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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 842

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 25/21, Beschluss v. 16.06.2021, HRRS 2021 Nr. 842


BGH StB 25 und 26/21 - Beschluss vom 16. Juni 2021 (OLG Düsseldorf)

Geschäftsverteilungsplan (gesetzlicher Richter; generell-abstrakte Regelung; pflichtgemäßes Ermessen; Willkürkontrolle; Turnus- oder Rotationsprinzip; Missbrauchsgefahr; Staatsschutzsachen; Evokationsbefugnis des Generalbundesanwalts).

Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG; § 21e GVG; § 222b StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Eine Regelung im Geschäftsverteilungsplan, bei der die Zuständigkeit der Spruchkörper mit dem Kriterium der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs beim Gericht verknüpft wird (sog. sogenanntes Turnus- oder Rotationsprinzip), genügt grundsätzlich den aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG folgenden Anforderungen an eine generell-abstrakte Regelung der Geschäftsverteilung.

2. Zwar ist das Turnussystem nicht völlig frei von der Möglichkeit missbräuchlicher Eingriffe; eine Verteilung, die schlechthin jeden potentiellen Einfluss ausschließt und dennoch praktikabel ist, ist allerdings kaum vorstellbar. Den Erfordernissen des Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ist deshalb Genüge getan, wenn sachfremde Einflüsse der Justizverwaltung oder der Staatsanwaltschaft nach dem Verteilungsmodus nicht ernsthaft zu befürchten sind. Denn allein die abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs macht eine Geschäftsverteilung weder verfassungs- noch gesetzeswidrig.

3. Staatsschutzverfahren erfordern regelmäßig einen hohen zeitlichen Aufwand in der richterlichen Bearbeitung. Eine generell-abstrakte Verteilung der Sachen nicht nach dem Turnusprinzip, sondern nach anderen Kriterien, etwa dem Anfangsbuchstaben des Namens des ältesten Angeklagten, birgt in diesen Fällen die Gefahr der ungleichmäßigen Beanspruchung der Spruchkörper, der damit einhergehenden Überlastung einzelner von ihnen und der notwendigen unterjährigen Änderung der Geschäftsverteilung. Das Turnusprinzip stellt dagegen den generell-abstrakten Verteilungsmodus dar, der bestmöglich die gleichmäßige Zuweisung der Geschäfte gewährleistet. Auch die Einrichtung eines speziellen Turnus für Verfahren, in denen der Generalbundesanwalt die Anklage erhebt, kann insofern sachgerecht sein.

4. Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen eines Gerichtspräsidiums, nach welchem System es die Geschäfte verteilt. Zwischen verschiedenen Möglichkeiten der generell-abstrakten Verteilung der Verfahren kann es auswählen. Ziel muss es sein, für eine optimale Erledigung der anfallenden Rechtsprechungsaufgaben zu sorgen und die Effizienz des Geschäftsablaufs zu gewährleisten. Die Geschäfte sind möglichst gleichmäßig zu verteilen, um unterjährigen Änderungen (§ 21e Abs. 3 GVG) wegen Überlastung eines Spruchkörpers von vornherein vorzubeugen.

5. Soweit das Präsidium die richterlichen Aufgaben im pflichtgemäßen Ermessen verteilt, ist ihm ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum eingeräumt. Dieser ist erst überschritten, wenn für die Entscheidungen kein sachlicher Grund ersichtlich ist und die Verteilung der Geschäfte maßgeblich durch sachfremde Erwägungen geprägt, also die Grenze zur objektiven Willkür überschritten ist. Ein Jahresgeschäftsverteilungsplan ist insoweit nur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich, die sich nicht darauf zu erstrecken hat, ob sich die getroffene Regelung als die zweckmäßigste darstellt oder sich bessere Alternativen angeboten hätten (vgl. demgegenüber zum Prüfungsmaßstab in Fällen der unterjährigen Änderung eines Geschäftsverteilungsplans nach § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG zuletzt BGH HRRS 2021 Nr. 666).

Entscheidungstenor

Die von den Angeklagten erhobenen Einwände der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts werden auf ihre Kosten verworfen.

Gründe

I.

