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HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 487

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 432/20, Beschluss v. 02.02.2021, HRRS 2021 Nr. 487


BGH 2 StR 432/20 - Beschluss vom 2. Februar 2021 (LG Bonn)

Räuberische Erpressung (Finalität: konkludente Drohung und bloßes Ausnutzen bestehender Angst des Opfers); nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe (keine Anwendung bei früherem Urteil, das auf eine Gesamtstrafe erkannt hat, aber keine Einzelstrafen enthält).

§ 249 StGB; § 253 StGB; 255 StGB

Leitsätze des Bearbeiters

1. Die räuberische Erpressung erfordert ebenso wie der Raub einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung. Zwar genügt eine konkludente Drohung, die sich grundsätzlich auch daraus ergeben kann, dass der Täter dem Opfer durch sein Verhalten zu verstehen gibt, er werde zuvor zu anderen Zwecken angewendete Gewalt nunmehr zur Erzwingung der jetzt erstrebten vermögensschädigenden Handlung des Opfers bzw. zur Duldung der beabsichtigten Wegnahme fortsetzen oder wiederholen. Indes enthält das bloße Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung für sich genommen noch keine Drohung. Erforderlich hierfür ist vielmehr, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht; es reicht nicht aus, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen.

2. § 55 StGB findet keine Anwendung, wenn das frühere Urteil auf eine Gesamtstrafe erkannt hat, aber keine Einzelstrafen enthält; das Tatgericht hat in diesem Fall einen Härteausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe vorzunehmen.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 18. Juni 2020 mit den jeweils zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben,

a) soweit der Angeklagte im Fall 5 der Urteilsgründe verurteilt ist und

b) in den Gesamtstrafaussprüchen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung (Fall 1 der Urteilsgründe) unter Einbeziehung der „Geldstrafe“ aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 10. November 2017 und der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 18. Mai 2018 sowie unter Auflösung der mit letztgenanntem Urteil gebildeten Gesamtstrafe zu einer ersten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten und wegen räuberischer Erpressung in fünf Fällen (Fälle 2 bis 6 der Urteilsgründe) zu einer weiteren Gesamtfreiheitstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die Revision des Angeklagten erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat zu den Fällen 1 bis 4 und 6 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

2. Indes hält die Verurteilung des Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in Fall 5 der Urteilsgründe rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts gab der Angeklagte in einem im März 2019 mit dem Geschäftsführer der Firma des Geschädigten geführten Telefonat „nunmehr vor, er müsse für einen ‚guten Freund‘ eine Kaution stellen“ und sich hierzu 2.500 € „leihen“. Er gab an, diesen Betrag bis Monatsende zurückzuzahlen, was jedoch nicht seiner Absicht entsprach. Da ihm nicht geglaubt wurde und aus Furcht, im Weigerungsfall könne er zuvor (im April 2015, im Januar 2018, im Juni 2018 und im September 2018) angedrohte Repressalien in die Tat umsetzen, wurden dem angekündigten und vom Angeklagten am Folgetag gesandten Boten 900 € übergeben.

b) Das trägt die Verurteilung wegen räuberischer Erpressung nicht. Die räuberische Erpressung (§§ 253, 255 StGB) erfordert ebenso wie der Raub (§ 249 StGB) einen finalen Zusammenhang zwischen dem Nötigungsmittel und der von dem Opfer vorzunehmenden vermögensschädigenden Handlung. Zwar genügt eine konkludente Drohung, die sich grundsätzlich auch daraus ergeben kann, dass der Täter dem Opfer durch sein Verhalten zu verstehen gibt, er werde zuvor zu anderen Zwecken angewendete Gewalt nunmehr zur Erzwingung der jetzt erstrebten vermögensschädigenden Handlung des Opfers bzw. zur Duldung der beabsichtigten Wegnahme fortsetzen oder wiederholen. Indes enthält das bloße Ausnutzen der Angst des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung für sich genommen noch keine Drohung. Erforderlich hierfür ist vielmehr, dass der Täter die Gefahr für Leib oder Leben deutlich in Aussicht stellt, sie also durch ein bestimmtes Verhalten genügend erkennbar macht; es reicht nicht aus, wenn das Opfer nur erwartet, der Täter werde es an Leib oder Leben schädigen (zum Ganzen vgl. Senat, Urteil vom 27. März 2019 - 2 StR 465/18, NStZ 2019, 674, 675; BGH, Beschlüsse vom 25. Februar 2014 - 4 StR 544/13, NStZ 2014, 269, 270; vom 20. September 2016 ? 3 StR 174/16, NStZ 2017, 92, 93 jeweils mwN). Nach den getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte (anders als in den anderen Fällen der Urteilsgründe) lediglich eine Furcht des Geschädigten ausgenutzt, ohne ihm zumindest konkludent mit Gewaltanwendung zu drohen.

c) In diesem Umfang bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass Feststellungen getroffen werden können, die eine Verurteilung des Angeklagten wegen räuberischer Erpressung - oder gegebenenfalls wegen versuchten Betruges - in diesem Fall tragen. Da nach den bislang getroffenen Feststellungen der Angeklagte in der Erwartung gehandelt haben könnte, der Geschädigte werde die Unrichtigkeit seines Rückzahlungsversprechens sogleich und ohne Weiteres durchschauen (hierzu vgl. SSW-StGB/Satzger, 5. Aufl., § 263 Rn. 305; Matt/Renzikowski/Saliger, StGB, 2. Aufl., § 263 Rn. 273 je mwN), sieht der Senat davon ab, selbst auf versuchten Betrug zu erkennen.

3. Auch der Gesamtstrafenausspruch kann - unabhängig vom Wegfall der Einzelstrafe im Fall 5 der Urteilsgründe - keinen Bestand haben. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft die (Gesamtgeld-)Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 10. November 2017 in eine - nur mit der Einzelstrafe zu Fall 1 der Urteilsgründe gebildete - erste Gesamtfreiheitsstrafe einbezogen. § 55 StGB findet jedoch keine Anwendung, wenn das frühere Urteil - wie hier - auf eine Gesamtstrafe erkannt hat, aber keine Einzelstrafen enthält; das Tatgericht hat in diesem Fall einen Härteausgleich bei der Bemessung der neuen Strafe vorzunehmen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. März 1997 - 2 StR 107/97, NJW 1997, 1993, 1994; BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 2003 - 3 StR 430/03, NStZ-RR 2004, 106, 107; vom 4. September 2019 - 4 StR 294/19 mwN). Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei zutreffender Gesamtstrafenbildung (geänderter Zäsurzeitpunkt und Härteausgleich) zu einem für den Angeklagten günstigeren Rechtsfolgenausspruch gelangt wäre.

HRRS-Nummer: HRRS 2021 Nr. 487

Externe Fundstellen: StV 2021, 493

Bearbeiter: Christoph Henckel/Karsten Gaede