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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 182

Bearbeiter: Christian Becker

Zitiervorschlag: BGH, StB 43/20, Beschluss v. 27.01.2021, HRRS 2021 Nr. 182


BGH StB 43/20 - Beschluss vom 27. Januar 2021

Befugnis zur Entbindung des Wirtschaftsprüfers von der Verschwiegenheitspflicht bei insolventer juristischer Person als Auftraggeber (Zeugenaussage; Untersuchungsausschuss; Vertrauensverhältnis; natürliche Person; Organwalter; Insolvenzverwalter; Berufsgeheimnisträger); unvermeidbarer Verbotsirrtum (unklare Rechtslage; divergierende gerichtliche Entscheidungen; vertretbare Begründung der Zeugnisverweigerung); Zulässigkeit des Antrags auf gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Ordnungsgeldbeschlusses im parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

§ 53 StPO; § 22 Abs. 1 PUAG; § 36 Abs. 1 PUAG; § 17 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber.

2. Für eine juristische Person können diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind.

3. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft.

4. Soweit für die juristische Person innerhalb des berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses natürliche Personen tätig geworden sind, bedarf es deren Entbindungserklärung grundsätzlich nicht. Allein dadurch, dass sie für die juristische Person handelten, haben sie noch kein eigenes geschütztes Vertrauensverhältnis zu dem Berufsgeheimnisträger aufgebaut. Es existiert insbesondere kein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Vertrauensverhältnis nur zwischen natürlichen Personen bestehen könne und eine effektive Dienstleistung des Berufsgeheimnisträgers voraussetze, dass sich ihm die Organwalter vorbehaltlos öffnen könnten.

5. Würde bei der Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht des Wirtschaftsprüfers neben dem Auftraggeber auch auf Dritte abgestellt, hätte das zur Konsequenz, dass es demjenigen, der die Dienstleistung eines Wirtschaftsprüfers in Anspruch nimmt und in dessen Interesse der Geheimnisträger tätig wird, versagt wäre, zur Wahrung seiner eigenen Belange eine Zeugenaussage zu ermöglichen. Zudem führte dies zu einem erweiterten Anwendungsbereich des eine Ausnahme von der Pflicht zur umfassenden Aufklärung der materiellen Wahrheit darstellenden Zeugnisverweigerungsrechts. Etwas anderes kommt nur in spezifisch gelagerten Sonderkonstellationen in Betracht, in denen der Dritte seinerseits in einer individuellen Vertrauensbeziehung zu dem Berufsgeheimnisträger steht.

6. Die für die Festsetzung eines Ordnungsgeldes erforderliche Schuld fehlt, wenn sich der Betroffene in einem unvermeidbaren Irrtum über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens befand. Das kann der Fall sein, wenn ein Zeuge bei einer komplexen Rechtsfrage - zumal bei divergierenden Gerichtsentscheidungen und fehlender höchstrichterlicher Klärung - den Umfang seiner Zeugenpflicht nicht erkannt hat oder er nach sorgfältiger Prüfung durch einen anwaltlichen Beistand auf dessen Rat und mit vertretbarer Begründung das Zeugnis verweigert.

Entscheidungstenor

Der Ordnungsgeldbeschluss des Antragsgegners vom 26./27. November 2020 (Z-38-O) wird aufgehoben.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

A.

Der Antragsteller wendet sich gegen einen ihn als Zeugen betreffenden Ordnungsgeldbeschluss des 3. Untersuchungsausschusses der 19. Wahlperiode des Deutschen Bundestages, des Antragsgegners.

Der Antragsteller ist Partner sowie Gesellschafter der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und leitet deren Forensikabteilung. Die durch zwei Partner, unter anderem einen Wirtschaftsprüfer, handelnde Wirtschaftsprüfungsgesellschaft und die durch ihre damaligen Vorstände handelnde Wirecard AG schlossen im September 2016 eine Mandatsvereinbarung darüber, Vorwürfe eines Mitarbeiters von E. Indien aufzuklären (" "). In diesem Rahmen wurde der Antragsteller von September 2016 bis April 2018 tätig.

2 Der Antragsgegner wurde am 1. Oktober 2020 mit dem Auftrag eingesetzt, das Verhalten der Bundesregierung und ihrer Geschäftsbereichsbehörden im Zusammenhang mit Vorkommnissen um den Wirecard-Konzern auch im Zusammenwirken mit anderen öffentlichen sowie privaten Stellen umfassend zu untersuchen (BT-Drucks. 19/22996 S. 2; BT-PlPr. 19/180 S. 22669). Er beschloss, Beweis durch Vernehmung des Leiters des Geschäftsbereiches „Assurance. Forensic & Integrity Service“ der E. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zu erheben. Als solcher wurde - nach namentlicher Benennung - der Antragsteller zur Zeugenvernehmung am 26. November 2020 geladen. Der für die Wirecard AG bestellte Insolvenzverwalter erklärte ebenso wie deren aktueller Vorstand, den Antragsteller von seiner Verschwiegenheitspflicht gegenüber der Wirecard AG zu entbinden. Dieser teilte mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 20. November 2020 dem Antragsgegner mit, sich auf „sein Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 22 Abs. 1 PUAG i.V.m. §§ 53, 53a StPO“ zu berufen und keine Angaben als Zeuge zu machen. Dabei vertrat er unter näheren Ausführungen die Ansicht, dass ihm im Rahmen des geschützten Mandatsverhältnisses ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe und keine wirksame Entbindung von der Schweigepflicht vorliege, da diese bei einer juristischen Person auch eine entsprechende Erklärung der ehemaligen Organwalter erfordere.

Der Antragsteller machte bei seiner Vernehmung zwar allgemeine Angaben, verweigerte aber, wie angekündigt, „zur Sache selbst, das heißt zu sämtlichen Details und Inhalten des Mandats Wirecard," sein Zeugnis. Darauf setzte der Antragsgegner mit Beschluss vom 26./27. November 2020 ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000 € gegen den Antragsteller fest und begründete dies damit, dass dieser „das Zeugnis ohne Grund verweigert hat“. Der Vorsitzende erläuterte den Beschluss zunächst mündlich und fasste die Erwägungen in einem folgenden Schreiben an den Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zusammen.

Der Antragsteller hält die Verhängung eines Ordnungsgeldes aus rechtlichen Gründen für unzulässig. Er habe das Zeugnis nicht ohne gesetzlichen Grund verweigert. Aus den im Schreiben an den Antragsgegner dargelegten Gründen habe das Risiko einer Strafbarkeit nach § 203 StGB bestanden. Jedenfalls habe er nicht schuldhaft, sondern vor dem Hintergrund der unklaren Rechtslage aus Gründen der Vorsicht sowie gemäß der Empfehlung seines Rechtsbeistandes gehandelt. Im Übrigen seien die formalen Anforderungen an einen Ordnungsgeldbeschluss nicht erfüllt und dessen Begründung unzureichend.

Der Antragsteller beantragt mit seinem als Beschwerde bezeichneten Schriftsatz, den Ordnungsgeldbeschluss aufzuheben.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, der Antragsteller habe sich zu Unrecht auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen. Dieses sei angesichts der Befreiungserklärungen sowohl des derzeitigen Vorstandes der Wirecard AG als auch deren Insolvenzverwalters gegenstandslos geworden. Eine Gefahr der Strafverfolgung nach § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB habe keinesfalls bestanden.

B.

Die als Antrag auf gerichtliche Entscheidung auszulegende Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.

I. Die Beschwerde ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Ordnungsgeldbeschlusses auszulegen, da bislang - anders als in Fällen des § 36 Abs. 3 PUAG oder des § 304 StPO - keine gerichtliche Entscheidung vorliegt, gegen die sich eine Beschwerde richten könnte.

Die Zulässigkeit des Antrags ergibt sich aus § 36 Abs. 1 PUAG. Zwar eröffnet die Vorschrift ihrem Wortlaut nach lediglich allgemein die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs für Streitigkeiten nach diesem Gesetz, ohne diese näher zu bezeichnen. Allerdings ist bereits mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG davon auszugehen, dass hierunter auch solche Konstellationen fallen, in denen die etwaige Rechtsverletzung eines Betroffenen durch den Untersuchungsausschuss in Rede steht (vgl. allgemein zum gerichtlichen Rechtsschutz gegen Tätigkeiten eines Untersuchungsausschusses BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 1987 - 2 BvR 1178/86, BVerfGE 77, 1, 52 mwN; zum Rechtsschutz gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes Waldhoff/Gärditz/Liebermann, PUAG, 2015, § 27 Rn. 45; Glauben/Brocker, PUAG, 3. Aufl., § 27 Rn. 11; Pieper/Spoerhase, PUAG, 2012, § 27 Rn. 3; NKVwGO/Sodan, 5. Aufl., § 40 Rn. 231; enger Waldhoff/Gärditz, PUAG, 2015, § 36 Rn. 24). Nach den Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren soll eine Streitigkeit im Sinne des § 36 Abs. 1 PUAG gegeben sein, wenn der Deutsche Bundestag, einer seiner Untersuchungsausschüsse oder Teile dieser Organe „einer der Beteiligten an einer gerichtlich ausgetragenen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit einem Untersuchungsverfahren ist“ (BT-Drucks. 14/5790 S. 21).