Die Angeklagten beanstanden die Gerichtsbesetzung in der seit dem 19. Mai 2021 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gegen sie stattfindenden Hauptverhandlung. Den Einwänden liegt folgendes Geschehen zugrunde:

Der Generalbundesanwalt erhob unter dem 27. Januar 2021 gegen die Beschwerdeführer und drei Mitangeklagte Anklage zum Oberlandesgericht insbesondere wegen Straftaten gemäß §§ 129a, 129b StGB. Die Sache wurde nach Eingang am 1. Februar 2021 dem dortigen 6. Strafsenat zugewiesen.

Nach den Ziffern B.12. a., b. und e. der Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 ist für die Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift des Generalbundesanwalts eingehen, ein gesonderter Turnus maßgeblich. Die Sachen erhalten nach der Reihenfolge ihres Eingangs bei der Eingangsgeschäftsstelle eine fortlaufende, aufsteigende Ordnungsbezeichnung sowie den Zusatz „GBA“. Bei gleichzeitigem Eingang entscheidet das Los. Die Geschäftsverteilungspläne für die Jahre 2020 und 2021 weisen dem 6. Strafsenat jeweils die Sachen mit den „Endziffern 1, 3, 5, 7 und 9 GBA“ zu. Soweit jene die „Endziffern 2, 4, 6, 8 und 0 GBA“ tragen, gelangen sie zum 7. Strafsenat.

Ob der Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2021 eine Regelung dafür trifft, mit welcher Ordnungsnummer zum neuen Geschäftsjahr begonnen wird - der "1" oder der Zahl, welche an den letzten Eingang des Vorjahres anknüpft -, teilen die Rügeschriften nicht mit. Vorgelegt wird jedoch die handschriftliche Aufzeichnung einer Stationsreferendarin, die für die Verteidigerin des Angeklagten G. Einblick in die Turnuseingänge genommen hat. Die Notiz zeigt eine Tabelle mit der Überschrift „Turnusliste GBA von 2019 bis 2021 [aufgeführt nur 2021]". Die Tabelle enthält unter den Spaltenüberschriften drei horizontale Zeilen. Die hiesige Sache ist in der ersten Zeile verzeichnet mit „Datum 27.01.21", „Uhrzeit 12.30", „Ordnungsnr. 13". Zwei nachfolgende Verfahren sind mit Daten aus Februar und Mai 2021 und den Ordnungsnummern 14 und 15 aufgeführt.

Weitere Turnusse sieht der Geschäftsverteilungsplan vor für „diejenigen Strafsachen, die aufgrund einer Anklage- oder Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft eingehen“, und für „sonstige Strafsachen, für die das Oberlandesgericht in Staatsschutzsachen im Sinne von §§ 74a, 120 GVG sowie nach § 120b GVG zur Entscheidung berufen ist und die nicht anderweitig zugewiesen sind“. Der 6. und der 7. Strafsenat nehmen an diesen Turnussen teil.

Am 5. Mai 2021 wurde den Verteidigern der Angeklagten die Mitteilung über die Besetzung des 6. Strafsenats für die Hauptverhandlung zugestellt. Ihre Besetzungseinwände gingen am 12. Mai 2021 beim Oberlandesgericht ein. Darin beanstanden sie, dass die Angeklagten ihrem gesetzlichen Richter entzogen werden; aufgrund des zwischen zwei Strafsenaten rotierenden gesonderten Turnus könne faktisch der Generalbundesanwalt durch den Zeitpunkt seiner Anklageerhebung den jeweils zuständigen Spruchkörper bestimmen.

Das Oberlandesgericht hat die Besetzungseinwände für nicht begründet gehalten und sie dem Bundesgerichtshof vorgelegt. Der Generalbundesanwalt hat ihre Zurückweisung beantragt.

II.

1. Die Besetzungseinwände sind frist- und formgerecht erhoben. Sie entsprechen noch den Begründungsanforderungen des § 222b Abs. 1 Satz 2, § 344 Abs. 2 Satz 2 analog StPO (vgl. dazu BeckOK StPO/Ritscher, 39. Ed., § 222b Rn. 10; KKStPO/Gmel, 8. Aufl., § 222b Rn. 8, jeweils mwN), obwohl nicht alle Bestimmungen des Jahresgeschäftsverteilungsplans 2021 mitgeteilt werden, die für die Zuweisung des Verfahrens an den 6. Strafsenat bedeutsam sind. Die Rügeschriften greifen ersichtlich nicht die spezielle Zuteilung des hiesigen Verfahrens an, sondern die ihr zugrundeliegende Einrichtung eines gesonderten Turnus für Anklagen des Generalbundesanwalts. Andernfalls wären die Einwände unzulässig, weil die Regelung des Geschäftsverteilungsplans über die Fortschreibung der Ordnungsnummern über das Geschäftsjahr hinaus ebenso unerwähnt bleibt wie die für die vorangegangene Sache vergebene Ordnungszahl.

