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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1214

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 287/20, Beschluss v. 16.09.2020, HRRS 2020 Nr. 1214


BGH 2 StR 287/20 - Beschluss vom 16. September 2020 (LG Aachen)

Anspruch des Angeklagten auf zügige Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens.

Art. 6 Abs. 1 EMRK; Art. 13 EMRK; Art. 34 EMRK; Art. 2 GG; Art. 20 Abs. 3 GG

Leitsatz des Bearbeiters

Die nicht näher ausgeführte Bewertung des Landgerichts, ein „Zuwarten mit der Anklageerhebung“ sei „nicht sachfremd“, lässt besorgen, es könnte den Anspruch des Angeklagten auf zügige Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens (Art. 6 Abs. 1, Art. 13, 34 EMRK; Art. 2, 20 Abs. 3 GG) und die hierfür maßgeblichen Umstände des Einzelfalls nicht hinreichend in den Blick genommen haben.

Entscheidungstenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 6. November 2019 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass von der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zwei Monate als vollstreckt gelten.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur besonders schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die Revision des Angeklagten, die er auf die Verletzung materiellen Rechts stützt, führt lediglich zu einer Ergänzung um eine Kompensation für einen Konventionsverstoß gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler aufgezeigt.

2. Rechtlichen Bedenken begegnet es allerdings, dass die Strafkammer davon abgesehen hat, mit Blick auf die „ungewöhnlich lange Verfahrensdauer“ einen Teil der verhängten Strafe für vollstreckt zu erklären. Nach dem in den Urteilsgründen mitgeteilten Verfahrensgang lässt die nicht näher ausgeführte Bewertung des Landgerichts, ein „Zuwarten mit der Anklageerhebung“ (von Mai 2016 und Oktober 2018) sei „nicht sachfremd“, besorgen, es könnte den Anspruch des Angeklagten auf zügige Durchführung des gegen ihn gerichteten Strafverfahrens (Art. 6 Abs. 1, Art. 13, 34 EMRK; Art. 2, 20 Abs. 3 GG) und die hierfür maßgeblichen Umstände des Einzelfalls (vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07, BGHSt 52, 124; Beschluss vom 27. Mai 2008 - 3 StR 157/08) nicht hinreichend in den Blick genommen haben. Um weitere Verfahrensverzögerungen zu vermeiden, bestimmt der Senat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2008 - 5 StR 118/08 und vom 19. August 2015 - 1 StR 308/15, je mwN), dass zwei Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten. Eine noch weitergehende Kompensation wäre nicht mehr angemessen.

3. Im Hinblick auf den nur geringen Teilerfolg der Revision ist es nicht unbillig, den Beschwerdeführer mit den gesamten Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels und den dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu belasten (§ 473 Abs. 1 und 4 StPO).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1214

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner