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HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 73

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 ARs 5/16, Beschluss v. 08.12.2016, HRRS 2017 Nr. 73


BGH 2 ARs 5/16 - Beschluss vom 8. Dezember 2016

Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung (Begriff des Befasstseins: Beendigung des Verfahrens durch die Zurücknahme der Einwilligung des Verurteilten in die bedingte Entlassung; Begriff der Aufnahme in eine Strafanstalt); Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts im Verfahren zur Feststellung der Vereinbarkeit von Maßnahmen im Strafvollzug mit dem Gesetz.

§ 454 StPO; § 462a StPO; § 14 StPO; § 57 StGB; § 119a StVollzG; § 120 StVollzG

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die Zuständigkeit des Gerichts durch Befasstsein mit der Frage der bedingten Entlassung wirkt bei einer Verlegung des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt in einem anderen Landgerichtsbezirk fort, solange über diese Frage nicht abschließend entschieden wurde (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 59).

2. Das Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung ist in einem Fall, in dem die Einwilligung des Verurteilten in die bedingte Entlassung zurückgenommen wurde, auch ohne Sachentscheidung des mit dieser Frage befassten Gerichts beendet, wenn das endgültige Fehlen der für eine bedingte Entlassung erforderlichen Einwilligung des Verurteilten zweifelsfrei feststeht.

3. Eine Befassung mit der Sache liegt nicht erst vor, wenn die betreffende Strafvollstreckungskammer tatsächlich tätig wird, sondern bereits dann, wenn Tatsachen vorliegen, die eine Entscheidung erforderlich machen (vgl. BGH NStZ-RR 2013, 389). Insbesondere ist dies der Fall, wenn im Rahmen der Strafvollstreckung ein Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf eine gerichtliche Entscheidung gestellt wird

4. Im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Verurteilter in eine Strafanstalt aufgenommen, wenn er sich in der betreffenden Vollzugseinrichtung tatsächlich und nicht nur ganz vorübergehend aufhält. Dies gilt sogar, wenn eine spätere Verlegung in eine andere Einrichtung bereits abzusehen ist (vgl. BGHSt 38, 63, 65). Eine Aufnahme ist demnach - vom Fall einer kurzfristigen Verschubung abgesehen - auch im Fall der Verlegung aus einer Justizvollzugsanstalt in eine andere anzunehmen (vgl. BGHSt 36, 229, 230 f.).

Entscheidungstenor

1. Für die nachträglichen Entscheidungen im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal zuständig.

2. Das Verfahren zur Entscheidung gemäß § 119a Abs. 1 StVollzG ist bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam anhängig.

Gründe

Die Vorlage betrifft die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung (§ 57 StGB, §§ 14, 454, 462a StPO) und im Verfahren zur Feststellung der Vereinbarkeit von Maßnahmen im Strafvollzug mit dem Gesetz (§ 14 StPO, §§ 119a, 120 StVollzG).

I.

1. Das Landgericht Potsdam verhängte gegen den vielfach vorbestraften Verurteilten durch Urteil vom 10. August 2006 wegen (besonders) schwerer räuberischer Erpressung in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Verstoß gegen das Waffengesetz, unter Einbeziehung der Strafe aus einem Urteil des Landgerichts Gera vom 23. Januar 2006 eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren. Außerdem ordnete es die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung an. Die Strafe ist zum überwiegenden Teil vollstreckt; das Strafende wird am 6. Juni 2019 erreicht. Es ist über die Frage einer Strafrestaussetzung zur Bewährung zu entscheiden. Dafür kommen das Landgericht Potsdam und das Landgericht Stendal als zuständige Gerichte in Betracht. Dem liegt Folgendes zu Grunde:

Der Verurteilte befand sich vom 25. August 2005 bis zum 11. Januar 2011 in der Justizvollzugsanstalt T. Am 12. Januar 2011 wurde er nach einem Fluchtversuch in die Justizvollzugsanstalt B. verlegt. Er strebte die Verlegung in eine sozialtherapeutische Anstalt an. Am 23. Februar 2015 erklärte er sein Einverständnis mit einer bedingten Entlassung. Am 24. Februar 2015 wurde er in die Justizvollzugsanstalt Br. überstellt, wo er zunächst für drei Monate ein Motivationsprogramm absolvieren sollte.

