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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 50

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 33/16, Beschluss v. 10.11.2016, HRRS 2017 Nr. 50


BGH StB 33/16 - Beschluss vom 10. November 2016 (OLG Celle)

Dringender Tatverdacht wegen Nichtanzeige geplanter Straftaten (Vorhaben; Konkretisierung; Festlegung der Grundzüge der geplanten Tat); Zuständigkeit des Generalbundesanwalts wegen besonderer Bedeutung (Katalogtat; Gesamtwürdigung; gesetzlicher Richter).

§ 138 StGB; § 120 GVG; Art. 101 GG

Leitsatz des Bearbeiters

Eine Katalogtat des § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG kann selbst dann, wenn sie nach Schwere oder Umfang erhebliches Unrecht verwirklicht und daher staatliche Sicherheitsinteressen in besonderer Weise beeinträchtigt, wegen der damit einhergehenden Bestimmung des gesetzlichen Richters und des Eingriffs in die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern nicht allein die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts sowie des Oberlandesgerichts begründen. Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung sind neben dem individuellen Schuld- und Unrechtsgehalt auch die konkreten Auswirkungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik und ihr Erscheinungsbild gegenüber Staaten mit gleichen Wertvorstellungen in den Blick zu nehmen. Auch ist zu beachten, welche Signalwirkung von der Tat für potentielle Nachahmer ausgeht.

Entscheidungstenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftbefehl des Oberlandesgerichts Celle vom 21. September 2016 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde am 28. September 2016 aufgrund des Haftbefehls des Oberlandesgerichts Celle vom 21. September 2016 (4 StE 1/16) in Griechenland festgenommen und am 18. Oktober 2016 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Seitdem befindet er sich in Untersuchungshaft.

Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, der heranwachsende Angeklagte habe Ende Januar 2016 in Hannover von dem Vorhaben und der Ausführung einer Straftat nach § 129a Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 StGB i.V.m. § 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB zu einer Zeit, zu der die Ausführung noch habe abgewendet werden können, glaubhaft erfahren und es unterlassen, der Behörde unverzüglich Anzeige zu erstatten (§ 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB, § 105 1 2 JGG). In tatsächlicher Hinsicht wird ihm mit dem Haftbefehl Folgendes zur Last gelegt:

Der Angeklagte habe Ende Januar 2016 erfahren, dass die Mitangeklagte S. in Absprache mit Verantwortlichen der ausländischen terroristischen Organisation „Islamischer Staat“ (im Folgenden: IS) beabsichtigt habe, für die Organisation in Deutschland eine öffentlichkeitswirksame Gewalttat gegen die aus ihrer Sicht „Ungläubigen“ zu begehen. Er habe es unterlassen, insoweit unverzüglich Anzeige bei einer Behörde zu erstatten. Durch eine Anzeigeerstattung hätte die Ausführung der von der Mitangeklagten geplanten Tat noch abgewendet werden können. Tatsächlich habe sie ihr Vorhaben am 26. Februar 2016 umgesetzt, indem sie den im Hauptbahnhof Hannover Streife gehenden Polizeibeamten Ka. mit einem Messer in den Hals gestochen habe, um ihn zu töten, seine Dienstwaffe an sich zu nehmen und damit auf weitere Personen zu schießen.

Wegen dieses Vorwurfs hat der Generalbundesanwalt unter dem 10. August 2016 vor dem Oberlandesgericht Celle Anklage erhoben. Der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts hat mit Beschluss vom 22. September 2016 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 20. Oktober 2016 begonnen.

Mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 4. Oktober 2016 hat der Angeklagte Beschwerde gegen den Haftbefehl eingelegt. Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 7. Oktober 2016 nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Der Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Tat dringend verdächtig.

a) Nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts von folgendem Sachverhalt auszugehen:

Die Mitangeklagte S. identifizierte sich spätestens seit November 2015 mit den Gewalttaten des IS und befürwortete Terroranschläge auch außerhalb von dessen Kerngebiet im Irak und in Syrien. Im Januar 2016 reiste sie in die Türkei, um sich von dort aus in das Gebiet des IS schleusen zu lassen und sich der Organisation anzuschließen. Nachdem ihr von Mitgliedern des IS bedeutet worden war, dass es für die Organisation einen größeren Nutzen habe, wenn sie in Deutschland eine öffentlichkeitswirksame Gewalttat zum Nachteil der „Ungläubigen“ verübe, nahm sie von ihrem ursprünglichen Vorhaben Abstand und kehrte nach Deutschland zurück, um hier einen Anschlag zu begehen. Sie plante seinerzeit, mittels einer Sprengstoffexplosion ein Selbstmordattentat zu verüben, bei dem „Ungläubige“ getötet werden sollten.

