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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1058

Bearbeiter: Holger Mann

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 147/20, Beschluss v. 12.08.2020, HRRS 2020 Nr. 1058


BGH 2 ARs 147/20 2 AR 72/20 - Beschluss vom 12. August 2020

Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichtes im Verfahren zur Feststellung der Vereinbarkeit von Maßnahmen im Strafvollzug mit dem Gesetz.

§ 14 StPO; § 119a StVollzG; 120 StVollzG

Entscheidungstenor

Zuständig für das Verfahren nach § 119a StVollzG ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin.

Gründe

Die Vorlage betrifft die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichtes im Verfahren zur Feststellung der Vereinbarkeit von Maßnahmen im Strafvollzug mit dem Gesetz (§ 14 StPO, §§ 119a, 120 StVollzG).

I.

Das Landgericht Berlin verhängte gegen den Verurteilten am 31. März 2000 wegen Mordes u.a. eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe, stellte die besondere Schwere der Schuld fest und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Der Verurteilte verbüßt die Strafe in der JVA Tegel (Berlin), nachdem er zwischenzeitlich von dort vom 9. April 2019 bis 1. Oktober 2019 im Rahmen einer sog. länderübergreifenden Verlegung „vorübergehend“ in die JVA Werl in Nordrhein-Westfalen überstellt worden war. Das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - stellte zuletzt mit Beschluss vom 15. Februar 2018 - dem Verteidiger des Verurteilten zugegangen am 23. Februar 2018 - fest, dass die dem Verurteilten von der Vollzugsbehörde seit dem 6. Januar 2016 angebotene Betreuung den gesetzlichen Anforderungen des § 66c Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht entsprochen habe.

Nachdem dem Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - am 12. August 2019 durch die JVA Tegel die bereits am 9. April 2019 erfolgte Verlegung des Verurteilten in die JVA Werl mitgeteilt worden war, verwies es mit Beschluss vom 13. August 2019 das Verfahren für nach § 119a StVollzG zu treffende Entscheidungen an das Landgericht Arnsberg.

Die Akten gingen am 28. August 2019 bei dem Landgericht Arnsberg ein. Dort wurde im weiteren Verlauf die am 1. Oktober 2019 erfolgte Rückverlegung des Verurteilten in die JVA Tegel bekannt, weswegen die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer am 20. November 2019 die Rückübersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft Berlin verfügte.

Im Hinblick auf den am 23. Februar 2020 endenden Überprüfungszeitraum nach § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG legte die Staatsanwaltschaft Berlin die dort eingegangenen Akten nunmehr mit Datum vom 2. Dezember 2019 dem Landgericht Berlin zur Entscheidung vor. Auf Grund der Verfügung der Vorsitzenden der dortigen Strafvollstreckungskammer vom 9. Dezember 2019 wurden die Akten der Staatsanwaltschaft Berlin zurückübersandt mit dem Hinweis, dass eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin nicht mehr gegeben sei; die Verweisung an das Landgericht Arnsberg mit Beschluss vom 13. August 2019 sei bindend.

Nach erneutem Eingang der Akten beim Landgericht Arnsberg - Strafvollstreckungskammer - verwies dieses das Verfahren nach § 119a StVollzG mit Beschluss vom 12. Februar 2020 an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin mit der Begründung, der Verurteilte sei am 1. Oktober 2019 in die JVA Tegel zurückverlegt worden. Zwar habe das Landgericht Berlin das Verfahren mit Beschluss vom 13. August 2019 an das Landgericht Arnsberg verwiesen; da sich auf Grund der zwischenzeitlichen Verlegung des Verurteilten in die JVA Tegel jedoch die Anknüpfungstatsachen geändert hätten, sähe das Landgericht Arnsberg diesen Beschluss nicht als bindend an.

Das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - hat die dort eingegangenen Akten am 1. April 2020 an die Staatsanwaltschaft Berlin zur Vorlage an den Bundesgerichtshof übersandt.