2. In der Sache haben die Einwände jedoch keinen Erfolg. Das Turnussystem begegnet für sich gesehen im Hinblick auf die Garantie des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) keinen Bedenken (nachfolgend a). Die konkreten Turnusregelungen für Staatsschutzverfahren, für die sich das Präsidium des Oberlandesgerichts bei der Aufstellung des - allein maßgebenden - Geschäftsverteilungsplans für das Jahr 2021 (§ 21e Abs. 1 Satz 2 GVG) entschieden hat, erweisen sich ebenso wenig als rechtsfehlerhaft. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass das Präsidium für die Verfahren, denen Anklagen des Generalbundesanwalts zugrunde liegen, einen gesonderten Turnus eingerichtet hat (unten b).

a) Die verfassungsrechtliche Garantie des gesetzlichen Richters in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erfordert es, im Voraus so eindeutig wie möglich festzulegen, welcher Richter zur Entscheidung im Einzelfall berufen ist. Regelungen in Geschäftsverteilungsplänen müssen im Voraus generell-abstrakt die Zuständigkeit der Spruchkörper festschreiben, damit die einzelne Sache „blindlings“ aufgrund allgemeiner, vorab festgelegter Merkmale an den entscheidenden Richter gelangt und so der Verdacht einer Manipulation der rechtsprechenden Gewalt ausgeschlossen wird (BGH, Beschluss vom 25. März 2021 - 3 StR 10/20, juris Rn. 35 mwN).

aa) Die von den Angeklagten beanstandete Regelung im Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts genügt diesen Anforderungen. Sie verknüpft - wie heute für die Verteilung erstinstanzlicher Verfahren in Strafsachen an den Land- und Oberlandesgerichten vielfach üblich - die Zuständigkeit der Spruchkörper mit dem Kriterium der zeitlichen Reihenfolge des Eingangs beim Gericht (sogenanntes Turnus- oder Rotationsprinzip; vgl. hierzu schon BGH, Urteil vom 17. August 1960 - 2 StR 237/60, BGHSt 15, 116, 117 f.; ferner Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e Rn. 154 f.). Damit trifft der Geschäftsverteilungsplan im Voraus eine generell-abstrakte Zuständigkeitsregelung der Spruchkörper für alle im Jahr 2021 beim Gericht eingehenden Sachen. Diese werden „blindlings“ auf die am Turnus teilnehmenden Strafsenate verteilt. Der Gefahr der Manipulation durch gerichtsinterne Bedienstete begegnet der Jahresgeschäftsverteilungsplan mit einem Losverfahren für den Fall des zeitgleichen Eingangs.

bb) Zwar ist das Turnussystem nicht völlig frei von der Möglichkeit missbräuchlicher Eingriffe. Da es auf den Zeitpunkt des Eingangs der Verfahren beim Gericht ankommt, steht es theoretisch der Staatsanwaltschaft offen, einzelne Anklagen zurückzuhalten oder vorzuziehen, um so einen bestimmten Spruchkörper bei dem speziellen Verfahren zu umgehen oder die Zuweisung an die bevorzugte Kammer bzw. den gewünschten Senat zu erreichen. Eine Verteilung, die schlechthin jeden potentiellen Einfluss ausschließt und dennoch praktikabel ist, ist allerdings kaum vorstellbar (vgl. MüKoStPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 29). Den Erfordernissen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist deshalb Genüge getan, wenn sachfremde Einflüsse der Justizverwaltung oder der Staatsanwaltschaft nach dem Verteilungsmodus nicht ernsthaft zu befürchten sind. Denn allein die abstrakte Möglichkeit eines Missbrauchs macht eine Geschäftsverteilung weder verfassungs- noch gesetzeswidrig (BVerfG, Beschluss vom 30. März 1965 - 2 BvR 341/60, BVerfGE 18, 423, 427; BGH, Urteil vom 10. Juli 1963 - VIII ZR 204/61, BGHZ 40, 91, 98; Beschluss vom 2. November 1989 - 1 StR 354/89, BGHR StPO § 338 Nr. 1 Geschäftsverteilungsplan 1 mwN).