Durch Verfügung vom 5. März 2015 beantragte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Potsdam, die Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen. Mit Schriftsatz vom 13. April 2015 bestellte sich Rechtsanwalt Dr. O. als Verteidiger des Verurteilten und beantragte seine Beiordnung durch das Gericht. Termine zur Anhörung des Verurteilten im Beistand des Verteidigers wurden wegen Verhinderung des Verteidigers aufgehoben. Eine Anhörung durch das Landgericht Potsdam fand im Ergebnis nicht statt.

Am 13. Juli 2015 beantragte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Potsdam gemäß § 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG festzustellen, dass das Betreuungsangebot in der Justizvollzugsanstalt Br. den gesetzlichen Vorgaben entsprochen habe. Sie erklärte außerdem zum Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung, die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich. Diese komme nur in Betracht, wenn die Strafvollstreckungskammer eine Strafrestaussetzung tatsächlich erwäge, was fernliegend erscheine.

Unter dem 20. August 2015 teilte der Verteidiger dem Landgericht Potsdam mit, dass der Verurteilte die Rücküberstellung in die Justizvollzugsanstalt B. anstrebe. Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2015 erklärte der Verteidiger „für den Verurteilten“, dass er das erklärte Einverständnis mit der Strafrestaussetzung zur Bewährung im Sinne von § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB zurücknehme. Sobald der Verurteilte in die Justizvollzugsanstalt B. zurückverlegt werde, solle dort ein neuer Antrag gestellt werden, über den sodann die für diese Justizvollzugsanstalt zuständige Strafvollstreckungskammer zu entscheiden habe.

Das Landgericht Stendal vermerkte am 24. September 2015, dass es im Verfahren über die Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung gemäß § 462a Abs. 1 Nr. 1 StPO nicht zuständig sei, weil das für die Justizvollzugsanstalt Br. zuständige Gericht nach der dortigen Aufnahme des Verurteilten mit der Sache befasst worden sei und noch nicht entschieden habe.

Mit einem an die Staatsanwaltschaft Potsdam gerichteten Schriftsatz vom 26. Oktober 2015 beantragte der Verteidiger „die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe“ und seine Beiordnung in diesem Verfahren. Er vertrat die Ansicht, das Verfahren bei dem Landgericht Potsdam sei durch Rücknahme der Einwilligung des Verurteilten in die Strafrestaussetzung zur Bewährung beendet worden; nunmehr sei das Landgericht Stendal zuständig.

Mit Beschluss vom 2. November 2015 erklärte sich das Landgericht Potsdam für unzuständig und legte die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vor. Es vertrat die Ansicht, das Verfahren über die Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung bei dem Landgericht Potsdam sei mit der Rücknahme der Einwilligung des Verurteilten erledigt. Anhängig sei noch das Verfahren gemäß § 119a StVollzG. Auch dafür sei aber nicht das Landgericht Potsdam zuständig.

2. Der Generalbundesanwalt hat beantragt festzustellen, dass für die nachträglichen Entscheidungen über die Strafaussetzung zur Bewährung die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam zuständig sei. Die Auffassung des Landgerichts Stendal, wonach das dortige Verfahren erledigt sei, weil der Verurteilte seine Einwilligung in die Strafaussetzung zurückgenommen habe, treffe nicht zu. Zwar könne der Verurteilte die gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB erforderliche Zustimmung jederzeit widerrufen, jedoch sei auch dann noch eine abschließende Entscheidung des bisher mit der Sache befassten Gerichts erforderlich. Der Verurteilte könne nur über seine Einwilligung, nicht aber über das Verfahren disponieren. Das Verfahren nach § 119a Abs. 1 StVollzG sei noch bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Potsdam anhängig.

3. Der Senat hat freibeweislich den Verteidiger zur Bedeutung der Rücknahme der Einwilligung in die Strafrestaussetzung zur Bewährung befragt. Er hat dazu erklärt, dies sei nach Absprache mit dem Verurteilten erfolgt, damit „ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit erreicht werden“ solle. Ein anschließend bei dem Landgericht Stendal durchgeführtes Verfahren sei gleichfalls ohne gerichtliche Entscheidung nach erfolgter Anhörung des Verurteilten durch Rücknahme der Einwilligung erledigt worden.

4. Der Verteidiger hat eine Verzögerung des Verfahrens vor dem Senat gerügt.

II.

1. Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 14 StPO im Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung sind gegeben. Besteht zwischen mehreren Gerichten Streit über die Zuständigkeit, so bestimmt das gemeinschaftliche obere Gericht das Gericht, das sich der Untersuchung und Entscheidung zu unterziehen hat. Hier streiten die Landgerichte Stendal und Potsdam um die Zuständigkeit. Diese Landgerichte liegen in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte, so dass der Bundesgerichtshof das gemeinsame obere Gericht ist.