II.

1. Der Bundesgerichtshof ist als gemeinschaftliches oberstes Gericht der Landgerichte Berlin - Bezirk des Kammergerichts - und Arnsberg - Bezirk des Oberlandesgerichtes Hamm - zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreits nach § 120 StVollzG, § 14 StPO berufen.

2. Zuständig für das Verfahren zur Feststellung der Vereinbarkeit von Maßnahmen im Strafvollzug mit dem Gesetz (§ 119a StVollzG) ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin.

a) Nach § 119a Abs. 6 Satz 3 in Verbindung mit § 110 StVollzG ist grundsätzlich die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Die Dauer des vom Gericht zu überprüfenden Zeitraums ist in § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG mit zwei Jahren festgesetzt und kann verlängert, aber nicht abgekürzt werden. In dem Überprüfungszeitraum kann es zu einer Zuständigkeitsänderung durch eine nicht nur vorübergehende „Verlegung“ des Verurteilten in eine Vollzugsanstalt im Bezirk eines anderen Gerichtes kommen, weil das Gesetz für das Verfahren nach § 119a StVollzG, anders als im Verfahren nach § 462a StPO, keine Fortwirkung der zuerst begründeten Gerichtszuständigkeit vorsieht (vgl. Senat, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - 2 ARs 5/16, BeckRS 2016, 21432, Rn. 32). Da durch den Verweis von § 119a Abs. 6 Satz 3 StVollzG auf die Vorschrift des § 110 StVollzG die Zuständigkeit der auch räumlich möglichst vollzugsnahen Strafvollstreckungskammer begründet werden soll (Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, 7. Aufl., § 110 StVollzG, Rn. 2), ist diejenige Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk sich der Verurteilte am Ende des Überprüfungszeitraumes aufhält; dies deshalb, weil diese Strafvollstreckungskammer die für das Verfahren nach § 119a StVollzG größte Sachnähe aufweisen wird (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22. November 2018 - 1 Vollz (Ws) 309/18, BeckRS 2018, 42721, Rn. 21 f.).

Zur Zeit des Antrages der Staatsanwaltschaft Berlin vom 2. Dezember 2019 und des Ablaufs des Überprüfungszeitraumes nach § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG am 23. Februar 2020 befand sich der Verurteilte in der JVA Tegel (Berlin). Damit ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin für die Entscheidung zuständig, zumal sie bereits auch vor der Verlegung des Verurteilten in die JVA Werl die Entscheidungen nach § 119a StVollzG getroffen hat.

b) Eine Zuständigkeit des Landgerichts Arnsberg ist nicht durch den Verweisungsbeschluss des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - vom 13. August 2019 begründet worden. Eine durch „Verlegung“ des Verurteilten bedingte etwaige Änderung in der gerichtlichen Zuständigkeit führt nicht zwangsläufig zu einer Anhängigkeit eines Verfahrens nach § 119a StVollzG bei der für die aufnehmende Vollzugsanstalt zuständigen Strafvollstreckungskammer. Vielmehr gilt dies nur dann, wenn an diese das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 83 VwGO verwiesen wird (vgl. Senat, Beschlüsse vom 1. Dezember 1989 - 2 ARs 543/89, juris Rn. 4; vom 8. Dezember 2016 - 2 ARs 5/16, BeckRS 2016, 21432, Rn. 33). Grundsätzlich ist ein solcher Beschluss für das darin bestimmte Gericht nach § 83 Satz 1 VwGO, § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend, selbst wenn dieser fehlerhaft ist. Etwas anderes gilt in Ausnahmefällen, wenn die Verweisung offensichtlich rechtswidrig erfolgt ist (vgl. Schoch/Schneider/Bier/Ortloff/Riese, VwGO, 37. EL, § 83 Rn. 16). So liegt der Fall hier.