Darüber informierte sie den Angeklagten in Hannover, mit dem sie während ihres Aufenthalts in der Türkei in der Zeit vom 22. bis zum 26. Januar 2016 in Chatkontakt stand. Sie hatte ihm schon im Hinblick darauf, dass ihr ihre Mutter nach Istanbul nachgereist war, mitgeteilt, dass sie in Deutschland eine Tat als „Märtyrerin“ ausüben werde, falls sie dorthin zurück müsse. Im Anschluss an ihre Absprache mit den Mitgliedern des IS setzte sie den Angeklagten sodann von ihrer „Planänderung“ in Kenntnis, dass sie nicht mehr vorhabe, nach Syrien zu gehen, sondern „zu dem Haus der Ungläubigen“ zurückkommen werde. In Deutschland werde es mit der Erlaubnis Gottes „richtig spaßig"; „Chemieunterricht“ sei „auch drin“. Sie habe mit hochrangigen Mitgliedern des IS gesprochen. Diese hätten sie aufgefordert, nach Deutschland zurückzukehren, um „eine Überraschung für den Ungläubigen zu machen“. Dies habe für den IS einen größeren Nutzen. Der Angeklagte antwortete darauf: „Ok, gut, Du sollst auf Dich aufpassen“.

Der Angeklagte, der wusste, warum die Mitangeklagte in die Türkei gereist war, und sie für ihren Mut bewunderte, nach Syrien zu gehen, um sich dem IS anzuschließen, nahm ihre Mitteilungen ernst. Er unterließ es, eine Polizeidienststelle oder eine andere Behörde davon in Kenntnis zu setzen.

Im Anschluss an ihre Rückkehr nach Deutschland stand die Mitangeklagte weiter in Chatkontakt mit Mitgliedern des IS. In dessen Verlauf änderte sie ihre ursprüngliche Planung schließlich. Sie beabsichtigte nun, anstelle eines Sprengstoffattentats einen Polizeibeamten und damit einen Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, die sie als ein Gebiet des Unglaubens empfand, durch einen Messerstich in den Hals zu töten, seine Dienstwaffe an sich zu nehmen und damit auf weitere „Ungläubige“ zu schießen. Sie ging davon aus, bei der Tat selbst verletzt oder getötet zu werden und so unter Umständen den „Märtyrertod“ zu erleiden.

Um ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, betrat die Mitangeklagte am 26. Februar 2016 gegen 16.25 Uhr das Gebäude des Hauptbahnhofs Hannover, wobei sie in einer Umhängetasche ein Gemüsemesser mit einer etwa 6 cm langen Klinge und ein Steakmesser mit einer 15 cm langen Klinge bei sich führte. Sie folgte den Bundespolizisten Ka. und K., die im Hauptbahnhof Streife gingen. Als die Beamten sich gegen 17.00 Uhr am Nord-/West-Ausgang an einer Balustrade positionierten, blieb die Mitangeklagte einige Meter neben ihnen stehen und beobachtete sie auffällig, um auf diese Weise eine Kontrolle zu provozieren. Nachdem der Polizeibeamte Ka. auf die Mitangeklagte aufmerksam geworden war, kam er mit seinem Kollegen K. überein, sie einer Personenkontrolle zu unterziehen. Beide gingen auf die Mitangeklagte zu und Ka. fragte sie, ob alles in Ordnung sei und ob sie auf jemanden warte. Sodann bat er sie um ihren Ausweis, um ihre Personalien feststellen zu können. Die Mitangeklagte fragte daraufhin nach dem Grund für die Kontrolle und überreichte Ka. ein Schülerticket für den öffentlichen Personennahverkehr. Ka. nahm das Ticket entgegen und wandte sich nach rechts von ihr ab, um es in Augenschein zu nehmen. In diesem Augenblick trat die Mitangeklagte für Ka. völlig überraschend einen Schritt vor, holte mit der rechten Hand aus und stach ihm mit dem Gemüsemesser gezielt oberhalb der Schutzweste, die er deutlich erkennbar über seiner Dienstkleidung trug, in den hinteren Halsbereich. Sie nutzte dabei bewusst aus, dass er in diesem Moment mit keinem Angriff auf seine Person rechnete.