2. Zuständig ist gemäß § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal.

Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die unter anderem nach § 454 StPO zu treffende Entscheidung die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befasst wird, aufgenommen ist. Dies war zunächst das Landgericht Potsdam, weil es mit der Sache befasst wurde, nachdem der Verurteilte in der Justizvollzugsanstalt Br. aufgenommen worden war und das Landgericht Potsdam nicht abschließend entschieden hat. Dieses Verfahren ist jedoch durch Rücknahme der Einwilligung des Verurteilten in die bedingte Entlassung beendet worden.

a) Die anfängliche Zuständigkeit des Landgerichts Potsdam folgte daraus, dass der Verurteilte in die in seinem Bezirk liegende Justizvollzugsanstalt Br. aufgenommen worden war, als dieses Landgericht mit der Frage der Strafrestaussetzung zur Bewährung befasst wurde.

aa) Im Sinne des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Verurteilter in eine Strafanstalt aufgenommen, wenn er sich in der betreffenden Vollzugseinrichtung tatsächlich und nicht nur ganz vorübergehend aufhält (LR/Graalmann-Scherer, StPO, 26. Aufl., § 462a Rn. 12). Dies gilt sogar, wenn eine spätere Verlegung in eine andere Einrichtung bereits abzusehen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 28. August 1991 - 2 ARs 366/91, BGHSt 38, 63, 65; Beschluss vom 16. Mai 2012 - 2 ARs 159/12, NStZ 2012, 652, 653; Beschluss vom 5. November 2014 - 2 ARs 388/14, NStZ-RR 2015, 58). Eine Aufnahme ist demnach - vom Fall einer kurzfristigen Verschubung abgesehen - auch im Fall der Verlegung aus einer Justizvollzugsanstalt in eine andere anzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Juli 1989 - 2 ARs 381/89, BGHSt 36, 229, 230 f.). Hier wurde der Verurteilte zwar zunächst nur zur Durchführung eines Motivationsprogramms von drei Monaten in die Justizvollzugsanstalt Br. verlegt. Der anschließende Verbleib war offen, die Rückverlegung nicht absehbar. Die Verlegung erfolgte daher nicht nur kurzfristig.

bb) Eine Befassung mit der Sache liegt nicht erst vor, wenn die betreffende Strafvollstreckungskammer tatsächlich tätig wird, sondern bereits dann, wenn Tatsachen vorliegen, die eine Entscheidung erforderlich machen (vgl. Senat, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 2 ARs 441/10; Beschluss vom 27. August 2013 - 2 ARs 267/13, NStZ-RR 2013, 389). Insbesondere ist dies der Fall, wenn im Rahmen der Strafvollstreckung ein Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf eine gerichtliche Entscheidung gestellt wird (vgl. KK/Appl, StPO, 7. Aufl., § 462a Rn. 18; SSW/Hanft, StPO, 2. Aufl., § 462a Rn. 5; SK/Paeffgen, StPO, 4. Aufl., § 462a Rn. 13; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 56. Aufl., § 462a Rn. 10). Demnach war über den Antrag der Staatsanwaltschaft an das Landgericht Potsdam vom 5. März 2015, die Strafrestaussetzung zur Bewährung abzulehnen, zunächst durch dieses Gericht zu entscheiden, weil der Verurteilte zu diesem Zeitpunkt in die Justizvollzugsanstalt Br. aufgenommen worden war.

b) Die Zuständigkeit des Gerichts durch Befasstsein mit der Frage der bedingten Entlassung wirkt bei einer Verlegung des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt in einem anderen Landgerichtsbezirk fort, solange über diese Frage nicht abschließend entschieden wurde (vgl. Senat, Beschluss vom 16. Mai 2012 - 2 ARs 167/12, NStZ-RR 2013, 59; Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 2 ARs 335/13).