Insofern ist der Senat zur Entscheidung berufen, da eine Rechtsstreitigkeit unter Beteiligung eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages vorliegt und eine Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts nicht begründet ist (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 3 ARs 24/08, BGHR PUAG § 36 Zuständigkeit 1 Rn. 15; Prehn, NVwZ 2013, 1581, 1583 f.; Waldhoff/Gärditz, PUAG, 2015, § 36 Rn. 20). Hierunter fällt die Überprüfung der Ausschussarbeit im Einzelnen, zum Beispiel bezüglich der Erhebung bestimmter Beweise, insbesondere soweit es um eine dem Ablauf eines Strafprozesses vergleichbare Ordnung des Untersuchungsverfahrens im engeren Sinne geht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Juni 2005 - 2 BvQ 18/05 Rn. 37, BVerfGE 113, 113, 123; Maunz/Dürig/Klein, GG, 92. EL, Art. 44 Rn. 245). Funktionell ist der Senat mangels einer speziellen Kompetenzzuweisung an den Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs zuständig (s. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 3 ARs 24/08, BGHR PUAG § 36 Zuständigkeit 1 Rn. 16).

II. Der Antrag ist begründet. Zwar hat der Antragsteller das Zeugnis ohne gesetzlichen Grund im Sinne des § 27 Abs. 1 PUAG verweigert (s. sogleich unter 1.). Allerdings handelte er insoweit nicht schuldhaft (s. unter 2.).

1. Der Antragsteller war nicht gemäß § 22 Abs. 1 PUAG, § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 53a Abs. 1 Satz 1 StPO oder aus einem sonstigen Grund zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt.

a) Der Antragsteller war von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit wirksam entbunden (§ 22 Abs. 1 PUAG, § 53 Abs. 2 Satz 1, § 53a Abs. 2 StPO).

aa) Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer geschützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftraggeber. Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, können für diese diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertretung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Vertrauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft. Hierzu im Einzelnen:

(1) Eine nähere allgemeine gesetzliche Regelung dazu, wer berechtigt ist, im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit zu entbinden, fehlt (vgl. indes für Notare § 18 Abs. 2 BNotO). Nach der Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift kann von einer Pflicht derjenige befreien, dem gegenüber diese besteht. Für die Frage, wem ein Berufsgeheimnisträger zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, sind insbesondere die zugrundeliegenden berufsrechtlichen Regelungen in den Blick zu nehmen, da § 53 StPO den Schutz des „berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses“ zum Zweck hat (BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 - StB 8/13, NJW 2014, 1314 Rn. 8 mwN; vgl. bereits RG, Urteil vom 12. Mai 1922 - I 1628/21, RGSt 57, 63, 66).

Ist einem Wirtschaftsprüfer im Rahmen eines bestehenden Auftragsverhältnisses etwas anvertraut oder bekannt geworden, steht es dem Auftraggeber oder den Auftraggebern zu, über eine Entbindung von der Schweigepflicht zu entscheiden; denn die allgemeine berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO schützt regelmäßig nur den Auftraggeber (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2016 - VI ZR 441/14, WM 2016, 508 Rn. 25 mwN).

Würde gleichwohl zusätzlich auf Dritte abgestellt, hätte das zur Konsequenz, dass es demjenigen, der die Dienstleistung eines Wirtschaftsprüfers in Anspruch nimmt und in dessen Interesse der Geheimnisträger tätig wird, versagt wäre, zur Wahrung seiner eigenen Belange eine Zeugenaussage zu ermöglichen (vgl. auch BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271). Zudem führte dies zu einem erweiterten Anwendungsbereich des eine Ausnahme von der Pflicht zur umfassenden Aufklärung der materiellen Wahrheit darstellenden Zeugnisverweigerungsrechts (s. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. Juni 2018 - 2 BvR 1405/17 u.a., NJW 2018, 2385 Rn. 89). Etwas anderes kommt in spezifisch gelagerten Sonderkonstellationen in Betracht, in denen der Dritte seinerseits in einer individuellen Vertrauensbeziehung zu dem Berufsgeheimnisträger steht (s. BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, aaO S. 272; zu „Doppelmandaten“ OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 - III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1156 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 53 Rn. 46c).

