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HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1043

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner

Zitiervorschlag: BGH, 2 StR 187/20, Beschluss v. 21.07.2020, HRRS 2020 Nr. 1043


BGH 2 StR 187/20 - Beschluss vom 21. Juli 2020 (LG Köln)

Herstellen von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Strafzumessung und Bestimmung der nicht geringen Menge: Erheblichkeit der anvisierten Wirkstoffmenge bei Aufbau und Betrieb einer Cannabis-Plantage); Urteilsgründe (Darstellung der Anknüpfungstatsachen und Ausführungen eines Sachverständigengutachtens).

§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; § 267 StPO

Leitsätze des Bearbeiters

1. Beim Aufbau und Betrieb einer Cannabis-Plantage ist sowohl für die Abgrenzung zur nicht geringen Menge als auch für den Schuldumfang bei der Strafzumessung die Menge an Wirkstoff maßgeblich, die mit dem Anbau letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll.

2. Folgt der Tatrichter dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist er, sofern es sich nicht um ein weithin standardisiertes Verfahren handelt, sachlich-rechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerung nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind. Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt.

Entscheidungstenor

1. Auf die Revisionen der Angeklagten S., Ö. und So. wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 22. Januar 2020, soweit es sie und die Angeklagten H. W. und P. W. betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben - in den Einzelstrafaussprüchen betreffend die Mitwirkung aller Angeklagten am Aufbau und Betrieb einer Cannabisplantage in der K. straße und - in den Gesamtstrafaussprüchen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehenden Revisionen werden als unbegründet verworfen.

Gründe

Das Landgericht hat die Angeklagten S., Ö. und So. jeweils wegen Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen Verabredung zum Verbrechen des schweren Wohnungseinbruchdiebstahls verurteilt, darüber hinaus den Angeklagten S. wegen eines weiteren Falles des Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, den Angeklagten Ö. wegen Besitzes dreier verbotener Gegenstände und den Angeklagten So. wegen Besitzes von Betäubungsmitteln. Gegen den Angeklagten S. hat es eine Gesamtfreiheitstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verhängt, gegen die Angeklagten Ö. und So. eine solche von zwei Jahren und sechs Monaten. Ferner hat es ausgesprochen, dass jeweils ein Monat der verhängten Gesamtfreiheitsstrafen wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt.

Den nicht revidierenden H. W. hat das Landgericht wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, die nicht revidierende P. W. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Die Vollstreckung dieser Gesamtfreiheitsstrafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten K. hat das Landgericht freigesprochen.

Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten S., Ö. und So. haben den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg und führen insoweit auch zur Erstreckung auf die verurteilten Nichtrevidenten (§ 357 StPO). Im Übrigen sind die Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

Das Landgericht hat, soweit für die Entscheidung von Bedeutung, im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

1. Ab Juli 2017 betrieben die Angeklagten S., Ö. und So. gemeinsam mit dem Mitangeklagten H. W. und mit Unterstützung der Mitangeklagten P. W. in der K. straße in G. eine Cannabis-Plantage. Anlässlich einer Durchsuchung am 2. September 2017 wurden in zwei Räumen des Objekts sechs Cannabis-Mutterpflanzen mit einer Größe von 140 bis 180 cm sowie Setzlinge und Cannabispflanzen unterschiedlicher Wuchshöhe gefunden. Der konsumfähige Anteil von 20 der 231 in einem Raum und 20 der in dem weiteren Raum sichergestellten Cannabispflanzen betrug insgesamt 291,34 g mit einem Wirkstoffanteil von zusammen 14,07 g THC. Die Strafkammer hat ferner - unter Hinweis auf ein im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführtes Gutachten des Landeskriminalamts - angenommen, dass die zu erwartende Ernte einen Mindestertrag von 17 kg Marihuana mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 10 % ergeben hätte.

2. Der Angeklagte S. verwahrte im Keller des mit seiner Familie bewohnten Anwesens 777,64 g netto und 491,68 g netto Marihuana, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf durch ihn bestimmt war. Die sachverständige Untersuchung hat einen Wirkstoffgehalt von 15,2 % ergeben und eine Wirkstoffmenge von ca. 193 g THC.

II.

Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils führt - unter Erstreckung auf die verurteilten Mitangeklagten ? zur Aufhebung der Einzelstrafaussprüche, soweit sie wegen ihrer Mitwirkung am Aufbau und Betrieb der Cannabis-Plantage in der K. straße verurteilt sind. Insoweit leidet das angefochtene Urteil an einem durchgreifenden Darstellungsmangel. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung auch der Gesamtstrafaussprüche nach sich. Im Übrigen haben die Revisionen keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Zutreffend hat die Strafkammer erkannt, dass beim Aufbau und Betrieb einer Cannabis-Plantage sowohl für die Abgrenzung zur nicht geringen Menge als auch für den Schuldumfang bei der Strafzumessung die Menge an Wirkstoff maßgeblich ist, die mit dem Anbau letztlich erzielt und gewinnbringend veräußert werden soll (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2020 - 2 StR 391/19 mwN). Die von der Strafkammer mit sachverständiger Hilfe ermittelte Ertragserwartung ist indes nicht hinreichend belegt.