Eine abschließende Entscheidung des Landgerichts Potsdam ist allerdings nicht erfolgt. Sie ist auch nicht in dem Beschluss vom 2. November 2015 enthalten, mit dem das Landgericht Potsdam die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt hat. Darin wurde zwar angemerkt, dass das Verfahren durch Rücknahme der Einwilligung des Verurteilten in die bedingte Entlassung beendet sei. Diese Bemerkung ist aber nur zur Begründung der Ansicht des Landgerichts Potsdam zur Frage seiner örtlichen Unzuständigkeit gemacht worden und nicht in eine Sachentscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung eingeflossen.

c) Die Erklärung des Verteidigers vom 12. Oktober 2015, die Einwilligung in die bedingte Entlassung werde zurückgenommen, um sie nach Rückverlegung des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt B. erneut zu erklären, hat das Verfahren beim Landgericht Potsdam jedoch beendet.

aa) Es ist umstritten, ob ein Verfahren über die Strafrestaussetzung zur Bewährung auch in einem Fall, in dem die Einwilligung des Verurteilten in die bedingte Entlassung zurückgenommen wurde, stets nur aufgrund einer Sachentscheidung des mit dieser Frage befassten Gerichts endet.

Zum Teil wird darauf abgestellt, dass eine Sachentscheidung entbehrlich sei, weil dem Gericht nach Zurücknahme der Einwilligung des Verurteilten keine Entscheidungsalternative verbleibe. Daher sei das Verfahren bereits mit der Rücknahmeerklärung des Verurteilten beendet (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 7. Februar 1994 - 3 Ws 27/94, NStZ 1994, 454 f.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 3. Januar 1992 - 1 Ws 273/91; MDR 1992, 595 f.; KG, Beschluss vom 3. April 2001 - 1 AR 284/01 - 5 Ws 154/01; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 2. April 2001 - 1 Ws 170-172/01, NStZ-RR 2001, 311; KK/Appl aaO § 462a Rn. 23; Arnoldi, NStZ 2001, 503 f.; Bußmann in Matt/Renzikowski, StGB, 2012, § 57 Rn. 14; BeckOK-StGB/von Heintschel-Heinegg, StGB, 31. Ed., § 57 Rn. 10; SK/Paeffgen aaO § 462a Rn. 16; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt aaO § 462a Rn. 12). Dies ist nach einer modifizierenden Ansicht, der auch der Senat folgt, auf Fälle zu beschränken, in denen das endgültige Fehlen der für eine bedingte Entlassung erforderlichen Einwilligung des Verurteilten zweifelsfrei feststeht (vgl. KG, Beschluss vom 4. Dezember 2000 - 1 Ws 462/00, NStZ 2001, 278 ff.; Beschluss vom 19. April 2006 - 1 AR 229/06 - 5 Ws 105/06; KK/Appl aaO § 454 Rn. 26; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 57 Rn. 19a). Andere Stimmen plädieren dafür, eine Erledigung des Verfahrens nur dann anzunehmen, wenn das Gericht in der Sache entschieden hat (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 6. November 2002 - 1 Ws 490/02; LK/Hubrach, StGB, 12. Aufl., § 57 Rn. 89; Laubenthal JZ 1988, 951, 955).

bb) Hier ist das Verfahren auch ohne Sachentscheidung des zunächst zuständigen Gerichts aufgrund der wiederholten Erklärungen des Verteidigers erledigt worden, er nehme für den Verurteilten dessen Einwilligung in die bedingte Entlassung zurück.

(1) Die Einwilligung des Verurteilten ist eine in § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorgesehene materiellrechtliche Voraussetzung für die Bewilligung einer Strafrestaussetzung zur Bewährung. Dabei handelt es sich um eine höchstpersönliche Erklärung, so dass Stellvertretung ausscheidet, während eine Übermittlung der Erklärung durch einen Erklärungsboten zulässig ist (vgl. Gross in Festschrift für Rieß, 2002, S. 691, 696). Gleiches muss für die Zurücknahme der Einwilligung gelten.

Die Erklärung des Verteidigers eines Verurteilten, er nehme für diesen die erklärte Einwilligung zurück, um später nach einem Wechsel der Gerichtszuständigkeit einen neuen Antrag auf Strafrestaussetzung einzureichen, ließ zunächst nicht eindeutig erkennen, ob sie in Vertretung für den Verurteilten oder als dessen eigene Erklärung abgegeben wurde. Zudem schien ein Willensmangel bei der Rücknahmeerklärung nicht zweifelsfrei auszuschließen zu sein, weil die Rücknahmeerklärung abgegeben wurde, um die Zuständigkeit eines anderen Gerichts herbeizuführen. Im Verfahren über die Strafrestaussetzung ist jedenfalls eine zweifelsfreie Klärung der Frage geboten, ob der Verurteilte in die bedingte Entlassung einwilligt oder eine erklärte Einwilligung endgültig zurückgenommen hat. Die Erklärung des Verteidigers, er nehme für den Verurteilten die von diesem erklärte Einwilligung zurück, um sie nach einer Verlegung des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt im Zuständigkeitsbereich eines anderen Gerichts erneut abzugeben, rechtfertigte noch nicht ohne weiteres die Annahme einer Erledigung des Verfahrens.