(2) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine juristische Person selbst berechtigt, über die Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern zu entscheiden, die sie allein beauftragt hat. Da eine juristische Person indes nicht unmittelbar handlungsfähig ist, können die Erklärung nur die für sie handelnden natürlichen Personen abgeben. Weitergehende Entbindungserklärungen natürlicher Personen im eigenen Namen sind dagegen im Allgemeinen entbehrlich.

?) Wie bereits dargelegt, steht im Falle vertraglicher Beziehungen die Befugnis, Wirtschaftsprüfer von der Verschwiegenheitspflicht zu befreien, regelmäßig dem Vertragspartner zu (vgl. für das Anbahnungsverhältnis etwa BGH, Beschluss vom 18. Februar 2014 - StB 8/13, NJW 2014, 1314 Rn. 8 mwN). Handelt es sich hierbei um eine juristische Person, hat folglich diese zu entscheiden (ebenso OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 - III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 1. September 2015 - III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 9 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2009 - 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690 f.; Tully/Kirch-Heim, NStZ 2012, 657, 660 ff.).

Soweit für sie innerhalb des berufsbezogenen Vertrauensverhältnisses natürliche Personen tätig geworden sind, bedarf es deren Entbindungserklärung grundsätzlich nicht. Allein dadurch, dass sie für die juristische Person handelten, haben sie noch kein eigenes geschütztes Vertrauensverhältnis zu dem Berufsgeheimnisträger aufgebaut. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Interessen der juristischen Person einerseits und der für diese handelnden natürlichen Person andererseits auseinanderfallen können. Stünde beiden die Entscheidung über die Schweigepflicht zu, beeinträchtigte dies letztlich diejenige, in deren Interesse das Vertrauensverhältnis begründet wurde.

Die dagegen erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Es existiert kein allgemeiner Grundsatz, wonach ein Vertrauensverhältnis nur zwischen natürlichen Personen bestehen könne und eine effektive Dienstleistung des Berufsgeheimnisträgers voraussetze, dass sich ihm die Organwalter vorbehaltlos öffnen könnten (derart etwa OLG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Dezember 1992 - 1 Ws 1155/92, StV 1993, 346 mwN; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - 1 Ws 334/16, NJW 2017, 902 Rn. 6; LG Berlin, Beschluss vom 5. März 1993 - 505 AR 2/93, wistra 1993, 278, 279; LR/Bertheau/Ignor, StPO, 27. Aufl., § 53 Rn. 78; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 57; Ehrenberg, Die Verschwiegenheit der Angehörigen rechtsberatender, steuerberatender und wirtschaftsprüfender Berufe, 2012, S. 145; s. auch SSWStPO/Eschelbach, 4. Aufl., § 53 Rn. 44; Radtke/Hohmann/Otte, StPO, § 53 Rn. 40; Städler, Die Auswirkungen eines Personenwechsels bei Vertretungsorganen von GmbH und AG auf die Entbindungsberechtigung nach § 53 Abs. 2 S. 1 StPO, 2012, S. 279 f.). Gegenüber der Bedeutung der handelnden natürlichen Personen ist zu beachten, dass die juristische Person - wie hier eine Aktiengesellschaft (§ 1 Abs. 1 AktG) - von der Rechtsordnung als eigenständiges Rechtssubjekt anerkannt ist, das Träger von Rechten und Pflichten sein kann (vgl. zum persönlichen Vertrauen im Dienstverhältnis BGH, Urteil vom 2. Mai 2019 - IX ZR 11/18, DB 2019, 1379 Rn. 13 mwN; s. zudem BVerfG, Beschlüsse vom 27. Oktober 2003 - 2 BvR 2211/00, BVerfGK 2, 97, 100; vom 13. September 1993 - 2 BvR 1666/93 u.a., NVwZ 1994, 54, 56; SKStPO/Rogall, 5. Aufl., § 53 Rn. 205). Den für sie tätigen Personen ist im Allgemeinen ersichtlich, dass sie nicht selbst in einem Vertrauensverhältnis zum Berufsgeheimnisträger stehen und im Konfliktfall die Interessen der diesen Beauftragenden Vorrang haben (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 271; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 - III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 1. September 2015 - III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 10). Ansonsten ergäbe sich die Folge, dass bei widerstreitenden Belangen der juristischen Person und ihres früheren Organwalters letztlich dieser sich durchsetzen könnte, selbst wenn die juristische Person Vertragspartei eines Dienstleistungsverhältnisses ist.