Die Staatsanwaltschaft ist kraft Gesetzes zur Mitwirkung im Strafverfahren berufen, organisch in die Gerichtsbarkeit eingegliedert und dem Neutralitätsgebot des § 160 Abs. 2 StPO verpflichtet (BGH, Beschluss vom 2. November 1989 - 1 StR 354/89, aaO). Zudem unterliegt ihre Tätigkeit als Ausfluss des Rechts auf ein faires Verfahren dem Fürsorge- und Beschleunigungsgebot. Die Staatsanwaltschaft muss ihre Anklagen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erheben (Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK, Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, Nr. 5 RiStBV). In Haftsachen wird die beschleunigte Bearbeitung im Wege des besonderen 12 13 Haftprüfungsverfahrens nach §§ 121, 122 StPO von Amts wegen gerichtlich überwacht, darüber hinaus auch auf die dem Beschuldigten zustehenden Rechtsbehelfe. Vor diesem Hintergrund besteht nicht ernsthaft die Gefahr, dass die Staatsanwaltschaft - hier der Generalbundesanwalt - Verfahren trotz Anklagereife nicht unverzüglich anklagt, um im Rahmen des Turnussystems manipulativ die Zuständigkeit eines besonderen Spruchkörpers herbeizuführen.

b) Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen eines Gerichtspräsidiums, nach welchem System es die Geschäfte verteilt (Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e Rn. 78, 150; KKStPO/Diemer, 8. Aufl., § 21e GVG Rn. 11a). Zwischen verschiedenen Möglichkeiten der generell-abstrakten Verteilung der Verfahren kann es auswählen. Ziel muss es sein, für eine optimale Erledigung der anfallenden Rechtsprechungsaufgaben zu sorgen (Kissel/Mayer, aaO Rn. 80) und die Effizienz des Geschäftsablaufs zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschluss vom 25. März 2021 - 3 StR 10/20, juris Rn. 38). Die Geschäfte sind möglichst gleichmäßig zu verteilen, um unterjährigen Änderungen (§ 21e Abs. 3 GVG) wegen Überlastung eines Spruchkörpers von vornherein vorzubeugen (vgl. MüKoStPO/Schuster, § 21e GVG Rn. 28).

Die Überprüfung von Jahresgeschäftsverteilungsplänen unterliegt im Hinblick auf deren Rechtsnatur Grenzen. Geschäftsverteilungspläne werden vom Präsidium eines Gerichts in Wahrnehmung der ihm nach § 21e GVG übertragenen Aufgabe in richterlicher Unabhängigkeit beschlossen. Soweit das Präsidium die richterlichen Aufgaben im pflichtgemäßen Ermessen verteilt, ist ihm ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum eingeräumt. Dieser ist erst überschritten, wenn für die Entscheidungen kein sachlicher Grund ersichtlich ist und die Verteilung der Geschäfte maßgeblich durch sachfremde Erwägungen geprägt, also die Grenze zur objektiven Willkür überschritten ist (s. BVerfG, Beschluss vom 25. August 2016 - 2 BvR 877/16, NVwZ 2017, 51 Rn. 18; ferner BVerfG, Beschluss vom 28. November 2007 - 2 BvR 1431/07, NJW 2008, 909, 910). Ein Jahresgeschäftsverteilungsplan ist insoweit nur einer beschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich, die sich nicht darauf zu erstrecken hat, ob sich die getroffene Regelung als die zweckmäßigste darstellt oder sich bessere Alternativen angeboten hätten (s. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2012 - 2 StR 346/11, NStZ 2012, 406 mwN; zum Prüfungsmaßstab in Fällen der unterjährigen Änderung eines Geschäftsverteilungsplans nach § 21e Abs. 3 Satz 1 GVG vgl. demgegenüber BGH, Beschluss vom 25. März 2021 - 3 StR 10/20, juris Rn. 40 ff. mwN).

