die Faktoren der Bestimmung - Trinkzeit und Trinkende, Körpergewicht und Befindlichkeit des Angeklagten zurzeit der Blutentnahme, Angaben zu Art und Menge des konsumierten Alkohols - sind nicht mitgeteilt. Daher ist die Prämisse des Landgerichts für die Feststellung einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit, es sei von einer Blutalkoholkonzentration von maximal 2,3 Promille zur Tatzeit auszugehen und dieser komme eine die Aussagekraft der psychodiagnostischen Leistungskriterien übertreffende Indizbedeutung zu, nicht nachprüfbar.

bb) Zudem wäre die Abweichung des Urteils vom Gutachten des Sachverständigen hinsichtlich der Bewertung der Erheblichkeit der alkoholbedingten Verminderung der Steuerungsfähigkeit näher zu erläutern gewesen, zumal der Sachverständige insoweit von seinem schriftlich vorbereitenden Gutachten abgewichen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2016 ‒ 2 StR 458/15, NStZ 2016, 432, 433 mwN).

(1) Das Tatgericht ist zwar nicht gehindert, von dem Gutachten eines vernommenen Sachverständigen abzuweichen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2018 − 5 StR 385/18, StV 2019, 226, Rn. 14). Will es allerdings eine Frage, für deren Beantwortung es sachverständige Hilfe für erforderlich gehalten hat, im Widerspruch zu dem Gutachten beantworten, muss es die Gründe hierfür in einer Weise darlegen, die dem Revisionsgericht die Nachprüfung erlauben, ob es die Darlegungen des Sachverständigen rechtsfehlerfrei gewürdigt und aus ihnen zulässige Schlüsse gezogen hat (vgl. Senat, Urteil vom 28. April 2021 - 2 StR 484/20, NStZ-RR 2021, 275, 276). Hierzu bedarf es einer erschöpfenden Auseinandersetzung mit dessen Ausführungen.

(2) Daran fehlt es hier. Wie der Sachverständige das Verhalten des Angeklagten vor und bei der Tatbegehung sowie weitere die Wirkungen der Alkoholintoxikation betreffende Umstände, wie die Alkoholgewöhnung des Angeklagten einerseits und seines jungen Lebensalters andererseits, seine Motivation zur Begehung der Tat und zur Selbstverletzung danach, den Zeitablauf zwischen dem Ende der Trinkzeit, der Tat und dem Nachtatverhalten, rechtsmedizinisch bewertet hat, ist den Urteilsgründen nicht im Einzelnen zu entnehmen.

4. Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat auf Folgendes hin:

a) Die Höhe der Jugendstrafe ist auch bei Gewaltdelikten in erster Linie an erzieherischen Gesichtspunkten auszurichten. Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, inwieweit dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist. Daran fehlt es, wenn die Begründung der Jugendstrafe wesentlich oder ausschließlich mit solchen Erwägungen vorgenommen wird, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Eine formelhafte Erwähnung der erzieherischen Erforderlichkeit der verhängten Jugendstrafe genügt nicht (vgl. Senat, Beschluss vom 18. September 2019 - 2 StR 156/19, NStZ-RR 2020, 42, 43 mwN).

b) Der Tatentschluss zum Töten des Nebenklägers darf dem Angeklagten nach dem strafbefreienden Rücktritt vom Versuch des Tötungsverbrechens auch bei Anwendung von Jugendstrafrecht nicht mehr angelastet werden (vgl. Senat, Urteil vom 20. April 2016 - 2 StR 320/15, BGHSt 61, 188, 192 f.).

HRRS-Nummer: HRRS 2023 Nr. 288

Bearbeiter: Julia Heß/Karsten Gaede