a) Folgt der Tatrichter dem Gutachten eines Sachverständigen, so ist er, sofern es sich nicht um ein weithin standardisiertes Verfahren handelt, sachlich-rechtlich verpflichtet, die wesentlichen Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des Gutachtens so darzulegen, dass das Revisionsgericht prüfen kann, ob die Beweiswürdigung auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die Schlussfolgerung nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2019 - 1 StR 427/18, juris Rn. 27; Urteil vom 27. Oktober 1999 - 3 StR 241/99, juris Rn. 2; KK-StPO/Kuckein/Bartel, 8. Aufl., § 267 Rn. 16; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 267 Rn. 13, jeweils mwN). Der Umfang der Darlegungspflicht richtet sich dabei nach der jeweiligen Beweislage und der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGH, Urteil vom 3. Mai 2012 - 3 StR 46/12, juris Rn. 8; Beschluss vom 7. Mai 1996 - 1 StR 170/96, juris Rn. 12).

b) Diesen Maßstäben wird das Urteil nicht in vollem Umfang gerecht.

aa) Allerdings stellt es hier keinen Verstoß gegen die materiellrechtlichen Darlegungsanforderungen dar, dass die Urteilsgründe hinsichtlich der Wirkstoffmenge des im Keller des Angeklagten S. sichergestellten Marihuanas keine weiteren Ausführungen zu dem Gutachten enthalten, dem die Strafkammer die festgestellten Werte entnommen hat. Denn insoweit handelt es sich bei der Bestimmung des Wirkstoffgehalts von sichergestellten und konsumfertigen Rauschmitteln um weitgehend standardisierte Verfahren, bei denen die Mitteilung des Ergebnisses jedenfalls dann ausreichen kann, wenn - wie hier - keine Einwände gegen die Zuverlässigkeit der Begutachtung erhoben worden und auch aus den Urteilsgründen nicht ersichtlich sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2014 - 3 StR 268/14, NStZ-RR 2015, 14).

bb) Soweit die Strafkammer bezüglich der Cannabis-Plantage eine Ertragserwartung von 17 kg Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von mindestens 10 % THC angenommen hat, leidet das angefochtene Urteil an einem durchgreifenden Darstellungsmangel, der zur Aufhebung der darauf gestützten Strafaussprüche führt.

(1) Die Strafkammer stellt für die von ihr angenommene Ertragserwartung maßgeblich auf ein Gutachten des Landeskriminalamtes ab, ohne dessen Inhalt darzustellen. Damit bleibt offen, auf welcher Grundlage die Strafkammer bzw. gegebenenfalls das Landeskriminalamt zu der Wertung gelangt ist, die vorgefundenen Setzlinge und Cannabispflanzen unterschiedlicher Wuchshöhe rechtfertigten die Schätzung, die Angeklagten seien von einer derartigen Ertragserwartung ausgegangen (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2020 - 2 StR 391/19). Mangels jedweder Darlegung ist dem Senat die Prüfung verschlossen, ob die Wertung des Landeskriminalamtes auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage beruht und die von ihm gezogenen Schlussfolgerungen, denen sich die Kammer angeschlossen hat, nach den Gesetzen der Logik, den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens und den Erkenntnissen der Wissenschaft sowohl hinsichtlich der Ertragsmenge wie auch des ebenfalls geschätzten Wirkstoffgehalts von 10 % THC möglich sind (vgl. Senat, aaO).

(2) Die Überzeugung der Strafkammer vom konkret zu erwartenden Ertrag der Plantage wird auch nicht durch die geständige Einlassung und die dabei geäußerten Gewinnerwartungen der Angeklagten belegt. Die Angeklagten hatten zum Teil „keine konkrete Vorstellung“, und ihre Erwartungen haben stark differiert.

(3) Der Senat kann aber ausschließen, dass der Schuldspruch (Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Nicht nur die Gewinnerwartungen der Angeklagten, sondern auch die Menge der sichergestellten Pflanzen, der professionelle Aufbau der Plantage und die Wirkstoffmenge der konkret untersuchten Pflanzen belegen, dass ein geringerer Ertrag als der zum Erreichen der nicht geringen Menge erforderliche nicht zu erwarten war.

(4) Indes können die die Plantage in der K. straße betreffenden Einzelstrafaussprüche, denen die Strafkammer das Erreichen des 227-fachen der nicht geringen Menge zugrunde legt, keinen Bestand haben. Sie sind mit den ihnen zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben. Dies zieht zum einen die Aufhebung der jeweiligen Gesamtstrafen nach sich. Zum anderen ist, da der aufgezeigte Darstellungsfehler die nicht revidierenden Mitangeklagten W. in gleicher Weise wie die Beschwerdeführer trifft, die Aufhebung des Strafausspruchs § 357 StPO auf sie zu erstrecken.

2. Im Übrigen hat die umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Zur Rüge, die Urteilsfeststellungen trügen nicht die Annahme, die Angeklagten hätten sich zu einem Verbrechen verabredet, bemerkt der Senat ergänzend: Nach den - vom Geständnis der Angeklagten getragenen - Feststellungen haben sich die Angeklagten frühestens im August des Jahres 2017, mithin nach Inkrafttreten des § 244 Abs. 4 StGB am 22. Juli 2017 (BGBl. 2017 I S. 2442), verabredet, alsbald gemeinsam in die dauerhaft genutzte Privatwohnung des Zeugen Kr. einzubrechen. Für die Annahme einer Verabredung im Sinne des § 30 StGB zu diesem Zeitpunkt war die Konkretisierung auf die wesentlichen Grundzüge der Tat, zu deren Begehung die Angeklagten unbedingt entschlossen waren, ausreichend (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juni 2007 - 3 StR 140/07, NStZ 2007, 697).

HRRS-Nummer: HRRS 2020 Nr. 1043

Externe Fundstellen: NStZ-RR 2021, 379

Bearbeiter: Karsten Gaede/Marc-Philipp Bittner