Bei dem Verfahren nach § 119a StVollzG handelt es sich nicht um ein über die gesamte Dauer der Strafvollstreckung fortwährend anhängiges Verfahren. Wie sich nicht zuletzt aus § 119a Abs. 7 StVollzG ergibt, handelt es sich bei den jeweiligen Entscheidungen nach § 119a Abs. 1 StVollzG um solche der Rechtskraft zugänglichen Abschlüsse isoliert zu betrachtender (Einzel-) Verfahren. Von dem Beginn eines Verfahrens nach § 119a StVollzG und damit seiner Anhängigkeit bei Gericht ist dann auszugehen, wenn dieses mit der Sache befasst ist. Ein solches Befasstsein liegt zunächst dann vor, wenn ein entsprechender Antrag auf eine Entscheidung nach § 119a Abs. 1 StVollzG gestellt wird, beispielsweise durch die Vollzugsbehörde, § 119a Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Dies gilt auch unabhängig davon, ob ein solcher Antrag unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist (vgl. für das Befasstsein im Sinne von § 462a StPO: Appl in KK-StPO, 8. Aufl., § 462a Rn. 18).

Da nach § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG eine Entscheidung durch das Gericht jedoch alle zwei Jahre von Amts wegen zu treffen ist, kommt es für das Vorliegen eines Befasstseins nicht in jedem Falle auf die Stellung eines Antrages an. Vielmehr ist ein Befasstsein auch dann gegeben, wenn eine Entscheidung des Gerichtes erforderlich wird, weil der Ablauf der gesetzlichen Frist des § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG bevorsteht (vgl. für das Befasstsein im Sinne von § 462a StPO: Appl in KK-StPO, aaO). Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt, in dem das Gericht tätig werden musste. Zwar ist die Ausgestaltung des Verfahrens nach § 119a StVollzG - abgesehen von den Anhörungspflichten nach § 119a Abs. 6 Satz 2 StVollzG - weitestgehend in das Ermessen des Gerichtes gestellt; dieses wird jedoch regelmäßig zu erwägen haben, ob es sich zur Verschaffung der notwendigen Sachkunde hinsichtlich der Tauglichkeit der Betreuungsangebote im Vollzug der Hilfe eines Sachverständigen bedient (vgl. Feest/Lesting/Lindemann, Strafvollzugsgesetze, § 119a StVollzG, aaO Rn. 10). Damit insoweit eine rechtzeitige Entscheidung vor Ablauf der in § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG genannten Frist gewährleistet ist, kommt bezüglich des zeitlichen Ablaufes ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 54a Abs. 2 Satz 1 StVollstrO und damit in der Regel ein Befasstein der Strafvollstreckungskammer mit einem von Amts wegen zu betreibenden Verfahren nach § 119a StVollzG drei Monate vor Ablauf der Überprüfungsfrist in Betracht (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. Februar 2019 - 1 Vollz (Ws) 93/19, BeckRS 2019, 30904). Jedenfalls sind im vorliegenden Fall keine Umstände ersichtlich, die ein Tätigwerden des Landgerichts Berlin - Strafvollstreckungskammer - rund sechs Monate vor Ablauf der Überprüfungsfrist nach § 119a StVollzG erforderlich erscheinen ließen.

Da zum Zeitpunkt der Verweisung durch das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - am 13. August 2019 auch kein entsprechender Antrag auf Durchführung des Verfahrens nach § 119a StVollzG vorlag, war, gemessen an den soeben dargestellten Grundsätzen, ein Befasstsein der Kammer mit einem Verfahren nach § 119a StVollzG nicht gegeben. Insoweit fehlte es an einem Verfahren im prozessualen Sinne, das durch das Landgericht Berlin - Strafvollstreckungskammer - hätte verwiesen werden können. Der Beschluss vom 13. August 2019 ging somit „ins Leere“, war insoweit rechtswidrig und konnte keine Bindungswirkung entfalten.

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1058

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2020, 359

Bearbeiter: Holger Mann