?) Eine juristische Person wird bei der Erklärung über eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die zu diesem Zeitpunkt entscheidungsbefugten Organe vertreten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 - III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1155; OLG Köln, Beschluss vom 1. September 2015 - III-2 Ws 544/15, StV 2016, 8, 9 f.; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18. Juni 2009 - 1 Ws 289/09, NJW 2010, 690, 691; zum Strafantrag entsprechend Schönke/Schröder/Bosch, StGB, 30. Aufl., § 77 Rn. 14 mwN; s. zur Maßgeblichkeit des Vernehmungszeitpunkts auch Gesetzentwurf zum VerSanG, BT-Drucks. 19/23568 S. 97).

(3) Ist über das Vermögen der juristischen Person das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter ernannt worden, ist dieser berechtigt, den Berufsgeheimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, soweit sich das Vertrauensverhältnis auf Angelegenheiten der Insolvenzmasse bezieht. Die Dispositionsbefugnis des Geheimnisherrn geht insoweit gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2018 - AnwZ (Brfg) 61/17, NJWRR 2018, 1328 Rn. 7; Urteil vom 16. Februar 2016 - VI ZR 441/14, WM 2016, 508 Rn. 23; entsprechend zu § 6 KO BGH, Urteile vom 30. November 1989 - III ZR 112/88, BGHZ 109, 260, 270; vom 6. Juni 1994 - II ZR 292/91, NJW 1994, 2220, 2225; s. auch Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 53 Rn. 46b; KKStPO/Bader, 8. Aufl., § 53 Rn. 47; HKInsO/Kayser/ Thole, 10. Aufl., § 80 Rn. 45; MüKoInsO/Vuia, 4. Aufl., § 80 Rn. 44, 79; aA SSWStPO/Eschelbach, 4. Aufl., § 53 Rn. 44; MüKoStPO/Percic, § 53 Rn. 57; HKStPO/Gercke, 6. Aufl., § 53 Rn. 39; differenzierend SKStPO/Wolter, 5. Aufl., § 53 Rn. 207). Dessen Verwaltungs- und Verfügungsrechte erstrecken sich nicht ausschließlich auf das Gebiet des Vermögensrechts (vgl. bereits RG, Beschluss vom 15. Oktober 1904 - I 118/04, RGZ 59, 85, 86; s. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 6. Oktober 1993 - 3 W 367/93, OLGZ 1994, 461, 462; OLG Nürnberg, Beschluss vom 19. Juli 1976 - 5 W 21/76, OLGZ 1977, 370, 371 f.). Mithin kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge in einem Straf- oder Zivilverfahren - oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss - aussagen soll, sondern auf den Gegenstand des betroffenen Vertrauensverhältnisses und eine Bedeutung für die Insolvenzmasse (vgl. Henssler, AnwBl 2019, 216, 219 f.; RG, Beschluss vom 15. Oktober 1904 - I 118/04 aaO S. 87). Einer zusätzlichen Entbindungserklärung durch frühere oder gegenwärtige Organe bedarf es aufgrund der bereits ausgeführten Erwägungen im Normalfall nicht.

bb) Nach diesen Maßstäben hatte der Antragsteller kein Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StPO; denn er wurde von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit wirksam entbunden. Da Entbindungserklärungen sowohl des Insolvenzverwalters als auch des gegenwärtigen Vorstandes und Aufsichtsrates vorliegen, bedarf keiner weiteren Erörterung, ob in der gegebenen Konstellation eine solche mehrseitige Erklärung erforderlich war. Jedenfalls ist die vom Antragsteller für notwendig erachtete Entpflichtung durch weitere Personen entbehrlich. Es ist weder vorgebracht noch sonst ersichtlich, dass die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft etwa im Sinne eines Mehrfachmandates in Vertrags- oder sonstigen individuellen Vertrauensbeziehungen zu früheren Vorständen persönlich stand.