Unmittelbar nachdem die Mitangeklagte dem Polizeibeamten Ka. den Stich versetzt hatte, wurde sie von dessen Kollegen K. überwältigt, auf dem Boden fixiert und dadurch an der weiteren Verwirklichung ihres Vorhabens gehindert. Ka. erlitt eine Stichverletzung im hinteren linken Halsbereich, die operativ versorgt werden musste und lebensbedrohlich war.

b) Der dringende Tatverdacht beruht im Wesentlichen auf Folgendem:

Die Mitangeklagte hat im Ermittlungsverfahren eingeräumt, dem Polizeibeamten Ka. mit dem Messer in den Hals gestochen zu haben. Im Übrigen wird der Tathergang durch die Angaben der Polizeibeamten Ka. und K., die sichergestellten Videos der Überwachungskameras am Tatort sowie die sichergestellten Messer belegt.

Die Motivation der Mitangeklagten ergibt sich aus diversen Chatverläufen, die auf ihrem Mobiltelefon gespeichert waren. Daraus ist ersichtlich, dass sie sich spätestens seit November 2015 mit den Gewalttaten des IS identifizierte und Terroranschläge auch außerhalb von dessen Kerngebiet befürwortete, im Januar 2016 in die Türkei reiste, um sich in Syrien dem IS anzuschließen, ihre Pläne nach Kontakten mit Mitgliedern des IS jedoch änderte und nach Deutschland zurückkehrte, um nunmehr dort einen Anschlag auf die „Ungläubigen“ zu begehen. Ausweislich eines Chats vom 24. Januar 2016 war ihr von „Brüdern aus Syrien“ gesagt worden, dass dies für die Organisation „einen größeren Nutzen“ habe. Zudem liegen Chatprotokolle vor, die belegen, dass die Mitangeklagte unmittelbar vor der Tat in Kontakt mit IS-Mitgliedern stand und sich mit diesen über die Art der Tatausführung abstimmte; daraus geht insbesondere hervor, dass es der Mitangeklagten letztlich nicht mehr um ein Sprengstoffattentat, sondern darum ging, für den IS einen Polizeibeamten als Repräsentanten des von ihr gehassten Landes der „Ungläubigen“ zu töten, um an seine Dienstwaffe zu gelangen und damit auf weitere „Ungläubige“ zu schießen.

Die Auswertung des Chat-Verkehrs zwischen dem Angeklagten und der Mitangeklagten in der Zeit vom 22. bis zum 26. Januar 2016 belegt, dass sie ihn von ihrem Vorhaben in Kenntnis setzte, im Auftrag von Mitgliedern des IS in Deutschland eine „Märtyrertat“ bzw. eine öffentlichkeitswirksame Gewalttat zum Nachteil von „Ungläubigen“ zu begehen. Der Umstand, dass sie in diesem Zusammenhang auch von „Chemieunterricht“ sprach, lässt darauf schließen, dass sie ursprünglich plante, ein Selbstmordattentat mittels einer Sprengstoffexplosion zu verüben, bei dem „Ungläubige“ getötet werden sollten.

Wegen der weiteren Einzelheiten der den dringenden Tatverdacht begründenden Umstände wird auf die Ausführungen in dem Haftbefehl sowie der Anklageschrift und die dort in Bezug genommenen Beweismittel verwiesen.

c) Der Senat lässt offen, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat als Nichtanzeige einer geplanten Straftat im Sinne des § 138 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StGB anzusehen ist (so auch schon Beschluss vom 22. September 2016 - AK 47/16 - Strafsache gegen die Mitangeklagte S.).