aa) Staatsschutzverfahren sind regelmäßig ebenso komplex wie umfangreich und erfordern dementsprechend einen hohen zeitlichen Aufwand in der richterlichen Bearbeitung. Erfahrungsgemäß sind die Strafsenate bei den Oberlandesgerichten im Regelfall nicht in der Lage, mehr als zwei solcher Verfahren parallel zu verhandeln. Eine generell-abstrakte Verteilung der Sachen nicht nach dem Turnusprinzip, sondern nach anderen Kriterien, etwa dem Anfangsbuchstaben des Namens des ältesten Angeklagten, birgt in diesen Fällen die Gefahr der ungleichmäßigen Beanspruchung der Spruchkörper, der damit einhergehenden Überlastung einzelner von ihnen und der notwendigen unterjährigen Änderung der Geschäftsverteilung. Das hier vom Präsidium gewählte Turnusprinzip stellt dagegen den generell-abstrakten Verteilungsmodus dar, der bestmöglich die gleichmäßige Zuweisung der Geschäfte gewährleistet (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl., § 21e Rn. 154).

bb) Sachliche Gründe bestehen nach den aufgezeigten, bei der Verteilung der Geschäfte zu beachtenden Grundsätzen auch dafür, für die Verfahren, in denen der Generalbundesanwalt die Anklage erhebt, einen gesonderten Turnus einzurichten. Denn in der Regel sind die Sachen, die von der Staatsanwaltschaft des Landes beim Oberlandesgericht angeklagt werden, deutlich weniger umfangreich und zeitaufwendig in der Bearbeitung als diejenigen, in denen der Generalbundesanwalt die Anklage erhebt und vertritt. Nach der Systematik des Gerichtsverfassungsgesetzes führt jener die Ermittlungen nur in besonders gewichtigen Sachen: § 142a Abs. 1 GVG bestimmt seine Primärzuständigkeit für die schwerwiegenden Katalogtaten des § 120 Abs. 1 GVG sowie dann, wenn die Voraussetzungen der § 74a Abs. 2, § 120 Abs. 2 GVG erfüllt sind, mithin, wenn er bei weniger schwerwiegenden Katalogtaten wegen der besonderen Bedeutung des Falles seine Evokationsbefugnis ausübt (zu den Voraussetzungen s. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - AK 20/08, BGHSt 53, 128 Rn. 33 ff.; vom 10. November 2016 - StB 33/16, juris Rn. 25, jeweils mwN). Der Generalbundesanwalt gibt - vorbehaltlich der in § 142a Abs. 3 GVG geregelten Rückausnahmen - das Verfahren vor Einreichung einer Anklage- oder Antragsschrift an die Landesstaatsanwaltschaft ab, wenn es die Straftaten des § 142a Abs. 2 Nr. 1 GVG betrifft oder es nach § 142a Abs. 2 Nr. 2 GVG von minderer Bedeutung ist. Eine Abgabe ist gemäß § 142a Abs. 4 GVG ebenso geboten, wenn die besondere Bedeutung des Falles, die zur Ausübung der Evokationsbefugnis geführt hat, nicht mehr vorliegt. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass die Führung jeweils gesonderter Turnusse für Anklagen des Generalbundesanwalts und der Generalstaatsanwaltschaft es erlaubt, die Auslastung der Spruchkörper effektiver zu steuern, als es bei einem einheitlichen Turnus möglich wäre.

Es begegnet entgegen den Rügeschriften keinen rechtlichen Bedenken, dass das Präsidium davon abgesehen hat, für Anklagen des Generalbundesanwalts und der Generalstaatsanwaltschaft einen einheitlichen Turnus vorzusehen, um auf diese Weise Manipulationen vorzubeugen. Dass ein Turnus nur von einer Staatsanwaltschaft gespeist wird, stellt nach der Systematik des Gerichtsverfassungsgesetzes den Normalfall dar; nach den §§ 141, 143 Abs. 1 Satz 1 GVG 18 werden bei den Landgerichten grundsätzlich nur von einer Staatsanwaltschaft Anklagen erhoben, nämlich von derjenigen, die dort ihren Sitz hat.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Die Prüfung, ob tatsächlich Kosten entstanden oder Auslagen angefallen sind, bleibt dem Kostenfestsetzungsverfahren vorbehalten (BGH, Beschluss vom 20. April 2021 - StB 13-15/21, juris Rn. 27 mwN).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 842

Externe Fundstellen: NStZ 2021, 762; StV 2022, 485

Bearbeiter: Christian Becker