cc) Eine Gefahr der Strafverfolgung mit Blick auf die Verletzung eines ihm als Wirtschaftsprüfer oder mitwirkende Person anvertrauten Geheimnisses ist nicht gegeben. Angesichts seiner bestehenden Aussagepflicht sind davon erfasste Angaben nicht unbefugt im Sinne des § 203 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 StGB.

b) Ein sonstiger gesetzlicher Grund, das Zeugnis zu verweigern, bestand nicht. Insofern bedarf keiner abschließenden Klärung, inwieweit einzelne nicht beantwortete Fragen im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 PUAG ungeeignet waren oder nicht zur Sache gehörten und dies den Antragsteller zur Nichtbeantwortung berechtigte. Unabhängig davon, dass er weder den Vorsitzenden gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 PUAG aufforderte, Fragen zurückzuweisen, noch sich sonst bei der Vernehmung auf eine Unzulässigkeit berief, beantwortete er jedenfalls auch solche Fragen nicht, deren Zulässigkeit außer Zweifel steht.

2. Die Verhängung des Ordnungsgeldes war indes ausgeschlossen, weil der Antragsteller nicht schuldhaft das Zeugnis verweigerte.

a) Die Festsetzung eines Ordnungsgeldes setzt Schuld voraus (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28. November 1973 - 2 BvL 42/71, BVerfGE 36, 193, 200; vom 29. März 2007 - 2 BvR 224/07, juris Rn. 14; BGH, Beschlüsse vom 28. Dezember 1978 - StB 235/78, BGHSt 28, 240, 259; vom 13. Oktober 1995 - StB 71/95, BGHR StPO § 70 Verschulden 1). Eine solche fehlt, wenn sich der Betroffene in einem unvermeidbaren Irrtum über die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens befand. Daher hindert ein derartiger Irrtum die Ahndung einer grundlosen Zeugenverweigerung (s. BVerfG, Beschlüsse vom 28. November 1973 - 2 BvL 42/71 aaO; vom 20. Dezember 2018 - 2 BvR 2377/16, NJW 2019, 584 Rn. 56). Ähnliches kann gelten, wenn ein Zeuge bei einer komplexen Rechtsfrage den Umfang seiner Zeugenpflicht nicht erkannt hat (vgl. Beschluss vom 28. Dezember 1978 - StB 235/78, BGHSt 28, 240, 259) oder er nach sorgfältiger Prüfung durch einen anwaltlichen Beistand auf dessen Rat und mit vertretbarer Begründung das Zeugnis verweigert (BVerfG, Beschluss vom 29. März 2007 - 2 BvR 224/07, juris Rn. 14).

b) Demgemäß ist ein Verschulden nicht festzustellen. Der Antragsteller hat die Aussage auf anwaltlichen Rat hin verweigert. Dies hat er näher ausgeführt und sich dabei, wie vom Antragsgegner gesehen, auf in Rechtsprechung sowie Schrifttum vertretene Meinungen berufen. Da eine höchstrichterliche Entscheidung zu der maßgeblichen Rechtsfrage bislang fehlt und dazu insbesondere divergierende Entscheidungen von Oberlandesgerichten vorliegen (s.o.; zu ungeklärten Rechtsfragen etwa BGH, Urteile vom 21. Dezember 2016 - 1 StR 253/16, NJW 2017, 1487 Rn. 61; vom 10. Oktober 1989 - KZR 22/88, BGHR GWB § 35 Abs. 1 Verbotsirrtum 1), ist dem Antragsteller sein Verhalten nicht vorwerfbar. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass er nicht allein den Verstoß gegen Berufspflichten, sondern überdies eine etwaige Strafbarkeit nach § 203 StGB befürchtete. Unter den gegebenen Umständen ändert die Mitteilung des Ausschussvorsitzenden, der Antragsgegner „stehe auf dem Standpunkt, dass die Erklärung des Insolvenzverwalters ausreicht“, hieran nichts (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 14. April 1998 - 2 Ws 62/98 u.a., StraFo 1999, 90, 91; dagegen bei vorangegangener obergerichtlicher Klärung OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 - III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1157).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. November 2020 - 3 ARs 14/20, juris Rn. 24; vom 17. Februar 2009 - 3 ARs 24/08, juris Rn. 26).

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 182

Bearbeiter: Christian Becker