Dies kann dahinstehen, weil sich das Verhalten des Angeklagten jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit als Nichtanzeige einer Straftat im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 5 und Nr. 8 StGB darstellt, und zwar eines Mordes (§ 211 StGB) bzw. einer gemeingefährlichen Straftat in den Fällen des § 308 Abs. 1 bis 3 StGB. Nach Lage der Dinge plante die Mitangeklagte zunächst, in Deutschland mittels einer Sprengstoffexplosion ein Selbstmordattentat zu begehen, bei dem andere Menschen aus niedrigen Beweggründen heimtückisch und mit einem gemeingefährlichen Mittel getötet werden sollten. Das hatte sie dem Angeklagten durch ihre Mitteilungen, in Deutschland eine öffentlichkeitswirksame Gewalttat gegen „Ungläubige“ verüben zu wollen, die sich als „Märtyrertat“ darstellen und bei der „auch Chemieunterricht drin“ sein solle, auch unmissverständlich zu verstehen gegeben.

Bei dem von der Mitangeklagten geplanten Sprengstoffanschlag handelte es sich um ein „Vorhaben“ im Sinne des § 138 Abs. 1 StGB. Dieses Merkmal setzt das Vorhandensein eines ernsthaften Tatplans voraus (BGH, Urteil vom 29. Juni 1976 - 1 StR 237/76, juris Rn. 31). Erforderlich ist in der Regel, dass der Täter seine Absicht auf bestimmte Personen oder Ziele konkretisiert und auch die Art seines geplanten Vorgehens wenigstens in Grundzügen bereits festgelegt hat (vgl. LK/Hanack, StGB, 12. Aufl., § 138 Rn. 6; MüKoStGB/Hohmann, 2. Aufl., § 138 Rn. 9; S/S/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 138 Rn. 4). Hier war die Mitangeklagte ernsthaft entschlossen, einen Sprengstoffanschlag zu begehen, bei dem beliebige „Ungläubige“ getötet werden sollten. Damit waren zumindest die Grundzüge ihres Vorgehens schon festgelegt. Unerheblich ist, dass naturgemäß noch offen war, welche Personen konkret zu Schaden kommen sollten.

Der Angeklagte erfuhr zu einer Zeit von dem Vorhaben der Mitangeklagten, zu der die Ausführung der Tat noch abgewendet werden konnte. Er unterließ es jedoch, Anzeige bei einer Polizeidienststelle oder einer anderen Behörde zu erstatten.

d) Die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts und damit auch diejenige des Oberlandesgerichts Celle folgt aus § 120 Abs. 1 Nr. 7, § 142a Abs. 1 Satz 1 GVG. Das Verfahren gegen den Angeklagten hat die Nichtanzeige einer Straftat nach § 138 des Strafgesetzbuches zum Gegenstand und die Nichtanzeige betrifft eine Straftat, die zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehört. Das ergibt sich aus § 120 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GVG: Die Mitangeklagte plante seinerzeit, durch einen Sprengstoffanschlag Morde (§ 211 StGB) zu begehen, die im Zusammenhang mit der Tätigkeit des IS und damit einer ausländischen Vereinigung standen, deren Zweck oder Tätigkeit die Begehung von Straftaten dieser Art zum Gegenstand hat. Die Übernahme der Strafverfolgung durch den Generalbundesanwalt war wegen der besonderen Bedeutung des Falles gerechtfertigt.

An die Annahme der besonderen Bedeutung im Sinne des § 120 GVG sind mit Blick auf die in der Übernahme der Strafverfolgung durch den Generalbundesanwalt liegenden Bestimmung des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) und des Eingriffs in die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (vgl. Art. 96 Abs. 5 GG) strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - AK 20/08, BGHSt 53, 128, 140 f.; vom 15. Oktober 2013 - StB 16/13, juris Rn. 26). Eine Katalogtat des § 120 Abs. 2 Satz 1 GVG kann selbst dann, wenn sie nach Schwere oder Umfang erhebliches Unrecht verwirklicht und daher staatliche Sicherheitsinteressen in besonderer Weise beeinträchtigt, nicht allein aus diesem Grund die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts sowie des Oberlandesgerichts begründen. Bei der erforderlichen Gesamtwürdigung sind neben dem individuellen Schuld- und Unrechtsgehalt auch die konkreten Auswirkungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik und ihr Erscheinungsbild gegenüber Staaten mit gleichen Wertvorstellungen in den Blick zu nehmen. Auch ist zu beachten, welche Signalwirkung von der Tat für potentielle Nachahmer ausgeht (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - StB 12, 13 und 47/07, NStZ 2008, 146, 147).

Daran gemessen ist eine besondere Bedeutung des Falles zu bejahen. Die Mitangeklagte hatte dem Angeklagten zu verstehen gegeben, einen Sprengstoffanschlag zu planen, bei dem „Ungläubige“ getötet werden sollten. Sie war zuvor in die Türkei gereist, um sich von dort aus nach Syrien schleusen zu lassen und im „Kalifat“ des IS zu leben, und hatte dieses Vorhaben auf Anraten von Mitgliedern des IS aufgegeben, um in Deutschland einen Anschlag zu begehen. Die geplante Tat war von ihrer radikalislamistischen Grundhaltung getragen. Straftaten von Personen mit diesem Hintergrund haben in den letzten Jahren in der gesamten Bevölkerung Aufsehen, aber auch Verunsicherung hervorgerufen und zu einem allgemeinen Gefühl der Bedrohung geführt.

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Wenngleich § 138 Abs. 1 StGB die Nichtanzeige einer Straftat im Höchstmaß mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren bedroht, hat der Angeklagte im Falle seiner Verurteilung mit einer nicht unerheblichen Jugend- oder Freiheitsstrafe zu rechnen. Dem daraus resultierenden Fluchtanreiz stehen keine hinreichenden fluchthindernden Umstände entgegen. Der Angeklagte verfügt derzeit über keinen festen Wohnsitz und hielt sich zuletzt nur noch gelegentlich in der Wohnung in Hannover auf, unter deren Anschrift er früher gemeldet war und in der er gemeinsam mit seiner Mutter gelebt hatte.

Es liegen zudem Anhaltspunkte vor, die darauf hindeuten, dass der Angeklagte nach Syrien ausreisen wollte, um sich dem Strafverfahren zu entziehen, nachdem ihm am 10. August 2016 die Anklageschrift zugestellt worden war. So übernachtete er im September 2016 einige Tage lang in den Räumlichkeiten einer Moschee in Hildesheim, bei der es sich den bislang vorliegenden Erkenntnissen zufolge um einen Treffpunkt von Personen handelt, die nach Syrien ausreisen wollen. Am 16. September 2016 fuhr er nach Mannheim und traf sich dort mit einer Person namens C. C. beabsichtigte, mit einem Pkw in die Türkei zu reisen. Der Kontakt war durch eine Mitfahrzentrale vermittelt worden. C. und der Angeklagte fuhren sodann gemeinsam in die Türkei, dem Angeklagten wurde indes die Einreise verweigert, sodass er in Bulgarien zurückbleiben musste. Während seiner Reise stand der Angeklagte telefonisch sowie mittels eines Chats in Kontakt mit einer Person, die ihn ermahnte, seine Handydaten zu löschen und einen verschlüsselten Chat zu nutzen, was der Angeklagte auch tat.

Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers legen diese Umstände, insbesondere sein konspiratives Verhalten während seiner Reise in die Türkei, vor dem Hintergrund seiner früher mit der Mitangeklagten über eine Ausreise nach Syrien geführten Gespräche die Annahme nahe, dass er sich dem Strafverfahren durch eine Ausreise nach Syrien entziehen wollte. Der Umstand, dass der Angeklagte seiner Auslieferung nach Deutschland schließlich nicht mehr widersprochen hat, führt im Gegensatz zu der Auffassung des Beschwerdeführers zu keiner anderen Beurteilung.

In Anbetracht dessen ist zu befürchten, dass der Angeklagte sich, sollte er in Freiheit gelangen, dem Strafverfahren entziehen wird.

Weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 StPO sind aus den oben genannten Gründen nicht erfolgversprechend.

3. Schließlich steht die Fortdauer der Untersuchungshaft auch unter Berücksichtigung der in Griechenland erlittenen Freiheitsentziehung nicht außer Verhältnis zu der Schwere der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 50

Bearbeiter: Christian Becker