(2) Jedoch hat der Verteidiger nach Rückfrage durch den Senat versichert, er habe die Einwilligung ausdrücklich nach Rücksprache mit dem Mandanten gegenüber beiden Gerichten erklärt. Hiernach ist von einer Beendigung des Verfahrens des Landgerichts Potsdam auszugehen. Auf das Motiv für die Rücknahmeerklärung kommt es nicht an.

Zwar erscheint die Rücknahme der Einwilligung in die Strafrestaussetzung zur Bewährung im Hinblick auf die gesetzlich geregelten Gerichtszuständigkeiten (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) bedenklich, wenn sie nur darauf abzielt, die Zuständigkeit eines anderen Gerichts herbeizuführen und anschließend durch eine neue Einwilligungserklärung ersetzt zu werden. Der gesetzlichen Regelung in § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB und in den §§ 454, 462a StPO ist die Erteilung einer Einwilligungserklärung nur für ein konkretes Verfahren gegenüber einem bestimmten Gericht fremd (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 18. März 2013 - III-3 Ws 71/13).

Jedoch hat der Verurteilte zwischenzeitlich nach Anhörung auch gegenüber dem Landgericht Stendal eine entsprechende Erklärung abgegeben. Sein eindeutig erklärter Rücknahmewille ist in diesem Fall beachtlich, da die Gerichte sich darüber nicht durch Bewilligung einer Strafrestaussetzung zur Bewährung hinwegsetzen können.

III.

1. Im Verfahren gemäß § 119a StVollzG (BT-Drucks. 17/9874 S. 28 f.) sind die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 120 Abs. 1 Satz 2 StVollzG, § 14 StPO gegeben. Auch insoweit streiten die Landgerichte Stendal und Potsdam um die Zuständigkeit. Der Bundesgerichtshof ist das gemeinsame obere Gericht.

2. Zuständig ist - insoweit im Einklang mit dem Antrag des Generalbundesanwalts - die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Stendal, jedoch ist das Verfahren noch beim Landgericht Potsdam anhängig. Der Senat hat nur letzteres festzustellen.

Zuständig ist gemäß § 119a Abs. 6 Satz 3 in Verbindung mit § 110 StVollzG die Strafvollstreckungskammer, in deren Bezirk die Vollzugsbehörde ihren Sitz hat. Die Dauer des vom Gericht zu überprüfenden Zeitraums ist in § 119a Abs. 3 Satz 1 StVollzG mit zwei Jahren festgesetzt und kann verlängert, aber nicht abgekürzt werden. In dem Überprüfungszeitraum kann es zu einer Zuständigkeitsänderung durch Verlegung des Verurteilten in eine Justizvollzugsanstalt im Bezirk eines anderen Gerichts kommen, weil das Gesetz für das Verfahren nach § 119a StVollzG, anders als im Verfahren nach § 462a StPO, keine Fortwirkung der zuerst begründeten Gerichtszuständigkeit vorsieht (vgl. BeckOK-Strafvollzug-Bund/Euler, StVollzG, 8. Ed., § 110 Rn. 5).

Zur Zeit des Fristablaufs und zur Zeit des Überprüfungsantrags der Staatsanwaltschaft war das Landgericht Potsdam für die Überprüfung nach § 119a Abs. 1 StVollzG zuständig. Nach der Verlegung des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt B. wurde das Landgericht Stendal zuständig. Dorthin kann das Verfahren verwiesen werden, was aber bisher nicht geschehen ist. Eine Verweisung ist auch dem Vorlagebeschluss des Landgerichts Potsdam vom 2. November 2015 nicht zu entnehmen. Daher hat der Senat nur festzustellen, dass das Verfahren zur Überprüfung der Gesetzmäßigkeit der Maßnahmen im Behandlungsvollzug beim Landgericht Potsdam anhängig ist.

IV.

Es wird festgestellt, dass das Verfahren vor dem Senat durch zeitweilige, insbesondere krankheitsbedingte Abwesenheit verschiedener Senatsmitglieder, die an der anfänglichen Beratung teilgenommen haben, verzögert worden ist.

HRRS-Nummer: HRRS 2017 Nr. 73

Externe Fundstellen: StV 2018, 354

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede